Monatsarchive: Juli 2014

Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB…

»Jung«, sagte er, »solange du dir noch die Eier kratzen kannst, hat dich der Tod noch nicht am Sack! Das Leben geht weiter, wenn nur du weitergehst.« (aus: „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“).

Hodenkrebs_Erfahrungen
Was ihm auf den Sack ging…

So eine Diagnose wie Hodenkrebs ist ja per schon etwas, dass einem an die Nieren geht, was ihm aber wirklich auf den Sack ging, war, dass er ab dem Morgen des Tages, an dem er unter das Messer des Chirurgen kommen sollte, anscheinend von ihn betreffenden Informationen abgeschnitten war.

Stundenlang wartete mein alter Freund im Flügelhemdchen auf die OP – ohne dass sich jemand bemüßigt sah, ihm mitzuteilen, dass sich die OP verzögert. Er hätte gerne vor der OP dem Chirurgen die Hand geschüttelt und von diesem gehört, was er denn – wenn die Vollnarkose wirkt – mit ihm zu tun gedenke (nur um sicherzugehen, dass der Chirurg richtig informiert ist und sich nicht anderweitig betätigt). Den Chirurg sah er nicht – nicht vor, nicht nach der OP. Bis zur Visite am nächsten Morgen konnte ihm niemand so recht Auskunft über den OP-Verlauf und -Erfolg geben. Auch nach der Computertomografie am Tag nach der OP befand er sich in einem toten Informationswinkel. Beinahe 24 Stunden musste er auf die erlösende Nachricht warten, dass keine Metastasen gefunden wurden. Mehr dazu dort… Hier nur noch das dazu: Wenn es nicht in diesem Stil weitergegangen wäre, wäre das wohl alles Schnee von gestern. Schwamm drüber. Jedes Krankenhaus hat mal einen schlechten Tag. Oder derer drei. Aber was im Krankenhaus begann, setzte sich leider fort. Mit dem Schnitt des Chirurgen war das Thema „Hodenkrebs“ nicht beendet. Und nicht beendet war leider auch der communication breakdown.

Alles fit im Schritt?

Mein alter Freund ist eigentlich ein lustiges Kerlchen, und so gab er sich bei jedem Telefonat (und jeder E-Mail – und das sicherlich nicht nur mir gegenüber) Mühe, auch die spaßigen Momente hervorzuheben, die seine Diagnose mit sich brachte.

„Da drücken sie mir einen Einwegrasierer in die Hand. Vom Bauchnabel abwärts bis runter zu den Oberschenkeln sollte ich mich rasieren – tolle Übung ohne Übung. Oh Gott, wo setze ich den ersten Schnitt. Und wie. Und wenn meine Hand zittert? Sah mich schon dem Chirurgen seine Arbeit abnehmen…“

Am zweiten Tag nach der OP verließ er das Krankenhaus. Großartige Untersuchungen gab es keine mehr. Pflegerisch fühlte er sich genau unterversorgt wie von Informationen abgeschnitten (große Ausnahme: Nachtschwester Bea*). Also nichts wie weg. Seine Temperatur kontrollieren konnte er auch daheim. An dieser Stelle seiner Erzählung brachte er dann oben angeführtes Zitat aus meinem zweiten Roman „Abschied“, was mich natürlich freute. Zitiert zu werden ist was Feines. „Ich musste einfach weitergehen. Dort zu liegen, ohne dass medizinisch überhaupt was passierte, schlug mir doch was aufs Gemüt. So hübsch war es da auch nicht.
Krankenhaus_Fruehstück
Und dann das Essen… Das Frühstück so üppig, dass mich die anschließende Verdauungsarbeit müde zurück ins Bett trieb.

Das Mittagessen so kreativ, dass ich vor lauter kulinarischer Überraschung auf dem Essensplan nachsehen musste, was sie mir da kredenzt haben (und nein, das Bild zeigt keinen Reibekuchen oder Verwandtes). Krankenhaus_Mittagessen

Wie heißt es doch so schön: Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König, Abendessen… Soll ich Dir noch ein Bilder vom Abendessen schicken?

Das Essen wurde eigentlich nur vom Fernseher getoppt. Krankenhaus_FernseherUnd das während der WM! Ne, ich musste weg. Weitergehen…“

Lachend fügte er noch hinzu: „Denn ich bin zwar nur noch ein Halbgemächtling, aber zum Glück hängt es ja nicht daran, wie viel Cojones man hat – denke nur an den Halbing Bilbo. Nicht kaputt zu kriegen!“

Seine Operationswunde verheilte gut. „Brennt nur noch manchmal.“ Die Naht sah von Tag zu Tag besser aus. „Und jucken tut sie mittlerweile.“ Es zwickte und zwackte meinen Freund zwar noch in der Leiste, wo der Chirurg den Schnitt gesetzt hatte, um an seinen linken Hoden heranzukommen. Der Bereich um die Wunde war druckempfindlich, und wenn er zu lange gesessen hatte oder er sich unvorsichtig bewegte, tat ihm die linke Leistengegend auch weh. Aber von Schmerzen konnte keine Rede mehr sein.

War der Chirurg auch kommunikativ nur ein Sechserkandidat gewesen, mit dem Skalpell hatte er zwischen den Schenkeln meines Freundes nach aktuellem Stand der Dinge 1A-Arbeit geleistet. Es war nach der OP keine Drainage notwendig gewesen. Die Körpersäfte hatten sich nicht an dieser für die Schwerkraft anziehenden Stelle gesammelt. Übermäßig geschwollen war nichts gewesen. Wie sich die Semikastration (auch so einer schöner Fachbegriff) auf den Hormonhaushalt meines Freundes auswirken würde, würde sich zeigen. Die Prognosen waren gut. Der andere Hoden würde die Arbeit für den verlorenen Bruder übernehmen, hieß es, Testosterongaben würden nicht notwendig werden (wenn denn der Krebs sich auch noch den zweiten Hoden holt, aber dafür gäbe es – wie das Ultraschall eindeutig zeige – keine Anzeichen). Somit wäre er immer noch zeugungsfähig – was mein Freund gut fand. Nicht weil er noch Kinder wollte, das nicht. Aber – so erklärte er: „Das schöne alte Wort ‚Gemächt‘ kommt nicht umsonst von ‚Machen‘, also übertragen ‚Kinder machen‘, und wurde nicht umsonst auch im Sinne von ‚Macht, mächtig sein‘ gebraucht werden – also Potenz. Und das würde mich ja schon sehr treffen. Wenn es dort einen Einschnitt gegeben hätte. Aber das sieht bisher nicht so aus. Apropos ‚Aussehen‘: Mein Spiegelbild hat sich, obwohl ich auf ein Hodenimplantat, so ein Silikonei, verzichtet habe, nicht großartig geändert. Finde ich natürlich fein!“ Mein Freund hoffte zu diesem Zeitpunkt noch: OP gut, alles gut! Weiter geht’s im Text… „Sag mir bitte, wenn wir telefonieren,“, meinte er, „wenn ich plötzlich höher spreche.“ Und es war klar, dass er dies scherzhaft meinte.

Gut 14 Tage nach der OP ging mein Freund wieder zur Arbeit. Neben seinem preußischen Pflichtgefühl wird auch dieses „Weiter geht’s im Text… Alles normal!“, eine Rolle gespielt haben. Zwar konnte er noch nicht über die volle Distanz eines Arbeitstages gehen. Aber sein Arbeitgeber war froh, ihn wenigstens einen Teil des Tages an seinem Platz zu wissen und ließ ihm freie Hand bei der Gestaltung seiner Arbeitszeit. Und von Tag zu Tag ging es besser. Mit dem Sitzen. Mit seiner allgemeinen körperlichen Verfassung. Hatte er sich in der ersten Arbeitswoche nach der Arbeit noch für mindestens drei Stunden hinlegen müssen, weil ihn der Tag so angestrengt hatte, gab es gegen Ende der zweiten Arbeitswoche bereits Tage, an denen es ihn nicht mehr sofort, wenn er nach Hause kam, in die Horizontale zog. Sein Leben schien sich zu normalisieren. Der Alltag schien in wieder zu haben… „Alles fit ihm Schritt?“, fragte ein Arbeitskollege (mein Freund hatte über die Semikastration kein Feigenblatt gelegt) auf erfrischend unbetroffene, gleichwohl eine ehrliche Antwort erwartende Weise. „Im Schritt alles fit!“, antwortete mein alter Freund, der zwischenzeitlich den histologischen Befund erhalten hatte, „Aber leider ist das nur die halbe Miete.“

In den Schoß fällt einem das nicht…

Mit der OP war leider weder der Krebs noch der communication breakdown erledigt.

Eine Woche nach der OP hat er den histologischen Befund erhalten. Für einen medizinischen Laien doch ein schwer zu verdauendes Stück terminologischer Dichtheit. Leider weilte sein Urologe im Urlaub (was er erst erfuhr, als er Rat suchend in der Praxis anrief), und der Vertretungsurologe war nicht wirklich in der Lage, die terminologische Dichtheit des Befundes in allgemein verständlich Informationen umzuwandeln. Mal ganz abgesehen davon, dass er mit sich selbst uneins war, wie der Befund interpretiert werden sollte („Ist alles ok, mit OP Krebs besiegt, oder vielleicht auch nicht, vielleicht doch noch Chemo, lieber einen anderen fragen…“). Mein Freund schwebte also in einer gewissen Unsicherheit, was die Natur seines Tumors anging, Klar war zu diesem Zeitpunkt nur: Es war ein Tumor. Klar war nur: Mein Freund hatte das dringende Bedürfnis, über seinen Tumor aufgeklärt zu werden.

Leider scheint es so, dass solche Aufklärung einem nicht in den Schoß fällt. Das ist Arbeit. Es gilt zu telefonieren, zu recherchieren, wieder zu telefonieren, Termine abzustimmen, bei diesen Terminen geistig so fit zu sein, um die richtigen Fragen zu stellen, die Antworten zu verstehen…

pT2 L1 R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3 So lautete die Quintessenz des Befundes. Eine Quintessenz, die wir dann aufgrund unserer Internetrecherchen diskutierten – aber was sind solche Recherchen schon wert? Ohne einen Fachmann, der hilft, diese Informationen einzuordnen. Der die puren Informationen mit seinen Erfahrungen abgleicht, um über einen Sachverhalt wirklich aufzuklären.

Glücklicherweise war der Hausarzt meines Freundes, auch wenn er in dem speziellen Fall eines pT-blabla-Tumors über keine Erfahrung verfügte, ein Mensch, der sich kümmert. So telefonierte dieser mit dem Klinikum. Erfuhr, dass am Tage seines Anrufes (etwas, das meinem Freund niemand gesagt hatte) ein Tumorboard stattfinden würde, in dem der Fall seines Patienten verhandelt werden würde. Er würde morgen ein Fax erhalten…
Es dauerte noch vier Tage (und mehrere Telefonate aus der Praxis seines Hausarztes), bis das Fax mit dem Protokoll des Tumorboardes endlich greifbar war, am 16. Tag nach der OP. Ein Protokoll, das im Diagnoseteil den histopathologischen Befund hinsichtlich der Einordnung des Tumors ins TNM-System wie folgt ergänzte: pT2 cN0 cM0 L1, R0. Ein Protokoll (Details s.u. Anhang 1), das ein klinisches Stadium 1B diagnostizierte und mit dem Therapievorschlag endete: „(2 Zyklen PEB) versus engmaschige Surveillance“.

Und da hatte mein Freund den Salat.

Chemo oder nicht? Aufgrund welcher Informationen sollte er das denn entscheiden? Eine Chemo ist schließlich nicht ohne (sowohl was die Nebenwirkungen als auch die zeitliche Ausdehnung der Therapie angeht, siehe unten Anhang). Woher die Kompetenz nehmen, diese für sein Leben so wichtige Frage richtig zu beantworten? Gibt es überhaupt eine richtige Antwort? Wird nicht erst das weitere Leben erweisen, ob er richtig entschieden hat?

Mein Freund ist ja eigentlich ein lustiges Kerlchen. Aber diese Entscheidung vor die er sich gestellt sah, schlug ihm doch aufs Gemüt. Er hatte das Gefühl, sich in kurzer Zeit zum Spezialisten für Hodenkrebs fortbilden zu müssen. Er hatte gelesen, 3 bis 4 Wochen nach der OP sollte – wenn denn nötig – mit einer Chemotherapie begonnen werden. Die Zeit drängte also…

Glücklicherweise hatte er, gleich nachdem er aus der Klinik entlassen worden war, gedrängt durch das Bedürfnis mit jemandem zu sprechen, der sich auskennt (sein niedergelassener Urologe war ja noch im Urlaub), eine Privatsprechstunde mit dem Chef der urologischen Abteilung vereinbart, die ihn im Krankenhaus umsorgt hatte. Kein Gütekriterium. Aber der Chef, der leider zur Zeit des Klinikaufenthaltes im Urlaub gewesen war, hatte einen sehr guten Ruf. Das bestätigten mehr als 2 Quellen. Und so traf also mein Freund den Chef, und der war glücklicherweise aus ähnlichem Holz gemacht wie sein Hausarzt. Ein Kerl, dem seine Patienten am Herzen liegen. Das war sein Eindruck. Sein Eindruck jedenfalls, nachdem er zu ihm vorgelassen wurde. Denn zunächst wurde mein Freund von einem anderen Arzt untersucht. Hodensack abtasten. Ultraschall. Mal nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Wahr es. Fein. „Und kommt der Chef gleich noch dazu?“, „Äh, nein, wollten sie ihn sprechen?“

Einem Patienten fällt wirklich nicht in den Schoß, was er sich wünscht. Da muss einer schon auf seine Bedürfnisse pochen. Und das tat mein Freund. Und siehe da, die Tür ward ihm aufgetan. Eine Woche nach dem Erhalt des Tumorboardbescheides, am 22. Tag nach der OP, saß er endlich jemanden gegenüber, der fähig und willens war, ihn über seinen Tumor aufzuklären.

Chemo oder keine Chemo, das ist hier die Frage

pT2 cN0 cM0 L1, R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3 hieß laut dem Chefarzt der urologischen Abteilung: Niedrig-Risiko-Non-Seminom, gute Prognosegruppe. Mein Freund hätte zwar von allen Hodentumoren die aggressivste Form (embryonales Karzinom) und der Tumor hätte auch schon eine gewisse Größe (pT2) erreicht und es läge zudem eine Infiltration der Rete Testis vor, aber dieses Non-Seminom (zu dieser Tumorart gehöre ein embryonales Karzinom) sei früh erkannt worden. Deswegen hätte das Tumorboard den Tumor in die Klasse 1B eingeordnet. Zwar sei im CT ein kontrollbedürftiger Lymphknoten medial der linken V. illiaca externa erkannt worden, aber aufgrund seiner Größe (9 x 13mm) könne dieser sich auch als normal erweisen (selbst wenn Lymphknoten über 1 cm als bedenklich eingestuft werden).

