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Was mir so in den Sinn kommt und mitteilenswert erscheint.

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Nikolaus, Knecht Ruprecht und die höllische Nacht

Verdammt_Kirchenaustritt
Früher habe ich mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft oft „Wer hat Angst vor’m Schwarzen Mann“ gespielt. „Niemand!“ hieß es damals jedesmal, und trotzdem mussten alle vor dem „Schwarzen Mann“ fliehen. So waren die Spielregeln. Und das Ende jeder Runde war gekommen, wenn der „Schwarze Mann“ – und seine stetig wachsende Helferschar – alle Kinder gefangen hatte. Es war ein Spiel, und wir hatten damals viel Spaß dabei.

Kein Spaß war es, wenn unsere Eltern mit dem „Schwarzen Mann“ drohten, der die unartigen Kinder zu sich hole. Und wenn dann am Abend des 6. Dezember diese finstere, bedrohliche Gestalt in die Häuser unseres Dorfes kam, um alle die Kinder, über die im goldenen Buch seines Begleiters Schlimmes zu lesen war, mit seiner Rute zu strafen, hatte nicht nur ich eine Höllenangst vor dem Knecht Ruprecht.

Meiner Meinung nach beruht dieser Brauch auf der Vorstellung des Jüngsten Gerichtes: für die „Seligen“ gibt es Zuckerbrot, die „Verdammten“ werden bestraft. Worauf ich hier aber vor allem hinaus will, ist, dass die von mir als böse empfundene Person als dunkle Gestalt auftrat. Und im Kontrast zum freundlichen Nikolaus, mit seinem weißen Bart und den ebenso weißen Haaren, wirkte Knecht Ruprecht sogar noch düsterer, noch bedrohlicher.

Isabel Grübel (siehe Literaturverzeichnis am Ende des Beitrags) meint, dass der Teufel der christlichen Tradition in nahezu jeder modernen Verkörperung des Bösen präsent sei. Sie sagt dies in Bezug auf die Gestaltung des Bösen in der modernen Literatur. Ich aber kann mir vorstellen, dass sich diese Aussage auch auf die allgemeine Vorstellung vom Bösen erweitern ließe: So lebe im „Schwarzen Mann“ der Teufel in seiner Eigenschaft als „Fürst der Finsternis“ (Grübel, 1991, S. 88) fort, und Knecht Ruprecht verwiese durch sein finsteres Auftreten ebenfalls auf seinen dämonischen Ahnen.

Oft wird die Möglichkeit des Menschen, Böses zu tun, als seine dunkle Seite, seine Nachtseite bezeichnet. Und Menschen, von denen man Böses erwartet, werden „finstere Gestalten“ genannt. Die Verbindung, die so anhand der Attribute der Finsternis zwischen den Vorstellungen vom Bösen im allgemeinen und dem Teufel der Tradition hergestellt ist, zeigt, wie ich denke, dass es sich nicht um ein bloßes Wortspiel handelte, als ich die Angst, die ich damals empfand, als Höllenangst bezeichnete. Ein Schluss, der auch aufgrund einer Aussage Herbert Vorgrimlers gezogen werden kann, denn seiner Meinung nach hängen die realen Höllen im „Mikrokosmos, im geängstigten und gequälten Inneren der Menschen, wie im makroskosmischen menschlichen Zusammenleben… mit den Phantasien über eine göttliche Jenseitshölle zusammen“ (Vorgrimler, 1993, S. 9).

So ist das Wort Hölle auch heute noch in aller Munde, wie z.B. in sprichwörtlichen Redewendungen: „Dies war die Hölle!“, „Ich hatte eine Höllenangst!“ oder: „Ich bin durch die Hölle gegangen!“ Heute ist die Hölle meiner Meinung nach vor allem ein Synonym für äußerste Qualen, unabhängig von dem Gedanken einer moralischen Verurteilung.

Mein Beitrag baut auf der Vermutung auf, dass im Bewusstsein der Menschen die Vorstellungen der Hölle und der Nacht eine gemeinsame Geschichte voller Wechselwirkungen besitzen. So versteht sich diese Arbeit als Versuch, diese Geschichte der Beziehungen zwischen Hölle und Nacht aufzuspüren. Vorgrimler und Grübler folgend wird dies in erster Linie anhand der Auseinandersetzung mit der traditionellen Höllenvorstellung des Christentums geschehen, da ihnen zufolge die Vorstellung des Bösen in der Moderne wie auch seiner literarischen Gestaltung in jüngster Zeit eng mit dieser Hölle zusammenhänge.

PS:
Es ist ein altes Thema, von mir (das ist der Text der nun folgt) als universitäre Hausarbeit 1996 aufgegriffen, vor 19 Jahren, aber die Angst vor dem „Schwarzen Mann“ ist in unseren christlich geprägten Breitengerade immer noch – oder sogar wachsend – präsent. Also wohlan. Spurensuche.

 

„Die höllische Nacht“

 

Einleitung

„Der Glaube an eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tode bildet einen allen alten Religionen und dem Christentum gemeinsamen Fundus“ (Aries, 1989, S. 123).
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens spricht diesen Glauben den naiveren Menschen zu, da ihnen gar nicht der Gedanke käme, daß mit dem Aufhören des körperlichen Lebens auch das menschliche Leben vorbei sei (Spalte 205).
Aber auch wenn in unserer „weniger naiven“ Kultur der Glaube an ein Jenseits und folglich auch an einen jenseitigen Strafort, der zu fürchten ist, nicht mehr selbstverständlich ist, so scheinen mir die Menschen der Moderne trotzdem mit den traditionellen Vorstellungen behaftet zu sein. Dies äußert sich z.B. darin, daß immer noch davon gesprochen wird, daß das Leben wie die Hölle sei.
Minois nennt den Glauben an die Idee der Hölle allgemeinmenschlich, denn die Hölle spiegle die jeweils „für die einzelnen Epochen typischen Ängste und Wahnvorstellungen sowie die herrschende Auffassung vom Bösen wider. … Sie ist einer der ältesten Alpträume der Menschheit, bedingt durch die Furcht vor dem Unbekannten, das uns am Ende unseres Lebens erwartet…“ (Minois, 1996, S. 13).
So können weder „das Judentum noch das Christentum … den Anspruch erheben, die Hölle sei ihrem Geist entsprungen. Die Religionsgeschichte zeigt, wie alt und wie weit verbreitet Unterwelts- und Höllenvorstellungen in der Geschichte der Menschheit sind“ (Vorgrimler, 1993, S. 32). Aber letztlich läßt sich laut Minois die Entstehung der Hölle nicht festlegen, da sie so alt sei wie die Welt selbst oder „ – besser gesagt – so alt wie das Böse. Denn nachdem der Mensch lange Zeit seine Erfahrungen mit dem Bösen gemacht hat, erfindet oder entdeckt er – je nachdem, wie man es sehen will -, daß die moralische Verfehlung geahndet werden muß“ (Minois, 1996, S.15).
Vorgrimler weist darauf hin, daß die uns älteste fassbare religiöse Äußerung (aus der Altsteinzeit) den Glauben bezeugt, daß im Menschen eine nichtmaterielle Seelengestalt wohne, die nach dem Tode den Leib verlasse, „um das Totenreich aufzusuchen und dort für immer zu verweilen“ (Vorgrimler, 1993, S. 32).
Die Idee eines Fortlebens nach dem Tode entstand also sehr früh in der Menschheitsgeschichte, und auch ohne daß das Leben nach dem Tode als Folge der guten oder bösen Lebensweise eines Menschen angesehen wurde, war der Grundstock eines unerfreulichen Jenseits sehr früh gelegt: Denn dieses Totenreich wurde nicht als etwas Erfreuliches gedacht, da dem weiterlebenden Geist durch die Trennung vom Leib „die Quelle zahlloser Freuden, vor allem auch die Möglichkeit der Kommunikation mit seinesgleichen [fehlte]. Das Totenreich galt zuerst ganz unabhängig von der Idee möglicher Bestrafung als Ort der Entbehrungen. Das Grab legte sich in dieser Vorstellungswelt als Pforte oder Durchgangsweg zum Totenreich nahe. Es war von sich her schon mit dem Eindruck des Dunkels versehen; da der Tote aus dem Bereich der Lebenden und der Sonne geschieden war, mußte er selber nun im Dunkeln weilen“ (Vorgrimler, 1993, S. 32).
Der Tod wurde also schon sehr früh als Durchgang zu einem anderen Leben gedacht. Und die instinktive Angst des Menschen vor dem Tod ließ ihm das Leben im Jenseits in dunklen Farben erscheinen: „So stellt er sich also zunächst eine Hölle und nicht etwa ein Paradies vor. Sie ist ein Abbild seines Erdenlebens, eine Art Traum, bei dem alles fehlt, was das Leben schön macht, ein Schattenreich, in dem Phantome freudlos umherirren. Es wird niemand gequält, und doch sind diese Orte unheilvoll“ (Minois, 1996, S. 16).
Zunächst ist also der Tod das Böse. Eine Auffassung, die sich auch im Christentum wiederfindet, wenn davon gesprochen wird, daß der Tod duch den Teufel in die Welt kam.
Aber schon früh treibt die Neugierde die Menschen dazu, den „… künftigen Aufenthaltsort zu besuchen. Schon unter den ältesten religiösen Texten der Welt befinden sich >Höllenfahrten<, die sich im Laufe der Zeit zu einem der beliebtesten Themen entwickeln sollten. Dieser Ort, von dem noch keiner zurückgekehrt ist, wird zum Gegenstand detaillierter Beschreibungen, die Zeugnis von der Urangst geben, die der Mensch vor dem Unbekannten im Jenseits empfindet. Im Laufe der Jahrhunderte werden unzählige Besucher der Hölle – Götter, Helden, Sagengestalten oder einfache Sterbliche, die wissen wollen, welches Geschick die Bösen ereilt, wie Gilgamesch, Odysseus, Vergil, Dante und viele andere – den Inhalt ihrer Träume von der Hölle erzählen und dabei die Phantasie der Menschen mit oft grauenhaften Vorstellungen nähren, die aber immer noch der unerträglichen Ungewißheit vorzuziehen sind“ (Minois, 1996, S. 16).
Diesen Höllenfahrten, die vom Schicksal der Bösen berichten, liegt eine Wandlung des menschlichen Bewußtseins zugrunde: dadurch, daß die Menschen „…auf dem Gebiet der Moral oder bezüglich des Glaubens an ein Weiterleben der Seele oder des Doppelgängers eine gewisse Reife erreicht haben…“ (Minois, 1996, S. 16-17) wird aus der „Hölle für alle“, dem trostlosen Jenseits für alle Menschen, die Hölle für die moralisch Bösen. Mit der Differenzierung des moralischen Gedankens und des sittlichen Empfindens wird auch das Jenseits differenzierter. Es bildet sich nun ein Bereich im Jenseits heraus, welcher den Guten, den Glückseligen vorbehalten ist, und die eigentliche Hölle entsteht als jenseitiger Strafort, an dem die Bösen der Welt in Folge eines göttlichen Urteilsspruchs in alle Ewigkeit für ihre moralischen Verfehlungen sühnen müssen.
Als Höhepunkt dieser Entwicklung ist die christliche Hölle anzusehen: „… das dauerhafteste, am besten durchdachte und vollständigste System von allen…“ (Minois, 1996, S. 13). Ich kann diese Entwicklung hier nicht im einzelnen nachzeichnen und auch die Einflüsse anderer Religionen, die in das christliche Höllenbild übernommen wurden, nicht im einzelnen transparent machen. Vor allem im Hinblick auf unsere Frage aber, wie Hölle und Nacht miteinander in Beziehung stehen, werde ich einige Etappen dieser Entwicklung darstellen: Der jüdische Scheol, der griechische Hades und der römische Orcus. Deshalb werde ich auf Beispiele der Literatur, die die Denker und Dichter des Christentums beeinflußte, eingehen: das Alte Testament, Homer, Plato und Vergil.

Erstes Kapitel

Die „Vor und Umwelt“ der christlichen Hölle

Der Scheol

Laut Isabel Grübel spielte der Jenseitsgedanke im Alten Testament lange Zeit eine sehr untergeordnete Rolle. „Die Seelen gelangten nach altjüdischer Auffassung in den „Scheol“ (= Ödland), einem an sich neutralen Ort, der aber schon früh unter der Erde lokalisiert wurde. … War der jüdische „Scheol“ anfangs ein Ort der Stille und der Finsternis, wo die Verstorbenen weder Strafe noch Belohnung erwartete, so kam es doch allmählich zu einer negativen Bewertung dieses Jenseits, das Trennung von Gott und Trostlosigkeit bedeuten konnte“ (Grübel, 1991, S. 50).
Den Toten wird zunächst – wie es auch andernorts im Alten Vorderen Orient und in der mittelmeerischen Antike geschah – ein schattenhaftes Fortleben an einem Ort unter der Erde zugeschrieben, welches mit „vielfältigen Elementen der Düsternis umschrieben, aber nicht als Strafe bezeichnet wird“ (Vorgrimler, 1993, S. 61).
Der Hölle „vermachte das Scheol die Symbolik der Finsternis… Die gesamte unterirdische Welt der Toten ist in diese Finsternis gehüllt…“ (Le Goff, 1984, S. 41): „…bevor ich fortgehe ohne Wiederkehr ins Land des Dunkels und des Todesschattens (>ad terram tenebrosam et opertam mortis caligine<), ins Land, so finster wie die Nacht (>terra tenebrarum<), wo Todesschatten (>umbra mortis<) herrscht und keine Ordnung, und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht“ (Ijob, 10, 21f. zit. nach Grübel, 1991, S. 50). Minois schreibt, daß der Zustand der Verstorbenen dem Nichts äußerst nahe gewesen sei, da sie unbeweglich im Staube gelegen hätten, „…ohne jegliches Denken und Fühlen, in endgültiger Lethargie, einem ewigen Koma“ (Minois, 1996, S. 26). Und zunächst erwartete alle Toten dieses Schicksal. Es gab kein jenseitiges Gericht, keine jenseitige Bestrafung oder Belohnung. „Wenn der Böse bestraft wird, so geschieht es… in diesem Leben, ein sofortiges Gericht mit irdischen Strafen…“ (Minois, 1996, S. 26). Die Strafrequisiten in dieser „irdischen Hölle“ (Minois) sind zumeist „Besetzung durch den Feind oder Veschleppung, Pest, Hungersnot und wilde Tiere“ (Minois, 1996, S. 27). Die Vergehen, die für die Hebräer Sünden sind, gleichen denen ihrer Nachbarvölker: „religiöse Vergehen, wie das Anbeten von Götzen, rituelle Vergehen wie der Bruch von Tabus bezüglich der Unreinheit, gesellschaftliche Vergehen, die im mosaischen Gesetz streng niedergelegt sind“ (Minois, 1996, S. 28). Die Strafen, die ihr Gott verhängt, sind hart und richten sich streng nach dem Gesetz der Vergeltung: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jehova sei, wie Brittnacher schreibt, ein rachsüchtiger Gott, der in sich lichte und dunkle Anteile vereinige: Der Gott des Alten Testamentes ist „gut und böse, voller Launen und Widersprüche: >Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Böse. Ich bin der Herr, der dies alles tut< (Jes. 45,7)“ (Brittnacher, 1993, S. 169). Laut Vorgrimler ist es nicht möglich, exakt den Zeitpunkt anzugeben, an dem der Gedanke an eine über den Tod hinausgehende Vergeltung durch Gott aufkam, und auch nicht, von welchem Zeitpunkt an dies dazu führte, „daß das alte Totenreich der Schattenexistenzen wenigstens zum Teil in einen Strafort >umgedacht< wurde“ (Vorgrimler, 1993, S. 65).
Aus den Unterweltsbeschreibungen, die bereits von einem Strafort ausgehen, werden, laut Vorgrimler, Feuer und Wurm zu sprichwörtlichen Requisiten: „Denn der Wurm in ihnen [in den Leichen derer, die sich gegen Gott aufgelehnt haben] wird nicht sterben, und das Feuer in ihnen wird niemals erlöschen“ (Jes. 66,24 zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 64). Aber ob die Verfasser des Alten Testamentes mit dem Wurm, dem Feuer oder auch anderen Requisiten wie etwa dem Tor zur Unterwelt konkrete Gegebenheiten gemeint haben oder ob sie metaphorisch zu Illustrations- und Abschreckungszwecken eingesetzt wurden, läßt sich nach Vorgrimlers Aussage bis heute nicht entscheiden.

