Monatsarchive: November 2014

„Der Tod des Autors“

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Dies war eindeutig einer der aufregendsten Tage meines bisherigen Lebens. Selbst jetzt noch, nachdem endlich alles gut ist, treibt es mir, denke ich an jenen Tag, den Puls in die Höhe. Kein Wunder, schließlich war es nicht nur einer der aufregendsten Tage meines Lebens, es war auch mein Letzter. Denn dort in dieser Telefonzelle in Konstanz, auf dem mit Schmutz und kalten Pommes bedeckten Boden, bin ich gestorben.

Allerdings habe ich diese entscheidende Wende in meinem Leben nicht sogleich bemerkt. Es musste erst jemand kommen, mir die Augen öffnen und meinen gefesselten Geist befreien. Nicht unbedingt etwas, für das man sich rühmen könnte. Bin nicht gerade als leuchtender Stern zu Boden gestürzt. Aber es ist nicht einfach, ein Ende großen Stils zu finden. Doch was soll’s, letztlich hat Imperia, trotz allem, was mir zugestoßen ist, ja gerade wegen all dem, Recht behalten mit ihrer Bemerkung, dass Konstanz mir gut tun würde. Zwar musste ich erst sterben, um zu verstehen, bzw. musste verstehen, dass ich gestorben bin, um endlich einzusehen, wie ich mein Leben zu leben habe. Aber besser spät als nie. Der Autor ist tot, lang lebe der Autor!

Diese meine Aufzeichnungen kommen somit bald an ihr Ende. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt. Nun da Es dort wurde, wo zuvor Ich war, brauche ich die Leiter nicht mehr. Doch der Vollständigkeit halber hier also das Ende meines alten Egos, ein Ende, dem glücklicherweise der Zauber des Anfangs innewohnt.

Nachdem ich mich vom Boden der Telefonzelle erhoben hatte, war ich mit eingezogenem Kopf wie ein geschlagener Hund, begleitet von diesem Kichern, das von überall her zu kommen schien, durch die Gassen der Konstanzer Altstadt zu meiner Pension gehumpelt. Gezittert vor Angst hab’ ich. Schließlich rechnete ich jeden Augenblick damit, dass sich mir etwas in den Weg stellen würde. Was aber nicht geschah, obwohl ich in meinem Kopf eine Stimme hörte, die (was sonst!) This is the end, my friend! sang. Zwar wunderte ich mich, dass die sich nur mehr auf höhnisches Kichern beschränkten und dass selbst dies verstummte, als ich die Tür meines Pensionszimmer hinter mir verschloss, aber eigentlich war ich dermaßen erleichtert, den Kopf so gerade eben noch aus der Schlinge gezogen zu haben, dass mir das Wieso? Weshalb? Warum? ganz unphilosophisch egal war. Drinnen ist gut, draußen ist schlecht. So einfach ist das. Dachte ich.

Es war nicht so einfach. Ich war ängstlich. Ich war geräuschempfindlich. Ich hatte Rückenschmerzen. Ich fühlte mich eingesperrt. Und es wurde schlimmer von Stunde zu Stunde. Das Schreiben half schließlich nur noch bedingt. Ich versuchte mir einzureden, dass ich in meinem Zimmer sicher bin, dass ich nur ausharren muss, bis ich eine Lösung finde. Es half nichts. Der Eindruck, dass meine ganze Existenz an einem hauchdünnen Faden hängt, der mir zudem mehr und mehr aus den Händen gleitet, wurde immer stärker. Ich ahnte, dass ich meinen Zufluchtsort und die relative Sicherheit, die er mir bot, bald würde verlassen müssen und glaubte, dass es gelinde gesagt gut wäre, bis dahin eine Antwort auf die Frage zu haben: Wie werde ich die los?

Auf die Unscheinbare brauchte ich nicht mehr zu hoffen. Das Thema war endgültig durch. Schon allein deswegen, weil ich mein Zimmer nicht verlassen wollte, um mich in Wuppertal auf die Suche zu machen. Zudem hatte ich ja ihre Telefonnummer vergessen.

Ich war auf das Höchste angespannt. Zerbrach etliche Male, während ich meine Erlebnisse zu Papier brachte, unwillkürlich den Bleistift zwischen meinen Fingern. Ein paar Mal war ich sogar – wie ich zugeben muss – beinahe so weit, mich einfach in die Ecke zu kauern, den Rest meiner Schmerztabletten zu schlucken und bitterlich weinend dem Selbstmitleid freien Lauf zu lassen. Dann soll mich halt der Teufel holen!

Er hatte mich schon längst geholt. Es war wirklich die Hölle, in der ich mich quälte, meine ganz persönliche Hölle. Über ihrem Eingang hatten weder die Worte Der, der du hier eintrittst, lass’ alle Hoffnung fahren! gestanden, noch war sie ein geordnetes, geometrisches Gebilde, das strengen Regeln gehorchte, angefüllt mit unzähligen, sündigen Seelen. Nein, in meiner Hölle war ich allein, allein in einem Durcheinander von Gedanken, das ich durch ein Portal betreten hatte, auf welchem die Worte standen: Wieso? Weshalb? Warum? Nicht auszudenken, wenn meine Seele in dieser Finsternis verharrt hätte, wenn ich auf meinem Weg, den ich zugehen hatte, weiterhin auf halber Strecke stehen geblieben wäre…

Aber glücklicher- und überraschenderweise bekam ich einen Führer zur Seite gestellt, der mich ins Licht führte. Doch bevor mir die Erlösung zuteilwurde, wurde mein Nervenkostüm noch auf eine letzte Probe gestellt. Ich beschrieb gerade meinen Zusammenbruch in der Telefonzelle auf der Marktstätte, da klopfte es an meiner Tür. Mein Herzschlag setzte einige Male aus, der Stift glitt mir aus den Händen, ich sah ihn wie in Zeitlupe fallen. Ich weiß noch, dass ich erwartete, ihn mit einem riesigen Getöse aufprallen zu hören, aber er blieb, ohne ein Geräusch zu machen, auf dem Teppich liegen. Auch ich blieb leise. Öffnete zwar meinen Mund zu einem Aufschrei, aber kein Laut kam über meine Lippen. Allmählich drang wie durch Schleier die leise, freundliche Stimme meiner Zimmerwirtin, die meinen Namen rief, an mein Ohr. Und nachdem ich es geschafft hatte, mich halbwegs wieder zu beruhigen, nicht ohne misstrauisch ein Ohr an die Zimmertür gedrückt, diese Stimme auf ihre Echtheit hin abzuhorchen, öffnete ich vorsichtig meine Tür. Es dauerte keine zwei Minuten, und ich bereute diesen Schritt. Überbrachte meine Vermieterin mir doch nichts anderes als die Nachricht, dass ich mein Zimmer am nächsten Morgen um zehn Uhr geräumt haben müsste, da sie schon länger Reservierungen vorliegen habe.

Früher oder später hatte es passieren müssen. Und mit der Wahl meines Zimmers hatte ich Glück gehabt. Andere Zimmerwirte hätten mich wahrscheinlich schon längst auf die Straße gesetzt. Schon nach den ersten Schreien. Trotzdem war ich geschockt, als mir meine Vermieterin das Unvermeidliche mitteilte. Im ersten Impuls hätte ich die zierliche, ältere Dame beinahe an ihrer Strickjacke gepackt und hinausgeworfen, um mich anschließend in meinem Zimmer zu verbarrikadieren. Ich tat dies natürlich nicht. Vielmehr fügte ich mich in mein Schicksal. Ich legte mich ins Bett, schlang die Decke um mich, bis ich beinahe so eng eingepackt war wie zu Gipsbett-Zeiten, und atmete gegen meine Rückenschmerzen an. Kurz: Ich hoffte auf ein Wunder. Doch als es wirklich eintraf, hätte niemand überraschter und überwältigter sein können, als ich es war.