Bezüglich des Risikofaktors „Vaskuläre Invasion“ hätte er noch einmal mit dem Pathologen telefoniert. Der Pathologe sei sich hier nicht sicher gewesen, die Invasion sei in einem Grenzbereich angesiedelt, es sei nicht klar, ob eine Invasion vorliege, da er aber – wenn geschehen – eine Lymphgefäßinvasion für wahrscheinlicher als eine Blutgefäßinvasion halte, wäre L1 klassifiziert worden. Aber der Pathologie würde sich das Präparat noch einmal ansehen und sich melden. Diese Rückmeldung stehe noch aus. Aber er – der Chefarzt – gehe davon aus, dass sich bezüglich der Einordnung „Niedrig-Risiko-Karzinom / gute Prognosegruppe“ keine Änderung ergeben würde.

So weit, so gut (wenigstens im ersten Moment). Die Art und Weise, wie der Arzt meinem Freund im persönlichen Gespräch begegnete, besänftigte seine Enttäuschung über mangelnde Kommunikation und Information, die er nach seiner OP empfunden hatte. Und was würde er ihm nun raten, wie zu entscheiden sei? 2 Zyklen PEB Chemotherapie oder engmaschige Surveillance? Das könne er nicht sagen, dass sei eine Frage der eigenen Persönlichkeit.

Und da war der Moment, in dem es meinem Freund gut ging, auch schon vorbei. War das eine Antwort, die man hören wollte? Ich kann Ihnen hier nicht sagen, was sie tun sollten… Jäh war der Moment des Gefühls der kommikativen Umhegtheit verloren. Der Pathologe ist sich nicht sicher… Was sollte das denn nun bedeuten?

Mein Freund war, gelinde gesagt, frustriert. Was natürlich auf gewisse Weise paradox war: Auf der einen Seite misstraute er nach den Erfahrungen kurz vor, nach und ein bissel nach der OP ärztlicher Autorität, auf der anderen Seite spürte er die Sehnsucht, sich vertrauensvoll einer solchen Autorität anschließen zu können. Das ist dein Tumor, also tue jetzt das! Und er hätte sich sehr gerne, ohne Zweifel, der Autorität des Chefarztes angeschlossen.

Hodenkrebs sei auf jeden Fall heilbar, in über 90% aller Fälle, sagte der Chefarzt (wie schon der niedergelassene Urologe, sein Hausarzt, die Urologen der Voruntersuchungen…). Grundsätzlich wäre es ja schon einmal positiv, dass überhaupt eine Entscheidung anstehe. Wäre der Tumor nicht so früh erkannt worden, dann wäre klar, dass eine 4 Zyklen Chemotherapie folgen müsse, vielleicht sogar zusätzlich noch eine weitere OP, um Lymphknoten zu entfernen (Lymphknotenresektion). So aber hätte mein Freund die Wahl zwischen adjuvanter 2 Zyklen PEB oder engmaschiger Surveillance. Und diese Wahl sei, wie gesagt, eine Frage der Persönlichkeit. Genauer: Eine Frage, wie man aufgrund seiner persönlichen Konstitution mit statistischen Werten umgeht.

„Toll!“, meinte mein Freund zu mir, „Wie heißt es doch immer, glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast… Und überhaupt: Ich war weder ein Kerl mit Azoospermie (keine Spermien im Sperma nachweisbar), noch einer mit Hodenhochstand, noch gibt es eine genetische Disposition, da ich der erste in meiner Familie bin. Außerdem liege ich mit meinem Alter fast außerhalb der Kerngruppe der Hodenkrebspatienten. Also soll mir einer was von Statistik erzählen…!“

Der Chefarzt sagte: 30% aller Krebspatienten mit diesem Befund entwickeln Rezidive (also Folgetumore, Metastasen), von diesen 30% sind es 80%, die im ersten Jahr Metastasen bekommen. Bei einer Chemotherapie würde das Risiko auf ca. 3% gesenkt werden. Umgekehrt würde dies bedeuten: 70% der Hodenkrebspatienten mit seinem Befund bräuchten keine Chemo, da bei ihnen die OP ausreichte.

Der Chefarzt sagte: Die meisten Patienten würden in einem ähnlichen Fall die adjuvante Chemotherapie wählen, weil sie das Gefühl nicht aushalten würden, dass in ihnen noch Krebs lauern könnte, dass ihre Erkrankung eine tickenden Zeitbombe wäre. Sie würden sich der 2 Zyklen PEB Chemotherapie unterziehen, um das Risiko eines Rezidivs auf ca. 3% zu senken. 2 Zyklen PEB seien übrigens bei den meisten Patienten nicht so schlimm, gut auszuhalten (zum zeitlichen Aufwand und den Nebenwirkungen einer PEB Chemo vgl. unten den Anhang). Wähle man hingegen nicht die adjuvante 2 Zyklen PEB und gehöre schließlich zu den 30% (oder laut Urologielehrbuch: 14-22%), so dass sich erneut ein Tumor bildet, sich Metastasen zeigen, so seien 4 Zyklen PEB angesagt, und die seien die „Hölle“. Wähle man die adjuvante 2 Zyklen PEB und gehöre man dann zu den 3% (oder laut Urologielehrbuch: 3-5%), so würden natürlich auch 4 Zyklen PEB verabreicht, was dann ebenso die „Hölle“ sei. Aber egal wie sich mein Freund entscheide, Hodenkrebs sei in über 90% aller Fälle heilbar. Der Weg sei nur unterschiedlich schwer….

30 zu 70 – so lautete also die statistische Entscheidungsgrundlage. Die spätere Internetrecherche ergab, dass das Tumorzentrum Bonn auf die gleichen Zahlen kam. Im Urologielehrbuch steht: Beim Nichtseminom Stadium I low risk ohne Chemotherapie sei das Rezidivgefahr mit 14–22% relativ hoch. Bei einer Chemotherapie sinke dieses auf 3-5%.

Eigentlich eine klare Kiste. Wenn nicht mein Freund diese mittlerweile tiefsitzende Unsicherheit gespürt hätte, dass immer noch nicht erschöpfend geklärt ist, um was für einen Tumor es sich handelt, der bei ihm gewachsen ist. Mögen auch 4 Zyklen PEB die Hölle sein, so muss man sich gleichwohl, wenn es noch Unklarheiten bei der Diagnose gibt, nicht in die Vorhölle begeben.

Ein Königreich für Klarheit

Gott verdammt, was heißt jetzt dieses L1? Ist das nun eine vaskuläre Invasion oder nicht? Dies scheint mir doch der Kasus Knacksus zu sein. Wenn ich den Chefarzt richtig verstanden habe, ist es keine, jedenfalls keine, die ernst zu nehmen sei. Sonst würde ja seine Einordnung Niedrig-Risiko-Karzinom auch nicht stimmen. Aber vielleicht täuscht er sich ja auch? Vielleicht bin ich ja doch einer mit Klinischem Stadium 1 und hohem Risiko. So einer von denen, die in den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft als Patienten mit vaskulärer Invasion (high risk, pT2) beschrieben werden. pT2 bin ich ja schließlich auch.“

Mein Freund hatte diese Internetrecherchen im Augen (kursive Hervorhebungen je von mir):

  • Die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft (F2 Hodentumoren, hier das pdf: Hodenkrebs_Leitlinien) geben die Empfehlung, dass Nicht-Seminome im klinischen Stadium I wie folgt therapiert werden sollen: Patienten mit low risk Tumor pT1 werden überwacht und im Rezidivfall chemotherapiert. Patienten mit „vaskulärer Invasion“ (high risk, pT2) werden mit zwei Zyklen PEB adjuvant chemotherapiert.

  • Das Urologielehrbuch sagt Folgendes: Bei Niedrigrisiko Nichtseminom Stadium I besteht die Standardtherapie in der engmaschigen Überwachung (watchful waiting), da das niedrige Risiko der Progression keine Therapie mit Nebenwirkungen akzeptabel macht. Nachteilig sind der psychische Stress der initialen Nichttherapie, ungefähr 20 % der Patienten benötigen 3 Zyklen PEB bei Progress. Eine engmaschige Überwachung ist keine gute Option bei Patienten mit großer Tumorangst, hohem Therapiewunsch oder schlechter Compliance. In dieser Situation sollte eine adjuvante Chemotherapie mit einem Zyklus PEB empfohlen werden. Aber: „Die Gefäßinvasion im Orchiektomiepräparat ist ein entscheidender Risikofaktor für die Progression des nichtseminomatösen Keimzelltumors (Nichtseminom) Stadium I.“ Ist eine solche festzustellen, dann reicht engmaschige Überwachung als Therapie nicht aus.

  • Das Tumorzentrum Bonn fasst zusammen, dass bei Nicht-Seminomen im klinischen Stadium I zwar in dem operativ entfernten Hoden ein Tumor gefunden wurde, aber keine Metastasen festgestellt werden konnten. Aus Erfahrung wissen die Ärzte jedoch, dass in 30 Prozent der Fälle klinisch okkulte, nicht nachweisbare Metastasen in den Lymphbahnen versteckt sind. Hier bieten sich drei Therapieoptionen an: Vorsorglich könne 1. durch eine modifizierte oder nervenerhaltende Lymphadenektomie die Lymphknoten entlang der Metastasenstraße entfernt oder 2. eine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden, 3. sei eine abwartende und beobachtende Strategie („wait and see“) möglich. Die Behandlungsverfahren 1 und 2 sind mit Nebenwirkungen verbunden. Zudem kann man dagegen einwenden, dass es sich bei den 70 Prozent, die gar keine verborgenen Metastasen haben, um unnötige Therapien handelt. Hier also eine abwartende und beobachtende Strategie sinnvoll gewesen wäre. Leider weiß man aber vor der Therapie nicht, ob dieser spezielle Patient zu diesen 70 Prozent gehört. Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidungshilfe ob 1, 2 oder 3 sei der Nachweis, ob der Primärtumor bereits in die Blut- und Lymphgefäße des Hodens hineingewachsen ist, denn das weist auf ein hohes Metastasierungsrisiko hin. In diesem Fall sei von einer abwartenden Strategie abzuraten.

Chemotherapie oder engmaschige Surveillance? Mein Freund will, um sich zu entscheiden, alle Informationen auf dem Tisch haben. Es muss doch möglich sein, dass bezüglich seines Tumors alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt werden.

„Wenn L1 wirklich L1 ist, dann bleibt mir keine Wahl – Chemo ich komme. Dann ist der Tumor bereits auf den Weg zu neuen Gefilden und dann werd ich ihm diesen Weg mit Zytostatika zubomben – und hoffen, dass die Kollateralschäden nicht allzu arg sind. Aber wenn nicht…“

Leider drängt die Zeit, um das zu entscheiden. Wie gesagt, es hieß, mein Freund hätte ein Zeitfenster von 3 bis 4 Wochen nach der OP, dann sollte mit der Chemo begonnen werden – wenn er sich denn für sie entschiede. Das wäre quasi jetzt.

Und was würden Sie tun, wenn sie einen solchen Tumor hätten? Mein Freund stellte dem Chefarzt diese Frage per E-Mail. Eine Frage, auf die er erst kam, nachdem sein Hausarzt sich enttäuscht von der Entweder-Oder-Haltung des Chefarztes zeigte. Der Chefarzt rief daraufhin an. „Schwer zu sagen. Die meisten Patienten, die die adjuvante Chemotherapie gewählt hätten, würden später sagen, sie würden wieder so entscheiden. Viele Patienten, die sich für das Abwarten entschieden hätten, würden dies später bereuen. Die meisten, weil sie sich – obwohl der Krebs bislang nicht wieder ausgebrochen ist – dennoch wie eine tickende Zeitbombe fühlen. Manche, bei denen der Krebs ausgebrochen ist, weil sie sich die 4 Zyklen Chemotherapie gerne erspart hätten. Aber wenn sie mich auf eine Antwort festnageln wollen, dann würde ich die 2 PEB wählen. Vielleicht.“

Morgen, gut einen Monat nach der OP, hat mein alter Freund endlich den ersten Termin bei seinem Urologen, der ihn ins Krankenhaus überwiesen hat und der für die Nachsorge und Weiterbehandlung zuständig ist. Mit ihm hatte er, weil jener im Urlaub weilte, noch gar nicht sprechen können.

  • Wie lautet das abschließende Urteil des Pathologen bezüglich L1? Vaskuläre Invasion oder nicht, das ist die Frage.

  • Was sagt das Zweitmeinungsprojekts der Deutschen Hodentumor Studiengruppe (GTCSG) zu seinem Fall?

  • Und wenn Chemo: Reicht nicht auch 1 Zyklus PEB (vgl. oben Urologielehrbuch)?

Das sind die Fragen, deren Klärung sich mein Freund von seinem Urologen erhofft, um endlich eine Entscheidung treffen zu können, mit der er leben kann.