Der Hades

Daß es zwischen der christlichen Hölle und der griechisch-römischen Unterwelt, meist Hades und Orcus, mannigfaltige Beziehungen gab, lag zum Teil daran, daß „die antiken Autoren, die am eingehendsten über die Unterwelt geschrieben hatten, im Christentum in hohen Ehren standen, obwohl sie >Heiden< waren“ (Vorgrimler, 1993, S. 38). Da in der Antike der Bereich des Göttlichen und Menschlichen, der Bereich des Glaubens und des Wissens, nicht streng geschieden war, wie Vorgrimler schreibt, gehörte die Existenz der Unterwelt zum Weltbild, und den Berichten über Hadesfahrten wurde nicht einfach religiöser Glaube entgegengebracht, sondern sie galten als „reale Gegebenheiten der Empirie. Inwiefern einzelne Weise Dichtungen und Mythen als solche durchschauten oder vielleicht als Einkleidungen geistiger Realitäten verstanden, läßt sich nachträglich kaum mehr ausmachen“ (Vorgrimler, 1993, S. 38). Es war eine der ganzen antiken Welt gemeinsame Idee, daß die Menschen mit ihrem Tod nicht einfach vergangen sind, sondern daß sie in ein Reich der Schatten eingehen, „wo sie eine freudlose, von Licht und Lebenslust abgeschnittene Existenz führen…“ (Vorgrimler, 1993, S.38). Minois weist allerdings daraufhin, daß es schwierig sei, aus den Hadesberichten Hesiods als auch Homers, Allgemeingültiges für die Unterweltsvorstellungen der Menschen in der Antike herauszulesen, da sowohl die Theogonie, als auch die Illias und die Odyssee im wesentlichen von der Welt der Götter und der Helden berichten: „Der Hades ist voll von diesen sagenhaften Unsterblichen mit einem übermenschlichen Geschick, und es ist keineswegs sicher, daß sich die Griechen das Jenseits für die normalen Sterblichen ebenso vorstellten“ (Minois, 1996, S. 30). In den Werken Homers finden sich verschiedene Andeutungen über das Leben der Toten und über die Strafen, die manche von ihnen erleiden müssen. „Der Hades ist ein unheilvoller, dunkler, nebliger Ort. Auch die Illias sagt, daß die neblige Finsternis dem Hades und der weite Himmel Zeus zugeteilt wurde. Der Eingang zum Hades befindet sich am äußersten Ende der Welt… Der Hades mit den verschlossenen Toren ist eine hermetisch abgeriegelte Welt, die man nur mit Grauen anschaut“ (Minois, 1996, S. 32). Zur berühmtesten Hadesfahrt, von der Homer erzählt, wurde diejenige des Odysseus. Allerdings geht Odysseus nicht selbst in den Hades hinunter. Vielmehr schaut er in einer Art Vision in den Hades hinein, indem er die Totengeister durch ein Speise-und Trankopfer (Nekyia genannt) herausruft. Die Toten kommen „als Eidolon (in diesem Fall: Schatten) oder, wie Homer auch sagt, als Psyche, >Seele<, >herauf<, zwar ohne Körper, aber doch mit Sinnen wahrnehmbar, und zwar in dem Zustand, in dem sie bei ihrem Tod waren…“ (Vorgrimler, 1996, S. 40): „…und aus dem Erebos kamen viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten. Jüngling’ und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise, und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren. Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet, kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung. Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube mit graunvollem Geschrei; und bleiches Ensetzen ergriff mich“ (Odyssee, 11. Gesang, zit. nach Minois, 1996, S. 32). Weiterhin sieht Odysseus die immerwährenden Strafen der drei berühmten Frevler gegen die Götter: Tityos, Tantalos, Siyphos. Daß auch andere Verstorbene ein unglückliches Leben im Hades führen, erweist sich daraus, daß im XIV. Buch der Odyssee von schrillen Schmerzesschreien ähnlich den Schreien von Fledermäusen die Rede ist. Odysseus erfährt auch, daß die Seelen der Toten die Lebenden bedrohen können: „Er kann sich nur durch die Flucht retten“ (Minois, 1996, S. 33). Da es in der Unterwelt, wie Homer sie beschreibt, auch „Verstorbene in seliger Existenz-weise gibt, auf den elysäischen Feldern oder auf der Insel der Seligen, muß es sich beim Hades, auch wenn nur die wenigen Strafen veranschaulicht werden, um ein ewiges Strafgeschick handeln“ (Vorgrimler, 1996, S. 40). Minois erkennt in der von Homer beschriebenen Unterwelt eine Hölle mit zwei Ebenen, „denn unter dem Hades befindet sich noch der Tartarus, das Gefängnis der Titanen, aus dem niemand wiederkehrt.“ (Minois, 1996, S. 32): „…Oder ich fass’ und schwing’ ihn hinab in des Tartaros Dunkel, ferne, wo tief sich öffnet der Abgrund unter der Erde: Den die eiserne Pforte verschleußt und die eherne Schwelle, so weit unter dem Hades wie über der Erd’ ist der Himmel.“ (Illias, 8. Gesang, 10, zit. nach Minois, 1996, S. 32) Diese Unterscheidung zwischen Hades und Tartaros weise laut Minois auf die spätere Höllenvorstellung des Christentums hin: Dort finde sich dann die Pforte, und die Hölle sei ein finsterer Abgrund unter der Erde, welche sich in verschiedene Bereiche gliedere: die obere Hölle, der Hades, werde zum Fegefeuer und „die untere Hölle zum Reich Satans“ (Minois, 1996, S. 32). „Unter den klassischen griechischen Philosophen ist Platon derjenige, der den traditionellen Gedanken von der Hölle am meisten geprägt hat“ (Minois, 1996, S. 63). Minois nennt Platon den „Vater der philosophischen Hölle“. Was auch laut Vorgrimler seine Berechtigung hat, wurde Platon doch „vom zweiten nachchristlichen Jahrhundert an von christlichen Theologen als >der< Philosoph in Anspruch genommen. In seinem Gottesdenken kam er der jüdisch-christlichen Gottestradition so nahe, daß sogar die Meinung aufkam, er habe das Alte Testament wenigstens gekannt, wenn nicht bewußt aufgenommen. … Es ist gewiß, daß die christliche Theologie ohne Platon ihre Sprache nicht gefunden hätte. Daher versteht es sich von selbst, daß auch in seinen Darlegungen zu einer Rechenschaft nach dem Tod und zum Schicksal der Gerechten und Ungerechten im Jenseits große Entsprechungen zur biblichen Botschaft, aber auch weitere Aufschlüsse über das noch Unbekannte gefunden wurden“ (Vorgrimler, 1993, S. 41).
In den Werken, in denen Platon von der Hölle spricht, folgt auf den Tod ein Gericht. Im Phaidon [113-114] zum Beispiel vier Möglichkeiten: Zunächst werden „diejenigen gerichtet, welche schön und heilig gelebt haben und welche nicht.“ Bei denen, die nicht schön und heilig gelebt haben, gibt es dann drei Gruppen: Diejenigen, die einen mittelmäßigen Lebenswandel geführt haben, gehen zum Acheron. „Hier wohnen sie und reinigen sich, büßen ihre Vergehungen ab…“ Die Gruppe der Unheilbaren, deren Verbrechen zu groß waren, „wirft ihr gebührendes Geschick in den Tartaros, aus dem sie nie wieder heraussteigen.“ Als letzte Gruppe führt Platon die Menschen an, die zwar große Vergehen begangen haben, aber doch als heilbar erkannt werden. Auch sie werden in den Tartaros geworfen, können aber, nachdem sie ein Jahr dort gewesen sind, die Seelen der Menschen, welche sie getötet haben oder an denen sie Frevel begangen haben, um Gnade anflehen. „Wenn sie sie nun überreden, so steigen sie aus, und ihre Übel sind zu Ende; wo nicht, so werden sie wieder in den Tartaros getrieben…“ (Phaidon [113-114], zit. nach Minois, 1996, S. 64).
Diese Einteilung der Sünder in „die Guten (Frommen und Heiligen), die Mittelmäßigen (die sowohl Gutes als auch Unrechtes getan haben), die großen, aber heilbaren Verbrecher sowie die unheilbaren Verbrecher“ (Vorgrimler, 1993, S. 46) findet sich später wieder in der christlichen Lehrmeinung, z. B. bei Augustinus.
Ebenfalls im Phaidon stellt Platon eine Geographie der Hölle auf: „In der Tiefe der Erde befinden sich ungezählte, mehr oder weniger große Höhlen. Sie sind in verschiedener Tiefe und miteinander verbunden. Dort fließen Ströme von Schlamm, Feuer, heißem und kaltem Wasser, die – wie in Sizilien – manchmal an die Erdoberfläche treten. Im Mittelpunkt des Ganzen befindet sich der Tartaros, zu dem alle Flüsse hinfließen und von dem sie auch ausgehen, pulsierend im höllischen Rhythmus…“ (Minois, 1996, S. 66).
Platon wähle, so Vorgrimler, bewußt die Form des Mythos, wenn er von der Unterwelt spreche (wie z.B. in der Politeia, wo er vom nach zwölf Tagen wieder zum Leben gekommenden Er erzählt, welcher über das „Drüben“ berichtet ). Er wähle diese Form nicht, weil er an der Gewißheit des kommenden Lebens und des gerechten Ausgleichs irgendeinen Zweifel gehabt hätte, sondern weil ihm der Mythos die angemessene Form gewesen zu sein scheint, über das dunkel bleibende Wie des Kommenden zu sprechen. So gibt er zu verstehen: „Ganz wörtlich muß eine derartige Erzählung nicht aufgefaßt werden, aber auf jeden Fall ist eine strenge Bestrafung des bewußt getanen Unrechts zu erwarten. Es ist nicht zu leugnen, daß Platon mit dem Angstmotiv arbeitet“ (Vorgrimler, 1993, S. 48). Im Mittelpunkt stehe aber die Idee der Gerechtigkeit, die nicht existieren würde, hätte sie nicht auch über den Tod Geltung. So bleibe bei Platon – trotz einiger sadistischer Züge in der Illustration durch die mythische Erzählungen von der Unterwelt – der Gedanke vorherrschend, „daß es eine Entwicklung auch nach dem Tode gibt und daß (fast) jeder eine Chance zu Einsicht und Besserung hat. So sehr … auch durch zwar proportionale, aber überharte Strafen abgeschreckt wird, so deutlich ist, daß ihr letzter Sinn therapeutisch ist“ (Vorgrimler, 1993, S. 48).

Der Orcus

Die berühmteste Schilderung der römischen Unterwelt, des Orcus, stammt von dem Dichter Vergil. Minois, der Platon den Vater der philosophischen Hölle nennt, bezeichnet Vergil als den Vater der volkstümlichen Hölle. Nicht zuletzt, da Dante Vergil als seinen Führer durch die Hölle wählte. Mit der Unterscheidung einer philosophischen und einer volkstümlichen Hölle weist Minois auf eine Entwicklung hin, die auch die spätere Diskussion der Höllenvorstellungen im Christentum prägte: Die philosophische Hölle, welche die geistigen Qualitäten der Sünde betont, und stellenweise in der Nachfolge Plato’s die Höllenqualen als Metaphern ansieht, steht in ständiger Auseinandersetzung mit der „… Hölle der Dichter [und Visionäre], die … voller Lärm und Getöse ist, und die von den Gläubigen … angenommen werden sollte… Die volkstümliche Hölle entwickelt in der Folge die geistigen Themen der Philosophen zu konkreten, bildhaften Darstellungen, während letztere den Sinn der Mythen, die in der volkstümlichen Hölle entstehen, vertiefen“ (Minois, 1996, S. 67).
Die Aeneis des Vergil ist nun der „erste große Reiseführer durch die Hölle. … Die Qualität der Beschreibung, die viele bekannte mythologische Elemente beinhaltet, sollte aus ihr das unbestrittene Referenzwerk machen, und dadurch wurden für Jahrhunderte bestimmte Bilder festgeschrieben“ (Minois, 1996, S. 68). Vergil war bei den Christen der Alten Kirche sehr angesehen, und dies nicht nur wegen „der großen Ernsthaftigkeit seiner Dichtungen und der von ihm verkörperten Tugenden, sondern in besonderer Weise wegen seiner 4. Ekloge“ (Vorgrimler, 1993, S. 50). In dieser preist Vergil die Geburt eines göttergleichen Jungen, mit der eine Zeit des Friedens und der Glückseligkeit auf der ganzen Welt beginnen sollte. Die Ekloge wurde im Hinblick auf Augustus geschrieben, wie auch die Aeneis geschrieben wurde, um den Zeitgenossen und Förderer Vergils als mythischen Gründer der römischen Nation zu ehren. Als aber Kaiser Konstantin, der sich später im Jahre 337 auf dem Sterbebett taufen ließ, in seiner „Karfreitagspredigt des Jahres 323 diese Passage auf das göttliche Kind von Bethlehem [deutete] … galt Vergil als Prophet und Seher des christlichen Heils, obwohl er >Heide< war. Die Verehrung für ihn hielt im Mittelalter und in der Zeit des Humanismus an“ (Vorgrimler, 1993, S. 50).
Im VI. Buch der Aeneis läßt Vergil Aeneas in die Unterwelt hinab gehen, „daß ich enthüll, was tief, tief unter Erden die Nacht deckt“ (Vergil, 1963, Vers 266). Aeneas bittet die Seherin Sibylle von Cumae, ihm das Höllentor zu öffnen: „Hier ist doch das ,Tor des Unterweltsfürsten’, wie man es nennt, und der nächtige Pfuhl, des Acheron Stauung“ (Vers 106 f., zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 50). Sibylle warnt ihn vor den Gefahren: es sei leichter hinab als wieder herauf zu kommen, denn es hieße: „zweimal den stygischen See zu befahren, zweimal zu sehn des Tartarus Nacht“ (Vers 134 f., zit. nach Vorgrimler, 193, S. 50).
„Der Eingang hat die Form einer von schwarzem Gewässer umgebenen Höhle, aus der ekelerregender Gestank dringt. Aeneas und Sibylle stürzen sich hinein, und in völliger Finsternis beginnt der Abstieg“ (Minois, 1996, S. 69):„Dunkel schritten sie dort unter einsamer Nacht durch Schatten/ und durch Plutos öden Palast und die Reiche der Ohnmacht,/ wie bei ungewiß gleißendem Mond unter boshaftem Flimmern/ dämmert durch Wälder der Weg, wenn Juppiter schattend umwölkt den/ Himmel und düstere Nacht den Dingen löscht ihre Farben…“ (Vers 268ff., zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 51).
Noch vor dem eigentlichen Tor zum Orcus „lagert der Gram und wohnt der Fluch verlorener Reue,/ Haust bleichblickende Seuch und Sucht, trübseliges Alter,/ Furcht und verleitlichen Hungers Gier und schmähliche Notdurft, / Auch des Augs unfaßlich Graun: der Tod und die Sorge,/ Auch des Todes Gesell, der Schlaf, und hämischer Herzen/ Schadenlust; der Krieg, mordwitternd, hütet die Schwelle…“ (Vergil, 1963, Vers 275ff.). Minois weist an dieser Stelle darauf hin, daß sich durch diese allegorischen „unheilvollen Gestalten… die Hölle auf der Erde fort[setzt]. So entsteht hier der Gedanke einer schon in diesem Leben beginnenden Hölle. Von dieser Basis ausgehend zögerten spätere Philosophen nicht mehr, das Stammhaus in seine irdischen Filialen zu verlegen“ (Minois, 1996, S. 69).
Vergil beschreibt im folgenden das Jenseits topographisch genauer, als dies „in den meisten antiken Höllendarstellungen“ (Le Goff, 1984, S. 36) geschieht. Es würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen, alle Einzelheiten von Vergils ausführlicher Unterweltsschilderung zu nennen. Le Goff bringt eine Zusammenfassung: Auf den Eingang „folgen das Tal der nicht beerdigten Toten, der Fluß Styx [mit dem furchtbaren Fährmann Charon und dem Höllenhund Cerberus vor dem eigentlichen Eingang zur Unterwelt am anderen Ufer], das Tal der Tränen und die letzten Auen, bevor der Weg sich gabelt und links zum Tartarus (zur Hölle) und rechts, wenn man die mauer des Dis (Plutos, das Herrschers der Unterwelt) überwunden hat, zum Elysium, einem paradiesichem Ort, führt, hinter dem der heilige Hain liegt und der Lethe, der Fluß des Vergessens, fließt“ (Le Goff, 1984, S. 37).
Im Hinblick auf den Zusammenhang von Hölle und Nacht finden sich außer den schon oben angeführten Stellen noch weitere interessante Partien. So richtet zum Beispiel Charon an Aeneas folgende Worte: „Hier ist das Reich der Schatten, der schlaftrunkenen Nacht und des Schlummers“ (Vers 390, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 51).
Als ihnen die Selbstmörder begegnen, heißt es von diesen: „Wie gern jetzt droben im Lichte/ Würden sie Mühsal, Not und bitteren Mangel ertragen!/ Aber der Spruch verbeut’s Mit unerfreulicher Woge/ Hemmt sie der nächtige Pfuhl…“ (Vergil, 1963, Vers 436 ff.).
Ein Zusammenhang zwischen Unterwelt und Nacht besteht bei Vergil auch darin, daß Aeneas „vor Mitternacht wieder aus der Unterwelt aufgestiegen sein [muß], denn Mitternacht ist die Stunde der wahren Schatten (Vers 893 ff.)“ (Le Goff, 1984, S. 38). Le Goff weist in seinem Kapitel über Vergil darauf hin, daß auch in den Apokalypsen und den mittelalterlichen Visionen die Reise ins Jenseits meist vor Sonnenaufgang, vor dem ersten Hahnenschrei beendet sein muß. Wie schon bei Plato wird auch in der Aeneis über alle Verstorbenen Gericht gehalten und individuelle Rechenschaft velangt. Auch Vergil’s Dichtung hat „moralpädagogischen Charakter. Die Einschätzung der Menschen durch den Dichter wird an drei Kategorien von Toten erkennbar. Eine unschätzbar große Zahl ist in die Hölle verdammt, aber größer ist die Zahl derer, die zur Läuterung im Jenseits gepeinigt werden und zur Wiederverkörperung bestimmt sind; ganz klein ist die Zahl der wahrhaft Schuldlosen, die in ewigem Glück wohnen“ (Vorgrimler, 1993, S. 54).
Die Unterweltsfahrt des Aeneas war aufgrund des hohen Ansehens Vergils im Christentum durch Jahrhunderte von großem Einfluß, zumal auch weiten Kreisen ein strenger Unterschied zwischen Dichtung und Prophetie nicht bewußt war. „So kehren in der späteren Literatur wie in der bildenden Kunst lebende und starre Requisiten dieser Reisebeschreibung wieder. … Personifizierte Mächte wie der Tod, mythische Figuren wie Dämonen und Furien, Mischgestalten zwischen Mensch und Tier wurden zum geläufigen Inventar der Hölle. Die in die Unterwelt gelangten Menschen führen eine leiblose Schattenexistenz, sind aber gestalthaft wahrnehmbar und daher auch abbildbar“ (Vorgrimler, 1993, S. 54).
Minois schließt sein Kapitel über die Unterwelt bei Vergil mit der Feststellung ab, daß die Aeneis über die Volkskunst eine echte Faszination auf die Völker ausübte, und daß viele spätere Höllendarstellungen nur Varianten oder Weiterentwicklungen der Aeneis seien. „Aber diese volkstümliche Hölle ist noch nicht die vollkommene Hölle, ihr fehlt die Ewigkeit, … um die absolute Qual zu schaffen“ (Minois, 1996, S. 72).