2.

Regen prasselte gegen die Jalousie vor dem Fenster. Es donnerte. Blitze drangen durch Ritzen der Jalousie, die ich seit Tagen heruntergelassen hatte. Der stürmische Wind wehte Kirchenglockengeläut herbei. Es klopfte an der Tür. Nein! schrie ich auf, wähnte ich doch schon den Moment gekommen, da ich meine Zuflucht verlassen musste.. Nein, murmelte ich, die Decke über den Kopf ziehend, beruhige dich, es war nur ein Donner! Aber da konnte ich noch so oft beschwörend Es donnert! Nur der Donner! murmeln, daran, dass da jemand (oder ein Etwas?!) an meine Tür klopfte, ja, hämmerte, führte kein Weg vorbei. Took! Took! TOOOOK! Es war unüberhörbar. TOOOOK! Und dann…?! Ja, und dann rief plötzlich diese Stimme: »Jung’, ich weiß, dass du da drin bist! Mach’ schon! (ich traute meinen Ohren nicht) Oder willst du mich hier draußen verschimmeln lassen? (konnte das sein?) Du musst mich schon reinlassen (seine Stimme?) Jung’! Sonst wird das nix!« Took! Took! (und was, wenn es ein Trick ist?) Doch da hatte ich mich bereits gegen alle Vorsicht von der Aussicht überwältigen lassen, dass es wahr sein könnte, und die Tür geöffnet.

Und es war wahr. Mir war, als würde ein riesiger Stein von meinem Herzen gerollt. »Junge, Junge, Holland ist ganz schön in Not, was?!«, bemerkte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, dann rollte mein Opa in mein Zimmer hinein, »Aber wo viel Feind, da viel Ehr!« Opa rollte am Bett vorbei zum Fenster, »Also Jung’, jetzt heißt‘s den Arsch zusammengekniffen und durch!«

Er zog mit einem Ruck die Jalousie hoch. Als es in diesem Moment blitzte es, sank ich ehrfürchtig in die Knie. Das plötzlich aufflammende Licht ließ Opas Gestalt auf ein Vielfaches ihrer Größe anwachsen. Einen Moment lang schien er im Licht zu schweben. Dann forderte er mich auf, mich neben ihn auf den Boden zu setzen: »Jung’!«, sagte er mit Nachdruck, seine Hand auf meine Schulter legend, »was ich dir nun erzählen werde, wird dir nicht gefallen, jedenfalls anfangs nicht! Also hör’ gut zu! Unterbreche mich nicht, es sei denn, ich stelle dir eine Frage! Hast du verstanden?« Da ich kein Wort über die Lippen brachte, nickte ich nur. »Gut!«, meinte Opa zufrieden, »so soll es also sein!«

Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und sprach: »Ich bin hier, um dir die Augen zu öffnen. Du stehst an einem Scheideweg, und ich wurde geschickt, um dir die Wahl zu erleichtern. Wohlgemerkt nicht, um dir die Wahl abzunehmen. Denn der Herr legt Wert auf freie Willensentscheidungen. Der freie Wille ist geradezu das Fundament Seiner Herrschaft!«

Opa musste bemerkt haben, dass ich nach der Identität dieses Herrn fragen wollte, denn er schnitt mir mit einer unwirschen Handbewegung das noch nicht erhobene Wort ab.

»Ich muss nicht hier sein!«, sagte er dann, und er sagte es in einem ziemlich ruppigen Tonfall, »Du hast die Wahl! Kannst mich sagen lassen, was ich zu sagen habe! Oder (er packte die Räder seines Rollstuhls und machte mit ihm eine Bewegung hin zur Tür) es bleiben lassen!« Als Antwort klammerte ich mich am Rollstuhl fest und legte meinen Kopf ergeben an eine seiner Hände, die gelassen auf den Rädern ruhten. »Jung’, Jung’!«, meinte mein Opa dann, wieder mit sanfter Stimme, mir dabei eine Hand auf die Schulter legend, »keine Sorge, das kriegen wir schon hin! Lass’ das mal den Opa machen! Und jetzt lass’ los!«

Ich tat wie geheißen, und Opa rollte zum Tisch. Dort nahm er meine Aufzeichnungen zur Hand, er schien ihr Gewicht abzuschätzen. Dann klopfte er mit dem Handrücken auf den Stapel Papier: »Erstmal: Respekt, einen solchen Stapel zustande zubringen! Aber du redest bis zum bitteren Ende dermaßen um den heißen Brei herum, dass man dir am liebsten den ganzen Schinken um die Ohren hauen möchte! Und ich denk’ die ganze Zeit: Ist das mein eigen Blut? Anfangs ist dieses Rumlavieren noch witzig, aber irgendwann reicht es einem und man will, dass du die Hosen herunterlässt!«

Opa blätterte mit ernstem Gesicht in meinen Aufzeichnungen herum: «Ach Jung’, warum hast du es nicht wenigstens einmal ausgesprochen? Es tut mir in der Seele weh, dies sagen zu müssen, aber es sieht ganz danach aus, als seist du ein Schwätzer! Und einen Maulhelden hatte ich damals, als ich von den Dichtern und Denkern sprach, nun wirklich nicht im Sinn. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass alles erstunken und erlogen ist, die Kopfgeburt eines frustrierten Philosophiestudenten. Oder liegst du vielleicht noch immer in deinem Gipsbett? Bist ihm nie entronnen? Gefesselt von deinem schmerzenden, deformierten Rücken hast du dir ein anderes Leben zusammen gesponnen. Bist du ein Schwätzer? Ist Deine Schwester etwa noch springlebendig? Leben Deine Eltern vielleicht noch? Sucht Udo etwa immer noch seine Rockbitch? Und überhaupt die ganzen Mädchen und Frauen? Was ist zum Beispiel mit Carmen? Lässt sie sich immer noch von ihrem neuen Lover vernaschen? Hast du vielleicht nur das Tier im Rhetorikerpelz gespielt?«

Mir fiel zwar nichts zu meiner Verteidigung ein, aber unwidersprochen wollte ich die Worte auch nicht lassen. So sprang ich auf und sprach: »Aber…!« Doch Opa wischte meinen Widerstand mit einer Handbewegung weg: »Das waren keine Fragen, auf die du antworten sollst! Spitz’ die Ohren!« Er schlug auf meine Aufzeichnungen: »Unfälle! Ha! Selbstmorde!«, und schlug, »Zufälle! Nichts als Andeutungen und Zweideutigkeiten! Warum redest du kein Tacheles? Was glaubst du? Jetzt antworte!«

In meiner Verwirrung fiel mir aber nichts weiter als eine Gegenfrage ein: »Carmen? Lässt sie sich wirklich immer noch von diesem Typ vernaschen?« Kaum hatte ich das ausgesprochen, wusste ich auch schon, wie dumm dies von mir gewesen war, und zog, in Erwartung einer deftigen Rüge, den Kopf ein. Opa aber kicherte und rief theatralisch aus: »Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Vom Himmel!«, lachte er und rutschte ganz außer sich auf seinem Sitz herum, »Vom Himmel, ha! Das ist gut!« Schließlich beruhigte er sich wieder: »Spaß beiseite! Du weißt so gut wie ich, dass man in dem Bett, in dem dieses Weibsstück heute liegt, nur noch von Würmern vernascht wird! Um uns aber weitere Peinlichkeiten zu ersparen, will ich dir nun sagen, weswegen die Kacke am Dampfen ist, stärker am Dampfen, als es dir klar ist und lieb sein kann!«