„Weißt du“, sagte er mir heute zum Abschied am Telefon, „Egal ob ich mich für eine Chemo oder für active surveillance entscheide – vermutlich wird in Zukunft der Gedanke mein steter Begleiter, dass vielleicht just in diesem Moment etwas in mir wächst – selbst wenn ich mich gut fühle und nichts davon spüre. Das wird eine Herausforderung werden, dem Krebs nicht zu viel Macht über mein Leben einräumen. Ihn ernst, aber nicht zu wichtig zu nehmen. Wie hast du geschrieben: “Kein Mensch – Hodenkarzinom links”. Pustekuchen Mann! Mensch!“

  Nichts ist gewonnen, alles ist dahin, Stehn wir am Ziel mit unzufriednem Sinn.“

(Macbeth, 3. Akt, 2. Szene, William Shakespeare)

 

Interessante Quellen:

www.urologielehrbuch: Hodentumore
Tumorzentrum Bonn: Hodenkrebs
Deutsches Krebsforschungszentrum: TNM-System und Staging. Befunde verstehen und einordnen
Forum Hodenkrebs Österreich: Tumorklassifikation bei Hodenkrebs
Zweitmeinungsprojekt der Deutschen Hodentumor Studiengruppe: Zweitmeinung Hodentumor

Ratgeber der Krebshilfe als pdf: Blauer_Ratgeber_Hodenkrebs_Krebshilfe
Die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft (F2 Hodentumoren) als pdf: Hodenkrebs_Leitlinien)


 

Anhang 1 – die Diagnose im Detail:

 

Diagnose des Hodenkarzinoms laut Tumorkonferenz:

  • Pluriformes nicht-seminomatöses Hodencarzinom links, prädominierendes embryonales Carcinom mit kleinen Seminomanteilen, Infiltration der Rete Testis
  • pT2 cN0 cM0 L1, R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3
  • Klinisches Stadium 1B
  • Kontrollbedürftiger Lymphknoten medial der linken V. Illiaca
  • Tumormarker Dokumentation (vor der OP): AFP 4,8 ng/ml, Beta-HCG 7,6mlU/ml, LDH 204 U/L

 

TNM-Klassifikation, Aufschlüsselung (laut Internetrecherche):

T = Tumorausdehnung (vorangestelltes p = pathologisches Stadium)

N = Lymphknotenmetastasen (vorangestelltes c = clinical stadium)

M = Fernmetastasen

L = Befall des Lymphgefäßsystem

R = Resttumorgewebe

V = Einbruch in die Venen

Quelle http://www.hodentumor.at/TNM.html

 

ICD-O 9070/3 = Embryonales Karzinom

ICD0 9061/3= Seminom

Quelle: WHO, International Agency for Research on Cancer, International Classification of Diseases for Oncology, ICD-O-3 online, hier: Morphological Codes (2011)

 

Anhang 2: PEB Chemotherapie – Ablauf und Nebenwirkungen

Zum Ablauf einer PEB Chemotherapie und den zu erwartenden Nebenwirkungen hat die Urologische Universitätsklinik Mannheim (hier wurde mein Freund übrigens nicht operiert) eine informative Patienteninformation herausgegeben (Quelle und pdf hier…):

„Patienteninformation zur Chemotherapie bei Hodentumoren nach dem PEB-Schema

Sehr geehrter Patient,

wegen eines Hodentumors soll bei Ihnen eine Chemotherapie durchgeführt werden. Die Chemotherapie ist Dank der intensiven klinischen Forschungen der letzten Jahrzehnte eine standardisierte und höchst erfolgreiche Behandlung geworden und garantiert in der Mehrzahl der Fälle eine Heilung. Aufgrund Ihres Erkrankungsstadiums führen wir die Chemotherapie mit drei Medikamenten durch. Zum einen handelt es sich um das Medikament Cisplatin (P), zum zweiten um das Medikament Etoposit (E) und zum dritten um das Medikament Bleomycin (B). Die Abfolge der Medikamentengabe richtet sich nach
einem strengen Schema, welches wir Ihnen separat zu dieser Information aushändigen werden. Sie können also jederzeit mitverfolgen, welches Medikament Ihnen zu welchem Zeitpunkt und in welcher Reihenfolge verabreicht wird.

Neben der Chemotherapie werden Ihnen zusätzlich Medikamente verabreicht, die eventuell auftretende Übelkeit und Erbrechen weitgehend verhindern. Da die Chemotherapie die Bildung von Blutzellen im Knochenmark unterdrückt, ist es erforderlich, dass wir und auch zwischenzeitlich Ihr Hausarzt/Urologe in regelmäßigen Abständen Ihre Blutwerte kontrollieren. Vor allem zu wenige weiße Blutkörperchen
können zu zu einer Anfälligkeit für Infektionen führen. Tritt Fieber auf, müssen deshalb sofort stark wirksame Antibiotika gegeben werden. Niedrige Blutplättchen können zu einer beeinträchtigten Blutstillung bei Verletzungen führen. Die Übertragung von Blut oder Blutplättchen ist jedoch nur in Ausnahmefällen notwendig. Andere Nebenwirkungen wie eine Verschlechterung des Hörvermögens, Gefühlsstörungen in den Händen und Füßen, Geschmacksstörungen, Hautveränderungen sowie eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion können in unterschiedlicher Häufigkeit auftreten. Deshalb ist es
notwendig, vor jedem Therapiezyklus die Funktion dieser Organe zu überprüfen, so werden Sie beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt zur Überprüfung des Hörvermögens, beim Augenarzt zur Kontrolle des Augenhintergrundes und beim Internisten zur Kontrolle der Lungenfunktion vorgestellt.

Eine weitere Folge der Chemotherapie ist eine Qualitätsverschlechterung der Spermien, und somit eventuell eine Einschränkung Kinder zu zeugen. Allerdings ist eine dauerhafte Schädigung oder gar ein Versiegen der Spermienproduktion selten. Nach der Chemotherapie erholt sich die Spermienproduktion rasch. Wir empfehlen Ihnen jedoch, vor dem Therapiezyklus eine Kryokonservierung (Tiefkühlung) Ihrer Spermien durchzuführen.

Für die Dauer der Behandlung und für einige Wochen nach der Behandlung können die Kopfhaare komplett ausfallen, was für Sie besonders unangenehm sein kann. Zu Ihrer Beruhigung können wir Ihnen sagen, dass die Haare nach Abschluss der Behandlung wieder nachwachsen.

Der grundsätzliche Ablauf der Chemotherapie bei Ihrer Erkrankung ist wie folgt:

Die Behandlung gliedert sich in mehrere Zyklen, wobei ein Zyklus eine Dauer von insgesamt 21 Tagen hat. Abhängig vom Erkrankungsstadium werden bei Ihnen einer, zwei, drei oder vier Zyklen durchgeführt. Diese Zyklen sind in der Verabreichung der Medikamente und Begleitmedikamente identisch. Jeder Zyklus beginnt am Tag 1. An den Tagen 1 bis 5 wird Ihnen eine festgesetzte (siehe Medikamentenplan) Anzahl von Medikamenten während der stationären Behandlung verabreicht. Die Gabe der Medikamente wird an den Tagen 1 bis 5 über einen zentral venös eingelegten Katheter
durchgeführt, da diese Medikamente aggressiv für die kleineren Venenwände (wie sie an den Armen vorkommen) sind. Die Einlage dieses Katheters wird von unseren Narkoseärzten durchgeführt. Hierüber werden Sie gesondert aufgeklärt.

Nach den Tagen 1-5, werden Sie aus unserer stationären Behandlung entlassen, sofern Sie keine körperlichen Beschwerden, wie z.B. Fieber oder stärkere Übelkeit und Erbrechen, haben. Am Tag 8 des Zyklus werden Sie wieder stationär aufgenommen zur Durchführung einer Chemotherapie über eine Armvene. An den Tagen 9 bis 14 findet keine Behandlung statt, Sie können diese Tage daher in der Regel zu Hause verbringen. Am Tag 15 findet die identische Verabreichung der Medikamente statt, wie am Tag 8. Am Ende dieses Tages können Sie unser Krankenhaus verlassen. Der Zyklus endet regulär am Tag 21. Am Tag 22 beginnt ein neuer Zyklus mit der Behandlung im Krankenhaus für 5 Tage. Wie bereits oben erwähnt, wird vor jedem Zyklus eine Kontrolle wichtiger Organfunktionen durchgeführt, wie z.B. die Kontrolle des Hörvermögens, des Sehvermögens und der Lungenfunktion. Dazu werden Sie bei den entsprechenden Fachärzten vorgestellt. Während der Behandlungszyklen, auch an Tagen, an denen keine Chemotherapie appliziert wird, ist eine regelmäßige Blutbildkontrolle erforderlich. Dank der Entwicklung neuer und sehr wirksamer Medikamente ist diese Chemotherapie, die Ihr Krebsleiden heilen kann, gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Appetittlosigkeit, Blutveränderungen, Haarausfall und die oben bereits genannten verschwinden nach Abschluß der Therapie. […]“

© Urologische Universitätsklinik Mannheim

Weitere Informationen:

Urologielehrbuch „PEB-Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin“

Broschüre des Tumorzentrum Bonn „Hodenkrebs“, Abschnitt „Chemotherapie“

 


 

*Fußnote Nachtschwester Bea:

Bei all seiner Kritik am Krankenhauspersonal, an den Ärzten, die nicht mit ihm kommunizierten, den Pflegekräften, die z.B. nach der OP versäumten, die Vitalzeichen regelmäßig zu kontrollieren, die es mit der Händedesinfektion nicht so genau nahmen: Auf Nachtschwester Bea ließ er nichts kommen. Wie viele Patienten sie wohl in der Nacht zu betreuen hatte? In der Nacht nach der OP, als er nach schlaflosem Herumwälzen plötzlich Schüttelfrost bekommen hatte, war sie, nachdem er geklingelt hatte, nur wenige Minuten später gleich bei ihm. Nach einer zweiten Decke hatte er wegen seines Schüttelfrostes und seines Frierens gefragt. Die hatte sie ihm gebracht – und dann bei seinem Klagen über Schüttelfrost geschaltet. Fieber gemessen, rektal, weil genauer. Schließlich ist die Info, ob nach einer OP Fieber auftritt, nicht unerheblich**. Mehrmals war sie in dieser Nacht noch in sein Zimmer gekommen, hatte sich bei ihm, der nicht schlafen konnte, nach seinem Befinden erkundet. Hatte noch einmal Fieber gemessen.

Krankenhaus_Bett
Apropos messen: „Sie sind doch ein langer Kerl!“ In dieser Nacht, der zweiten, die er im Krankenhaus verbrachte, zog sie sein Bett auf eine seiner Körpergröße angemessene Länge aus und füllte die entstandene Lücke mit einem passenden Matratzenteil. Zuvor hatte er, wenn er das Kopfteil des Bettes hochfuhr, seine Beine anwinkeln oder seine Füße auf das Fußteil des Bettes legen müssen, um Platz zu finden. Er dachte, das wäre normal. Ginge nicht anders bei den Betten. Nachtschwester Bea wusste es besser. Nett und kompetent.

**Am Morgen drückte ihm die Tagesschwester ein elektronisches Fieberthermometer ins Ohr, dieses zeigte Normaltemperatur an. Als er erwähnte, dass in der Nacht rektal zweimal fast 38,5 Grad gemessen worden waren und vielleicht das im Ohrmessen nicht so aussagekräftig ist, holte die Schwester ein gewöhnliches digitales Thermometer und einige Plastiküberzieher aus dem Schrank: Er könne ja zwischendurch mal rektal messen…

 


 

Nachtrag: Die ganze Geschichte in 4 Akten

  1. Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus (rund um die OP nach Diagnose Hodenkrebs)
  2. Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB… (histologischer Befund und die Empfehlung des Tumorboards)
  3. Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp (die Entscheidungsfindung, active surveillance oder Chemo?)
  4. Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen (die Chemotherapie)

 

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Ein Blick hinter die Buchstaben… Fragen an die Schriftstellerin Kay Noa

Spannende Romane, faszinierende Geschichten, Figuren, die sich den Leserinnen und Lesern einprägen – ohne die Möglichkeiten des Self-Publishing wären vielleicht viele literarische Schätze nach wie vor verborgen geblieben. Aber seit einigen Jahren ist die Auswahl jenseits der Verlagswerke größer geworden – und das interessante, breit gefächerte Angebot in Eigenregie publizierender Autoren wird, wie z.B. die Bestsellerlisten bei Amazon zeigen, mit Begeisterung angenommen. Einigen dieser Autorinnen und Autoren aus der Self-Publisher-Szene habe ich einen Fragenkatalog vorgelegt. Ich fragte, was mich als Leser oder als Kollege interessierte. Diese so entstandenen „Interviews“ werde ich in loser Folge auf meinem Blog veröffentlichen.

Ich danke allen, die sich meinen Fragen gestellt haben und so allen Interessierten einen Blick hinter die Buchstaben ihrer Bücher gewähren.

Ralf Boscher

Auge
Heute zu Gast auf Boschers Blog: Kay Noa

Hallo Kay, schön, dass ich Dich auf meinem Blog begrüßen darf! Um gleich einzusteigen:

Was siehst Du als Deinen bisher größten schriftstellerischen Erfolg an?

Mein Staatsexamen – nein, das kommt schon darauf an, wie man Erfolg definiert. Kommerrziell sicherlich die Vampire Guides-Serie.

Wer ist Dir die liebste Figur in einem Deiner Romane oder in einer Deiner Geschichten?
Vampire_Beginners_Guide
Das ist schwer, letztlich sind sie alle irgendwie meine Kinder und auch wenn ich sie oft erschlagen könnte (und das gelegentlich auch tue) – ich liebe sie alle. Aber an Lexa, die sehr viel von meiner Schwester hat, hänge ich schon besonders.

Wer ist Dir die liebste von Dir nicht erschaffene Figur in einem Roman oder einer Geschichte?

Kara ben Nemsi – das war in meiner Kindheit meine erste Liebe (aber nur der, Old Shatterhand war nicht so toll)

Der für Dich gelungenste erste Satz einer Deiner Geschichten?

Wahr ist das, woran man glaubt. Daran hänge ich ein 12bändiges High Fantasy Epos auf.

Wenn Du nicht Schriftstellerin, sondern Musikerin wärst – welche Musik würdest Du machen?

Sehr schräge – ich bin so unmusikalisch wie ein Stock. In der Musikschule durfte ich bei den Vorführungen meiner Taktlosigkeit wegen nur Luftgitarre spielen. Obwohl ich sehr gern und ausdauernd Musik höre.

Was macht einen Menschen zum Schriftsteller? Das Schreiben oder das Gelesen werden? Oder…?

Der innere Zwang, einer Geschichte einen Weg in diese Welt zu öffnen. Sie ist in dir und will raus. Da gibt es nichts zu wählen, das passiert.

Deine Einschätzung: Ist es förderlicher für eine gute Schreibe, mit seiner schriftstellerischen Arbeit seine Brötchen zu verdienen oder einem anderen Brotberuf nachzugehen?

Das hat beides Vor- und Nachteile. Wenn man damit seine Brötchen verdient, dann schreibt man unwillkürlich mit dem Blick nach draußen, also mit dem Fokus darauf, was der Leser mag. Ein „Hobby-Autor“ hingegen schreibt vorrangig nach innen, also wie er die Geschichte haben will. Am Ende sind das verschiedene Blickwinkel auf dieselbe Story. Was besser ist? Hängt vom Autor, der Geschichte und tausend anderen Dingen ab.

Von der Grundidee zur fertigen Geschichte: Ist das bei Dir ein gerade Weg oder passiert es Dir, dass Du Dich weit von der Grundidee entfernst?