Überleitung zur Hölle des Christentums

Aus einer dunklen Schattenwelt für alle Toten, die „wie tiefe Nacht“ ist, wurde – wie zuvor gezeigt – im jüdischen Altertum allmählich ein Strafort für die Sünder, die in der Finsternis unter der Erde von Wurm und Feuer gequält werden. Auch der Hades der Griechen war in erster Linie ein finsterer Ort, an dem die Toten abgeschnitten vom Licht und von der Lebenslust ein Schattendasein fristeten. Schließlich ist auch bei Vergil die Nacht das Zeichen einer Unterwelt, in der die Seelen der Menschen, die Verbrechen begangen haben, Schreckliches in der Finsternis erleiden müssen. So ist die Nacht und die Finsternis zuallererst als Metapher für die dem Menschen feindlichen Mächte zu verstehen: den Tod und das Böse.
Wie im Abschnitt über die Aeneis aufgezeigt wurde, ist die Nacht aber auch die Tageszeit, die besonders günstig für Visionen und Reisen in das Jenseits ist. Und sie wird – wie wir im Laufe der Auseinandersetzung mit der christlichen Höllenvorstellung noch sehen werden – auch die Zeit werden, in der „Reisen“ in der entgegengesetzten Richtung möglich und zu fürchten sind: Die Nacht wird die Zeit werden, in der die Mächte der Hölle die größte Kraft besitzen, das Leben und das Seelenheil der lebenden Menschen zu bedrohen. Das, was Odysseus am eigenen Leib erfahren mußte, nämlich, daß die Schatten des Totenreiches ihm schaden können, wird zu einer großen Angst der Menschen des Mittelalters bis hinein in die Neuzeit: Die Angst vor dem Teufel, dem Fürsten der Finsternis.
Die Betrachtung einer Geste des Aeneas soll nun überleiten zur Darstellung der christlichen Hölle. Zu Beginn seiner Unterweltsreise „zeigt Äeneas nach oben auf die lichtüberfluteten Gefilde – eine typische Geste aus der [finsteren] Tiefe zum Licht…“ (Le Goff, 1984, S. 38). Dieser Fingerzeig des Aeneas weist auf die christliche Weltsicht hin, die durch zweierlei geprägt wird: zum einen durch die finstere, gefürchtete Nacht der Sünde und zum anderen durch die Hoffnung auf ein Leben im licht- und lebenerfüllten Himmel, nahe bei Gott. „Im Rahmen der stark ausgeprägten Lichtsymbolik der christlichen Tradition übernahm die Nacht die Rolle der feindlichen Macht“ (Daemmrich, 1995, S. 260), und Jesus wurde das Licht der Welt. Und so beruht die „sittliche Entwicklung des Menschen … auf dem erfolgreichen Kampf mit den Mächten der Finsternis und der Suche nach göttlicher Erleuchtung“ (Daemmrich, 1995, S. 260). Das Christentum wurde aus dem Bewußtsein heraus geboren, daß der Kampf mit dem Bösen in seine Endphase eingetreten war. Wir wollen nun betrachten, wie sich aus diesem Bewußtsein heraus die christliche Vorstellung einer Hölle als ewigem Strafort entwickelte und welche Rolle der Nacht zugedacht wurde.

Zweites Kapitel

Die Hölle des Christentums

Die Finsternis draußen

Minois weist darauf hin, daß sich Paulus als der „älteste Zeuge und erste Aufbereiter des christlichen Gedankens … souverän über die Hölle hinweg[setzt]“ (Minois, 1996, S. 89). Er folgert: „Diese äußerste Zurückhaltung bei einem Mann, der die Apostel gekannt und lange Diskussionen mit ihnen geführt hat über die Lehre Christi und ihre Auslegungen, zeigt, daß der Glaube an die Hölle bei dem Schöpfer des Christentums eine sehr marginale Rolle gespielt hat…“ (Minois, 1996, S. 89).
„Nach einer Anzahl neutestamentlicher Zeugnisse hat Jesus [allerdings] selber das Wort >Hölle< verwendet“ (Vorgrimler, 1993, S. 17), „obwohl keineswegs bewiesen werden kann, daß die Worte, die Christus zugeschrieben werden, wirklich genau zutreffen“ (Minois, 1996, S.. 91). Mit dem deutschen Wort Hölle sind hier die neutestamentlichen Bezeichnungen für den Strafort der Frevler gemeint: Abyssos, Hades, Infernum und vor allem Gehenna. „Die Bezeichnung Gehenna im neutestamentlichen Griechisch ist ein Lehnwort aus dem Hebräischen. Dort heißt ge-hinnom … das Hinnomtal in der Nähe Jerusalems. Dort wurde der assyrische Gott molek (Moloch) an einem Kultort namens Tophet durch Brandopfer, manchmal wohl auch durch Kinderopfer im achten und im siebenten Jahrhundert v. Chr. verehrt. … Zur Zeit Jesu war ge-hinnom eine geläufige Bezeichnung eines Ortes geworden, der von Gott verworfen und zur Stätte seiner Strafe bestimmt sei“ (Vorgrimler, 1993, S. 18). Und allmählich „entwickelte sich die Vorstellung, daß dort beim Letzten Gericht die Frevler versammelt würden. Damit war das Gehinnom-Tal als >Gehenna< identisch geworden mit dem jenseitigen Strafort“ (Grübel, 1991, S. 52). „Das deutsche Wort >Hölle< geht auf eine gemeingermanische Wurzel hel-, verbergen … zurück. Der westgotische Bischof Ulfila (gestorben 383 oder 382) gibt mit dem gotischen halja das griechische Wort Hades wieder, das einfachhin das Totenreich bezeichnet. Den fremden Begriff >Gehenna< aus dem Neuen Testament übernimmt er als Lehnwort >gaiainnaHölle< (>helle< u.ä.) mit der praktisch ausschließlichen Bedeutung von Strafort für Verstorbene verbunden“ (Vorgrimler, 1993, S. 17). Aber zunächst nahm die Hölle im Bewußtsein der Christen keinen breiten Raum ein: „…die Hölle innerhalb des Neuen Testamentes [wird] nirgendwo so breit ausmalend dargestellt … wie die Freuden des >Himmels< oder das >Neue Jerusalem<“ (Vorgrimler, 1993, S. 78). Denn die frühen Christen glaubten, daß das Gericht Gottes unmittelbar bevorstehe: „Mit dem Ostererlebnis war alsbald und zunächst die feste Überzeugung verbunden, der zu Gott Erhöhte werde bald(igst) wiederkommen, dieses Mal in offenbarer Herrlichkeit als der von Gott mit dem Gericht beauftragte Richter“ (Vorgrimler, 1993, S. 14). „Es kann, historisch gesehen, kein Zweifel daran sein, daß Jesus selber mit drohenden Worten vom Gericht und seinen Folgen gesprochen hat. … Wie die Gerichtsankündigungen Jesu im einzelnen gelautet haben, läßt sich [allerdings] kaum mehr ausmachen“ (Vorgrimler, 1993, S. 16). Mit diesem Gericht würde für die Gottgetreuen eine Zeit der immerwährenden Gerechtigkeit und Freiheit anbrechen: das Gottesreich. Es würde die allumfassende Versöhnung der gesamten Schöpfung sein, so daß alle Gewalt- und Machtausübung aufgehoben wäre. Die Menschheit wäre somit in „jenem gott-gemäßen, friedvollen und versöhnlichen Zustand, der es Gott ermöglichen würde, in seiner nun vollendeten Schöpfung bleibend >sein Zelt aufzuschlagen<“ (Vorgrimler, 1993, S. 12). Jesus sah diese Gottesherrschaft in seiner Person angebrochen. Da der Gott des Jesu ein Gott des Lebens und der Lebendigen war, würden die toten Gottgetreuen als Auferweckte in diesem Gottesreich leben, welches nicht im „Jenseits“, sondern in dieser konkreten Schöpfung errichtet wird. Alle Mächte des Bösen, die von Anfang an Widerstand gegen diese Verwirklichung von Gottes Willen geleistet hatten, alle gottwidrigen Kräfte, zu denen vor allem der Tod gehörte, alle Menschen, die sich gegen die Umkehr im Namen Christi und somit für das Böse, welches durch sie und ihnen wirkte, entschieden haben, würden endgültig vernichtet werden. Die Folgen einer Entscheidung gegen das Heilsangebot Gottes waren bei Jesus „gewiß“ (Vorgrimler) in erster Linie im Kontext menschlicher Eigenverantwortung angesprochen worden: Wer keinen Einlaß fand in das Gottesreich, also „draußen“ bleiben mußte, hatte sich bewußt für „draußen“ entschieden. Mit den Worten des Matthäus: für „die Finsternis draußen“ (Mt. 25, 30). Diese „Finsternis draußen“ wurde zum einen weiterhin im Sinne der alttestamentlichen Tradition als die Finsternis des Todes verstanden, die wie die „ewige Nacht“ eine Übertragung der konkreten Dunkelheit des Grabes in den Bereich der bildlichen Rede war. Die Vorstellung, daß der Tod eine Trennung von Gott bedeute, hatte sich bereits im jüdischen Bewußtsein entwickelt, und im Anschluß daran illustrierte „die Finsternis draußen“ auch die Distanz der Toten zu Gott. Durch die Heilsbotschaft des Jesus von Nazareth, wie sie die Evangelien verbreiteten, wurde – um im Bild zu bleiben – die so verstandene „Finsternis draußen“ noch finsterer: Denn nun war der Tod nicht mehr einfach nur ein Zustand, der ausnahmslos alle betreffen würde. Somit waren auch die „Finsternis“ oder die „ewige Nacht“ nicht mehr Metaphern für eine Totenwelt, in der alle Toten ein freudloses Schattendasein führten. Da das Neue Testament den Tod zur Strafe für alle die Menschen erklärte, die Jesus nicht nachfolgen, erfuhr die Vorstellung vom Tod eine „Verschärfung“. Der Tod war nicht mehr das unabänderliche Schicksal aller Menschen, ob gut oder böse, sondern ein Zustand, der auf die bewußte Abkehr von Gott folgt. All jene, die Jesus als den Sohn Gottes anerkennen, werden – da Jesus den Tod besiegte – auferstehen und so am ewigen Leben nahe bei Gott teilhaben. Der Gott des Neuen Testamentes stellt sich demnach auf die Seite des Lebens. Dadurch, daß Gott nun eindeutig mit dem Leben identifiziert wird, wird dem Tod eine neue Qualität zugesprochen: Der Tod wird zur gottwidrigen Kraft, zum Bösen. Folglich haben sich alle, die die Heilsbotschaft nicht annehmen, für das Böse entschieden und werden nicht auferstehen. Da das Leben und Jesus als der Gott der Lebenden symbolisiert werden durch das Licht, stellt der Tod als Folge einer bewußten Abkehr von Gott die „Finsternis draußen“ dar. Diese Finsternis ist zum einen die Abwesenheit des Lichtes, bedeutet also weiterhin im Sinne der Tradition Gottferne. Weil der Tod nun aber eine gottwidrige Kraft und eine Folge sündigen Handelns ist, erhält die Finsternis eine weitere, eine „positive“ Bestimmung: die Finsternis ist ein Zeichen der Sünde, die Finsternis ist ein „positives Merkmal“ des Gottwidrigen, des Bösen. Daß innerhalb einer solchen Vorstellungswelt neben der Finsternis auch die Nacht durchweg mit dem Bösen in Verbindung gebracht wird, illustrieren Textstellen, die Jean Delumeau in seinem Buch über die „Angst im Abendland“ zusammengestellt hat: „Christus selbst muß die Passionsnacht durchleben. Als die Stunde gekommen war, lieferte er sich den Gefahren der Nacht aus (Jo. 11, 10), jener Nacht, in die der Verräter Judas untergetaucht war (13, 30), jener Nacht, in der seine Jünger Ärgernis nehmen sollten (Mt. 26, 31); er aber wollte dieser >Stunde und der Macht der Finsternis< die Stirne bieten (Lk. 22, 53). Am Tage seines Todes senkte sich Finsternis auf die ganze Erde herab (Mt. 27, 45). Seit der Verkündigung des Evangeliums und der Auferstehung Christi leuchtet jedoch Hoffnung am Horizont der Menschheit. Gewiß befindet sich der Christ gegenwärtig noch >in der Nacht<, sagt der Apostel Paulus. Doch ist diese Nacht bereits >vorgeschritten< und jener Tag, der ihr eine Ende setzen wird, schon ganz nahe (Röm. 13,12). Wenn er die Berge der Nacht überwinden will (Jo. 12,35), so muß er auf Christus hören und ein >Kind des Lichtes< werden (Jo. 12, 36) Um sich gegen den Fürsten der Finsternis vorzusehen (Eph. 6, 12), muß er Christus und die Waffenrüstung des Lichtes anziehen und >die Werke der Finsternis< ablegen (Röm. 13,12ff.; 1.Jo. 2,8f)“ (Delumeau, 1989, S. 125-126). Interessant für mein Thema, die „höllische Nacht“, ist in diesem Zusammenhang auch ein „…Ereignis, das im Neuen Testament kaum erwähnt wird, …[aber] die ersten Christen stark beschäftigt [hat], nämlich die angebliche Höllenfahrt Christi“ (Minois, 1996, S. 109). Bald entwickelte sich ein reichhaltiges, apokryphes Schrifttum, welches über die Andeutungen im Neuen Testament weit hinausgehend detailreiche Berichte über die Höllenfahrt Christi unter das gläubige Volk brachte. Im Mittelpunkt steht die Konfrontation Jesu mit dem Teufel, aus welcher Jesus siegreich hervorgeht, da er „alle Toten des Alten Bundes erlöst“ (Minois, 1996, S. 110). Diese Episode gehe – so Le Goff – auf ein altes orientalisches Motiv zurück, „nämlich auf den Kampf des Sonnengottes mit den Gewalten der Finsternis; das Reich, in dem die Sonne gegen die Finsternis kämpft, ist auch das Reich der Toten“ (Le Goff, 1984, S. 63). Minois weist auf gnostische Einflüsse hin, was einerseits die Gegenüberstellung des guten und des bösen Prinzips im Kampf, andererseits die Identifizierung des Guten mit dem Licht und des Bösen mit der Finsternis betrifft. Da die christliche Kirche am monotheistischen Gottesbild festhielt, wurden dualistische Lehren, wie die Gnosis, als Häresien bekämpft. Die gleichnishafte Sprache des Neuen Testamentes leistete dualististischen Tendenzen allerdings Vorschub: Besaß der Gott des Alten Testamentes noch lichte wie dunkle Anteile, war er ein Gott, der das Leben und den Tod brachte, der gut und böse war, so wurde der Gott des Neuen Testamentes eindeutig als das Licht der Welt angesprochen: „Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis“ (Joh. 1, 5/6). Der Gott des Neuen Testaments ist ein guter Gott, ein Gott der Liebe und des Lebens, ein eindeutig gutes Prinzip. Innerhalb einer dualistischen Lehre wäre folglich die Finsternis, der Haß, der Tod, alles Übel dieser Welt nicht Gott, sondern ein böses Prinzip. Da die Christen aber kein anderes Prinzip neben dem Prinzip Gott anerkennen wollten, ergab sich das Problem, wie das Böse in der Schöpfung eines guten Gottes seinen Platz finden konnte. Im Hinblick auf die „höllische Nacht“ ist es – denke ich – statthaft, das Theodizee-Problem beiseite zu lassen, denn die dualistische Vorstellungsweise war, wie ich im folgenden darstellen werde, maßgeblich für die Ausgestaltung der christlichen Hölle und für weitere Entwicklung der Beziehung zwischen Hölle und Nacht. So kam, als sich die Hoffnung auf ein baldiges Kommen ihres himmlichen Herrschers nicht erfüllte, innerhalb der christlichen Gemeinden vermehrt ein apokalyptisches Denken auf, welches das Reich Gottes nicht mehr innerhalb dieser Schöpfung anbrechen sah, sondern in naher Zukunft das Weltende im Rahmen einer kosmischen Katastrophe erwartete. Diese letzte Epoche wurde gedeutet „als Kampf zwischen Guten und Bösen, über die am Ende der Zeiten Gericht gehalten würde“ (Grübel, 1991, S. 51). Dabei wurden die Feinde der Gläubigen „nicht nur in menschlicher Gestalt gesehen: als Satan, böse, gefallene Engel, als Drache usw. nahmen sie auch jenseitig-dämonische Züge an. Sobald das Totenreich zu einem Reich der Strafhölle gemacht worden war, konnte man sich diese unheimlichen Figuren als dessen Beherrscher denken, die vom >Jenseits< aus ihre Angriffe auf Erden führten“ (Vorgrimler, 1993, S. 78).
Ein entscheidener Schritt zur Etablierung der Strafhölle war getan, als sich das Christentum bei „der Wahl zwischen einer einförmigen Totenwelt – wie das jüdische Scheol – und einer zweigeteilten Welt nach dem Tode, einer Welt des Schreckens und einer Welt des Glück, wie der Hades und das Elysium, …für das dualistische Modell…“ (Le Goff, 1984, S. 10) entschied. So wurde die „Finsternis draußen“ konkreter.
Langsam gewannen die Topographie der Hölle und ihre Strafen an Gestalt. „Der zunehmende Einfluß der östlichen Religionen, deren Jenseits von Dämonen bevölkert ist, die zunehmende Sorge um das persönliche Heil, die Beunruhigung über das, was nach dem Tode kommt…“ (Minois, 1996, S. 97), trugen zur Ausgestaltung der Höllenvorstellung bei. Da die kargen Anspielungen in der Bibel „die Neugierde der Gläubigen nicht befriedigen [konnte], die auf Einzelheiten und faßbare Darstellungen aus…“ (Minois, 1996, S. 97) sind, müssen sie also erfunden werden. Da Christus das Heil versprochen hat, dieses aber „nicht jedem widerfahren kann, bedarf es eines Gegenpols, nämlich der Hölle. Und so beginnen die Gläubigen an diesem Thema, das einer überschäumenden Phantasie so sehr entgegenkommt, fleißig weiterzuspinnen. Erst in zweiter Linie beginnen die Kirchenväter eine Theologie für diesen Glauben zu schaffen…“ (Minois, 1996, S. 97).