Während Opa die letzten Worte aussprach, bekam seine Haut etwas Durchscheinendes, und einen schrecklichen Augenblick lang meinte ich, Würmer unter seiner Haut wimmeln zu sehen. Doch dieser grausige Eindruck verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, denn nun sprach Opa mit feierlichem Nachdruck in der Stimme:

»Um es in deiner Sprache auszudrücken: Es ist der Wurm des schlechten Gewissens, der an dir nagt! Der an dir nagt, seitdem du begonnen hast zu tun, was du tun musst! Du leidest an der Erbsünde des Bösen, von der man sich nur in einem reinen Akt der Bosheit befreien kann. Und zu dieser reinen, unverstellten Bösartigkeit warst du bislang nicht fähig. Das ist es, was dein Buch auf Schritt und Tritt offenbart. Es ist das schlechte Gewissen, das den Ton angibt, und deswegen – und jetzt setzt du dich besser wieder hin – bist du letztlich zerbrochen!

Ja, mein Junge, zerbrochen! Da kannst du noch so ungläubig gucken! Glaubst du wirklich, dein alter und vor allem toter Opa wäre hier, wenn nicht etwas wirklich Einschneidendes vorgefallen wäre?«

[…]

Cover_Abschied_Boscher_kleinEnde der Leseprobe aus Boschers Roman „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ (Neuntes Kapitel „Der Tod des Autors“, in der Taschenbuch-Ausgabe des Romans die Seiten 219-225).

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Eine Lebensgeschichte voller skurriler, ja grotesker Momente. Wir begegnen interessanten Charakteren (mit meist nur kurzer Lebenserwartung) und dämonischen Gestalten. Würzig abgeschmeckt wird das Ganze mit einem Hauch von Philosophie, einem satten Pfund Sex and Crime, einer guten Prise Wahnsinn und zwei Messerspitzen Horror.

„Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ – ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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Ein Blick hinter die Buchstaben… Fragen an die Schriftsteller B.C. Schiller

Spannende Romane, faszinierende Geschichten, Figuren, die sich den Leserinnen und Lesern einprägen – ohne die Möglichkeiten des Self-Publishing wären vielleicht viele literarische Schätze nach wie vor verborgen geblieben. Aber seit einigen Jahren ist die Auswahl jenseits der Verlagswerke größer geworden – und das interessante, breit gefächerte Angebot in Eigenregie publizierender Autoren wird, wie z.B. die Bestsellerlisten bei Amazon zeigen, mit Begeisterung angenommen. Einigen dieser Autorinnen und Autoren aus der Self-Publisher-Szene habe ich einen Fragenkatalog vorgelegt. Ich fragte, was mich als Leser oder als Kollege interessierte. Diese so entstandenen „Interviews“ werde ich in loser Folge auf meinem Blog veröffentlichen.

Ich danke allen, die sich meinen Fragen gestellt haben und so allen Interessierten einen Blick hinter die Buchstaben ihrer Bücher gewähren.

Ralf Boscher

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Heute zu Gast auf Boschers Blog: B.C. Schiller

Hallo Barbara, hallo Christian, schön, dass ich Euch auf meinem Blog begrüßen darf! Um gleich einzusteigen:

Was seht Ihr als Euren bisher größten schriftstellerischen Erfolg an?

Das ist die Thrillerreihe mit dem unkonventionellen Chefinspektor Tony Braun. Mit seinem 4. Fall „Der stille Duft des Todes“ hielten wir uns mehrere Wochen auf Platz 1 im Gesamtbestsellerranking von Amazon.
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Wer ist Dir Barbara die liebste Figur in einem Eurer Romane oder in einer Eurer Geschichten? Und welche Figur ist Dein Favorit Christian?

Barbara: Ich mag den ruppigen Charme unseres Chefinspektors Ton Braun. Er ist ein Mann, in den man sich verlieben kann.
Christian: Mein Favorit ist unser Ex-Agent und Hundeflüsterer David Stein. Das ist eine sensible Kämpfernatur mit intellektuellem Touch.

Wer ist Euch die liebste von Euch nicht erschaffene Figur in einem Roman oder einer Geschichte?

Das sind Harry Hole von Jo Nesbo und Thomas Lynley von Elizabeth George

Der für Euch gelungenste erste Satz einer Eurer Geschichten?

Barbara: Töten ist ganz einfach sagen die Stimmen in meinem Kopf.
Christian: Der Tag an dem Tom Nowaks Frau sterben würde, begann vielversprechend.

Wenn Ihr nicht Schriftsteller, sondern Musiker wäret – welche Musik würdet Ihr machen?

Christian: Ich würde als DJ arbeiten und House Musik, Techno und Worldmusic mixen.
Barbara: Ich würde Christian zuhören.

Was macht einen Menschen zum Schriftsteller? Das Schreiben oder das Gelesen werden? Oder…?

Das Talent mit seiner Phantasie Geschichten zu erfinden und diese niederzuschreiben macht einen Schriftsteller aus.

Eure Einschätzung: Ist es förderlicher für eine gute Schreibe, mit der schriftstellerischen Arbeit seine Brötchen zu verdienen oder einem anderen Brotberuf nachzugehen?

Natürlich soll man mit dem Schreiben seine Brötchen verdienen. Schließlich wird man ja immer besser, wenn man davon leben kann.

Von der Grundidee zur fertigen Geschichte: Ist das bei Euch ein gerade Weg oder passiert es Euch, dass Ihr Euch weit von der Grundidee entfernt?

Das ist meist ein gerader Weg – die Grundidee steht immer.

Welcher Art sind die Szenen, die für Euch die größten Herausforderungen stellen?

Das sind Szenen, die eine Aktion aus unterschiedlichen Point-of-Views beschreiben. Dabei muss immer die Spannung gehalten werden und man darf sich nicht wiederholen.

Was bereitet Euch die größte Freude beim Schreiben?

Die größte Freude ist es, sich neue Ideen für seine Leser auszudenken.

Der für Euch wertvollste Schreibtipp, den Ihr erhalten habt?

Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und vor allem: täglich zu schreiben.

Manchmal noch Papier und Stift? Oder nur noch Schreiben am Rechner?

Nur noch Schreiben am Rechner – manchmal aber auch kreatives Ideensammeln mit Zetteln am Meer.

Welches Schreibprogramm nutzt Ihr?

Ein simples Word

Schreibzeiten: Wann schreibt Ihr? Schreibt Ihr an festgelegten Uhrzeiten oder setzt Ihr Euch zum Beispiel pro Tag eine Zeichenmenge?

Wir haben keine festgelegten Zeiten, schreiben aber täglich zwischen fünf und zehn Seiten.

Wie viel Zeit verwendet Ihr am Tag für das Marketing? Und welche Kanäle nutzt Ihr für die Werbung?

Vor einem Buchrelease 3-4 Stunden täglich ansonsten ca. eine Stunde täglich mit Fans und Kollegen.

Bereitet Euch das Schreiben größere Freude, seitdem es mehr Möglichkeiten der Veröffentlichung gibt (E-Books, Selfpublishing…)?

Wir schreiben ja erst seit es Selfpublishing gibt.