Ja, ich plotte nicht wirklich. Bei mir ist es eher so, dass ich schreibe, weil ich selbst wissen will, was passiert. Da ich sehr viel Wert auf die Charakterbildung meiner Protagonisten lege, kommt es regelmäßig vor, dass die antiautoritär erzogenen Ungeheuer mir meine wohlfeil vorgestellten Szenen total verbeulen.

Welcher Art sind die Szenen, die für Dich die größten Herausforderungen stellen?

Die jeweils aktuelle! Ich leide immer beim Schreiben. Ob das jetzt Dialoge, Sex- oder Actionszenen, Schilderungen oder Monologe sind – wenn ich schreibe, quäle ich mich immer.

Was bereitet Dir die größte Freude beim Schreiben?

Die fertige Szene, wenn wieder eine Facette vom großen Bild dazugekommen ist, eine lustige Bemerkung, die das Werk zum Funkeln bringt.

Der für Dich wertvollste Schreibtipp, den Du erhalten hast?

Lies Deine Texte laut, wenn Du redigierst. Es ist faszinierend, wie anders die dann plötzlich daher kommen.

Manchmal noch Papier und Stift? Oder nur noch Schreiben am Rechner?

Seit vielen, vielen Jahren nur noch am Rechner.

Welches Schreibprogramm nutzt Du?

Word.

Schreibzeiten: Wann schreibst Du? Schreibst Du an festgelegten Uhrzeiten oder setzt Du Dir zum Beispiel pro Tag eine Zeichenmenge?

Nein, ich schreibe immer und überall…. 24/7, wobei – aufgrund anderweitiger Verpflichtungen – schon ein Schwerpunkt nachts passiert.

Wie viel Zeit verwendest Du am Tag für das Marketing? Und welche Kanäle nutzt Du für die Werbung?

Ich setze bei Marketing auf Social Media wie Facebook, G+ und neuerdings etwas Twitter. Dabei geht es mir mehr darum, meinen Autorennamen als Marke zu etablieren, als ein bestimmtes Buch. Für die konkreten Titel geht viel über Gewinnspiele, Lesungen und andere Events sehr gezielte Preisaktionen in den Online-Portalen, meinen Blog und sorgsam geschaltete Anzeigen in Online-Magazinen.

Um professionelles Marketing als Selfpublisher zu betreiben, muss man sicherlich fast die Hälfte der „Autorenzeit“ hierfür aufwenden. Das unterschätzen viele, woher der Erfolg der Autoren kommt, die in den Charts vorne stehen. Nur am Anfang war das Buch. Mit „Ende“ geht es erst los.

Die „Thomas Mann“-Frage: Du schreibst, Dein Mann kommt herein oder ein guter Freund ruft an oder Dein Kind möchte etwas von Dir wissen – verbittest Du Dir die Störung, weil Du schreibst, oder lässt Du Dich auf die „Planänderung“ ein?

Och weiß schon, wieso ich Thomas Mann nicht mag – das kommt darauf an. Wenn mein Mann mit den Worten „Es brennt“ reinkommt, werde ich sicherlich anders reagieren, als wenn er beginnt, „Weißt Du, was ich vorher im Supermarkt von Frau Schulzes 3. Mann gehört habe…?“

Die „Charles Bukowski“-Frage: Hältst Du Alkohol für eine sinnvolle Stimulanz beim Schreiben?

Nein. Mir wird schlecht bevor ich blau bin.

Die Kay Noa-Frage würde genauso lauten, nur mit Kaffee statt Alkohol – and that’s a different matter.

Du gehst schlafen, liegst bereits im Bett, das Licht ist aus – da kommt Dir eine Schreibidee in den Kopf: Stehst Du auf und notierst Dir die Idee?

Nein. Erstens schlafe ich nur sehr wenig… 3-4 h/Nacht und zweitens verfolgen mich meine Geschichten. Da sind Notizen nicht nötig.

Hast Du mit einer Geschichte abgeschlossen, wenn Du unter sie ein „Ende“ gesetzt hast?

Nein, da geht die Arbeit ja erst los – Korrektorat, Lektorat, Beta-Leser-Meinungen, Cover, Satz, Marketing… Und dann sind ja die meisten meiner Geschichten ja auch Fortsetzungsgeschichten.

Vielen Dank Kay, dass Du Dir die Zeit genommen hast, diesen „Blick hinter die Buchstaben“ zu ermöglichen!

Vampire_Practice_Guide
Die Münchner Juristin und Autorin mit dem Pseudonym „Kay Noa“ schreibt aus Leidenschaft (Quelle). Sie lebt mit ihrem Mann zusammen mit einem alten Hund und zwei egozentrischen Katzen in einem noch älteren und egozentrischeren Haus am Münchner Stadtrand. (Quelle). Ihr neustes Werk „Vampire Beginners Guide“ ist eine augenzwinkernde Hommage an die großen Vampirromane unserer Zeit. Mit Witz und Münchner Lokalkolorit widmet sie sich einer Vampir-Community, in der garantiert nichts glitzert (Quelle).

Unter Hochdruck schreibt Kay Noa derzeit an ihrer „Schwerttanz-Saga“. Die Arbeit an den Fantasybüchern hatte sich aufgrund der – zum Glück erfolgreich besiegten – Krebserkrankung der Autorin verzögert (Quelle). Doch nun wird Ende 2014 ihre High-Fantasy-Schwert-Saga mit neuen Covern und reichlich Bonusmaterial neu aufgelegt (Quelle).

Homepage der Autorin
Facebook-Profil der Autorin Kay Noa
Amazon-Autorenprofil von Kay Noa
Blog von Kay Noa

© Profilbild Kay Noa: Nils Mehlhorn

  • Demnächst zu Gast auf Boschers Blog: die Schriftstellerin Nika Lubitsch

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Mixed Pickles #3: Vom Weg allen Fleisches bis zur Umsatzsteuer auf eBooks

In den „Mixed Pickles“-Beiträgen auf Boschers Blog findet Ihr ein buntes Gemisch diverser Fundstücke aus dem Netz und aus der noch realeren Welt.

Der Weg allen Fleisches

Hermann_Kinder_Weg_allen_Fleisches
Als ich ihn das letzte Mal traf, zufällig in einem Konstanzer Bus, ging es ihm gesundheitlich nicht gut. Ohne dass er ins Detail ging, war ihm anzusehen, dass er eine schwere Zeit durchmachte. Gleichwohl – und das fand ich bemerkenswert – pendelte er zwischen seinen Lebensschwerpunkten Konstanz – Köln hin und her. „Zäher Kerl.“, dachte ich., „Der Kinder.“

„Mich hat es auch gefreut, Sie wieder zu sehen. Und dabei besonders, daß ich den Eindruck hatte, daß es Ihnen gut geht mit Ihrem Beruf. Darum zittert man als Ausbilder ja am meisten: Daß man die Studis ins Nichts schickt.“ (E-Mail) Bemerkenswert.

Hermann Kinder.

Natürlich fand ich, der den Traum vom Schriftsteller träumte, es faszinierend, dass unter meinen Hochschullehrern an der Uni Konstanz ein bekannter – und vor allem anerkannter – Schriftsteller war. „Ach, wer kennt mich denn noch.“, meinte Kinder, als ich ihn, der meiner Bitte nachgekommen war, meinen ersten Roman zu lesen, fragte, ob ich seinen Kommentar zu meinem Roman in der Werbung verwenden durfte.

„Ach, wer kennt mich denn noch?“

Von der Frankfurter Rundschau bis zur Neuen Zürcher Zeitung sind in den vergangenen Wochen Besprechungen von Hermann Kinders neuer Erzählung „Der Weg allen Fleisches“ erschienen – verbunden mit Geburtstagsgrüßen zu Kinders 70.

Kinder 70.? Kann das denn sein? Ist dies wirklich schon so lange her, dass ich ihn als Hochschullehrer kennenlernen durfte? 1995 bin ich an die Uni Konstanz gewechselt – vor beinahe 20 Jahren. Wirklich: Der Weg allen Fleisches… Was ist nicht alles seitdem geschehen.

Und jetzt sein neues Buch. Angesichts meiner letzten Begegnung mit ihm (und den letzten gewechselten E-Mails) fällt es mir schwer, es nicht autobiografisch zu lesen. Sollte ich natürlich nicht tun, um dem Buch nicht Bedeutungsebenen zu nehmen, um es ernst zu nehmen. Weiß ich ja auch. „Was ist ein Autor?“ Habe in meiner Konstanzer Uni-Zeit „meinen“ Foucault gelesen. Weiß ich ja auch, weil ich es in meiner eigenen Schreibe liebe, meine eigene Autobiografie als Stoff zu behandeln, als eine Art Kristallkeim, aus dem von meiner Person getrennte Geschichten erwachsen. Ich ist beleibe nicht Ich. Wo Kinder drauf steht, ist also nicht „Kinder“ drin.

Schön fand ich in diesem Zusammenhang die Unsicherheit, was Kinders Geburtsdatum angeht. 18. Mai oder 18. Juni 1944? In den Besprechungen seines neuen Buches taucht mal das eine, dann das andere Datum auf. Anscheinend von Kinder selbst kolportiert. Also: Biografie ist immer auch ein Spiel. Ein Spiel, dass – in Literatur gegossen – zu seinem wahren Ernst findet: Leben ist das, was wir daraus machen. Interpretation. Der Weg allen Fleisches ist nicht einfach durch Daten und Fakten vorgezeichnet. Unsere Haltung zu diesen „Hardfacts“, die wir nicht beeinflussen können, bestimmt unseren Weg. Den Weg unseres Fleisches.

Besprechungen „Der Weg allen Fleisches“ (Auswahl): Frankfurter Rundschau, Fixpoetry, Neue Zürcher Zeitung

Zum Buch: Hermann Kinder, Der Weg allen Fleisches, Weissbooks Verlag, ISBN 978-3-86337-077-0, ca. 130 S., mit farbigen Illustrationen des Autors.

„Was machen Sie?“

Oli_Wan
Es folgt nun eine Geschichte aus dem Leben, die ich auf Facebook gelesen habe und die mir so gefallen hat, dass ich den Verfasser gebeten habe, sie in einem meiner Mixed Pickles-Beiträge veröffentlichen zu dürfen. Danke, Oli Wan!

„Hier ein (echter) Dialog zwischen mir und einem Unbekannten, der sich vor einiger Zeit auf einem U-Bahnhof abgespielt hat. Ich in einem meiner besseren Anzüge, gehetzt zwischen zwei Terminen, er locker in Jeans und Polohemd. Er war vielleicht 17 Jahre alt, asiatische Wurzeln. Er lächelte offen und sprach mich an.

– Entschuldigen Sie. Sie sehen so aus, als hätten Sie Erfolg im Job.
– Aha.
– Ich weiß nicht, was ich beruflich machen soll. Also spreche ich einfach ein paar Leute an und frage, was die so machen. Was machen Sie?

Die Idee fand ich bemerkenswert. Wäre ich nicht drauf gekommen, sowas zu machen. Der U-Bahnhof als Inspirationsquelle für eine mögliche Zukunft. Nicht übel. Also gebe ich wahrheitsgemäß Auskunft:

– Ich arbeite in einer Agentur.
– Und sind Sie erfolgreich da?
– Ich würde nicht danach gehen, was vielleicht Erfolg bringt und was nicht. Mach einfach das, was dir Spaß macht. Da ist man dann meistens auch am besten.
– Und Sie? Machen Sie in der Agentur, was Ihnen Spaß macht?
Da musste ich zugeben:
– Nein.

Ich fand meinen eigenen Ratschlag daraufhin plötzlich irgendwie ziemlich verlogen. Immerhin konnte ich wahrheitsgemäß hinzufügen:
Aber ich arbeite dran.

Der Dialog liegt Monate zurück, und monatelang habe ich dran gearbeitet, meine Jobsituation zu ändern. Habe nach Alternativen gesucht, die mir mehr Raum lassen für die kreative (zumeinst ja unbezahlte) Arbeit nebenbei – sei es das Schreiben, meine Radiosendung oder Hörspiele aufzunehmen. Sachen, die mehr Spaß machen. Es hat sich über die Monate gezeigt: Ich würde „stückeln“ müssen. Einige Standbeine parallel aufbauen.

Lange hat es gedauert, aber jetzt endlich habe ich genug kleine neue Einkommensinseln zusammen, dass ich kündigen konnte. Und prompt wurde mir von meinem bisherigen Arbeitgeber angeboten, was bislang „auf keinen Fall möglich“ war, „wir brauchen jeden Mann mit vollem Einsatz“ – ich habe meine Arbeitszeit drastisch reduzieren dürfen, und ich durfte mir die Kunden aussuchen, die Spaß machen. Was nicht plötzlich doch alles möglich ist, wenn man nicht nur nett fragt, sondern Fakten schafft… So ist ein neues Standbein also weiterhin ein altes, nur besser. Eine von den bezahlten neuen Sachen, die dazukommen, hat sogar mit Hörspielen zu tun: Ich habe an einer Volkshochschule die Möglichkeit, einen Kurs zu leiten. Wenn sich da genug Teilnehmer finden, wird das regelmäßig stattfinden.
Oi_Wan_2

Fazit, falls der 17 Jahre alte asiatische Jeans- und Polohemdträger zufällig hier auf Facebook unterwegs sein sollte: Ich habe dran gearbeitet, und es ist ein verdammt gutes Gefühl!“

©Oli Wan (ComicCultureHörspiele)

Oli Wan auf Facebook
Ohrenkino auf Soundcloud
Ohrenkino auf „Alex Berlin“ (Achtung Autoren: Ohrenkino sucht Romananfänge (je die Seite 1)

 

Die Bibel halt… Umsatzsteuer, 7 beste Wege, das eigene E-Book erfolgreich zu bewerben etc.

Self-Publisher-Bibel
Absolut unentbehrlich, lesenswert, topaktuell – die Bibel für alle, die Ihre Romane und / oder Kurzgeschichten, Sachbücher etc. in Eigeninitiative vermarkten: Matthias Mattings Self-Publisher-Bibel. Egal ob die ständig mit neuen Beiträgen angereicherte Online-Version oder die E-Book-Version, Self-Publisher finden hier die wichtigen Informationen.

Aktuelle Beispiele:

1. 1. 2015: Was die faktische Umsatzsteuer-Erhöhung für eBooks für Autoren bedeutet

Neues Regal für Amazon-exklusiv-Autoren: “Exklusive Kindle eBooks”

Autoren-Tipp: Die 7 besten Wege, wie Sie das eigene eBook vermarkten können

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PS: Ihr habt etwas Interessantes für meine Mixed Pickles-Beiträge? Bitte mir eine Nachricht senden!