Die finstere Hölle

Die Evangelisten griffen bei der Beschreibung dessen, was den Sündern in der „Finsternis draußen“ blüht, auf jüdische Anschauungen zurück: „Die Hölle [Gehenna] wie auch ihr Feuer waren … für die Hörerinnen und Hörer der Jesusbotschaft geläufige Vorstellungen. … Ein weiteres mit solchen Vorstellungen verbundenes Motiv ist die (ewige) Finsternis. Etliche Male ist es kombiniert mit >Heulen und Zähneknirschen<, die in jener Finsternis herrschen sollen“ (Vorgrimler, 1993, S. 19-20). „In der Auslegungsgeschichte gaben diese Anschaulichkeitsmotive wie auch dasjenige des Feuers … Anlaß zu abenteuerlichen und uferlosen Spekulationen. Mit Feuer, Heulen und Zähneknirschen sollten Elemente extremer Schmerzerfahrung als Warnung vor >Draußen< benannt werden. Finsternis ergab sich als Bild für das Getrenntsein vom Land der Lebenden aus der Dunkelheit des Grabes und der mit ihm verbundenen Totenwelt. Sobald die Warnungsworte als buchstäblich zu nehmende Vorausinformation verstanden wurden, wurde über ein Feuer gerätselt, das brennt und nicht verbrennt und sich gleichzeitig mit Finsternis vereinbaren ließe. Aus dem Heulen und vor allem Zähneknirschen oder – klappern erschloß man eine Strafe von äußerster Kälte (gefolgt von Wut oder Reue auf seiten der Bestraften), woraus sich das Problem ergab, wie eine Koexistenz von Feuer und Kälte zu denken sei“ (Vorgimler, 1993, S. 20). In dem Maße, wie die „Finsternis draußen“ konkreter wurde, wandelten sich im allgemeinen Bewußtsein der Gläubigen auch die Metaphern für die gottwidrigen Kräfte, „Anschau-ungsmotive“, wie Vorgrimler sie nennt, zu realen Wesenheiten des Bösen. Diesen bösen Wesenheiten, deren Oberhaupt der Teufel war, Satan, Lucifer, Herr der Finsternis, wurde als ihr Herrschaftsgebiet zunächst einmal die Hölle, als der finstere Ort der Bösen, zugesprochen, dann aber weiteten sie ihre Herrschaft auf die Erde aus und insbesondere die Nacht als konkrete Tageszeit wurde zur Zeit der bösen Mächte. Diese Entwicklung will ich im folgenden darstellen. „Der Glaube an eine zukünftige Hölle für die Übeltäter dieses Erdenlebens wurde zu Beginn des 3. Jahrhunderts Allgemeingut…“ (Minois, 1996, S. 123), geglaubte Wirklichkeit, den Gläubigen bekannt durch Höllenvisionen und Höllenreisen, wie sie durch zahlreiche apokryphe Schriften und durch Prediger verbreitet wurden. „Die Hölle, die sich das Volk ausgedacht hat, ist eine reichlich konfuse Angelegenheit, bei der nur ein Element konstant ist: die Qual“ (Minois, 1996, S. 123). Es gibt zwar auch schon in der unmittelbar nachchristlichen Zeit „Zeugnisse einer theologisch und spirituell niveauvollen Reflexion…, die … an der Ausmalung jenseitiger Zustände oder gar Strafen nicht interessiert sind…“ (Vorgrimler, 1993, S. 78). Da ich jedoch denke, daß sowohl die heutige Vorstellung der Hölle als auch die Entwicklung der Beziehung zwischen der Hölle und der Nacht vor allem von den „volkstümlichen“ Vorstellungen geprägt wurde, gehe ich auf die theologische Diskussion nur am Rande ein. Eine sehr einflußreiche Höllenbeschreibung, die erst „eine Synode des Jahres 397 in Karthago“ (Vorgrimler, 1993, S. 82) aus dem Kanon der biblischen Bücher ausschloß, ist die auf einen unbekannten Autor zurückgehende Petrusapokalypse, vermutlich 135 n. Chr. entstanden: „das älteste christlich-nachbiblische Zeugnis über das Ergehen des Menschen nach seinem Tode“ (Vorgrimler, 12993, S. 79), „…die erste Beschreibung der Höllenqualen, der noch sehr viele folgen werden. Sie ist gewissermaßen tonangebend, denn von nun an geht es darum, den Vorgänger an bis ins Detail beschriebenen Grausamkeiten zu übertrumpfen“ (Minois, 1996, S. 107). Als die Apostel auf dem Ölberg den Auferstandenen bitten, „ihnen den seligen Lohn der Gerechten im Himmel schauen zu dürfen, damit ihre Verkündigung darüber noch wirksamer werde, [wird ihre Bitte erfüllt]. … Außer dem Ort der Herrlichkeit wird [dann von Petrus] auch der Ort der Bestrafung beschrieben.“ (Vorgrimler, 1993, S. 79). „Die Hölle wird nach traditioneller Art beschrieben: Es herrscht dort tiefe Finsternis (XXI. Kap.): >Ich sah einen weiteren, völlig finsteren Ort; das war die Stätte der Bestrafung< (Le Goff, 1984, S. 50). „Die Bösewichter, Sünder und Heuchler aber werden in den Tiefen nicht verschwindender Finsternis stehen, und ihre Strafe ist das Feuer… Man bereitet ihnen ein nie verlöschendes Feuer“ (Petrus-Apokalypse, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 79). Zu dem ewigen Feuer der Strafe, welches in der niemals schwindenen Finsternis brennt, kommen noch etliche Qualen hinzu: Lästerer der Gerechtigkeit, Frauen wie Männer hängen an ihren Zungen über dem Feuer; Frauen, die mit Hurerei Männerseelen fingen zum Verderben, hängen an Nacken und Haaren, werden dann in die Grube voll Feuer geworfen; die Männer, die mit ihnen zusammen waren, hängen die Strafengel mit den Schenkeln ins Feuer; Mörder werden ins Feuer geworfen, in dem giftige Tiere sind; da gibt es die Mütter, ihnen fließt Milch aus den Brüsten, die „gerinnt und stinkt, und daraus gehen fleischfressende Tiere hervor, und sie gehen heraus, wenden sich und quälen sie in Ewigkeit mit ihren Männern, weil sie verlassen haben das Gebot Gottes und ihre Kinder getötet gaben.“ (Petrusapokalypse, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 80); weiterhin Qualen durch glühendes Eisen, Selbstzerfleischung, Zerstückelung, Lügner schneidet man ihre Lippen ab, und Feuer geht in ihren Mund und ihre Eingeweide; da gibt es Gewürm, Dämonen, die quälen, Feuerräder, fleischfressende Vögel … usw. usw.. Neben der geradezu sadistischen Schilderung der Höllenstrafen werden noch andere Elemente traditionsbildend wirken: nämlich die „entsprechend den Sünden und den Sündern klassifizierten Höllenstrafen“ (Le Goff, 1984, S. 50). So werden z.B. die Lügner – wie oben genannt – am Organ ihrer Sünde gestraft. Weiterhin befinden sich die ungetauften Kinder in der Hölle. Und die Qualen werden den Sündern von Dämonen zufügt: Qualen, die ewig dauern werden, da es für die Sünder, sind sie erst einmal gestorben und in der Hölle, keine Gnade mehr gibt. Auch findet sich in der Petrusapokalypse die Vorstellung, daß die Gerechten die Sünder sehen können: die ermordeten Kinder sehen die Qualen ihrer Eltern, von denen sie umgebracht wurden. Schließlich geschieht dies alles in einer undurchdringlichen Finsternis. Die Finsternis ist hier ein konkretes äußerliches Merkmal für diesen Ortes der Bösen. Die Bedeutung der Finsternis als Metapher für die Gottferne tritt hinter die als real vorgestellte Finsternis zurück. Angesichts der Qualen, die ausführlich und breit dargestellt werden, scheint die Finsternis nur den selbstverständlichen Hintergrund für die Ausmalung der Strafen zu liefern. Dies ist die Hölle, wie sie im großen und ganzen im Bewußtsein der Christen bis in unsere Zeit hinein vorhanden sein wird, ungeachtet dessen, ob sie als realer Ort, als Zustand oder auch nur als illustrierendes Wort angesehen wird. Minois nennt sie die volkstümliche Hölle: die Hölle als Synonym für unermeßliche Qualen. Durch all die Jahrhunderte hindurch wird sie in diesem Stil von Predigern ausgemalt werden, die mit solcherlei drastischen Bildern versuchen, die Angst der Gläubigen vor der Hölle wachzuhalten, um sie vor der Sünde zu bewahren. Denn selbst wenn die Allgemeinheit der Christen die Angst vor der Hölle bis hinein ins frühe Mittelalter nicht kannte, weil sie als die Gemeinschaft der Getauften das zukünftige Gericht mit Optimismus erwarteten (Grübel, 1991, S. 53), und die Hölle somit nicht sie, sondern „die anderen“ betraf, so hatte es nicht lange gedauert, bis Prediger versuchten, die Angst vor der Hölle zu schüren. Denn die Heiden sollten so auf den rechten Weg gebracht werden. Dies brachte den Christen schon sehr früh – im 2. Jahrhundert – den Vorwurf ein, „Seelsorge mit der Angst zu treiben“ (Minois, 1996, S. 117). Höllenschilderungen wie diese Visionen der Petrusapokalypse wurden von der Allgemeinheit der gläubigen Christen als Beschreibung einer wirklichen Realität angesehen, die schließlich auch die Christen treffen konnte: „Keiner aus dem Volke Gottes ist seines Heiles mehr sicher, nicht einmal die, die der profanen Welt die Einsamkeit der Klöster vorgezogen haben“ (Aries, 1989, S. 130). Schon sehr früh hatten die christlichen Denker ihre Schwierigkeiten, die Widersprüchlichkeiten des geläufigen Höllenbildes miteinander in Einklang zu bringen. „Die Absurditäten der volkstümlichen Hölle ziehen den beißenden Spott der heidnischen Intellektuellen auf sich. Man muß also diese Auswüchse beschneiden und das Christentum mit glaubwürdigen Argumenten verteidigen…., aber die volkstümliche Hölle stellt die Vernunft vor zahlreiche Probleme: Wer kommt in die Hölle? Wann beginnen die Qualen? Sind sie ewig? Wie kann die Seele körperliche Qualen wie Feuer empfinden?“ (Minois, 1996, S. 126). Wie lassen sich Feuer und Finsternis miteinander in Einklang bringen? Wie können die Seligen die Qualen der Sünder in der undurchdringlichen Finsternis sehen? Wie verträgt sich die Existenz einer ewigen Strafhölle mit der Liebe und Gnade Gottes? Wie ist die Beschaffenheit eines Feuers zu denken, das in alle Ewigkeiten quält, also brennt, ohne zu verbrennen? Selbst einige frühe christliche Theologen sprachen diesen Höllenbeschreibungen ihren Realitätsgehalt ab und sahen – der platonischen Tradition folgend – in den Höllenqualen, wie sie die Bibel beschreibt und wie sie in den volkstümlichen Visionen beschrieben werden, warnende Metaphern. So schreibt Ambrosius im 3. Jahrhundert: „Was ist diese äußere Finsternis? Soll sie bedeuten, daß es ein Gefängnis gibt, in das der Schuldige gesperrt wird? Sicher nicht. Aber jene, die außerhalb des göttlichen Willens und seiner Verheißung leben, sind in der äußeren Finsternis, denn Gottes Wille ist das Licht, und wer ohne Christus lebt, lebt ebenfalls in der Finsternis. […] Es gibt also kein wirkliches Zähneknirschen und kein ewiges, von echten Flammen genährtes Feuer, es gibt auch keinerlei Gewürm im körperlichen Sinn“ (zit. nach Minois, 1996, S. 131). Dieser Auffassung entsprechend meint die Schrift, wenn sie „vom höllischen Feuer spricht… die brennenden Gewissensbisse der Verdammten. Dieses Feuer ist nicht materiell, es ist geistig, es durchdringt die Seele und nicht den Körper. Es ist der Schmerz über die begangenen Sünden“ (Minois, 1996, S. 127). Und so bedeutet die Finsternis nach metaphorischer Lesart die selbstverschuldete Distanz der Verdammten zu Gott. Auch Origenes (gest. um 253/254) verstand die Beschreibungen der Hölle metaphorisch. Da auch das Böse seinen Platz in der Schöpfung des guten Gottes hat, lehrte er die Apokatastasis, „die Lehre von der Rückführung aller Dinge in ihren ursprünglichen, rein geistigen Zustand. … Alles kehrt in seinen ursprünglichen Zustand im Schoße des wahren, guten Gottes zurück. Dies würde bedeuten, daß die Verdammten, nach Verbüßen ihrer Strafe, auch gerettet werden…“ (Minois, 1996, S. 129). So wurde die Ewigkeit der Höllenqualen angezweifelt, denn wie „könnte ein Gott der unendlichen Güte seine eigenen Geschöpfe endlosen Qualen ausliefern?“ (Minois, 1996, S. 126). Jene Theologen, die „so dachten, konnten keinen Grund erkennen, warum die menschliche Freiheit mit dem Tod aufgehoben und keiner Entscheidungsakte mehr fähig sei. Sie hielten eine ewige Koexistenz des Bösen in Gestalt des verstockten Teufels und der reuelosen Verdammten mit der ewigen Liebe und Schönheit Gottes für undenkbar“ (Vorgrimler, 1993, S. 99). Diese Lehrmeinungen konnten sich bei der sich entwickelnden Amtskirche, die die Hölle als realen, ewigen Strafort für die Bösen etablierte, allerdings nicht durchsetzen, auch da jene der Meinung war, „daß die Angst vor der Hölle eine positive sittliche Ausdwirkung habe“ (Vorgrimler, 1993, S. 101). Die Auffassung einer ewigen Hölle und eines wirklichen, realen, aber vom irdischen Feuer unterschiedenen Höllenfeuers, welches in der undurchdringlichen Finsternis brennt, setzte sich durch. Visionen und Berichte von Höllenreisen konkretisierten weiterhin die Vorstellung von der Hölle, Prediger brachten sie unters Volk, die Theologen systematisierten sie. Als Beispiel für einen Versuch, die Koexistenz von Feuer und Finsternis ohne Widersprüche darzustellen, sei Basilius (gest. 379) zitiert, der auch zwischen den Wesenheiten der Hölle und der Nacht eine Verbindung herstellt: „Derjenige, der in seinem Leben viel Böses getan hat, wird sich furchterregenden, unheilvoll aussehenden Engeln gegenüberstehen, die wegen der Härte ihres Wesens in ihrem Atem und ihren Blicken Feuer ausströmen und mit ihrem finsteren, drohenden Verhalten im Antlitz der Nacht gleichen. Seht den tiefen Abgrund, undurchdringliche Finsternis, Feuer ohne Helligkeit, das zwar brennen kann, aber des Lichtes beraubt ist. Dann stell euch eine Art Wurm vor, der giftig und fleischfressend ist, der gierig fressen kann, ohne jemals satt zu werden, und mit seinen Bissen unerträgliche Schmerzen auslöst. Denkt dann an die allerschlimmste Strafe: ewige Vorwürfe und Schande…“ (Basilius, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 101). Auch für Augustinus ist die Hölle ewig und das Feuer materieller Natur, es hat die Eigenschaft, alles zu schwärzen, was es verbrennt, „und ist doch selbst leuchtend. Und allem, was es umzüngelt und einhüllt, nimmt es die Farbe…“ (Gottesstaat, zit. nach Minois, 1996, S. 147). Wurm und Finsternis scheint Augustinus dagegen metaphorisch zu interpretieren, so daß ihm die Koexistenz von Feuer und Finsternis keine Schwierigkeiten macht: Die Bisse des Wurmes bedeuten demnach die Gewissensbisse der Sünder, und die Finsternis sieht er als Metapher dafür an, daß die Sünder sich außerhalb des Gottesreiches befinden: „Deshalb nennt der Herr auch diese Stätte >die Finsternis draußen< (Mt. 25,30)“ (Gottesstaat, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 121). Augustinus, der „den Kirchen der katholischen und reformatorischen Tradition eine große theologische Autorität bis heute [ist]…, über tausend Jahre lang … im Abendland sogar die theologische Autorität schlechthin“ (Vorgrimler, 1993, S. 117), war sich mit fast allen Kirchenvätern des 4. Jahrhunderst darüber einig, „daß die Hölle erst nach dem Jüngsten Gericht wirklich beginnt, denn damit die Qualen vollständig sind, muß der Körper auferstehen“ (Minois, 1996, S. 138). Diese Meinung ist gegenüber der Botschaft der Evangelien, laut der nur die Seligen auferstehen werden, eine erneute Konkretisierung der Hölle und der bösen Mächte. Dadurch, daß auch die Verdammten im Fleische auferstehen werden, sind sie in gewisser Weise den Seligen gleichgestellt: Augustinus drückt dies mit seinem Zwei-Staaten-Modell aus. „Der Heilsbotschaft der Gläubigen (>civitas Dei<) stellte Augustinus die >civitas diaboli< gegenüber, die bis zum Ende der Zeiten auf der Welt nebeneinander existieren und zwischen denen sich der Christ entscheiden muß“ (Grübel, 1991, S. 53). Und nach dem Ende der Welt, wenn „nach der Auferstehung das Allgemeine Gericht abgehalten und vollstreckt ist, dann haben die beiden, das Reich Christi und das Reich des Teufels, ihre festen Grenzen. Das eine umschließt die Guten, das andere die Bösen, und beide umfassen sowohl Engel als auch die Menschen…“ (Gottesstaat, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 119). Die Frage, ob diese Auffassung „nicht doch einen metaphysischen Dualismus verrät, der der jüdisch-christlichen Tradition widerspricht, braucht hier [wie Vorgrimler sagt] nicht entschieden zu werden“ (Vorgrimler, 1993, S. 120). Dieses Weltbild, das die Menschheitsgeschichte als das Schlachtfeld der Kämpfe der Guten mit den Bösen ansieht, wirkt bis heute fort. Und die Konkretisierung, die das „Reich des Teufels“ dadurch erfahren hatte, beeinflußte auch die Vorstellungen der Menschen von Nacht als konkrete Tageszeit: War die Hölle der Ort der „Finsternis draußen“, so wurde die Nacht die bevorzugte Zeit für Angriffe aus dieser „Finsternis draußen“. Bevor ich aber diese Entwicklung darstellen werde, sei als ein Beispiel für die Konkretisierung des Bösen gerade im Hinblick auf die Finsternis eine Aussage des Thomas von Aquin (gest.1274) zitiert: „Die Einrichtung der Hölle wird derart sein, wie es am meisten dem Elend der Verdammten entsprechen wird. Demgemäß sind dort Licht und Finsternis, wie es am meisten zum Elend der Verdammten paßt. … gelegentlich kommt es auch vor, daß das Sehen leidvoll ist, wenn wir nämlich etwas sehen, was uns schädlich oder unserm Willen zuwider ist. Und deshalb muß die Räumlichkeit der Hölle in der Weise nach Licht und Finsternis für das Sehen eingerichtet sein, daß nichts deutlich gesehen wird, sondern nur in einer gewissen Vernebelung das gesehen wird, was dem Herzen Leid zufügen kann. Daher ist die Räumlichkeit schlechthin gesprochen finster; dennoch gibt es nach Gottes Anordung dort etwas Licht, das hinreicht, um das zu sehen, was die Seele quälen kann. Und dem tut die natürliche Lage des Ortes Genüge; denn in der Erdmitte, wo man die Hölle annimmt, kann es nur ein rußiges, trübes, gleichsam schwelendes Feuer geben.
Manche sehen jedoch die Ursache der Finsternis in der Zusammenballung der Leiber der Verdammten, die in ihrer großen Zahl derart den Raum der Hölle ausfüllen werden, daß dort keine Luft übrigbleiben wird. Und so wird es dort nichts Durchsichtiges geben, das Licht oder Finsternis aufnehmen könnte, außer den Augen der Verdammten, die verfinstert sein werden“ (Die letzten Dinge, 97. Frage, Artikel 4., zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 202).