Die „Thomas Mann“-Frage: Barbara, Du schreibst, Dein Mann kommt herein oder ein guter Freund ruft an oder Dein Kind möchte etwas von Dir wissen – verbittest Du Dir die Störung, weil Du schreibst, oder lässt Du Dich auf die „Planänderung“ ein? Und bei Dir Christian? Geht es Dir wie Barbara?

Wir sind da flexibel, aber wenn wir mitten im Schreibprozess sind, dann schalten wir das Handy aus und checken unsere Mails nur einmal täglich.

Die „Charles Bukowski“-Frage: Haltet Ihr Alkohol für eine sinnvolle Stimulanz beim Schreiben?

Nein, beim Schreiben ist Alkohol absolut tabu; aber als Belohnung am Abend, nachdem wir eine spannende Szene geschafft haben, trinken wir gerne einen guten Wein.

Ihr geht schlafen, liegt bereits im Bett, das Licht ist aus – da kommt Dir Barbara eine Schreibidee in den Kopf: Stehst Du dann auf und notierst Dir die Idee? Und Du Christian? Wie gehst Du mit solch nächtlichen Ideen um?

Wir notieren uns diese Ideen auf dem Handy, das neben dem Bett liegt.

Habt Ihr mit einer Geschichte abgeschlossen, wenn Ihr unter sie ein „Ende“ gesetzt habt?

Ende ist Ende, denn die Story ist fertig. Aber dann beginnt die harte Phase der Überarbeitung. Erst nach dem zweiten oder dritten Durchlauf ist für uns wirklich ENDE.

Vielen Dank Barbara, vielen Dank Christian, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, diesen „Blick hinter die Buchstaben“ zu ermöglichen!

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„Thriller müssen fesseln und mitreißen“ (Quelle)

Auf das schriftstellerische Konto von B.C. Schiller gehen mehrere Thriller-Bestseller in den eBook-Charts. B.C. Schiller sind das aus Österreich stammende Autoren-Duo und Ehepaar Barbara und Christian Schiller (Quelle).

Emotional mitreißende Thriller – diese liegen dem Kreativgespann am Herzen. „Entscheidend ist, den Leser auf eine emotionelle Reise mitzunehmen, ihn soweit zu verführen, dass er gemeinsam mit den Hauptfiguren Lust und Frust, Freude und Leid hautnah miterlebt.“ (Quelle)

Dabei fließen auch die beruflichen Erfahrungen der beiden Autoren in ihre Romane ein: Die „teilweise abenteuerlichen Erlebnisse in osteuropäischen und ex-sowjetischen Staaten“, die Barbara Schiller als Marketingagentin für Unternehmen in Osteuropa hatte. Die journalistische Arbeit, durch die Christian Schiller mit der Psyche von Verbrechern in Berührung kam (so interviewte er z.B. für ein Radiofeature den österreichischen Serienmörder Jack Unterweger) Quelle.

Homepage von B.C. Schiller
Amazon-Autorenprofil
Wikipedia-Artikel über B.C. Schiller
Facebook-Seite des Autoren-Duos

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Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen

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„Jetzt wird der Krebs wieder konkret. So konkret, wie er seit der OP und seitdem die Operationswunde verheilt ist, nicht mehr gewesen war. Es hatte keine Schmerzen mehr gegeben. Keine Zeichen dafür, dass etwas in einem ist. Der Krebs als reale Möglichkeit, als eine Aufgabe, die einer Lösung harrt, als eine Frage, die nach einer Antwort verlangt, war zwar da. Doch mehr schwarz auf weiß als im bunten Alltag. Man las von ihm, spürte ihn aber nicht. So schien er mehr eine andere, eine dritte Person zu betreffen, als einen selbst. Man hätte ihn vergessen können…

Nun aber kehrt der Krebs in den Alltag zurück. Die Zeit, in der ich Verstand und Herz disziplinieren musste, um für eine Entscheidung, mit der ich mein restliches Leben würde leben können, den nötigen Abstand zu gewinnen, ist vorbei. Keine Dritte Person mehr. Kein Überlegen, informieren, abwägen. Ab jetzt ist nicht mehr Urteilsvermögen gefragt, sondern Durchhaltewillen. Ich.

Und ich will eine positive Einstellung an den Tag legen. Alles ist gut. Das Misstrauen, dass sich seit dem Tag der Hoden-OP vor allem gegenüber Ärzten aufgebaut hatte, will ich vergessen. Mein Gang in die Klinik soll ein Sprung ins Vertrauen sein. Für mich ist gut gesorgt. Und ich sorge gut für mich. Ich habe gelesen, dass Rauchen die Wirkung der Zytostatika behindert, ja verringert, also nehme ich mir fest vor, während der Chemo keine Zigaretten anzupacken.

Und so geht es in die Klinik. Cisplatin (P), Etoposid (E) und Bleomycin (B) – dies sollen nun meine besten Verbündeten gegen ein erneutes Tumorwachstum sein. Ein wahrlich wirkungsvolles Trio aus der pharmazeutischen Giftküche – und in ihrem Zusammenwirken dafür verantwortlich, dass die Sterblichkeitsrate bei Hodenkrebs seit Jahren so beruhigend stark gesunken ist. My deadly Friends.(per E-Mail)

Ich hatte ihn während seiner Chemo nur zweimal kurz am Telefon gesprochen, dann hatte er aufgelegt. „Zu anstrengend!“ Besuche wollte er überhaupt nicht erhalten. Am Abend des ersten Tages seiner Chemo postete er einen kryptischen, nur für Eingeweihte verständlichen Statusbericht auf Facebook. Dann und wann verschickte er eine sms an seine Freunde mit einem Kürzestbericht zum Stand der Dinge. Angesichts dessen, dass sein Kommunikationsbedürfnis so extrem heruntergefahren war, erstaunte mich dann doch die E-Mail, die ich von ihm erhielt: „Ich bin auf deinen Spuren gewandelt.“, schrieb er mir, „Hab mich einfach an den PC gesetzt und geschrieben. Hatte schon das Gefühl zu verblöden, so sehr schlug die Chemo auf meine Konzentration. Da war das Schreiben für mich wie so eine Art „Gehirn-Walking“. Und wenn dir das Ergebnis einigermaßen sinnig erscheint, kannst du auch diesen letzten Teil meiner Krebsgeschichte gern auf deinem Blog posten. Vielleicht ist das für den einen oder anderen ja interessant.“ Hier also der von mir mit Bildmaterial ausgestattete letzte Teil der Hodenkrebsgeschichte meines alten Freundes in seinen eigenen Worten.

Zum Hintergrund:

1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie

I. Der stationäre Teil meiner PEB Chemo

PEB_Plan_www.urologielehrbuch.de

PEB Chemotherapieplan, Quelle: http://www.urologielehrbuch.de/PEB.html

 

Eröffnungsveranstaltung sehr gut gelaufen!
„Friendly Poison“ – eine Themenwoche, die unter die Haut geht!
Publikum und Veranstalter zeigten sich nach der gestrigen Premiere äußerst zufrieden.
„Der Anfang war ein wenig kribbelig, aber das ist normal. Es gilt erst einmal einen Zugang zum Thema zu finden – und der liegt nun einmal nah am Herzen.“
„Also mir lief das gut rein, weiter so!“

(Facebook Status)

„Hinein damit!“

Montagmorgen um 7.30 Uhr betrat ich das Krankenzimmer. Der Krankenhaus-Urologe, der mich die 5 stationären Tage über (sehr gut!) betreuen und auch jeweils die Zytostatika-Infusionen anhängen würde, begrüßte mich. Er informierte mich, was an diesem Tag alles anstehen würde, beantwortete meine Fragen. Weil die Voruntersuchungen (Bluttests, u.a. Tumormarker, Leber, Niere, Sonographie, Lungenfunktionstest, EKG, Neurokonferenz, Hörtest beim HNO-Arzt) keine Ergebnisse erbracht hatten, die gegen eine Chemotherapie sprachen, ging es dann los, wie geplant.