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Buchvorstellung: Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel

 

Engel spucken nicht in Büsche: Roman über Liebe, Tod und Teufel - Cover der für das eBook bearbeiteten 2. Auflage

Engel spucken nicht in Büsche: Roman über Liebe, Tod und Teufel – Cover der für das eBook bearbeiteten 2. Auflage

Es war nach Mitternacht. Ein kräftiges, ein leuchtendes, ja beinahe ein brennendes Rot schoss hervor. Krish konnte sie riechen. Er spürte den Hauch ihres Atems auf seinem Arm. Ihm schauderte. Seine Augen tasteten über die Leinwand. Der dicke Borstenpinsel zuckte hinterher. Wo mochte Helen sein? Seit drei Jahren etwa kannte er sie jetzt, und sie war in dieser Zeit öfter, nur einen kurzen Abschiedsbrief hinterlassend, für einige Wochen verschwunden. Aber dieses Mal erschien ihm die Zeit ihrer Abwesenheit unerträglich lang.

Anfangs hatten ihn Zeilen wie: Mach’ Dir keine Sorgen, Liebster, bin wieder on the road! Weiß’ nicht, wann ich wiederkomme! zutiefst getroffen. Auch wenn Helen ihm jedes Mal versichert hatte, zurückzukommen, so hatte ihn ihr eigensinniges Handeln zunächst sehr gekränkt.
Aber dieses Gefühl hatte von Mal zu Mal an Raum in seinem Herzen verloren. Denn schließlich war sie bisher wirklich jedes Mal zu ihm zurückgekehrt. Um so stärker war stattdessen die Sehnsucht nach ihr in Krish gewachsen.

Doch nun verspürte Krish zum ersten Mal neben dieser schon fast schmerzhaften Sehnsucht eine Empfindung, die er bislang nicht mit Helen in Verbindung gebracht hatte. Denn noch niemals zuvor hatte er sich um sie gesorgt.

Leserinnen- und Lesermeinungen zu Ralf Boschers erstem Roman:

„Ein überzeugend komponierter Roman, der seine Leser einer außergewöhnlich breiten Palette an Emotionen aussetzt. Ein guter Unterhaltungsroman!“ (Hermann Kinder über meinen ersten Roman „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“).

„Dies ist kein gewöhnlicher Krimi oder Thriller. Wer erwartet, dass es sich hier hauptsächlich beispielsweise um ein Ermittlerteam und dessen Aufklärungsarbeit um ein Verbrechen dreht, wird dann wohl eher enttäuscht. Wer sich aber in eine Abfolge durchgehend spannender Ereignisse stürzen möchte, Einblicke in die Seele der Protagonisten riskieren möchte, wird begeistert sein.“ (Jayzed, Rezension auf „Das lesende Pony“).

„Viele Szenen werde ich so schnell nicht vergessen. Der Moment, als der Mörder zu einem ebensolchen wird. Oder was dem Krankenpfleger Hartmut als Kind im Heim zustößt. Oder Helens Rückkehr. … Aber was mir neben der spannenden Krimihandlung noch mehr gefallen hat: Das Buch berührt. Denn die Figuren und ihre Schicksale sind lebendig gezeichnet. Mit einigen, vor allem den weiblichen Hauptfiguren, konnte ich mich identifizieren.“ (Marmaid, Rezension auf „Lovelybooks“).

„Nicht nur ein Krimi… Wer den Abschnitt ‚Zu diesem Buch‘ und die ersten Seiten liest, der könnte zu der Annahme gelangen, dass dieser Roman ein reiner Krimi ist. Doch da die Geschichte weit mehr beinhaltet, fand ich den Untertitel ‚Roman über Liebe, Tod und Teufel‘ sehr passend. Eine gute Mischung aus Krimi und Gesellschaftsroman, mit dem besonderen Etwas. Spannend, abwechslungsreich, kurzweilig und daher sehr flüssig zu lesen.“ (T. Geyer, lesen und mehr, Rezension auf Amazon).

Zum Roman:

Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel

Engel_Boscher_Rückumschlag
Der Tod ist in die Stadt gekommen, und er ist auf einer Mission. „Abtreibungskiller“ nennt ihn schon bald die Presse. Der Polizei gelingt es nicht, den heimtückischen Frauenmörder zu stoppen. Gelingt dies Hartmut, dem Krankenpfleger mit einer ausgeprägten Vorliebe für Prostituierte? Der Tod ist in die Stadt gekommen, und düstere Visionen quälen den aufstrebenden Künstler Krish. „Kann es sein, dass ich nicht nur male, was war, sondern auch, was sein wird?“ Wo ist seine große Liebe Helen? Ist ihr etwas zugestoßen? Nein. Ja. Aber sie lebt. Noch. Denn nun ist der Mörder auf dem Weg zu ihr.

„Engel spucken nicht in Büsche“ – eine packende Geschichte. Lebendige Figuren, die Sie nicht vergessen werden. Starke Frauen. Ein teuflischer Mörder. Männer zwischen Sehnsucht und Furcht, getrieben. Ein Krimi. Ein Roman über den Verlust der Unschuld. Erotisch. Hart. Zärtlich. Schonungslos. Ein spannendes Buch über Hoffnung und Schmerz, über Liebe, Leid und Lust.

Der Roman ist über Amazon als eBook und Taschenbuch erhältlich.

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Ein Blick hinter die Buchstaben… Fragen an die Schriftstellerin Susanne Gerdom

Spannende Romane, faszinierende Geschichten, Figuren, die sich den Leserinnen und Lesern einprägen – ohne die Möglichkeiten des Self-Publishing wären vielleicht viele literarische Schätze nach wie vor verborgen geblieben. Aber seit einigen Jahren ist die Auswahl jenseits der Verlagswerke größer geworden – und das interessante, breit gefächerte Angebot in Eigenregie publizierender Autoren wird, wie z.B. die Bestsellerlisten bei Amazon zeigen, mit Begeisterung angenommen. Einigen dieser Autorinnen und Autoren aus der Self-Publisher-Szene habe ich einen Fragenkatalog vorgelegt. Ich fragte, was mich als Leser oder als Kollege interessierte. Diese so entstandenen „Interviews“ werde ich in loser Folge auf meinem Blog veröffentlichen.

Ich danke allen, die sich meinen Fragen gestellt haben und so allen Interessierten einen Blick hinter die Buchstaben ihrer Bücher gewähren.

Ralf Boscher

Susanne_Gerdom_Portrait
Heute zu Gast auf Boschers Blog: Susanne Gerdom

Hallo Susanne, schön, dass ich Dich auf meinem Blog begrüßen darf! Um gleich einzusteigen:

Was siehst Du als Deinen bisher größten schriftstellerischen Erfolg an?

Ich glaube, das ist immer noch der Glückstreffer, mein allererstes Manuskript gleich bei einem renommierten Verlag untergebracht zu haben. Das ist so etwas wie ein Sechser im Lotto … Ansonsten freue ich mich bei jedem erschienenen Titel, ganz gleich, ob Verlag oder SP, wie ein Wildschwein darüber, wenn ich positives Feedback bekomme. Der Applaus ist leider auch in meiner Branche oft das einzige Brot des Künstlers. 😉

Wer ist Dir die liebste Figur in einem Deiner Romane oder in einer Deiner Geschichten?
Elbenzorn_Susanne-Gerdom
Im Prinzip sind das immer die Figuren, mit denen ich gerade zugange bin. Und da ist es nicht immer die Protagonistin oder der Hauptdarsteller, die mir die liebsten sind, sondern oft auch eine Nebenfigur. (Der Zwerg Trurre in „Elbenzorn“ ist so eine Figur. Der ist mir beim Schreiben so lieb geworden, dass ich ihm fast erlaubt hätte, das Buch zu kapern und aus einem Elbenbuch ein Zwergenabenteuer zu machen …)

Im Moment bin ich allerdings sehr verliebt in Magnus – Lord Magnus Algernon Seymour, der Protagonist des „Blauen Todes“. (Clockwork Cologne)

Wer ist Dir die liebste von Dir nicht erschaffene Figur in einem Roman oder einer Geschichte?

Einfache Antwort: Samuel Mumm. (Terry Pratchett)

Der für Dich gelungenste erste Satz einer Deiner Geschichten?

Ich bin kein „erste Sätze“-Fanatiker. Deshalb feile ich daran auch nicht besonders herum und ich hab sie auch beileibe nicht parat. Ein wirklich schöner erster Satz stammt von jemand anderem: „Wes Herd dies auch sei, hier muss ich rasten“. ;-))

Wenn Du nicht Schriftstellerin, sondern Musikerin wärst – welche Musik würdest Du machen?

Arrrrgh. Klassik, definitiv. Ich wollte, ich könnte singen, aber Klavierspielen wäre auch schon schön. Oder klassische Gitarre.

Was macht einen Menschen zum Schriftsteller? Das Schreiben oder das Gelesen werden? Oder…?

Das ist eine komplexe Frage. Schreiben allein reicht nicht, das ist ein Volkssport. Und genauso wenig, wie jemand, der in seiner Freizeit ein bisschen kickt, professioneller Fußballspieler ist, kann sich jemand, der in seiner Freizeit ein bisschen schreibt, sich gleich „Schriftsteller“ nennen. Das Gelesen-Werden ist aber auch kein ausreichendes Indiz.

Vielleicht ist es, wie bei allen Tätigkeiten, die eine gewisse Formung, Ausbildung und Disziplin erfordern, genau das: die Professionalität, mit der man sein Tun betreibt. Also muss ein Schriftsteller nicht notwendigerweise auch einen Leserstamm haben, aber er braucht auf jeden Fall die Ernsthaftigkeit und die Fähigkeit, sein Tun auch dann fortzuführen, wenn es eben keinen Beifall, keinen Erfolg, keine Sichtbarkeit erzielt. Dennoch dranbleiben, sich weiterentwickeln, nie stehenbleiben, nie zufrieden sein, jeden Tag schreiben, auch wenn tausend andere Dinge locken, auch wenn es weh tut … So jemanden würde ich Schriftsteller nennen, auch wenn er nie ein Wort veröffentlicht hat.

Deine Einschätzung: Ist es förderlicher für eine gute Schreibe, mit seiner schriftstellerischen Arbeit seine Brötchen zu verdienen oder einem anderen Brotberuf nachzugehen?

Förderlich für eine gute Schreibe ist Übung und Weiterentwicklung. Förderlich für ein ruhiges Kissen zum Schreiben ist ein Brotjob. Kaum zehn Prozent der Autoren können von ihrem Tun leben (und davon sind die Mehrzahl Sachbuchautoren, keine Belletristen). Und „davon leben“ heißt in der Regel: am Existenzminimum. Ich würde niemals einem jungen Autor mit Erstveröffentlichung raten, seinen Job zu schmeißen.

Von der Grundidee zur fertigen Geschichte: Ist das bei Dir ein gerader Weg oder passiert es Dir, dass Du Dich weit von der Grundidee entfernst?

Ich bin Pantserin. Ich habe eine Grundidee (und bei meinen Verlagsprojekten auch ein relativ ausgefeiltes Exposé), aber wenn man sich das fertige Manuskript anschaut, dann hält diese Grundlage maximal bis zur Hälfte. Meistens nur fürs erste Viertel. Ab da geht es holterdiepolter über Stock und Stein quer durch die Wildnis.

Welcher Art sind die Szenen, die für Dich die größten Herausforderungen stellen?

Die „Verbindungsszenen“. Die Stellen, an denen ich von einem Ereignis irgendwie zum nächsten überleiten muss. Zu bewältigende Wege und Strecken. Ich hasse Reisebeschreibungen. Und ich habe gelernt, wo es geht, einfach einen Schnitt zu machen. Wenn ich eine Szene schon mit langen Zähnen schreibe … wie soll sie einem Leser dann gefallen?

Die zweite Kategorie sind Sexszenen. Ich muss zugeben, dass ich sie in der Mehrzahl der Bücher für überaus überflüssig halte und auch hier eher dazu tendiere, einen Schnitt zu setzen.

Was bereitet Dir die größte Freude beim Schreiben?

Das Tüfteln. Ich liebe das Entwerfen von Szenerien, Welten, Konstellationen, Figuren, Sprachen … Und natürlich ist es immer wieder ein Gefühl, als würde man fliegen, wenn der Flow einsetzt. Das passiert nicht jeden Tag, aber wenn es passiert, ist es schöner als alles andere.

Der für Dich wertvollste Schreibtipp, den Du erhalten hast?

Ich habe bisher wenig Schreibtipps von anderen bekommen, aber ich höre mir immer gerne an, wie KollegInnen mit ihrer Arbeit umgehen. Das Wichtigste, denke ich, was ein Autor wirklich befolgen sollte, ist die Kontinuität. Wenn möglich, sollte man jeden Tag schreiben, und wenn es nur ein paar Zeilen sind.

Manchmal noch Papier und Stift? Oder nur noch Schreiben am Rechner?

Eindeutig und ausschließlich am Rechner. Ich habe ein Notizbuch, das ich noch mit Bleistift nutze, aber alles, was über das reine Aufschreiben von Gedankenfetzen hinausgeht, verlangt nach einer Tastatur. Mit der Hand schreibe ich zu langsam und zu unleserlich, das macht mich irre. Und auch, dass man nicht einfach löschen, verschieben, überschreiben kann, wenn man die altmodische Hardware benutzt. Ich tippe blind und im Zehnfingersystem, das ist schon sehr komfortabel.

Welches Schreibprogramm nutzt Du?

Angefangen habe ich mit Word. Das ist ja für umfangreiche Dokumente unpraktisch, also habe ich nach einer Alternative gesucht, bin bei Papyrus gelandet, hab mich damit aber nicht wirklich wohl gefühlt und schreibe jetzt seit ein paar Jahren in Scrivener, das bietet eine Reihe von ungeheuer praktischen Features neben der Textverarbeitung. Ich habe immer alle meine Notizen, Personenlisten, Recherchelinks usw gleich bei der Hand, ich kann den Text in jedes denkbare Format ausgeben (sogar, wenn ich das wollte, in ein ganz brauchbares epub oder mobi) und das Programm ist erstaunlich absturzsicher. Ich denke, damit habe ich mein Programm für den Rest des Schreiberlebens gefunden.

Schreibzeiten: Wann schreibst Du? Schreibst Du an festgelegten Uhrzeiten oder setzt Du Dir zum Beispiel pro Tag eine Zeichenmenge?