Überleitung zur höllischen Nacht

Die Finsternis als Metapher für die konkrete Dunkelheit des Grabes und der damit verbundenen Vorstellung der Distanz zu Gott hat eine neue, zusätzliche Qualität bekommen: Als „Finsternis draußen“ verbildlicht sie einmal die geistige Qual „im ewigen Ausschluß von der Anschauung Gottes… die Einsamkeit und Verzweiflung bedeutet“ (Grübel, 1991, S. 61), und zum zweiten wurde die Finsternis ein konkretes äußerliches Merkmal der als real vorgestellten Strafhölle und der bösen Mächte, welche in der „Finsternis draußen“, nun auch verstanden als „civitas diaboli“, als reale Wesen leben. Ist hier noch die Hölle der Ort, an dem das Böse seine Macht ausübt, so weitet das Böse in der Folgezeit seinen Herrschaftsbereich auf die „Welt“ aus, und die Nacht wird die bevorzugte Zeit für die Angriffe des Bösen auf die „civitas Dei“ werden.
„Eine unglaubliche Furcht vor dem Teufel begleitete die Heraufkunft der Moderne in Westeuropa. Die Renaissance übernahm zweifellos Vorstellungen und Bilder vom Teufel, die sich im Laufe des Mittelalters herausgebildet und vermehrt hatten… Der Teufelswahn nimmt zwei grundlegende Formen an, die sich beide in der Ikonographie widerspiegeln: eine grauenhaft höllische Bilderwelt und eine panische Angst vor den unzähligen Fallen und Versuchungen, die der große Verführer ersinnt, um die Menschen zu verderben“ (Delumeau, 1989, S. 358 – 359).
Laut Delumeau bezeichnet Dantes „Göttliche Komödie“ symbolhaft den „Zeitpunkt, von dem ab das religiöse Bewußtsein der abendländischen Elite der Flutwelle des Satanismus auf lange Zeit nichts mehr entgegenzusetzen hat“ (Delumeau, 1989, S. 359). Eine eingehende Betrachtung der „Göttlichen Komödie“ würde den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen, aber da sie in einer Arbeit über die Hölle nicht fehlen darf, sei sie an dieser Stelle des Überganges zur Höllischen Nacht kurz behandelt.
Dante Alighieri, 1265 in Florenz geboren, schuf mit seinem Werk den „Höhepunkt der klassischen Geschichte der Hölle, … Resultat und Krönung einer langen Reifezeit. Wie Reims und Amiens die Perfektion der gotischen Klassik symbolisieren, so ist Dantes Hölle die Kathedrale des Bösen, das unterirdische Meisterwerk mit umgekehrtem Aufbau, das Ergebnis einer langen Reflexion über die Verdamnis“ (Minois, 1996, S. 224). Mit Dantes Dichtung ist die Ausmalung der Hölle „am Ende: neue Elemente tauchen nicht mehr auf“ (Vorgrimler, 1993, S. 191). Die „Göttliche Komödie“ wurde durchaus nicht nur als Dichtung angesehen, sondern „unter der stillschweigenden Vorraussetzung der Wissenschaftlichkeit, der Zuständigkeit für die Regionen Himmel, Hölle, Purgatorium“ (Ross, 1986, S. 56), sie galt „als Schilderung einer visionären Jenseitsreise“ (Vorgrimler, 1993, S. 175).
Minois bezeichnet Dantes Höllenvision nicht nur als Synthese aus volkstümlicher und theologischer, sondern auch als Verschmelzung von mythologischer und christlicher Hölle. „Die bisher besuchten Höllen waren ein Chaos mit einer wirren Topographie, … Qualen und widersprüchliche Geschichten, ohne jeglichen Zusammenhang. … Die Höllenfauna war bunt zusammengewürfelt aus Drachen, monströsen Untieren, echten Tieren und Dämonen. Die Strafen waren zwar je nach der Verfehlung unterschiedlich, hatten jedoch kaum eine Beziehung zu der Art der begangenen Sünden. Dante organisiert, strukturiert, klassifiziert und ordnet. … Dantes Hölle ist ein riesiges intellektuelles Gebäude nach dem Bild der theologischen Summen seiner Zeit. Er ist ein visionärer Thomas von Aquin; beide klassifizieren sie und ordnen ein, der eine die Bilder, der andere die Ideen. … Die Summa und die Hölle sind rationale Gebilde und unabweisbar, sobald man ihre Prämissen anerkennt“ (Minois, 1996, S. 211-212).
Die „Göttliche Komödie“ des Dante, die „gewiß religiöse Absichten verfolgt, … [will aber] primär Dantes politische Auffassung zur Geltung bringen und Abrechung mit seinen Gegner halten…“ (Vorgrimler, 1993, S. 175): „Was beim Inferno im Vergleich zu Texten und bildlichen Darstellungen früherer und späterer Zeiten auffällt, ist die enorme Erden-, Menschen-, Zeitgenossennähe“ (Ross, 1986, S. 57). Dante benannte die Sünder namentlich. Etwas, das die offizielle kirchliche Lehre nie tat: „Diese hat nie einen Menschen namentlich und mit Gewißheit in die Hölle versetzt“ (Vorgrimler, 1993, S. 190). Minois sagt dazu, „daß der Dichter die Sünden mit der Hölle bestraft und die Personen nur als Beispiel zitiert“ (Minois, 1996, S. 219).
Ich denke, daß sich Dantes Hölle durch diese „Erd- und Menschennähe“ in den von mir beschriebenen Prozeß der Konkretisierung der „Finsternis draußen“ einfügen läßt. Denn dadurch, daß die Verdammten nicht anonym bleiben, sind sie den Rezipienten der „Göttlichen Komödie“ vertrauter, und so wird auch die Hölle zu einer konkreter faßbaren Realität.
Was die Beziehung zwischen der Hölle und der Nacht betrifft, so beginnt die „Göttliche Komödie“ Dantes zur Nachtzeit. Dante hatte sich des Nachts in einem dunklen Wald, dem Wald der Sünde, verirrt. Dort kam ihm der Geist Vergils zur Hilfe, der Dante das Angebot machte: „Am besten scheint es mir an deiner Stelle,/ Daß du mir folgst; ich will dein Führer sein/ Und mit dir wandern durch die ewige Schwelle…“ (Dante, 1957, I. Gesang, S. 10). Vergil ging daraufhin weg, Dante schloß sich ihm an, und : „Der Tag verging; das Dunkel brach herein“ (Dante, 1957, II. Gesang, S. 11).
Die Jenseitsreise selbst beginnt allerdings nicht in der Nacht, sondern am „Karfreitag-morgen des Jahres 1300“ (Vorgrimler, 1993, S. 176). Ich denke jedoch, daß Dante, da er die „Göttliche Komödie“ zur Nachtzeit im Wald der Sünde beginnen läßt, auf den Abstieg des Aeneas in die Unterwelt anspielt. Denn dort – vor dem eigentlichen Tor der Unterwelt – lauern lauter unheilvolle, allegorische Gestalten, durch die sich – wie Minois schreibt – die Hölle auf Erden fortsetzt. Und Dante wird – wie Aeneas – an dieser Stelle seiner Reise angegriffen: Ihn bedrohen „drei Tiere…, die die drei Laster verkörpern“ (Dante, 1957, Anmerkungen S. 479): Wollust, Hochmut, Habgier. Dante könnte hiermit also den Übergang der eigentlichen Hölle auf die Erde gemeint haben: Die Sünde wäre demnach die Verbindung zwischen den lebenden Menschen und den Mächten der Hölle, die durch die Sündhaftigkeit der Menschen ihren Machtbereich auf die Erde ausweiten.
Die Hölle selbst ist für Dante „Kälte, Hitze und ewige Nacht“ (Dante, 1957, S. 18). So spricht er z.B. vom tiefen Abgrund „und des Tals des Leiden,/Das grenzenlosen Jammers Tosen bannt./In Nacht und Nebel lagen seine Weiden“ (ebd., S. 20), von lichtverstummten Gründen, finsteren Gestaden, der „Nacht hienieden“ (ebd., S. 27) und „finsteren Zonen“ (ebd., S. 29).
Als er und Vergil in den untersten Kreis der Hölle gelangen, stellt Dante angesichts dessen, was er da sieht, mittels eines Vergleichs eine Verbindung zur Nacht als irdischer Tageszeit her: „Wie aus Distanz, wenn dichter Nebel weht,/Und wenn die Nacht beginnt in unseren Landen…“ (ebd., S. 151). Alles in allem aber scheint mir die Nacht, wie die Finsternis, in der „Göttlichen Komödie“ ein illustrierendes Detail zu sein, welches den traditionellen Hintergrund für die Strafen und Qualen liefert. Die Nacht oder die Finsternis als Zeichen der Gottferne tritt meiner Ansicht nach bei Dante hinter die Ausmalung der Höllenqualen zurück.
Bevor ich nun aber zur Nacht als der höllischen Tageszeit komme und meine Hausarbeit mit der Betrachtung der „höllischen Nacht“ abschließe, möchte ich noch auf einen Aspekt eingehen, den ich bereits im ersten Kapitel erwähnt habe: nämlich auf den Aspekt, daß – laut Le Goff – die Reise ins Jenseits in den Apokalypsen und in den mittelalterlichen Visionen vor Sonnenaufgang beendet sein müsse, sie also in der Nacht stattfinde. Einige Beispiele solcher Reisen werde ich nun anführen:
In der Paulus-Apokalypse, die ebenfalls wie die Petrus-Apokalypse auf einen unbekannten Verfasser zurückgeht und deren einflußreichste Fassung aus dem 4. Jahrhundert stammt, wird „Paulus“ die Hölle gezeigt: „Paulus“ reist, getragen von einem „Deute-Engel“ (Vorgrimler), „nach Sonnenuntergang zu… und es war nicht Licht an jenem Orte, sondern Finsternis und Traurigkeit und Betrübnis…“ (Paulus Apokalypse, zit. nach Vorgrimler, 1993, S. 107). Die Reise des „Paulus“ in Richtung Hölle geht ‘gen Sonnenuntergang, also in die Nacht.
In der „Vision des heiligen Fursy“, aufgeschrieben im Jahre 735, ist geschildert, wie Fursy krank wurde und ein Gesicht hatte, denn seine Seele hatte den Körper „vom Abend bis zum ersten Hahnenschrei“ (Beda, zit. nach Le Goff, 1984, S. 139), also in der Nacht, verlassen.
Die „Vision des Drythelm“ schildert die Jenseitsreise des Drythelm, der schwerkrank wurde und eines Abends starb. „Im Morgengrauen erwachte er wieder zum Leben…“ (Le Goff, 1984, S. 140), und später erzählte er dann, was er während der Nacht gesehen hatte.
Die „Vision des Wetti“ berichtet, wie der Mönch Wetti mit geschlossenen Augen krank in seiner Zelle ruhte. Er schlief aber nicht. Nachdem ihm zunächst Satan erschienen war, den aber lateinisch sprechende Engel vertrieben, zeigte ihm ein Engel das Jenseits. Nach einer langen Rede des Engels über die Laster der Welt, erwachte Wetti bei Tagesanbruch und diktierte einem Bruder seine Vision.
In der „Vision Karls des Dicken“ wird Karl als er sich „in einer heiligen Sonntagnacht nach der nächtlichen Gottesdienstfeier zur Ruhe legte und schlafen wollte…“ (zit. nach Le Goff, 1984, S. 146) im Geiste ins Jenseits, auch in die Hölle, entführt.
Ausgehend von einer Legende des 5. Jahrhundert heißt es vom „Fegefeuer des heiligen Patrick“, eine „noch heute im Mittelpunkt einer irischen Wallfahrt stehende Grube…, in der sich Sünder läutern könnten“ (Vorgrimler, 1993, S. 169): „Wer es wagt, eine Nacht in einem dieser Löcher zu verbringen, wird von bösen Geistern ergriffen und verbringt die Nacht in furchtbaren Qualen in einem unauslöschlichen Feuer, so daß man ihn am nächsten Morgen halbtot wiederfindet. Es wird erzählt, daß man von den Höllenstrafen nach dem Tode verschont bleibt, wenn man sich, um bereits in diesem Leben Buße zu tun, jenen Martern unterzieht, es sei denn, man begeht danach von neuem schwere Sünden“ (Le Goff, 1984, S. 241).


Drittes Kapitel

Die höllische Nacht

Begegnete uns die Nacht bisher vor allem im Motivkreis der Finsternis, als Äußerlichkeit der Hölle, als Metapher für den Tod und die Distanz zu Gott, so wird sie nun, da sich die Finsternis der Hölle – wie gezeigt wurde – zu realen, wirkmächtigen Wesenheiten konkretisierte, zur Tageszeit, in der die Mächte der Finsternis ihre Schrecken auf die Welt des christlichen Abendlandes ausüben.