Häufige Nebenwirkungen einer PEB Chemotherapie

Häufige Nebenwirkungen einer PEB Chemotherapie

Ich händigte dem Doc die von mir unterzeichnete Patientenaufklärung aus, die u.a. über die häufigen Nebenwirkungen einer PEB-Chemotherapie aufklärte, welche auftreten, weil Zytostatika keinen Unterschied zwischen Krebszellen und gesunden Zellen machen. Dann wurde ich auch schon mitsamt Bett auf die Intensivstation gefahren, damit ein Anästhesiearzt mir das Zentrale Venenkatheder (ZVK) legt (ZVK weil dieser schonender sei, als das tägliche Legen einer Viggo und die Zytostatika die kleineren Venen angreifen. Der ZVK verbleibt bis zum Ende der 5 stationären Tage).

Das Legen des ZVK war in den 5 Tagen Krankenhaus die unangenehmste Erfahrung. Während der gut Dreiviertelstunde, die es dauerte, bis das Katheter richtig lag (ultraschallgestützte Anlage, 18cm rein, bis zum Herzvorhof vorschieben, dann ca. 1cm zurückziehen bis EKG wieder normal, dann liegt ZVK richtig), musste ich einige Male ins Bettlaken greifen. Doch als es einmal lag (und an der Haut vernäht und verpflastert war), machte das ZVK keine Probleme mehr. Ich hatte mich, weil ich meist auf der rechten Seite schlafe, für die linke Halsbeuge entschieden. Das war die richtige Entscheidung. Das ZVK störte insgesamt weniger als ein venöser Zugang in einer Armvene.

Zurück auf Station ging es dann mit der Chemo los. Oral erhielt ich Emend 125mg, eine Kotzbremse erster Güte, bzw. um es mit einem Fachwort auszudrücken: Ein sehr wirksames Antiemetikum. Dann kam mein Doc und bald hing mein Galgen voll mit Beuteln. Dies lief am Tag 1 in mich hinein: Infusion Granisetron („Antikotz“) & Dexamethason („Entzündungshemmer“). Dann Infusion NaCl für Spülung. Dann Infusion des ersten Zytostatika Bleomycin und gleichzeitig Infusion Mannitol (osmotisches Diuretikum, soll Nierenschädigungen durch Zytostatika vorbeugen, „Nephrotoxizitätsprophylaxe“, und deren Ausscheidung über die Nieren fördern, „renale Elimination“). Wieder NaCl. Dann das erste Mal Infusion Cisplatin. NaCl. Dann Infusion Etoposid. Wieder NaCl-Lösung und wieder (bis zur nächsten Runde Chemo wird Flüssigkeit zugeführt).

Ich hatte gelesen, 2-3 Stunden nach der ersten Cisplatin-Infusion würde (wenn man denn zu diesen unglücklichen Menschen gehört) die Übelkeit beginnen. Ich verschlief diesen Zeitpunkt. Konnte ihn verschlafen, weil nach 2-3 Stunden nichts passierte.

Es passierte auch den Rest der stationären Woche nichts Gravierendes: Keine Übelkeitsattacken, keine gravierenden Nebenwirkungen. Halleluja! Ein Hoch auf die Antikotz-Medikamente. Ein Hoch auf was auch immer, dass ich zu den Patienten gehörte, die die Chemo gut vertrugen. Ja, Friendly Poison…

So verging meine stationäre Woche: Medizinischer Höhepunkt jeden Tages war die vom Doc in die Wege geleitete Chemotherapie. Die Infusionen liefen jeden Tag wie auch Tag 1 ab, mit dem Unterschied, dass an den Tagen 2-5 keine Bleomycin-Infusion stattfindet (und dass statt Emend 125mg oral Emend 80mg gegeben wird). Dauer der Chemo circa 3 Stunden.

Hinein damit! Die Tage in der Klinik waren ein einziges langes Gefüllt- und Gespültwerden. Irgendeine Flüssigkeit lief immer in mich hinein. Zusätzlich trank ich mindestens 3 Liter Wasser am Tag. Die Folge: Bereits am zweiten Tag brachte ich 6 Kilo mehr auf die Waage – und das obwohl ich alle halbe Stunde meine Blase entleeren musste. Ich las, hörte Musik über meine Kopfhörer oder schlief abwechselnd. Dann ging es wieder auf die Toilette, pinkeln. Mehrmals am Tag schob ich den Galgen zum Wasserkasten neben dem Schwesternzimmer, um mich mit Nachschub zu versorgen. Ich versuchte, mich zu bewegen. Wobei ich spürte, dass ich langsam machen sollte. Die Zytostatika zerrten an meinen Kräften (wobei ich einfach nur „schlapp“ war, von wirklicher Erschöpfung konnte keine Rede sein). Also ab ins Bett. Wieder schlafen. Auf Toilette usw.

Viele Chemopatienten haben Probleme mit ihrem Appetit, können Lebensmittel nicht riechen: Bei mir davon keine Spur. Zwar hatte ich manchmal einen metallischen Geschmack im Mund oder meinte, etwas Metallisches zu riechen, aber das wirkte sich nicht auf meinen Appetit aus. Ich aß die ganz normale Vollkost (leckeres Krankenhausessen übrigens), selbst auf meinen Kaffee musste ich nicht verzichten, verhielten sich meine Schleimhäute doch robust, so dass ich in der ersten Chemowoche keinerlei Verträglichkeitsprobleme hatte.

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Randbemerkung zum Thema „Vertrauen / gut versorgt“

Zweimal wurden in dieser stationären Woche die Blutwerte bestimmt (Mittwoch und Freitag am letzten Tag), meine Blutwerte waren je im normalen Bereich. Ich bekam kein Fieber, mein Blutdruck war normal. Selbst mein Stuhlgang pendelte sich mit Hilfe von Macrogol ein. Bis zum Ende der Woche ging mein Gewicht herunter, am Freitag wog ich 4 Kilo weniger als noch den Dienstag zuvor. Ich hatte mehr Flüssigkeit ausgeschieden als aufgenommen (aufgenommen hatte ich mindestens 6 Liter jeden Tag).

Nachdem mir eine Krankenschwester ohne Probleme am Freitagnachmittag das ZVK („tief Luft holen, tief ausatmen…“) gezogen hatte, konnte ich heim. Ich war geschafft, aber sehr froh, wie die Woche verlaufen war. Meine erste Woche mit „Friendly Poison“ war doch sehr freundlich abgelaufen – und ich hatte es tatsächlich geschafft, nicht zu rauchen.

 

II. Der ambulante Teil meiner PEB Chemo

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Der „ambulante Teil“ – das klingt doch gegenüber „stationärem Teil“ vergleichsweise harmlos. „5 Tage jeden Tag eine mehrstündige Chemositzung“ klingt gewichtiger als an den Tagen 8 und 15 innerhalb von nicht einmal einer halben Stunden noch einen Bolus von je 1x Bleomycin zu erhalten…

„Bis in die Haarspitzen“

Die Tage in der Klinik zuvor waren ein einziges langes Gefüllt- und Gespültwerden. Beides fand nun nicht mehr statt. Die einzigen Medikamente, die ich an den Tagen 6 & 7 nehmen sollte, waren das Mittel gegen Übelkeit Emend 80mg und der Entzündungshemmer Dexamethason. An Tag 8 stand als Bolus die Bleomycin-Infusion an.