Ich schreibe den Löwenanteil abends bis nachts. Und ich habe eine Mindestseitenzahl, die ich erreichen will (pro Woche 50 Seiten). Das heißt, es ist ein „Sieben-Seiten-pro-Tag“-Ziel, das ich anstrebe.

Wie viel Zeit verwendest Du am Tag für das Marketing? Und welche Kanäle nutzt Du für die Werbung?

Immer noch zu wenig Zeit, obwohl mir das natürlich schmerzlich von der Schreibzeit abgeht. Zwei Stunden am Tag? Könnte Pi mal Daumen hinkommen. Dazu gehört es auch, Leserbriefe zu beantworten. (Oder Leserpostings, wenn man es genauer nimmt …)

Ich nutze meine eigene Website, Facebook und Google + – Twitter eher weniger, obwohl das dumm von mir ist.

Bereitet Dir das Schreiben größere Freude, seitdem es mehr Möglichkeiten der Veröffentlichung gibt (E-Books, Selfpublishing…)?

Größere Freude … nein. Es ist mehr Arbeit geworden, es ist weniger Schreiben, weil es Spaß macht, mehr Job. Aber das birgt ja seine eigenen Freuden und Befriedigungen. Die Möglichkeit, ein Projekt nach eigenem Gusto schreiben und gestalten zu können, hat viel Schönes. Auch wenn hier, genau wie beim Schreiben für den Verlag, das kaufmännische Denken leider wieder Grenzen setzt. Wenn ich schreiben will, um zu verkaufen, muss ich Kompromisse eingehen. Mein „unverkäufliches Buch“ – Projekt Armageddon – hat einen kleinen, begeisterten Leserkreis gefunden, aber das Verdikt meiner Verlage („Das kriegen wir nicht verkauft, das ist zu anspruchsvoll“) über das ich damals ungläubig gelacht habe, scheint verdammt zu stimmen.

Die „Thomas Mann“-Frage: Du schreibst, Dein Mann oder Freund kommt herein oder ein guter Freund ruft an oder Dein Kind möchte etwas von Dir wissen – verbittest Du Dir die Störung, weil Du schreibst, oder lässt Du Dich auf die „Planänderung“ ein?

Ich lebe in einer beständigen Planänderung, weil ich unser gemeinsames Arbeitszimmer nutze, in dem immer auch ein Teil unserer Katzen herumhängt. Ich bin inzwischen Meisterin im Ausblenden. Aber meine Familie bemüht sich, mich in Ruhe zu lassen. Weitgehend. In der Regel. (Ich schrieb oben, dass ich den Löwenanteil meiner Arbeit abends/nachts erledige. Noch Fragen? *g*)

Die „Charles Bukowski“-Frage: Hältst Du Alkohol für eine sinnvolle Stimulanz beim Schreiben?

LOL. Nein. Wenn ich unter Alkohol schreibe, was mir gelegentlich passiert ist, dann kann ich das Zeug morgens nüchtern besehen wegwerfen. Also lass ich es. Ein Glas Wein NACH dem Schreiben. Das kommt besser.

Du gehst schlafen, liegst bereits im Bett, das Licht ist aus – da kommt Dir eine Schreibidee in den Kopf: Stehst Du auf und notierst Dir die Idee?

Ja. Ich hab ein Notizbuch am Bett liegen.

Hast Du mit einer Geschichte abgeschlossen, wenn Du unter sie ein „Ende“ gesetzt hast?

Notgedrungen. (Es gibt keine Enden. Jede Geschichte geht im Prinzip endlos weiter, das ist das Leben.) Aber da ich in der Regel nach drei Monaten von jedem Projekt die Nase gestrichen voll habe und längst mindestens zwei andere Projekte dringend an die Tür klopfen, fällt es mir leicht, ein Manuskript abzuschließen. Ich leide in der Regel nicht unter Trennungsschmerz. Dass mir nachträglich eine Menge Verbesserungswürdiges ein- und auffällt – das ist normal. Da muss man lernen, die Finger davon zu lassen.

Vielen Dank Susanne, dass Du Dir die Zeit genommen hast, diesen „Blick hinter die Buchstaben“ zu ermöglichen!

Ich danke dir für die schönen Fragen!

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Susanne Gerdom wurde am 17. November 1958 in Düsseldorf geboren, aufgewachsen ist sie im niederrheinischen Rheinhausen. Nach Abschluss ihrer Lehre als Buchhändlerin begann sie sich mit Pantomime und Clownerie zu befassen und arbeitete mehrere Jahre als Schauspielerin und Regisseurin (Quelle)

Susanne Gerdom schreibt Fantasy für Jugendliche und Erwachsene (u.a. für die Verlage Piper, ArsEdition und Ueberreuter, man findet sie dort auch unter den Pseudonymen Frances G. Hill und Julian Frost). Zudem veröffentlicht sie unter ihrem Geburtsnamen im Self-Publishing-Bereich (Quelle).

Sie ist Gründungsmitglied der „42erAutoren – Verein zur Förderung der Literatur e.V.“ und gründete darüber hinaus 2013 mit einer Gruppe von AutorInnen und Autoren die Indie-Plattform „Qindie“, welche sich als unabhängige Plattform für Selfpublisher versteht und ein Qualitätssiegel für Indie-Literatur ins Leben gerufen hat. (Quellen: Wikipedia, Qindie)

Susanne Gerdom lebt, wohnt und arbeitet im Familienverband mit vier Katzen und zwei Menschen in einer kleinen Stadt am Niederrhein (Quelle).

Homepage von Susanne Gerdom
Amazon-Autorenprofil
Wikipedia-Artikel
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Mixed Pickles #2: Von E-Book Flips bis Liebe & Lust gratis

In den „Mixed Pickles“-Beiträgen auf Boschers Blog findet Ihr ein buntes Gemisch diverser Fundstücke aus dem Netz und aus der noch realeren Welt.

Flip den neuen E-Book Klub

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Was wären die Social Media ohne die Macher, also diejenigen, die es in die Hand nehmen, einen Knotenpunkt zu schaffen, an dem andere Menschen mit ihren Postings anknüpfen können.

Ein solcher Macher, der in der Self Publishing-Szene sehr engagiert ist, ist der Schriftsteller Lutz Schafstädt. Nicht nur, dass er tolle Geschichten schreibt, er hat auch die gerne genutzte Facebook-Gruppe „Der E-Book Klub“ ins Leben gerufen – und nachdem diese Gruppe von Marketinghaien gekapert wurde, flugs den „Neuen E-Book Klub“ ins Leben gerufen (mit mittlerweile über 1.100 Mitgliedern).

Von Schafstädt hier initiierte Highlights: die elektronische Klubzeitung, deren Beiträge aufgrund des Hashtags #debk zusammengestellt werden und die täglich erscheint.

Und seit kurzem auch ein bunter Bilder-Reigen aus den Postings des Neuen E-Book-Klubs, das Flipboard „Flip den neuen E-Book-Klub“, welches täglich wächst und anhand der geposteten Bilder und Buchcover die Vielfalt der Szene dokumentiert. Schön. Danke Lutz!

Amazon & der klassische Buchhandel die Hundertfünfte…

Das Börsenblatt Online hat einen lesenswerten Beitrag zum Thema „Literaturagenten zum Machtkampf mit Amazon“ veröffentlicht, der den Kampf um Marktmacht auch hinsichtlich der Self Publishing-Autoren beleuchtet.

Auch der Tagesspiegel widmet sich in seiner neuen Ausgabe dem Thema „Self Publishing“: „Die Selfpublishing-Branche boomt. Einige verdienen prächtig, die Mehrheit wenige Euro im Monat.“

Apropos Self…

Keine Lust, den eigenen Geburtsnamen auf einem Buchcover zu sehen? Du suchst einen für „Dein Genre“ passenden Autorennamen, ein einprägsames Pseudonym? Dann grübel nicht mehr nach, sondern lasse Dir einen Künstlernamen generieren

Pavillonimplosion und Pflanzenexplosion

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Bisher sind wir im Gegensatz zu meiner Heimatgegend Niederrhein hier am Bodensee von den ganz groben Unwettern verschont geblieben, Gott sei Dank. Gleichwohl gab es unschöne Winderhebungen – so wie letztens Nachts. Ich liege bereits im Bett, plötzlich höre ich ein entferntes Rauschen, ein Branden, ein Geräusch, als wenn ein nahender Zug die Luft vor sich herschiebt. Ein durchaus unheimliches Geräusch, das näher kommt. Und näher. Das lauter wird. Unheimlicher. Und dann ein Schlag. Eine Windböe, welche die Fenster zittern lässt. Die zu einem Dauerwind anhebt, der wild ums Haus pfeift. Erste Gegenstände höre ich durch die Gegend fliegen, auf den Boden krachen. Äste brechen. Ich sehe aus dem Fenster. Sehe unseren Pavillon (nicht alt, hübsches Teil, mit zwei Leuten anderthalb Stunden lang zusammengeschraubt) über den Rasen tanzen als wäre er einer dieser Ginsterbüsche aus einem Western.

Ich raus in das Windgeschehen, den anhebenden Regen, das Blitzen des Wetterleuchtens. Da hat es den Pavillon schon auf den Kopf geworfen. Er wird vom Wind über den Rasen geschoben, scheint beinahe abzuheben. Da ich Sorge habe, dass er mit seinen Metallstreben in eines unserer Fenster kracht, binde ich ihn mit einem alten Verlängerungsstromkabel am Kirschbaum fest. So weit so gut. Doch am nächstem Tag sehe ich, dass der Wind ganze Arbeit geleistet hat: Seitenstreben nicht nur abgeknickt, sondern durchgebrochen. Die im „Dach“ des Pavillons zusammenlaufenden Streben zerbrochen. Unser Sommerschatten ein Fall für den Sperrmüll – schade.

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Merkwürdigerweise hat diese regnerische Windnacht unserem Schmetterlingsbusch sehr gut getan: Er ist nahezu explodiert. Als hätte er die Energie des Wetterleuchtens in sich aufgenommen – und wäre dann in einem vegetativen Kraftakt über sich hinausgewachsen. Erstaunlich, was aus so einem kleinen, auf halbe Mannhöhe zurückgestutzten Büschchen werden kann. Des einen Leid, des anderen Freud… Schade nur, dass wir nun nicht unter dem Pavillon im Schatten den (bestimmt noch kommenden) Hochsommer genießen können und dabei all die Schmetterlinge beobachten, die sich an Schmetterlingsbusch gütlich tun.

Liebe & Lust gratis

Noch ein E-Book Lesetipp in eigener Sache zum Schluss (bitte Hinweis unten beachten):

Jetzt für 0,00 Euro bei Amazon.

„LIEBE, LUST & VERWANDTES“ – Ralf Boschers Kurzgeschichten-eBooks „Plötzlich brach die Sonne“ und „Tiefer in die Dunkelheit. Erotik, Thrill, Horror“ GRATIS bei Amazon.
Boscher_Ploetzlich
GRATIS: „Plötzlich brach die Sonne“: Vier unromantische Geschichten über Liebe. Melancholisch, apokalyptisch, lustvoll kriminalistisch, realistisch rabiat.

Ralf Boscher - Tiefer
GRATIS: „Tiefer in die Dunkelheit. Erotik, Thrill, Horror“: Vier Geschichten, die immer tiefer in die Dunkelheit führen. Erotisch, sinnlich, dann auch schmerzvoll, albtraumhaft.

Du liest dies hier erst später? Bitte bei Amazon auf den Preis achten. Nach Ablauf der Aktion kosten die E-Books je wieder 99 Cents.

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Mixed Pickles #1: Vom Konstanzer Konzilsjubiläum bis zum Vampire Practice Guide

In den „Mixed Pickles“-Beiträgen auf Boschers Blog findet Ihr ein buntes Gemisch diverser Fundstücke aus dem Netz und aus der noch realeren Welt.

Neulich bei einer kurzen Stippvisite auf der Konstanzer Seestraße…

Da biege ich vom Bus kommend, die erste eher graue Unterführung hinter mir lassend, nach links ab, um die Rheinbrücke Richtung Seestraße zu unterqueren, und entdecke diese bunten Kleinode anlässlich des Konstanzer Konzilsjubiläums…

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Mehr Infos zum Künstler Emin Hasirci und zur Aktion auf Facebook…

„Der Künstler Emin Hasirci gestaltet in Zusammenarbeit mit dem Hochbauamt der Stadt Konstanz und der Konzilstadt Konstanz die Unterführung neu. Die Wandflächen werden mit einem thematischen Bezug auf das Konstanzer Konzil im Graffitistil überarbeitet. Bis Ende Juni werden die Arbeiten dauern. 5 Jahre – 5 Köpfe – 5 Themen 2014 – 2018 lädt die Konzilstadt erneut nach Konstanz ein. Unter dem Motto»Europa zu Gast« werden zusammen mit Konstanzer Bürger, Gästen und Künstlern die historischen Ereignisse Rund um das Konstanzer Konzil thematisiert und zeitgenössisch verarbeitet. In einem Gesamtkunstwerk bereitet Emin Hasirci die spannenden Thematiken des Konzils, entlang von fünf faszinierenden Persönlichkeiten, künstlerisch auf: König Sigismund, Jan Hus, Imperia, Papst Martin V. und Oswald von Wolkenstein.“ (Quelle)

Apropos Imperia…

Kay Noa

Vampire_Practice_Guide Kay Noas neuer Vampir-Roman „Vampire Practice Guide“, die Fortsetzung des „Vampire Beginners Guide“ erscheint am 15. Juli 2014

„Schlechtes Wetter – kalte Temperaturen
Dann sollte man was Heißes lesen…
Zumal am 15.07. der 2. Band erscheint- “
(Kay Noa auf Facebook)

Mehr Infos und ein Gewinnspiel findet Ihr auf der Facebook-Seite „Vampire Beginners Guide“

Meine Erfahrung mit dem ersten Band vgl. hier…

Georg Tenner

Georg Tenner empfiehlt auf Twitter:
„Alle Geschichten von #ff @AnneNikolaus sind magische Geschichten? Sie glauben es nicht? Hier schauen!
Georg_Tenner_Monet
Seit kurzem ist Georg Tenners neuer Usedom-Krimi erhältlich: „Monet und der Tod auf der Insel: Ein Fall für Lasse Larsson. Usedom-Krimi“

Tenner postet auf Facebook zu seinem neuen Roman:
„Alles beginnt mit einem verschwundenen Kind am Strand von Bansin. Bei der groß angelegten Suche wird plötzlich eine männliche Leiche entdeckt und das Team um Kriminalhauptkommissar Lasse Larsson auf eine ganz andere Spur aufmerksam.
***** >Anspruchsvoll, unvorhersehbar und spannend!< Rita Hajak
***** >Klug verstrickt und aufgelöst.< DenibaS
***** >Intellektuelles Verwirrspiel mit thrillerhaften Zügen!< Simone Klein“

Game of Thrones

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Während ich („Himmel“loses) Film-Kid unter Game of Thrones Entzug leide, weil die Staffel 4 noch nicht auf DVD erschienen ist (und auch noch kein Veröffentlichungstermin feststeht), fragt Robert Odei auf Qindie hinsichtlich der Romane von Georg R.R. Martin: Schreibt der gut?