Jean Delumeau beginnt sein Buch „Angst im Abendland“ damit, daß er – Montaigne zitierend – beschreibt, wie schwer es im 16. Jahrhundert war, „des Nachts Augsburg zu betreten…: vier große, aufeinanderfolgende Tore, eine Brücke über einen Graben, eine Zugbrücke und eine eiserne Schranke scheinen nicht zuviel eine Stadt von 60000 Einwohnern, die zu jener Zeit die einwohnerreichste und wohlhabendste Stadt Deutschlands ist, gegen jede Überraschung abzusichern. In einem Land, das religösen Streitigtkeiten ausgesetzt ist, während der Türke um die Grenzen des Reiches streicht, ist jeder Fremde verdächtig, vor allem bei Nacht“ (Delumeau, 1989, S.10-11).
Delumeau bezeichnet die Zeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert als „eine Periode gesteigerter Angst…, während der Europa in besonderem Maße von Schicksalsschlägen heimgesucht wurde, die eine nachhaltige geistige Erschütterung bewirkten: der >Schwarze Tod<, der 1348 die jähe Rückkehr tödlicher Epidemien markiert, die Aufstände, die vom 14. bis 17. Jahrhundert nacheinander in den verschiedenen Ländern ausbrechen, der endlos erscheinende Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich,… das Vordringen der Türken, das >Große Schisma< – der Skandal der Skandale -, die Hussistenkriege, der moralische Niedergang des Papsttums vor seiner Erneuerung durch die katholische Reformbewegung, die Abspaltung der Protestanten mit all ihren Folgen: gegenseitige Exkommunikation, Massaker und Kriege“ (Delumeau, 1989, S. 311). „In weiten kirchlichen Kreisen schrieb man die Zustände dem Ausbruch des Teufels und seiner Dämonen aus der Hölle zu. Die religiösen Aggressionen wurden auf Fremde und physisch schwache Minderheiten gelenkt: Muslime, Juden und Frauen (>Hexen<) galten als Agenten des Satans“ (Vorgrimler, 1993, S. 215). Daß im allgemeinen Bewußtsein die finsteren Mächte der Hölle bevorzugt in der Nacht die Menschen angriffen, liegt sicherlich auch in der uralten Angst des Menschen in der Dunkelheit begründet: „Angst in der Dunkelheit empfanden die ersten Menschen, die nachts den Angriffen der wilden Tiere [und bestimmt auch anderer Menschen] ausgesetzt waren, ohne daß sie sie in der Dunkelheit heranschleichen sahen. Sie mußten durch Feuer diese >objek-tiven< Gefahren fernhalten. Diese jeden Abend von neuem erwachenden Ängste haben die Menschheit zweifelsohne vorsichtig gemacht und sie gelehrt, die heimtückischen Gefahren der Nacht zu fürchten“ (Delumeau, 1989, S. 128). Für Delumeau ist es mehr als wahrscheinlich, daß diese >objektiven Gefahren< durch ihre Häufung im Lauf der Zeit die Menschen veranlaßt haben, „die Nacht mit >subjektiven Gefahren< zu bevölkern. So konnte die Angst in der Dunkelheit sich als Angst vor der Dunkelheit intensivieren und verallgemeinern“ (Delumeau, 1989, S. 129). Die über Jahrtausende gemachte Erfahrung, daß in der Nacht Gefahren lauern, bewirkte so, daß ein Unbehagen der Menschen vor der Nacht entstand, denn in „ihrem Schoß schmiedeten die Feinde der Menschen Pläne zu deren physischen und moralischen Verderben“ (Delumeau, 1989, S. 125). Dieses Unbehagen vor der Nacht fand seinen Ausdruck auch in der Ausmalung einer Totenwelt und dann einer jenseitigen Strafhölle, die wie eine „ewige Nacht“ sei. Auch daß die Menschen sich die Bösen als „finstere“ Gestalten vorstellen, hängt – so denke ich – mit diesem Unbehagen zusammen, denn „ehrliche Leute treiben sich um diese Zeit nicht draußen in der Finsternis herum“. Und „der böse Feind macht sich … die Nacht zunutze, um den Menschen, der durch das fehlende Tageslicht anfälliger dafür geworden ist, zu Sünde und Unrecht zu verleiten“ (Delumeau, 1989, S. 138). Schon früh gehörten zu den Gefahren der Nacht auch Feinde aus dem Jenseits. So war die Nacht im Aberglauben der Völker „die Zeit der Geister und des Zaubers, besonders die Stunde von 12 bis 1 Uhr, sonst gewöhnlich die Zeit bis zum ersten Hahnenschrei oder bis zum Sonnenaufgang“ (HdA, Spalte 776). Da sich die Menschen die Hölle „wie die Nacht“ vorstellten, und den Ort der Bösen und das Böse mit den Attributen der Dunkelheit und Finsternis und den „objektiven Gefahren“, die die Nacht für sie besaß, ausmalten, lag es nahe, die Nacht zur bevorzugten Zeit des personifizierten Bösen zu machen: war es zuvor das wilde Tier, etwa der Wolf, so war es nun der Teufel z.B. in Wolfsgestalt, welcher in der Nacht die Menschen ängstigte. So war aus dieser Tageszeit, vor und in der die Menschen Angst hatten, auch die Zeit des Teufels, des finsteren Bösen des christlichen Glaubens geworden, die Zeit, zu der er die Hölle verläßt, um das Seelenheil der Menschen zu verderben. So hat sich die Angst, die der Mensch vor der Nacht empfand, in einem Jenseits des Todes, welches er sich finster, unsicher und erschreckend „wie die Nacht“ vorstellte, zu einer Vorstellung von bösen Wesenheiten verdichtet, die dem alten Schrecken der Nacht ein neues Gesicht geben und die Angst mehren. Denn: „Der christliche Kartograph lokalisiert das Böse in der Hölle, aber auch er weiß, daß es zwischen Hölle und Erde mehr Wege und Eintrittspforten gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. … Kriege und Seuchen, Klimaeinbrüche und katatrophale Mißernten waren als Geißel der Menschheit bekannt und gefürchtet: Nun aber wurde das Übel, jene dunkle Kraft selbst – als Ursache all dieser Geißeln – in >purer< Personifikation an das Tageslicht gezerrt. Der Pesthauch des Bösen verdichtete sich – die Wurzel allen Übels wird identifiziert in der Gestalt der >Bündnispartner< des Leibhaftigen: der Hexen und Zauberer, der Kundigen und Künder der schwarzen Magie“ (von Radhen, 1993, S. 28).
Außerdem ist in der Nacht „der Teufel am mächtigsten … In seiner ganzen Herrlichkeit und Größe zeigt sich der Teufel bei den nächtlichen Zusammenkünften der Hexen, die jede Mittwoch- und Freitagnacht, besonders aber in der Walpurgisnacht …stattfinden. … In der Nacht verrichten die Hexen auch ihre schädlichen Werke, und nur nachts können sie Tiergestalt annehmen…“ (HdA, Spalte 777-778).
Der Tatsache, daß vor allem Frauen nachgesagt wurde, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, liegt eine lange Geschichte der Diskriminierung der Frau und der Angst der Männer vor den Frauen zugrunde. „Zwar gab es auch Männer, die zaubern konnten, und auch sie mußten mit dem Teufel im Bunde stehen. Aber sie wurden nur angeklagt und verfolgt, wenn sie mit den Hexen gemeinsame Sache machten. Meistens standen sie im hohen Ansehen … [Denn die] Männer hatten sich ihre Zauberkunst durch lebenslange planmäßige Schulung erworben. Und der Teufelspakt, für den man allerdings auf sein Seelenheil verzichten mußte, war eine willkommene Möglichkeit, tiefere, dem Menschen sonst verschlossene Einsichten in die Natur zu bekommen. Die Frau aber hatte mit Geistigkeit und Intelligenz nichts zu tun. Sie galt als primitiv, kreatürlich und wurde eher mit dem Tier als mit ihrem Mann verglichen. Primitiv und animalisch mußten deshalb auch ihre Beziehungen zum Bösen sein. Vertrauensselig, neugierig und geil öffnete sie ihm Tür und Tor. Und weil ohnehin die Sexualität als Haupteinflußbereich des Teufels galt, hatte er hier leichtes Spiel“ (Haag, 1974, S. 155).
Der Mann beschuldigte die Frau, „…die Sünde, das Unglück und den Tod in die Welt gebracht zu haben. … Der Mann hat einen Verantwortlichen für das Leiden, den Mißerfolg, das Verschwinden des irdischen Paradieses gesucht und die Frau gefunden. … Die Höhlung des weiblichen Geschlechts ist zum Höllenschlund geworden“ (Delumeau, 1989, S. 461).
Die Frau galt von alters her, als die, die das Leben schenkt und den Tod bringt, die „Erdmutter ist der nährende Schoß, aber auch das Totenreich“ (Delumeau, 1989, S. 459). Eine Äußerung Simone de Beauvoirs über die Angst des Mannes vor dieser „Zweideutigkeit“ (Delumeau) der Frau führt uns nach diesem Exkurs zur „höllischen Nacht“ zurück: „So ist das Antlitz der Mutter Erde in Finsternis gehüllt … Sie ist das Chaos, aus dem alles hervorgegangen ist und in das alles eines Tages wieder zurückkehren muß. (…) Nacht herrscht in den Eingeweiden der Erde. Dies Dunkel, in das der Mensch zu versinken droht und das die Kehrseite der Fruchtbarkeit ist, erfüllt ihn mit Grauen“ (zit. nach Delumeau, 1989, S. 459).
Bei dieser Nähe der Frau zu der Finsternis der Hölle verwundert es nicht, daß es vor allem die Frauen waren, denen vorgeworfen wurde, bei nächtlichen Zusammenkünften Verkehr mit dem Teufel zu haben. „Der Sabbat oder die nächtlichen Versammlungen, deren die Hexen in den Prozessen beschuldigt wurden, ist ein … bevorzugtes Thema der Hexenankläger“ (di Nola, 1990, S. 288), da sie glaubten, daß die Hexen im Rahmen dieser nächtlichen Zusammenkünfte einen Pakt mit dem Teufel abschlössen. Dadurch unterschieden sie sich von den unfreiwillig vom Teufel Besessenen. Die Hexe „ist nicht Opfer des riesigen Heers von Dämonen, das die schwache menschliche Kreatur umlauert; vielmehr ist sie Protagonistin eines gefährlichen und verabscheuungswürdigen Unternehmens, denn sie sucht eine persönliche Beziehung zur Welt des Bösen und stellt, aus Haß auf die Welt und auf ihre Mitmenschen, Körper und Seele in den Dienst des Teufels, um so in den Besitz einer vergänglichen, aber schrecklichen Macht zu gelangen“ (di Nola, 1990, S. 283).
An dieses „riesige Heer von Dämonen“, welches im Dienste des Teufels die Menschen zu verderben suchte, glaubten nicht nur die Katholiken: Luther „war jedesmal, wenn er auf ein Hindernis stieß, einen Gegner oder eine Institution bekämpfte, davon überzeugt, es mit dem Teufel zu tun zu haben“ (Delumeau, 1989, S. 365).
Speziell über Deutschland schreibt Delumeau, daß in diesem Land, in dem sich die Faust-legende entwickelte, die Einwohner fest daran glaubten, daß Lucifer König sei. Er führt daran anschließend an, daß dieses Gefühl nicht so ausgeprägt gewesen wäre, „wenn nicht Theater und vor allem Buchdruckerkunst jene Angst und zugleich auch einen morbiden Gefallen am Satanismus verbreitet hätten … durch dicke Bände, aber auch durch volkstümliche Schriften. … Broschüren und Flugblätter gab es wie Sand am Meer. Hausierer, wandernde Magier und Teufelsaustreiber verkauften Druckwerke; … sie deuteten Träume, gaben Verbrechen und Schauergeschichten zum besten… [Es] wimmelte … von Geschichten über Besessene, Werwölfe und Teufelserscheinungen. Dies war im 16. und frühen 17. Jahrhundert Deutschlands täglich Brot“ (Delumeau, 1989, S. 366-369). Aber die gesamte europäische Kultur hat – laut Delumeau – „zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert die beunruhigende Seite der Nacht … aufgewertet, und zwar in dem Maße, in dem sie mit geradezu krankhafter Vorliebe Nachdruck auf die Hexerei, den Satanskult und die Verdamnis legte. Man glaubte, daß die meisten Hexensabbate im Schutz der Nacht veranstaltet wurden, da Sünde und Dunkelheit zusammengehören. … So scheint die europäische Kultur an der Schwelle zur Neuzeit einer wachsenden Angst vor der Dunkelheit nachgegeben zu haben…“ (Delumeau, 1989, S. 133-134).