Da ich nach wie vor sehr häufig Wasserlassen musste (mindestens alle halbe Stunde), sah ich es weiterhin als wichtig an, viel zu trinken. Mindestens 3 Liter Wasser am Tag, das hatte ich mir vorgenommen (was in diesen Tagen kein Problem war, weil ich ständig Durst hatte).

Ich fühlte mich gut. Wobei ich im Verlauf der Tage spürte, dass die Schlappheit, die mich immer wieder überkam, eine andere Qualität annahm. In der Klinik war mein Körper, so erschien es mir, passiv gewesen. Ein Gefäß, dass es zu füllen galt. Jetzt war mein Körper gefüllt, ich fühlte mich „bis in die Haarspitzen voll“ – und er wurde Hand in Hand mit den Friendly Poison sehr aktiv.

In mir arbeitete es auf Hochtouren, die Zytostatika hatten ihr Werk aufgenommen – und so war meine Schlappheit in den Tagen 6 bis 9 immer weniger von der Art „müde“, sondern nahm Formen der Erschöpfung an.

Die Infusion von Bleomycin am Tag 8 verstärkte den Wirkprozess. Meine Sorge, dass die erneute Zytostatika-Gabe (Dauer der Infusion eine halbe Stunde) mein gutes Gefühl ändern würde, bewahrheitete sich nicht. Als sehr beruhigend empfand ich es, dass laut Labor alle meine Blutwerte normal waren. Ich erhielt auch keine unterstützenden Mittel wie einen Übelkeitshemmer, weil der Onkologe nicht mit Nebenwirkungen rechnete. So kam es auch. Keine Übelkeit. Ich fühlte mich gut. Vielleicht noch etwas erschöpfter als zuvor, aber gut.

Gleichwohl ging mit der Erschöpfung eine Art geistiger Schwäche einher. Ich hatte den Eindruck, mich weniger gut konzentrieren zu können. Ein Buch lesen empfand ich nun als zu anstrengend. Tippte ich ein paar Zeilen auf dem Computer, so merkte ich, wie schwer es mir fiel, die richtigen Tasten zu treffen und mich an Rechtschreiberegeln zu halten.

Kommunizieren empfand ich im zunehmenden Maße als anstrengend, vor allem in Form von Telefonaten. Hier wird auch eine Rolle gespielt haben, dass sich zwischenzeitlich ein beidseitiges leises Ohrengeräusch bei mir bemerkbar machte, nicht so schlimm, dass ich von Tinnitus sprechen würde, nicht so schlimm, dass ich nicht hätte darüber hinweg hören können (vor allem mit dem Wissen, dass es nach der Chemo auch wieder weggehen wird), aber dennoch da.

Aber, wie gesagt, mein Grundempfinden war, dass es mir gut ging. Ich war halt ein Organismus unter Hochlast. Dies zeigte sich auch an meinem Gewicht: Von Tag 6 bis zum Tag 10 der Chemo nahm ich fast 4 Kilo ab. Dabei aß ich gut (und dank meiner Liebsten auch gesund). Zwar waren von Tag zu Tag meine Magen- und auch meine Hals- und Mundschleimhäute empfindlicher geworden (auf meine Tasse Kaffee musste ich verzichten). Aber ich hatte keine Schmerzen. Es traten keine Entzündungen der Schleimhäute auf, sehr schmerzhafte Entzündungen in der Mundhöhle, im Magen, im Darm, die leider viele Chemopatienten quälen. Ich hatte Glück. Hatte Durst und hatte Appetit. Konnte eigentlich essen, auf was ich Lust hatte. Es gab einige Momente, in denen ich mir erlaubte zu denken: Vielleicht gehörst Du ja wirklich zu den Glücklichen, die eine Chemo über die ganze Distanz ganz gut vertragen.

Ach ja, ich ging jeden Tag ein wenig spazieren (hatte mir Nordic Walking Stöcke gekauft) und – ich war natürlich stolz wie Oskar – ich hatte nach wie vor keine Zigarette angepackt. Da musste es doch einfach weiter gut laufen…

„System down“

30 Mio.E.0,5ml Filgrastim
Es passiert nicht bei allen PEB Chemopatienten, aber bei vielen, und wenn es passiert, dann um den Tag 10 herum – wie bei mir: Die Zahl meiner weißen Blutkörperchen ging in den Keller. Somit fuhr mein Immunsystem nahezu komplett herunter.

Es geschah, schien mir, von jetzt auf gleich. Ohne Vorwarnzeit. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr nur erschöpft, sondern total ausgelaugt, bis ins Mark ausgesaugt. Ich hatte das Gefühl „immer weniger“ zu werden – und dass obwohl ich plötzlich begann, wieder an Gewicht zuzulegen.

Was den Eindruck der Schwäche verstärkte, war, dass zudem meine Oberschenkel zu schmerzen begannen. Sie schienen mein Gewicht nicht mehr zu tragen, meine Beine knickten manchmal weg. Auf einem Bein stehen, um in eine Hose zu schlüpfen, ging nicht mehr. Laufen fiel schließlich schwer.

Ich war bedient – und nur froh, dass ich an Tag 11 einen Termin beim Onko-Doc zwecks Bestimmung der Blutwerte vereinbart hatte. Ich machte mir große Sorgen, dass die Schmerzen und meine Gehschwäche etwas mit den Nerven zu tun haben könnten (eine der Nebenwirkungen einer PEB Chemo, die gerne irreversibel ist).

Was meine Beine anging, konnte mich der Doc nach einigen Test beruhigen, keine Nervenangelegenheit, sondern Muskelschmerzen und -schwäche als eine späte Nebenwirkung des Cisplatin.

Beunruhigend entgegen waren meine Blutwerte, denn seit dem letzten Labor 4 Tage zuvor war die Anzahl meiner Leukozyten so stark gesunken, dass meine Immunabwehr quasi nicht mehr vorhanden war.

Das bedeutete: Prophylaktisch ein Antibiotikum schlucken (Ciprofloxacin 500mg, 2x täglich) und 1x täglich einen Wachstumsfaktor für weiße Blutkörperchen subkutan spritzen (30 Mio.E./0,5ml Filgrastim, dass das Knochenmark anregt, weiße Blutkörperchen zu produzieren). Kontrolle der Laborwerte am Morgen des Tages 15, einem Montag, dem Tag, an dem die nächste und letzte Chemo-Infusion stattfinden soll. Dann schickte mich der Onkologe mit der Auflage, Menschenansammlungen zu meiden, und dem Rat, 30 Minuten am Tag spazieren zu gehen (wenn es denn die Muskelschmerzen zulassen), heim. Infektionen vermeiden, Immunabwehr stärken, die Devise für die kommenden Tage, das kommende Wochenende. Sollte ich allerdings Fieber bekommen, dann müsse ich in die Notaufnahme…

Zwischenbemerkung_stationär_ambulant

Randbemerkung zum Thema „stationär / ambulant“

Das folgende Wochenende war ich nicht wirklich entspannt, um nicht so sagen nervös. Dieses Kratzen im Hals… Kommt das jetzt von der Chemo, die meine Schleimhäute angreift? Oder ist das Kratzen ein Anzeichen einer Erkältung? Apropos Erkältung… Wie sind denn diese plötzlichen Hitzewallungen zu werten? Die Nachtschweißattacken? Und das meine Temperatur von sonst durchschnittlich 36,4° nun auf 37,5° gestiegen ist? Ist das bereits als Fieber zu werten?