Weitere lesenswerte Mittwoch! Beiträge (u.a. auch von mir ) auf Qindie findet Ihr hier…

Thoughts Factory


Und zum Schluss noch ein Musiktipp. Vor kurzem entdeckt: Die erste CD der deutschen Progmetall-Kapelle Thoughts Factory, Lost. Einflüsse: die üblichen Verdächtigen. Ausführung: Spannend inszeniert, Melodien mit Langzeitwirkung. Reinhören („No Way Out“, neues offizielles Video):

Facebook-Seite der Band

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Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus

Patient 3. Klasse?
Bevor ich hier wiedergebe, was mir mein alter Freund aufgewühlt am Telefon schilderte, möchte ich betonen: Folgende Ausführungen sind sicherlich ungerecht, zudem völlig subjektiv und einseitig in ihrer Schilderung. Ein Einzelfall gesehen durch die Brille persönlicher Betroffenheit. Nicht die Regel also. Sicherlich nicht.

Bin ich zu empfindlich?

„Also bin ich zu empfindlich, oder was? Weil ich denke: Das kann doch nicht wahr sein! Die können mich doch nicht einfach dort liegen lassen. Stundenlang in diesem dämlichen Flügelhemdchen. Ohne einen Schluck zu trinken, vor allem ohne Nachricht, dass sich die Operation verzögert, ohne von sich aus wenigstens einmal einen Blick in mein Zimmer zu werfen, um zu schauen, wie geht es denn dem Herrn in den vielleicht letzten Stunden mit all seinen Familienjuwelen.

Ich sage Dir, das ging mir auf den Sack. Die OP war auf 10 Uhr terminiert. Mich weckten sie um 7 Uhr, schickten mich zum Duschen. Anschließend Kompressionsstrümpfe und Flügelhemdchen überziehen. Habe dann noch ein wenig geschlafen. Wachte um halb 10 auf. Es wurde 10. Halb 11. Niemand kam. 11 Uhr. 12 Uhr. Allmählich hatte ich das Gefühl, dass sie mich vergessen haben. Da klingelte ich dann doch einmal nach einer Pflegekraft. Die auch prompt kam. Das muss ich gerechterweise sagen. Ließ sich von sich aus auch nur selten jemand blicken, auf die Klingel wurde immer prompt reagiert. Und freundlich und hilfsbereit waren die Pflegenden dann auch immer. Aber wer will schon einer dieser lästigen Patienten sein, die immer klingeln?

Zudem: kann man nicht ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erwarten? Jemand hätte doch auf den Gedanken kommen können, dass in Zimmer Soundso ein Mensch liegt, der eine OP vor sich hat, eine Vollnarkose, und vielleicht sogar eine einschneidende Veränderung in seinem Leben. Auf die Idee kommen, dass dieser Mensch wenn nicht ängstlich, so doch nervös ist. Dass hier ein wenig pflegerische Zuwendung jenseits von Temperaturmessen, Spritzensetzen, Bettmachen angebracht wäre? Auf mein Klingeln hin kam dann Auszubildender Andi (Pflegeschüler im dritten Jahr) und teilte mir auf Nachfrage mit, dass eine andere Operation dazwischen geschoben werden musste. Was ja auch kein Problem ist. Nur hätte ich das gerne eher gewusst. Dann hätte ich mich nicht so wie bestellt und nicht abgeholt gefühlt. Vor allem weil Auszubildender Andi nicht den Eindruck machte, dass diese Information für das Personal auf Station neu war.

Aber warum sollte auch jemand auf die Idee kommen, diese Information gegenüber demjenigen zu kommunizieren, der hier eigentlich schon seit 2 Stunden unter dem Messer gelegen haben sollte? Und überhaupt, die Kommunikation! Sag mir, bin ich zu empfindlich?“

Nein, versicherte ich meinem alten Freund, Du bist nicht zu empfindlich. Außerdem fand ich, dass er bei der Diagnose und weil eine Operation, egal welcher Art, immer gewisse Risiken trägt, alles Recht gehabt hätte, empfindlich zu sein. Aber er hatte, ohne noch einmal zu klingeln, bis um 13.30 Uhr ausgeharrt, als sie ihn endlich zur OP holten.

Krebs. Eine schreckliche Diagnose. Ein Schock. Aber dann doch nicht ganz so schlimm, wie mein alter Freund meinte. Denn: Hodenkrebs. Gut heilbar, wie die Doctores versicherten. Puh. Glück im Unglück gehabt. Doch dann sackte das Wort tiefer in sein Bewusstsein. Sackte an die Stelle seiner selbst, an der das ganze feine Gespinst an Gedanken, Bildern, Erinnerungen, Vorurteilen, Hoffnungen, Ängsten, Leidenschaften zusammenlief, die in ihrer Summe das Selbstbewusstsein ausmachen. Hodenkrebs. Oh Mann! Ein Schock.

Kommunikation – nicht Krebs – das war jetzt einige Tage nach der OP das Thema meines Freundes. Vielleicht schob er dieses sich aufgrund seiner Erfahrungen anbietende Thema vor das Schreckgespenst „Krebs“, vielleicht war er auch einfach froh, sich an einem anderen Thema als der Diagnose und ihren Konsequenzen abarbeiten zu können. Vielleicht nutzte er auch nur sinnvoll die Wartezeit auf den histologischen Befund mit berechtigter Kritik an dem Teil des Gesundheitssystem, mit dem er in Berührung gekommen war.

Wie auch immer. Ich konnte seine Kritik nachvollziehen, ja nachfühlen. Auch ich hatte mich vor nicht allzu langer Zeit einer Operation unterziehen müssen. Ein Daumenbruch, der unter Plexus-Narkose gerichtet und verschraubt werden musste. Also nicht vergleichbar mit seiner OP. Aber gleichwohl hatte auch ich in einem Vorbereitungsraum gelegen. Während um mich herum letzte Vorbereitungen getroffen wurden, dämmerte ich aufgrund des oral gegebenen Beruhigungsmittels bereits weg. Plötzlich schob sich aus der Geschäftigkeit um mich durch den Sedativnebel hindurch ein Wort, das ich im Vorfeld der OP bereits an mehreren Stellen unter der Rubrik „Allergie“ zu Protokoll gegeben hatte: Penicillin. Ich hatte es beim Orthopäden in meiner Heimatstadt gesagt und es war notiert worden. In der handchirurgischen Praxis, in die ich überwiesen worden war, wurde meine Penicillin-Allergie in den Unterlagen vermerkt. Beim Aufnahmegespräch im Krankenhaus, wo die Handchirurgen OP-Zeiten gemietet hatten, hatte ich es ebenso wie gegenüber dem Narkosearzt gesagt, bei dem ich im Vorfeld der OP vorstellig wurde. Zudem war auf Station von einer Krankenschwester in mein Patientenstammblatt eingetragen worden, dass ich auf Penicillin sehr allergisch reagiere. Gleichwohl hörte ich in meinem präoperativen Dämmerzustand, dass die eine OP-Schwester die andere bat, schon einmal das Penicillin für die OP vorzubereiten. Kaum mehr Herr meiner Sinne, geschweige denn meiner Stimme, die nach 3 Promille Alkohol im Blut klang, konnte ich gerade noch Widerspruch einlegen. „Oh.“, meinte die eine der beiden OP-Schwestern nur, „Dann bereiten wir ein anderes Antibiotikum für die OP vor.“

Oh ja, die Kommunikation

Oh ja, die Kommunikation – ich kann verstehen, warum mein alter Freund so sauer war, dass diese sich in seinem Fall als so mangelhaft herausstellte. Ich teile zwar nicht seine Angst davor, dass vor einer OP Patienten verwechselt werden oder versehentlich an falschen Stellen operiert wird. Aber ich fand es ebenfalls bedenklich, dass der Urologe im Krankenhaus teilweise die Schrift seines Kollegen, der die Voruntersuchung gemacht hatte, nicht lesen konnte. „Was steht da?“ „Patient konnte sich noch nicht für oder gegen Prothese entscheiden.“, half mein alter Freund dem Krankenhausurologen die Schrift zu entziffern. „Ah ha, und möchten sie jetzt im Fall einer Orchidektomie eine Silikon-Prothese erhalten?“, fragte dieser dann, und kritzelte das Nein meines Freundes in einer ähnlich unleserlichen Schrift neben den fraglichen Satz.

„Warum eigentlich alles handschriftlich?“, fragte mein Freund mich. Sicherlich wird alles in der EDV erfasst, wandte ich ein, wobei ich dies ehrlich gesagt nicht wusste. „Meinst Du? Ich habe niemanden bei allen Vor- und Aufnahmegesprächen etwas in einen Rechner eingeben sehen. Diverse Bögen mit vielen Fragen, die entweder von einer Krankenschwester oder einem Arzt oder von mir handschriftlich ausgefüllt wurden – und das nicht immer leserlich. Aber wie auch immer, jedenfalls hätte ich vor der OP gerne noch den Chirurgen gesprochen und von ihm gehört, was er mit mir zu tun gedenkt.“ Ich dachte an meine Penicillin-Erfahrung und musste ihm in gewissem Umfang Recht geben, was seine Befürchtungen anging. Man hört ja auch so viel. Und auch wenn so vieles, von dem man hört, nicht wahr ist, könnte vor einer OP dennoch auf eventuell vorhandene Ängste eingegangen werden.

Mein Freund sah den Chirurgen nicht, nicht vor und nicht nach der OP. Ich versuchte, ihn zu beruhigen: Vielleicht bist du ja aufgrund des Sedativs weggedämmert, bevor der Chirurg mit dir sprechen konnte, oder du erinnerst dich nicht daran.

„Pah, weggedämmert! Patient 3. Klasse, das ist es, sag ich dir!“, fauchte mein Freund wütend ins Telefon hinein. „Es ist genauso, wie es die Schwester beim Aufnahmegespräch im Krankenhaus vor sich hingemurmelt hatte. Sie blickte auf meine Unterlagen, stellte fest: Sie sind bei der AOK. Dann fragte sie: Irgendwelche Zusatzversicherungen? Als ich verneinte, murmelte sie, während sie den entsprechenden Eintrag machte, vor sich hin: Ah, 3. Klasse. Und deswegen ließ sich der Chirurg auch nicht blicken!“

Patient 3. Klasse?

Patient 3. Klasse? Das ist vielleicht ein wenig zu hart gesagt. Aber hinsichtlich der Kommunikation hat sich das Krankenhaus-Team ihm gegenüber jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert.

Es ist nicht korrekt, dass niemand vom Operationsteam nach der OP mit meinem Freund sprach, nachdem er aus der Narkose erwacht war. Die Pflegekräfte im Aufwachraum sagten, sie könnten nichts sagen, weil sie bei der OP nicht dabei waren. Auf Station konnte man nichts sagen, weil sie noch keine Informationen hatten. So lag mein Freund also da, nicht wissend, wie die OP gelaufen war, ob es Komplikationen gegeben hatte, und vor allem: Hatten sie ihm den – hoffentlich linken – Hoden jetzt entfernen müssen? (es fühlte sich so an, aber wirklich sicher war er sich nicht). Und hatten sie die Biopsie des rechten Hodens vergessen (fühlte er unter seinen Fingern an besagter Stelle doch kein Pflaster, keine kleine Wunde). Nein, er erhielt zunächst keine Antworten. Die erhielt er erst am folgenden Tag bei der Visite.

„Das gleiche Trauerspiel beim CT!“, erboste sich mein Freund. „Am Tag nach der OP um 11 Uhr das CT, am Tag danach bequemen sich die Herrn Doctores dann, mir den Befund mitzuteilen.“

Nun gut, dass er beinahe 24 Stunden darauf warten musste, dass ihm jemand definitiv sagte, dass sie beim CT keine Metastasen gefunden hatten, ist verständlich. Der Radiologe muss Zeit finden, einen Bericht zu diktieren, der muss in der Schreibstube aufs Papier gebracht werden. Dieser abgeschriebene Bericht muss vom zuständigen Radiologen freigegeben werden… Das kann schon mal dauern… Dass es dauern kann, hat meinem Freund allerdings niemand gesagt hatte, der angesichts des für ihn folgenschweren Befundes mit baldiger Nachricht rechnete. Somit kann ich seine Wut auf das Krankenhaus verstehen, das Gefühl, dort als Patient 3. Klasse behandelt worden zu sein. Das Gefühl, dass niemand es für nötig hielt, ihn als mündigen Menschen zu behandeln.

Sicherlich war dies nicht so. Dieser Eindruck hatte sich bei ihm am OP-Tag verfestigt und durch diese Brille sah er dann alles weitere. Das eine oder andere Gespräch mit Freunden wird auch Eindruck gemacht haben. Wie, nach der OP kam nicht alle halbe Stunde eine Pflegekraft und hat Blutdruck und Temperatur gemessen? Das ist nicht korrekt! (denn alle halbe Stunde in den ersten 2 Stunden nach der Rückkehr auf Station müssen die Vitalzeichen kontrolliert werden, danach stündlich). Ich aber kann mir vorstellen, dass er die Stunden nach der OP erschöpft vor sich hingedämmert hat, so dass ihm entging, dass regelmäßig eine Pflegekraft bei ihm die Vitalzeichen checkte. Möglich ist das. Und somit ist seine Aussage, dass bei ihm erst gegen Abend, rund 4 Stunden nach der OP, wie üblich Temperatur und Blutdruck gemessen wurden, nicht auf die Goldwaage zu legen.