Schluß

Wie Brittnacher in seinem Buch über die „Ästhetik des Horrors“ schreibt, überschwemmten aber selbst um 1800 noch die „… nicht in Hunderten, sondern in Tausenden zu zählenden Schauer- und Geheimbundromane, Gespenstergeschichten, Erzählungen von übersinnlichen Begebenheiten und Traktate zu okkulten Lehren … den Markt“ (Brittnacher, 1994, S. 64).
Doch zu dieser Zeit trat die Aufklärung der „Angst vor der Dunkelheit“ (Delumeau, 1989, S. 134) entgegen. Durch das Wirken der Aufklärung, die sich, wie Kant es ausdrückte, als Befreiung vom Aberglauben verstand, wurde sowohl der traditionellen Höllenvorstellung als auch der „höllischen Nacht“ – wie sie hier als die Zeit der Übergriffe des Bösen dargestellt wurde – der „>wissenschaftliche< Boden [entzogen]… Aber auch wenn die dämonologische Frage wissenschaftlich >erledigt< schien, sie beschäftigte gleichwohl das Alltagsbewußtsein, die Phantasien und die Träume. Nach der Vertreibung des Bösen aus den Wissenschaften durch die Wissenschaften haben die Künste ihm Zuflucht gewährt“ (von Rahden, 1993, S. 41). Allerdings begegne der Dichtung, die im 17. und 18. Jahrhundert die Hölle thematisierte, etwa Miltons „Paradise Lost“ von 1667 oder das II. Buch von Klopstocks „Messias“ von 1748, – laut Vorgrimler – der „Spott der Aufgeklärten…“ (Vorgrimler, 1993, S. 371). Neben der krassen Kritik von Aberglauben und traditioneller Religion überhaupt fände sich – wie Vorgrimler ausführt – jedoch auch ein tiefes Nachdenken über das, was Hölle sein oder was mit dem Wort Hölle gemeint sein könnte Vorgrimler führt hier als Beispiel die Dichtung Jean Pauls an, der nicht die Realität der Hölle negiere, sondern sie in dem Sinne umdeute, daß die Grundelemente der Hölle nicht mehr Schuld und Strafe seien, sondern „die Ängste vor dem Sterben und daraus stammende Vernichtungsvisionen. Jean Pauls >Traum von der Hölle<, nur zur Hälfte fertiggestellt, sucht die Hölle zu beschreiben, die nicht ein jenseitiger Ort, sondern die Welt im Zustand wachsender Vernichtung ist“ (Vorgrimler, 1993, S. 371). Und so nenne Jean Paul, wie Vorgrimler an dieser Stelle schreibt, seinen „dunkelsten Nachtgedanken“, „daß der Tod […] mir meine teure Geliebte aus den ohnmächtigen Händen ziehe…“ (Vorgrimler, 1993, S. 372).
Ich denke, daß sich anhand der Gedanken Jean Pauls zur Hölle, so wie sie hier skizziert sind, ein Bogen von den Anfängen der Höllenvorstellungen im Alten Testament bis hin zu der Angst vor der Nacht, aus deren Dunkel heraus das Böse die Welt zu verderben droht, spannen läßt: Denn es war die Angst vor dem Tod – Jean Pauls „dunkelster Nachtgedanke“ -, die im Verbund mit der Dunkelheit des Grabes die Ursprünge der Höllenvorstellung des Alten Testamentes prägte: die Vorstellung einer Totenwelt „so finster wie die Nacht“ (Ijob, zit. nach Grübel, 1991). Diese Totenwelt entwickelte sich zu dem jenseitigen Strafort Hölle und dem von Angst geprägten Glauben an die „höllische Nacht“, einer Vorstellung, an die Jean Pauls Beschreibung einer nun seiner jenseitigen Wurzeln beraubten Hölle als „Welt im Zustand wachsender Vernichtung“ (Vorgrimler, 1993, S. 371) anzuknüpfen scheint.
Auch Nietzsche knüpft meiner Meinung nach an christliche Traditionen an, wenn er, die äußerste Konsequenz der Aufklärung – die Heraufkunft des Nihilismus – illustrierend, den „tollen Menschen“ verkünden läßt, daß Gott tot sei und: „…Was thaten wir, als wir die Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen?… Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?…“ (Nietzsche, KSA 3, S. 481).
Daß, was Nietzsche beschreibt, ist meiner Meinung nach die ins Äußerste gesteigerte Distanz zu Gott: Nicht nur die Toten, wie im Alten Testament, oder die Bösen, wie im Christentum, befinden sich in der „Nacht“, sondern alle Menschen, ja, die ganze Erde. Und Gott ist nicht nur abwesend, wie in der Hölle verstanden als „Finsternis draußen“, sondern tot. Sogar mehr noch als tot, nämlich ermordet, denn: „Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder!“ (Nietzsche, KSA 3, S. 481).
Auch der zweifelnde, verzweifelte Faust in Goethes Dichtung befindet sich zu Beginn seiner Tragödie – wie die Regieanweisung sagt – in der Nacht. In Goethes Dichtung findet auch die „höllische Nacht“ im engen Sinne an mehreren Stellen ihre Aufnahme: als die Zeit, in der das Böse bevorzugt in Erscheinung tritt: Faust beschwört in der Nacht den Erdgeist, dessen Anblick er nicht erträgt. In einer Nacht erscheint ihm Mephistopheles, und in eben dieser Nacht schließt Faust seinen Pakt mit dem Teufel. Die eher volkstümliche, derb-sexuell aufgeheizte Walpurnisnacht im ersten Teil des „Faust“ findet ihre klassische Variante im zweiten Teil.
Aber auch im „Erlkönig“ ist die Tradition der „höllischen Nacht“ zugegen. In dieser Dichtung erscheint das Böse, der Tod, ebenfalls in der Nacht. Die „Höllische Nacht“ ist zum Beipiel auch in Goethes Gedicht „Der Totentanz“ aufgenommen, in dem ein Türmer zur Mitternacht die Toten aus ihren Gräbern heraussteigen sieht.
In unserem Jahrhundert wählt z.B. Camus, um das Absurde der menschlichen Existenz, ihre metaphysische Sinnlosigkeit, zu verdeutlichen, den Mythos des Sisyphos, der einer der Frevler war, die in der dunkelsten Tiefe der antiken Unterwelt gequält wurden.
Diese Beispiele aus der anspruchvollen Literatur zeigen, daß die in dieser Hausarbeit herausgearbeitete gemeinsame Geschichte der Hölle und der Nacht nicht mit dem Wirken der Aufklärung ihr Ende fand. Fortgeführt wurde sie auch in den vielen Werken „der Nachtseite der Literatur“ (Brittnacher, 1994, S. 7) über Vampire, Werwölfe, Gespenster und andere teufliche Wesen der Nacht, wie z.B. in den Bestsellern der Anne Rice über Vampire wie „Der Fürst der Finsternis“ oder „Interview mit einem Vampir“, welcher auch als Verfilmung ein großer Publikumserfolg war. Die „höllische Nacht“ findet sich aber auch in vergleichsweise trivialen Filmen wie „Freitag der 13.“ oder „Halloween“, in denen ein Untoter mit einer Maske vor dem Gesicht nächtens die restlichen Figuren des Filmes massakriert, bis er am Ende zurück in die Hölle geschickt werden kann, wo er anscheinend auf die nächste Fortsetzung der Spielfilmreihe wartet.
So war zwar die Angst des Menschen vor den ihm feindlichen Kräften der Auslöser dafür, daß Hölle und Nacht zu einem gemeinsamen Zeichensystem verschmolzen. Aber das morbide Gefallen an der Darstellung des Bösen scheint mir zu einem nicht geringen Teil die Ursache für das Auf- und Weiterleben der „höllischen Nacht“ zu sein. Ein anderer Grund dafür mag gewesen sein, daß sich die „Befreier vom Aberglauben“ Aufklärer nannten, also das Aufzuklärende im Bereich des Dunkeln ansiedelten. So wurde die Lichtsymbolik des Christentums beibehalten, und all das, was als das Böse identifiziert wurde, konnte weiterhin mit Metaphern aus dem Vorstellungsbereich der „Höllischen Nacht“ bezeichnet werden. Dieses Zeichensystem verlor zwar im Bewußtsein der Menschen durch das Wirken der Aufklärung seine metaphysische Glaubwürdigkeit, es verlor aber nicht seine ursprüngliche Bedeutung: Weiterhin konnten mit ihm Dinge versinnbildlicht werden, die die Menschen ängstigen.
So heißt es noch heute, wenn von bösen Erinnerungen die Rede ist, daß „einen Gespenster aus der Vergangenheit quälen“, oder von dem Bösen, zu dem der Mensch fähig ist, es sei seine „dunkle Seite“, seine „Nachtseite“. Und erinnert nicht die Straßenbeleuchtung in unseren Städten und Dörfern an das Licht des Glaubens, und daran, daß auch unsere säkularisierte Kultur ihre „ höllische Nacht“ kennt?

 

Literaturverzeichnis

ARIES, PHILIPPE (1989): Geschichte des Todes, München (Deutscher Taschenbuch Velag), 4. Auflage.
BRITTNACHER, HANS-RICHARD (1993): „Der Leibhaftige. Motive und Bilder des Satanismus“, in: Schuller, Alexander; von Rahden, Wolfert (Hrsg): Die andere Kraft : Zur Renaissance des Bösen, Berlin (Akademie-Verlag), S. 167-192.
BRITTNACHER, HANS-RICHARD (1994): Ästhetik des Horrors, Frankfurt am Main (Surkamp Taschenbuch).
DAEMMRICH, HORST S. (1995): Themen und Motive in der Literatur : ein Handbuch, Tübingen ( UTB für Wissenschaft : Uni-Tashenbücher), 2., überarb. und erw. Auflage.
DANTE ALIGHIERI (1957): Die göttliche Komödie, München (Winkler-Verlag).
DAXELMÜLLER, CHRISTOPH (1996): Aberglaube, Hexenzauber; Höllenängste : Eine Geschichte der Magie, München (Deutscher Taschenbuch Verlag).
DELUMEAU, JEAN (1989): Angst im Abendland : Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14.bis 18. Jahrhunderts, Reinek bei Hamburg (Rowohlt Taschenbuch Verlag).
DIE BIBEL (revidierter Text 1975), nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft).
DiNOLA, ALFONSO (1990): Der Teufel : Wesen, Wirkung, Geschichte, München (Eugen Diederichs Verlag).
FRENZEL, ELISABETH (?): Motive der Weltliteratur, Stuttgart (Alfred Kröner Verlag).
GOETHE (1989): Faust I u. Faust II, in: Johann Wolfgang Goethe Werke, Sechster Band, Frankfurt am Main (Insel Velag).
GRÜBEL, ISABEL (1991): Die Hierarchie der Teufel, Kulturgeschichtliche Forschungen Bd. 13, München (tuduv-Verlagsgesellschaft).
HAAG, HERBERT (1974): Teufelsglaube, Tübingen (Katzmann-Verlag).
HdA, Band IV (1931/32) = Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. von Stäubli, Hanns- Bächtold unter Mitwirkung von Hoffmann-Krayer, E., Berlin und Leipzig (Walter De Gruyter & Co.).
LE GOFF, JACQUES (1984): Die Geburt des Fegefeuers, Stuttgart (Klett-Cotta).
KANT, IMMANUEL (1963): Kritik der Urteilskraft, Stuttgart (Philipp Reclam Jun.).
MINOIS, GEORGES (1996): Die Hölle : Zur Geschichte einer Fiktion, München (Deutscher Taschenbuch Verlag).
NIETZSCHE, FRIEDRICH (1988): Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA), Bd. 1-15, Hg. von Colli, Giorgio u. Montinari, Mazzino, München (Deutscher Taschenbuch Verlag).
ROSS, WERNER ( 1986): „Himmel und Hölle in der Literatur“, in: Greshake, Gilbert (Hrsg): Ungewisses Jenseits? : Himmel – Hölle – Fegefeuer, Schriften der katholischen Akademie in Bayern Bd. 121, Düsseldorf (Patmos Verlag), S. 55-71.
VERGIL (1963): Aeneis, Frankfurt am Main u. Hamburg ( Fischer Bücherei).
von RAHDEN, WOLFERT (1993): „Orte des Bösen. Aufstieg und Fall des dämonologischen Positivs“, in: Schuller, Alexander, von Rahden, Wolfert (Hrsg): Die andere Kraft : Zur Renaissance des Bösen, Berlin (Akademie-Verlag), S. 26-54.
VORGRIMLER, HERBERT ( 1993): Geschichte der Hölle, München (Wilhelm Fink Verlag).