Sehr froh war ich aber, dass die Muskelschmerzen in den Oberschenkeln und damit die Muskelschwäche verschwanden (kaum in die Badewanne hineinzukommen, um zu duschen – ich habe keine separate Dusche -, war bedrückend). Somit konnte ich spazieren gehen (das Wetter war ja auch noch herrlich), und etwas für meine Immunabwehr tun.

Dann kam der Montagmorgen. Nach einer sehr unruhigen, verschwitzten Nacht war ich ziemlich geschafft, aber dennoch guter Dinge: Ich hatte kein Fieber bekommen (die 37,5° hatte ich als einmaligen Ausrutscher nach oben gewertet), hatte mir keine Infektionen eingehandelt. Das Wochenende hatte ich überstanden.

Meine Liebste brachte mich zum Onkologen. Tag 15 meiner Chemo. Laut Therapieplan sollte ich an diesem Morgen meine letzte Dosis erhalten, eine letzte Infusion Bleomycin. Und so schlapp ich mich auch fühlte (und so blass wie ein Vampir auf Diät ich auch war), ich war mir sicher, dass meine Blutwerte besser sein würden als den Donnerstag zuvor. Friendly Poison. Kinders, so sind die Kleinen halt, wenn sie einmal losgelassen werden… Schießen einfach gerne mal übers Ziel hinaus… Ich freute mich, auf die Zielgerade meiner Chemo einzubiegen.

Die Laborwerte verzögerten meinen Schlussspurt. Die Anzahl meiner Thrombozyten war so weit abgesackt, dass mit einer erhöhten Blutungsneigung zu rechnen war. Die Zahl meiner Leukozyten war nach wie vor unterirdisch. Mir Bleomycin in die Vene zu jagen, war dem Onko-Doc zu riskant. Ich war enttäuscht. Jetzt hieß es: Weiter spritzen, weiter Antibiotikum schlucken, Kontrolle den Mittwoch darauf. Jetzt hieß es: Keimen, Bakterien, Viren aus dem Weg gehen, Infektionen vermeiden, Immunabwehr stärken, auf eventuelle Blutungen achten, durchhalten. Und es lief so weit auch alles ganz gut. Die Muskelschmerzen, die als Nebenwirkung des Filgrastim auftraten (erst in den Kiefermuskeln, dann auch im Rücken) empfand ich als weniger belastend als die Schmerzen in den Oberschenkeln die Tage zuvor, wusste ich doch, sie werden abklingen, wenn ich nicht mehr spritzen muss. Dennoch, die Kieferschmerzen waren nicht ohne, bereiteten mir zusammen mit den Nachtschweißattacken schlaflose Nächte. Aber zumindest die Rückenschmerzen sprachen recht gut auf Ibuprofen an.

Dann die Kontrolle am Mittwoch, dem Tag 17: Werte besser, aber noch nicht gut genug. Weiter spritzen, weiter Antibiotikum schlucken, mich mit keinem Keim, keiner Bakterie, keinem Virus infizieren. Kontrolle am Freitag, dem Tag 19, an meinem Geburtstag.

Bad Hair Days & Happy Birthday
Happy_Birthday_Bad_Hair_Day1

Waren sich die Herren und Damen Doctores auch bei den sonstigen Nebenwirkungen der Chemo nicht einig gewesen, bei einer Sache hatten sie übereingestimmt: Meine Haare werden ausfallen.

Ab Tag 16 war es soweit. Meine Kopfhaare begann auszufallen. Zuerst an den Schläfen, dann an den Seiten. Die Haare am Hinterkopf hielten sich zunächst noch standhaft an Ort und Stelle. Aber auch das sah bald anders aus. Ich musste nur mit der Hand über meinen Kopf streichen und meine Finger waren voll mit Haaren.

Auch meine Barthaare fielen aus. Es war ein ganz eigentümliches Gefühl zu bemerken, dass ich mir meine Barthaare, während ich mir mit kalten Wasser mein Gesicht abwusch, einfach mit der Hand abrubbeln konnte. Rasieren mit der Handkante, voll Kung Fu.

Ich hatte mir meine Haare nicht im Vorfeld abrasiert, weil ich wissen wollte, wie das vor sich geht und wie sich das anfühlt, wenn sie ausfallen. Als ich schließlich wie ein gerupftes Huhn aussah, war aber die Zeit des Rasierers gekommen. Tag 19 meiner Chemo. An meinem Geburtstag sollte es geschehen. Ganz passend fand ich. Eine besondere Rasur an einem besonderen Tag. Zwar trug ich meine – vor allem auf dem Oberkopf – eher in geringerer Zahl vorhandenen Haare seit etlichen Jahren kurz geschnitten. Aber mir eine Glatze zuschneiden, fühlte sich doch ungewöhnlich an. Wie gesagt, für meinen Geburtstag in meinem Krebsjahr ganz passend.

Aber zuvor hoffte ich, ein weiteres Event an meinem Geburtstag über die Bühne bringen zu können: meine letzte Dosis Friendly Poison, die Bleomycin Infusion. Dafür mussten sich natürlich meine Blutwerte, insbesondere die Anzahl der Leukozyten, normalisiert haben – und endlich war es soweit. 2 Stunden nachdem mir beim Onko-Doc das vierte Mal innerhalb von 10 Tagen Blut abgenommen worden war, erstrahlten die entscheidenden Werte auf dem Laborbericht in schönster Normalität.

„Womit habe ich nach der Infusion zu rechnen?“, fragte ich. „Mit nichts Besonderem!“, antwortete mein Onko-Doc – und ich in meiner Freude, endlich wieder mit einem funktionierendem Immunsystem ausgestattet zu sein (und vielleicht sogar meinen Geburtstag nun doch mit Freunden feiern zu können) und nun bald meine Chemo hinter mir zu haben, hörte: „Nichts!“ Schließlich war die erste ambulante Bleo-Infusion am Tag 8 meiner Chemo unspektakulär verlaufen. Also Bleomycin vorbereiten, Viggo legen – und hinein damit.

Und zunächst passierte auch nichts. Ich fuhr heim. Spürte eine gewisse Müdigkeit. Aber das war ja auch kein Wunder, nichts Besonderes. Schließlich war ich früh aufgestanden, hatte 3 Stunden mit meinem Arztbesuch verbracht und mir innerhalb einer halben Stunde eine satte Dosis Zellgift in die Vene jagen lassen. Da kann man schon müde werden… Also legte ich mich – für ein Stündchen, so der Plan – aufs Ohr. Kaum lag ich einige Minuten, ging es los.

Als hätte jemand gigantische Kühlaggregate aufs Bett gerichtet. Als würde draußen ein Eisblizzard toben und die schützenden Wände samt Fenster wären eingerissen worden, so dass ich plötzlich inmitten des Kältesturmes liegen würde. So einen Schüttelfrost, wie der, der mich da plötzlich überkam, hatte ich noch nie erlebt. Was war mir kalt. Glücklicherweise war ich ja nicht allein und bald mit zwei Wärmflaschen und heißem Tee versorgt.