Zumal er sein allgemein negatives Votum selbst dahingehend abschwächte, dass Auszubildender Andi sehr bemüht gewesen sei und es auch verstanden habe, ihn mit seinen Scherzen zum Lächeln zu bringen (allerdings hätte er es mit der Händedesinfektion nicht so genau genommen). Zudem hätte sich der Urologe, der die Voruntersuchung durchgeführt hatte, für ihn viel Zeit genommen, um ihm die Diagnose und die Konsequenzen zu erklären. Auch der Urologe, der ihn bei der Aufnahme im Krankenhaus noch einmal untersucht hatte, sei sehr freundlich gewesen. Waren auch beide nicht mit einer leserlichen Handschrift gesegnet (aber vielleicht gehört das zum Berufsstand „Arzt“ auch dazu, dass man unleserlich zu schreiben hat, wenn ich mich da an manche ausgestellten Rezepte erinnere…), so gaben sich beide alle Mühe, ihm seine Situation verständlich zu machen und ihn zu beruhigen. Hodenkrebs sei sehr gut heilbar, sagten sie. Gute Chancen… Über 90% Zwar sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man seinen linken Hoden entfernen müsse. Aber das sei der erste Schritt zur Heilung. Und die geringe Menge im Blut gefundener Tumormarker deute daraufhin, dass der Tumor begrenzt und der rechte Hoden nicht befallen sei. Somit würde der gesunde Hoden für zwei arbeiten, kein Problem, für sein Mannsein würde sich somit nichts ändern. Testosteron würde er in diesem wahrscheinlichen Fall als orale Hormongabe nicht benötigen.

Falls man (ein „man“, das so unbestimmt bleiben sollte, weil mein Freund bis heute nicht den Namen des Chirurgen weiß) den linken Hoden entfernen müsse (das entscheidet der Chirurg während der OP durch bloße Begutachtung und seine Erfahrung) müsse man natürlich die histologische Untersuchung des befallenen Hodens abwarten. Denn für das weitere Vorgehen, ob zum Beispiel eine Bestrahlung oder eine Chemotherapie notwendig sei, sei die Art des Tumors entscheidend. Zudem würde eine Biopsie des recht Hodens durchgeführt werden, heißt, durch einen kleinen Schnitt wird eine winzige Menge Gewebe entnommen, um sicherzustellen, dass der rechte Hoden karzinomfrei ist. Aber wie gesagt, sagten beide Urologen: Gut heilbar. Gute Chancen… Viel Glück!

Eine Biopsie war bei meinem Freund nicht gemacht worden. Macht man nicht mehr nach neuen Richtlinien, erklärte der Oberarzt ihm am Tag nach der OP bei der Visite, ohne eigentlich etwas zu erklären. Warum macht man das nicht mehr? Aus welchem Grund wurde die Richtlinie geändert? Was bedeutet dies hinsichtlich der Frage, ob der rechte Hoden gesund ist? Fragen über Fragen, mit denen sie meinen Freund alleine ließen.

Kein Mensch – Hodenkarzinom links

Fragen, die zu weiteren Fragen führten: Warum sagten die Urologen bei der Voruntersuchung und bei der Aufnahme übereinstimmend, dass eine Biopsie durchgeführt werden würde? Waren sie freundlich, kommunikativ, vertrauenerweckend, aber nicht auf dem neuesten Stand der Dinge? Gar inkompetent? Was ist dann von ihrer Einschätzung zu halten, dass Hodenkrebs gut heilbar sei? Kurz: Mein Freund war bis ins Mark verunsichert.

Die beiden genannten Urologen waren ihm kompetent erschienen. Wären sie es nicht, dann wären sie sicherlich auch nicht mit so wichtigen Aufgabe wie Voruntersuchung und Aufnahme betraut gewesen. Oder täuschte er sich in der Wichtigkeit dieser Aufgaben? Waren sie in Wahrheit nur kleine, unbedeutende Rädchen im medizinischen Arbeitsprozess, auf die hinsichtlich einer erfolgreichen Behandlung der Patienten verzichtet werden könnte? War ihre Funktion, die sie mit Gesprächsbereitschaft und Freundlichkeit ausfüllten, vielleicht nur eine Art Zugeständnis an den Wunsch der Patienten als Mensch gesehen zu werden?

Sind Freundlichkeit und Kommunikationswilligkeit vielleicht nur ein Deckmäntelchen für Inkompetenz?

Ja, kann es sein, dass ein gewisses Maß an Unfreundlichkeit, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass nicht mit, sondern über den Menschen im Bett gesprochen wird, und ein gerüttelt Maß an Widerwillen zur Kommunikation mit dem Patienten, ein Widerwillen, der sich in einer abgehakten, von Fremdwörtern strotzenden, nur Fachleuten zugänglichen Aussagesatzsprache äußert, Zeichen von Kompetenz sind? Weil Ärzte nur dann im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten sind, wenn sie mit dem Patienten lediglich als Fall und nicht als Mensch zu tun haben? Weil Ärzte gewissermaßen eines Teiles ihrer medizinischen Kraft beraubt werden, wenn sie sich auf Menschensprache einlassen, wenn sie gezwungen sind, sich Laien verständlich zu machen. Weil die wirklichen Koryphäen auf ihrem Gebiet wahrhaft nur noch mit ihresgleichen kommunizieren können?

Somit wäre die Klinik kein Ort der Kommunikation zwischen Menschen, darf kein Ort der Kommunikation zwischen Mensch und Mensch sein, weil sie ein Ort der Koryphäen ist. Das Bedürfnis meines Freundes, zu erfahren, was passiert ist, erklärt zu bekommen, was passiert, wäre demnach kontraproduktiv. Eigentlich ein Missverständnis. Liegt diesem Bedürfnis doch der Gedanke zugrunde, dass er ein kranker Mensch sei. Wohingegen er doch nichts weiter als ein Hodenkarzinom links ist. Jedenfalls sein sollte, um den Fachleuten die Kommunikation zu ersparen, die sie nur von ihren Aufgaben ablenkt und sie auf das Niveau des Allzumenschlichen hinabzieht. Dieses Missverständnis zu durchschauen, hieße, sich fraglos in die Hände der Fachleute zu überantworten und zu verstehen, dass Unfreundlichkeit und das Fehlen von Kommunikation keine Anzeichen von schlechter Pflege und Betreuung sind, sondern Zeichen des notwendigen Abstandes der Experten von ihren Fällen, um im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten objektiv das Richtige zu tun. Gottvertrauen ist gefragt!

Sähe mein Freund dies ein, so würde sich das schäbige Gefühl verlieren, als Patient 3. Klasse behandelt worden zu sein. Er würde nicht mehr darauf pochen, von den Ärzten als Mensch behandelt zu werden. Hodenkarzinom links. Mehr würde er in medizinischen Zusammenhängen nicht mehr sein wollen. Für menschliche Bedürfnisse gibt es schließlich die Familie, psychologische Beratungseinrichtungen, Seelsorger – oder Freunde wie mich.

Gott bewahre!

Und so erwarte ich jetzt jeden Moment den Anruf meines alten Freundes, der dann hoffentlich Gewissheit hat, welcher Art der Krebs war, der eine Operation notwendig gemacht hatte, weil nun endlich der histologische Befund vorliegt, dessen Ausfertigung sich etwas verzögert hat, wie mein Freund nach einigen Telefonaten herausfand. Warum?, dies konnte ihm niemand sagen. Wann es denn soweit sei, ließ sich nicht voraussagen.

Sicherlich hätte sein Urologe an seinem Heimatort diese Telefonate für ihn geführt, bei seinen Kollegen auf den Busch geklopft, um die Verfassung des wichtigen Befundes zu beschleunigen, oder wenigstens mündlich wichtige Anhaltspunkte für die anstehenden nächsten Schritte zu erhalten. Denn sollte aufgrund der Krebsart – Gott bewahre! Ein eher unwahrscheinliches, aber dennoch realistisches Szenario – eine Chemotherapie notwendig sein, so würde hier schnell gehandelt werden müssen. Aber sein Urologe vor Ort war für zwei Wochen in den wohlverdienten Urlaub gefahren, was leider versäumt worden war, meinem Freund vor seinem Klinikaufenthalt mitzuteilen. An einen Termin bei dem ihn vertretenden Arzt war schwer heranzukommen. Erst war der Anschluss der Praxis ständig besetzt, dann…

Aber schließlich hat es doch geklappt. Mein Freund hat dann noch per Telefon dafür gesorgt, dass der Vertretungsarzt alle Unterlagen erhält („Na, hoffentlich klappt das!“, meinte mein Freund vor einigen Tagen mit müder Stimme). Heute ist dieser Termin. Er war schon vor einigen Stunden. Ich bin schon ganz kribbelig. Nun gut, vielleicht musste mein Freund lange warten, vielleicht – ah, endlich. Das Telefon klingelt.

pT2 L1 R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3

„Ich bin einfach nur müde.“, meinte mein alter Freund am Telefon, „Ich hoffte so sehr, zu erfahren, was genau für ein Karzinom sie aus mir herausgeschnitten haben. Ich mein, diese Information ist doch wichtig, oder? Vor allem wollte ich wissen: Hat die OP dem Krebs den Garaus gemacht oder sind weitere Schritte angesagt?“

Den histologischen Befund hatte er am Morgen vor seinem Termin beim Urologen erhalten. Das Krankenhaus hatte den Brief des Pathologen per Post an meinen Freund geschickt. Was ihn, wie er einräumte, positiv überraschte, hatte er doch nach seinen Erfahrungen mit dem Krankenhaus nicht damit gerechnet, von dort noch etwas zu hören. Allerdings lag dem Befund kein Brief bei, der etwa eine Art Übersetzung der Pathologensprache oder eine Empfehlungen hinsichtlich des weiteren Vorgehens enthalten hätte. Aber nun gut, die uro-onkologische Nachsorge sollte ja auch – wie es in dem vom Krankenhaus zur Entlassung meines Freundes ausgestellten Arztbrief stand – durch den Urologen an seinem Heimatort erfolgen („Entlassung des Patienten … in Ihre geschätzte Weiterbehandlung nach Hause“). Der bzw. seine Urlaubsvertretung würde ihm dem Befund schon erklären können, hoffte mein Freund, der den Befund auf dem Weg zum Vertretungsurologen las, aber nicht verstand.

Auch der Vertretungsurologe hatte den Befund erhalten (noch ein Pluspunkt fürs Krankenhaus, das hatte also geklappt), aber er hatte diesen ebenso wenig wie den Arztbrief des Krankenhauses gelesen. Er überflog beide im Beisein meines Freundes.

„Ja, das sieht doch gut aus!“, meinte er nach Durchsicht des Arztbriefes, „OP gut verlaufen, CT ohne Befund, keine Metastasen.“ Der Urologe blätterte die zwei Seiten des histologischen Befundes hin und her, „Ich würde sagen, der Krebs ist weg!“ Mein Freund atmete auf. „Also war es das für mich. OP und gut.“ Der Urologe blätterte nochmals die zwei Seiten des histologischen Befundes hin und her. „Ja!“, antwortete er.

Mein Freund wollte aber dennoch etwas mehr über den Befund erfahren, über dieses Ding, das an empfindlicher Stelle bei ihm gewuchert war und das eine „Semikastration“, wie es im Befund stand, notwendig gemacht hatte. Was ist ein embryonales Karzinom?, fragte er also. Das ist ein embryonales Karzinom, antwortete der Mediziner.

„Also bin ich zu empfindlich, oder was?“, rief mein alter Freund erbost ins Telefon hinein, „Weil ich denke: Das kann doch nicht wahr sein! Was sollte ich jetzt noch von seiner Prognose halten, dass der Krebs weg ist?“

Er hatte dann den Urologen noch gefragt: „Ist ein embryonales Karzinom ein Seminom oder ein Non-Seminom?“ Denn er hatte gelesen, dass dies die für die weitere Behandlung wichtige Grundunterscheidung bei Hodenkrebs sei.

„Und dann, ich fasste es nicht, holte der ein Urologielexikon aus dem Schrank, setzte sich neben mich und schlug den Begriff nach. Was hat denn die Klinik als weiteres Vorgehen empfohlen?, fragte er währenddessen. Nichts, sagte ich, die Ärzte hatten den Befund nicht vorliegen und haben mich zur uro-onkologischen Nachsorge an ihren Kollegen, also, da dieser im Urlaub ist, an sie weitergereicht.“

„Aha!“, sagte der Urologe, erzählte mein Freund, dann blätterte der Arzt noch etwas im Lexikon herum und meinte dann: Vielleicht sollten wir doch noch eine Chemotherapie machen, nur zur Sicherheit! Aber da sollte man, also sein Kollege, der ja noch eine Woche im Urlaub ist, noch einmal Rücksprache mit dem Pathologen halten und mit dem Leiter der Urologie im Krankenhaus sprechen, um das weitere Prozedere abzuklären…

„Ich bin so geschafft und gleichzeitig so wütend.“, sagte mein alter Freund, „Anderthalb Wochen sind seit der OP vergangen. Es kann doch nicht sein, dass mir niemand sagen kann, was genau für ein Karzinom sie aus mir herausgeschnitten haben und ob jetzt noch weitere Schritte angesagt sind oder ob die OP ausgereicht hat, den Krebs zu entfernen!“

Nein!, gab ich ihm Recht, das darf nicht sein! „Danke dir!“, entgegnete mein Freund mit müder Stimme, „Ich leg‘ jetzt auf. Werd‘ versuchen, jemanden ans Telefon zu bekommen, der mir erklären kann, was pT2 L1 R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3 bedeutet. Denn das scheint mir die Quintessenz des Befundes zu sein. Vielleicht erwische ich ja den Pathologen. Vielleicht jemanden von der Krankenkasse, die haben doch so ein Ärztetelefon. Meinen Hausarzt werde ich auch anrufen, der kennt sich eigentlich immer gut aus, vielleicht weiß er Rat. Aber zuerst rufe ich im Krankenhaus an. Jetzt, da der Befund vorliegt, müssen die mir doch etwas sagen können…!“

Wir verabschiedeten uns voneinander, dann fuhr ich meinen Rechner hoch. pT2 L.1 R0 ICD-O 9070/3 und 9061/3 – mal schauen, ob das Internet hier stichhaltigere Informationen bereithält als bisher die Ärzte meines Freundes. Eigentlich ein trauriger Gedanke.


Nachtrag: Interessante Adressen, die ich im Internet fand:


 

Nachtrag: Die ganze Geschichte in 4 Akten

  1. Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus (rund um die OP nach Diagnose Hodenkrebs)
  2. Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB… (histologischer Befund und die Empfehlung des Tumorboards)
  3. Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp (die Entscheidungsfindung, active surveillance oder Chemo?)
  4. Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen (die Chemotherapie)

 

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