Nach einer halben Stunden Zähneklappern war es mit dem Kältesturm genauso schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Und die Temperatur begann zu steigen – jedenfalls die von mir gefühlte und meine Körpertemperatur. Ich bekam Fieber, 38°, 38,7°, 39,5° zeigte das Fieberthermometer, Tendenz also steigend. Und mit steigendem Fieber wuchs – obwohl laut Labor wenige Stunden zuvor mein Immunsystem ok war und auch nichts auf eine Infektion hindeutete – meine Besorgnis. Zwar gaben die ersten Treffer bei Google zur Anfrage „Bleomycin Schüttelfrost Fieber“ Entwarnung in dem Sinn, dass dies nach einer Infusion Bleomycin typisch sei und nur bedenklich, wenn die Temperatur nicht bald wieder hinuntergeht (unterstützt durch etwa fiebersenkende Tabletten – oder wenn jemand nicht schlucken könne – Zäpfen und durch Hausmittel wie Wadenwickel). Aber ich wollte zur Sicherheit noch einen ärztlichen Rat.

Ich versuchte also meinen Onko-Doc zu erreichen – vielleicht war er an diesem Tag zufällig ja länger als bis um 12 Uhr in der Praxis geblieben. Nur der AB. Dann rief ich im Krankenhaus an, um den Urologen, der mich an den stationären Chemotagen betreut hatte, um Rat zu fragen. Leider konnte ich nicht mit ihm persönlich reden, die Sekretärin schirmte ihn an, sie überbrachte aber meine Anfrage – und übermittelte mir seine Einschätzung: Ich solle ins Krankenhaus kommen, mich an der Inneren melden. Happy Birthday! Toll. Ich hatte gehofft, der Urologe beruhigt mich. „Hey, ganz typisch nach einer Bleomycin Infusion. Das geht vorbei, keine Panik. Hausmittel anwenden. Fiebersenkende Tablette schlucken. Die Temperatur im Blick behalten. Nur ins Krankenhaus, wenn sie nicht bald wieder sinkt…“

Ich gab meiner Körpertemperatur eine Stunde, bis ich mich entscheide: Ist sie nach Ablauf der Stunde gesunken, bleibe ich daheim. Ist sie weiter gestiegen, dann geht es ins Krankenhaus. Und mein Körper tat mir den Gefallen, mit dem Fieber klarzukommen und mir den erneuten Klinikaufenthalt zu ersparen. 39,2°, 38,6°, 37,5°, Tendenz: die Temperatur normalisiert sich. Mein Körper schwitzte das Fieber weg. Ich war klatschnass, aber froh. 36,9° Die Notwendigkeit, ins Krankenhaus zu gehen, sah ich nicht mehr. Fühlte mich über dem Berg.

Gestern wurden noch einmal die Blutwerte bestimmt, und die Werte gaben meiner Entscheidung recht. Dies bestätigte mir auch der Urologe, der mich während der stationären Phase des Zyklus betreut hatte und der (mein Onkologe hatte zwischenzeitlich, wie ich erfahren musste, seinen Urlaub angetreten) meine aktuellen Laborwerte für mich interpretierte. Alle Werte normal. Alles bestens. „Sie haben es geschafft – und wenn ich das sagen darf: Die Glatze steht Ihnen sehr gut!“

Meine Liebste hatte mir einen Tag nach meinem Geburtstag den Kopf rasiert. Und ich war wirklich erstaunt gewesen, wie fremd mir mein Anblick im Spiegel wurde – und dass obwohl meine normale Haarpracht, wie gesagt, eh bereits eine deutliche Tendenz Richtung Glatze hatte. Aber so glatt geschoren, das war doch etwas anderes (hoffe nur, dass meine Wimpern und Augenbrauen nicht ausfallen). Und kühl war mir plötzlich am Kopf. Auch das war erstaunlich: selbst kurze Haare wärmen.

Zum Glück hatte meine Liebste mir zum Geburtstag eine coole britische Schiebermütze geschenkt, damit war ich sowohl wärmetechnisch wie auch stylisch auf der richtigen Seite. Zum Glück brauchte ich nur ein paar Tage, um mich an die Glatze zu gewöhnen. Ja, schließlich begann sich in mir sogar das Gefühl zu regen, dass mir die Glatze eigentlich ganz gut steht, so dass ich jetzt die Mütze nur wegen der Kühle brauche oder sie anziehe, weil ich sie cool finde, und nicht, um mich zu verstecken.

Ich war und bin sehr froh. Sehr froh, dass die Chemo vorbei ist. Dass ich die Chemotherapie so gut vertragen habe. Ja, my Deadly Friends Cisplatin, Etoposid und Bleomycin waren wirklich freundlich zu mir gewesen. Werden weiter freundlich zu mir sein, denke ich hinsichtlich eventueller Spätfolgen (z.B. Lungenprobleme aufgrund des Bleomycin). Wie Anfangs gesagt: Ich will eine positive Einstellung an den Tag legen… Die Nebenwirkungen, die sich derzeit noch bemerkbar machen, sind jedenfalls nicht schlimm: Der Haarausfall (das sichtbarste Zeichen meiner Chemozeit, glücklicherweise immer noch nicht meine Augenbrauen und Wimpern betreffend), die Ohrengeräusche (werden schon leiser), die veränderte, flüssigere Konsistenz und blassere Farbe meines Spermas und eine sehr starke Erschöpfung, die mich mindestens einmal am Tag überkommt und dann für mehrere Stunden in ihrem Griff behält.

Letzteres könnte jene starke, unter Umständen gar Monate dauernde Müdigkeit sein, die mit dem Begriff „Fatique“ bezeichnet wird (vgl. Blauer_Ratgeber_Hodenkrebs_Krebshilfe, S. 69). Muss es aber nicht sein. Ich gehe davon aus, dass es eine stinknormale Erschöpfung ist, weil die Chemo anstrengend für Körper und Seele war, immer noch ist und sein wird, bis sich mein Zell- und mein seelischer Haushalt komplett normalisiert haben. Ja, normalisieren… Jetzt heißt es, mich erholen. Stress vermeiden. Und gelassen in die Normalität, in einen Alltag ohne Krebs, zurückkehren. In zwei Monaten dann die erste Nachsorgeuntersuchung. Aber hier verlasse ich mich ganz auf meine Deadly Friends.

Und nun werde ich eine Runde spazieren gehen, bzw. Nordic Walken… Gerade bricht die Nachmittagssonne durch die Wolken. Ideal, um ein wenig an die frische Luft zu gehen. Denn frische Luft ist gut, um sich zu erholen, die Phase der Müdigkeit zu überwinden. Die Stöcke zu schwingen ist gut, um mich abzulenken. Denn während ich diese letzten Zeilen zu meiner PEB Chemotherapie schreibe, habe ich wieder einmal große Lust, mir eine Zigarette anzuzünden. Toi toi toi: Bisher bin ich stark geblieben, habe keine geraucht. Bald feiere ich meinen Geburtstag nach. Ja, wenn ich stark bleibe, wird dies der erste Geburtstag seit rund 25 Jahren sein, von dem es kein Foto von mir mit einer Kippe in der Hand oder im Mundwinkel geben wird. Der Gedanke gefällt mir.

 


 

Links und Quellen zur PEB Chemotherapie


 

Die ganze Geschichte in 4 Akten:

  1. Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus (rund um die OP nach Diagnose Hodenkrebs)
  2. Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB… (histologischer Befund und die Empfehlung des Tumorboards)
  3. Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp (die Entscheidungsfindung, active surveillance oder Chemo?)
  4. Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen (die Chemotherapie)

 

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