Quelle des Beitrags:

Seminar (Deutsche Literatur):
„Die Nacht“
Universität Konstanz
Philosophische Fakultät
Fachgruppe Literaturwissenschaft
„Die höllische Nacht“
Hausarbeit vorgelegt von: Ralf Boscher
im Sommersemester 1996

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Weiße Weihnacht vermisst? Dies ist für alle, die noch nicht in Weihnachtsstimmung sind

Vorweihnachtszeit 2014 – ein Blick auf die Einfahrt am Haus

Vorweihnachtszeit 2014 – ein Blick auf die Einfahrt am Haus

 

Heißa geht es holterdipolter den schneebedeckten Hügel hinunter, jauchzend schnell wie der Wind durch die weiße Pracht… Kinder lachen, Erwachsene strahlen, heißa, was’n Spaß! Winterfreuden! Weihnachtsstimmung!

Winterfreuden? Weihnachtsstimmung? Weiße Pracht?

Vorweihnachtszeit 2015

Vorweihnachtszeit 2015 – ein Blick auf die Einfahrt am Haus

Weiße Weihnacht vermisst? Die nun folgenden Bilder sind für alle, denen der Schnee fehlt – und die noch nicht so richtig in die Weihnachtsstimmung hineinkommen. Denn so sieht es im Moment aus:

 

 

Hier also die Weihnachtsfreuden und die Winterstimmung (Archivbilder), für alle, denen der Schnee fehlt. Dies düften viele Kinder sein, dann Arbeitnehmer, die Urlaub haben oder nicht zur Arbeit pendeln oder gar aus beruflichen Gründen Auto oder LKW fahren müssen; dann die, die nicht bis morgens um 7 den Gehsteig vom Schnee geräumt haben müssen oder die kein Dach über dem Kopf haben.

Winterfreuden:

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Weihnachtsstimmung:

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Winterfest:

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 Oh Du Fröhliche:

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Und ein Weihnachtsgedicht:

Weihnachten, dies ist eine magische Zeit.
Wie das duftet, nach Gebäck und Kerzenschein.
Ein Lächeln macht sich in den Herzen breit,
Die Freude gibt sich ein Stelldichein.

Ein Zauber durchweht die Dezembertage,
Jetzt endlich ist es wieder soweit,
Das Fest der Liebe, der frommen Sage,
Weihnachten, dies ist eine magische Zeit.

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Pavillonimplosion und Pflanzenexplosion – von den Schwingen des Sturmadlers gestreift

Sturmadler
Bisher sind wir hier am Bodensee von den ganz groben Unwettern verschont geblieben. Gott sei Dank. Der Sturmadler, der aus den Bergen herabstößt und die Schwüle, die über dem See liegt, mit seinen Schreien zerreißt, hat uns bislang mit seinen Schwingen nur einige Male gestreift. Aber selbst das war jedes Mal heftig genug – so wie in jener Nacht.

Ich erwache, ohne im ersten Moment den Grund dafür zu erkennen. Draußen ist alles ruhig. Alles scheint so zu sein, wie es sein soll. Nur dass ich wach bin und spüre, dass mein Herz schneller schlägt. Plötzlich höre ich ein entferntes Rauschen, ein Branden, ein Geräusch, als wenn ein nahender Zug die Luft vor sich herschiebt. Ein durchaus unheimliches Geräusch, das näher kommt. Schnell näher. Das lauter wird. Und lauter. Und dann ein Schlag. Eine Windböe, welche die Fenster zittern lässt. Die zu einem Dauerwind anhebt, der wild ums Haus streicht. Erste Gegenstände höre ich draußen auf den Boden krachen. Morsche Äste brechen. Ich sehe aus dem Fenster. In diesem Augenblick blitzt es, für einige Momente sehe ich nichts, dann schiebt sich der riesige, im Wind ächzende Schatten des Walnussbaumes im Nachbarsgarten in mein sich normalisierendes Blickfeld. Es donnert einmal, als gäbe es kein Morgen, und nun öffnet der Himmel seine Schleusen. Einem Sturzbach gleich strömt der Regen auf die Erde. Es blitzt noch einmal – und da sehe ich unseren hübschen, ein wenig altmodischen Pavillon. Nicht einmal eine Woche zuvor von zwei Leuten in anderthalb Stunden langer, beharrlicher Arbeit zusammengeschraubt. Der Pavillon tanzt über den Rasen, als wäre er einer diese Ginsterbüsche aus einem Western.

Pavillon2Ich raus in das Windgeschehen, hinaus in den mich binnen Sekunden bis auf die Haut durchnäßenden Regen, hinein in das Blitzen des Gewitters. Da hat es den Pavillon schon auf den Kopf geworfen. Er wird vom Wind über den Rasen geschoben, hin und her, dann packt ihn der Wind und hebt ihn hoch, nur um ihn anschließend um so härter auf den Rasen aufschlagen zu lassen. Bevor ich überhaupt eingreifen kann, höre ich die erste Metallstrebe brechen.

Dann habe ich den Pavillon erreicht. Ich packe zu, versuche das Stoffdach von den Verstrebungen zu lösen, um dem Wind den Widerstand zu nehmen, an dem er zupacken kann. Aber bevor ich die erste Verschnürung lösen kann, reißt mir der Wind den Pavillon aus den Händen und schleudert ihn mit aufbrausender Gewalt gegen den Stamm des Kirchbaumes, der in der Ecke des Garten dem Sturm trotzt. Doch in diesem Moment bricht ein größerer Ast des Kirchbaumes unter der nun durch den Garten peitschenden Windböe und kracht auf eine der Seitenstreben des Pavillons, bricht diese in der Mitte entzwei. Ast und Pavillon werden dann vom Wind über den Rasen geschoben. Ich versuche erneut, das Stoffdach zu packen, um es von den Metallverstrebungen zu lösen. Muss aber aufpassen, dass mich nicht der abgebrochene Ast trifft, den der Wind hin- und herpeitscht. Als ich es endlich geschafft habe, wenigstens einen Teil der Verschnürung zu lösen und das Stoffdach an einer Ecke des Pavillons von den Metallverstrebungen zu ziehen, reißt mir erneut der Wind den Pavillon aus den Händen. Ich rutsche auf dem mittlerweile durchweichten Rasen aus, kann gerade noch den Arm hochreißen, um mein Gesicht vor den Blättern des abgebrochenen und nun herumwirbelnden Kirchbaumastes zu schützen. Erneut höre ich, als der Pavillon wieder zu Boden kracht, Streben brechen. Wieder packt der Wind den Pavillon, hebt ihn hoch, hebt ihn über mich, der ich immer noch auf nassen Rasen kauere. Es blitzt. Unnatürlich kontrastreich heben sich die Metallstreben des Pavillons vor dem Himmel ab, lose Splitter ragen aus den Bruchkanten hervor, scharfe Metallecken glänzen hell, weil die Brüche den Lack abblättern ließen. Für einen Moment glaube ich über mir die Schwingen des Sturmadlers zu sehen, der über unserem Haus kreist. Dann erbebt die Erde unter einem gewaltigen Donner und gleichzeitig lässt der Wind den Pavillon los, der nun auf mich hernieder kracht. Nur Zentimeter neben meinem Kopf bohrt sich das lose Ende einer Metallverstrebung in den Rasen. Mit einem häßlichen Knirschen brechen weitere Verstrebungen, es klingt, als würde er nun implodieren, wundwaid fällt der Pavillon auf die Seite und sackt in sich zusammen. Dann kehrt Ruhe ein. Der Sturm legt sich.

Weil ich der Ruhe in jener Nacht nicht traute, holte ich ein altes Stromverlängerungskabel aus dem Schuppen und band den Pavillon am Kirschbaum fest, damit er nicht doch noch in eines der Fenster im Erdgeschoss kracht. Dann ging ich zu Bett.

Schmetterlingsbaum
Am nächsten Tag begutachtete ich die Schäden bei uns im Garten. Der Pavillon war Schrott. Leider. Aber ansonsten hielt sich der Bruch in Grenzen. Morsche Zweige lagen auf dem Rasen, der ansonsten mit herabgefallenen Walnuss- und Kirschbaumblättern übersät war. Ein Blumentopf war von der Fensterbank gestürzt und entzwei gegangen war. Das Sitzpolster eines Gartenstuhl lag nass und verdreckt auf dem Weg. Aber das war es auch schon. Keine größeren Äste waren aus den Bäumen herabgekracht. Die Dachziegeln lagen noch an Ort und Stelle. Es hatte keinen der Fensterläden aus den Angeln gerissen.

Merkwürdigerweise hat diese regnerische Windnacht unserem Schmetterlingsbusch sehr gut getan: Er ist nahezu explodiert. Als hätte er die Energie des Gewitters in sich aufgenommen – und wäre dann in einem vegetativen Kraftakt über sich hinausgewachsen. Vielleicht um sich für das nächste Mal zu wappnen. Für ein dunkleres Mal, wenn aus der Schwüle der Tage ein schlimmerer Sturm über uns hereinbricht und uns der Sturmadler nicht mehr nur mit seinen Schwingen streift. Um stark zu sein, nicht einzuknicken, um uns weiterhin mit seiner Eigenart zu erfreuen, schöne, bunte Schmetterlinge anzuziehen.

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Neue Fragen… „Ein Blick hinter die Buchstaben“ geht in die zweite Runde. Neue Gäste aus der Selfpublisher-Szene auf Boschers Blog

Boscher_fragt2
Unter dem Motto „Ein Blick hinter die Buchstaben“ legte ich Autorinnen und Autoren aus der Selfpublisher-Szene einen ersten Fragenkatalog vor. Ich fragte, was mich als Leser oder als Kollege interessierte.

Bisher waren zu Gast auf Boschers Blog:

Birgit Böckli, Béla Bolten, Jürgen Schmidt, Elsa Rieger, Susanne Gerdom, Kay Noa, Nika Lubitsch, Matthias Czarnetzki, Sabine Trapp, Florian Tietgen, Hedy Loewe, Nadja Losbohm und B.C. Schiller.

Diese so entstandenen ersten „Interviews“ findet Ihr hier auf meinem Blog.

Vielen Dank noch einmal allen Autorinnen und Autoren, die einen Blick hinter die Buchstaben ermöglicht haben.

Doch dann hatte ich neue Fragen – und Ihr könnt Euch auf neue Gäste aus der Selfpublishing-Szene auf Boschers Blog freuen.

Die neuen Fragen für „Ein Blick hinter die Buchstaben“:

Was war Dein glücklichster schriftstellerischer Moment im vergangenen Jahr?

Wenn Du wählen könntest zwischen „die Liebe Deines Lebens treffen“ oder „einen Bestseller schreiben“ – für was würdest Du Dich entscheiden?

Hast Du Angst, eines Tages vielleicht „leer“ zu sein? Keine Geschichte mehr in Dir zu haben, die Du erzählen könntest?

Du gehst auf eine Party… Auf die Auskunft, Du seist Schriftstellerin / Schriftsteller, hörst Du die Antwort „Ich wollte auch immer mal einen Roman schreiben“, „Ich habe da auch eine Idee zu einem Roman“… Was antwortest Du?

Wer kennt diese Filmszenen nicht: Nach langer, quälender (meist aufgrund emotionaler Blockiertheit) ideenloser Zeit, gerät eine Schriftstellerin / ein Schriftsteller (nach überwundener emotionaler Blockade) in einen Schreibrausch (z.B. Diane Keaton in „Was das Herz begehrt“). Die Ideen sprudeln nur so… Die geschriebenen Seiten stapeln sich auf dem Schreibtisch… Hattest Du schon einmal einen Schreibrausch? Und wenn ja: War das Geschriebene wirklich brauchbar?

Warum veröffentlichst Du unter Deinem Geburtsnamen und nicht wie so viele andere unter Pseudonym? Bzw.: Warum veröffentlichst Du unter Pseudonym und nicht unter Deinem Geburtsnamen?

Lieber ein Schreibtisch-Schriftsteller („einfach Schreiben und Bücher veröffentlichen“) oder im Rampenlicht stehen (Interviews gebend, im Feuilleton besprochen, zu Fernsehinterviews eingeladen werden)?

Herr der Ringe, Harry Potter, Twilight, Shades of Grey? Welche dieser Bestseller-Serien sollten Schriftstellerinnen und Schriftsteller gelesen haben?

Die „Psycho-Spielchen-Frage“ – charakterisiere bitte Deinen Schreibstil:
Wenn Dein Schreibstil eine Speise wäre, wäre er…
Wenn er ein Film wäre, wäre er…
Wenn er eine CD wäre, wäre er…

Die „Hör mal wer da hämmert-Frage“: Selbst ist die Frau / der Mann oder Auftrag vergeben? Wie hältst Du es mit Korrekturlesen, Covergestaltung…?

Die „Kristallkugel-Frage“: Du kannst in die Zukunft schauen: Ein renommierter Verlag bemüht sich um Dich und möchte Dich unter Vertrag nehmen und Deinen nächsten Roman veröffentlichen. Doch der Blick in die Kristallkugel zeigt: Wählst Du diesen Weg, dann wirst Du weniger Bücher verkaufen, als wenn Du den Roman als Self-Publisher herausbringst. Was also tust Du?

Die Frage nach der Unsterblichkeit: Für viele Menschen hat der Glaube an ein Leben nach dem Tode etwas sehr Tröstliches. Viele Menschen erfreuen sich an dem Gedanken, dass sie in ihren Kindern und Kindeskindern fortleben. Es heißt, Ruhm führe zur Unsterblichkeit. Und auch manche Künstler haben sich, wie man so sagt, mit ihren Werken unsterblich gemacht. Als wie vergänglich schätzt Du Deine Literatur ein? Oder anders gefragt: Kennst Du die Hoffnung, mit Deiner Schreibe etwas Bleibendes zu erschaffen? Ein Werk zu hinterlassen, dass Deine Lebenszeit überdauert?

Hier geht es zur ersten Interview-Runde auf meinem Blog…

Meine neuen Fragen haben bereits beantwortet: Bodo Manstein, Hanni Münzer, Ilona Bulazel, Lutz Schafstädt, Carla Berling. Hier geht es zur zweiten Interview-Runde mit interessanten Selfpublishing-Autorinnen und -Autoren …

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Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen

Infusionsgalgen_PEB_Chemo1
„Jetzt wird der Krebs wieder konkret. So konkret, wie er seit der OP und seitdem die Operationswunde verheilt ist, nicht mehr gewesen war. Es hatte keine Schmerzen mehr gegeben. Keine Zeichen dafür, dass etwas in einem ist. Der Krebs als reale Möglichkeit, als eine Aufgabe, die einer Lösung harrt, als eine Frage, die nach einer Antwort verlangt, war zwar da. Doch mehr schwarz auf weiß als im bunten Alltag. Man las von ihm, spürte ihn aber nicht. So schien er mehr eine andere, eine dritte Person zu betreffen, als einen selbst. Man hätte ihn vergessen können…

Nun aber kehrt der Krebs in den Alltag zurück. Die Zeit, in der ich Verstand und Herz disziplinieren musste, um für eine Entscheidung, mit der ich mein restliches Leben würde leben können, den nötigen Abstand zu gewinnen, ist vorbei. Keine Dritte Person mehr. Kein Überlegen, informieren, abwägen. Ab jetzt ist nicht mehr Urteilsvermögen gefragt, sondern Durchhaltewillen. Ich.

Und ich will eine positive Einstellung an den Tag legen. Alles ist gut. Das Misstrauen, dass sich seit dem Tag der Hoden-OP vor allem gegenüber Ärzten aufgebaut hatte, will ich vergessen. Mein Gang in die Klinik soll ein Sprung ins Vertrauen sein. Für mich ist gut gesorgt. Und ich sorge gut für mich. Ich habe gelesen, dass Rauchen die Wirkung der Zytostatika behindert, ja verringert, also nehme ich mir fest vor, während der Chemo keine Zigaretten anzupacken.

Und so geht es in die Klinik. Cisplatin (P), Etoposid (E) und Bleomycin (B) – dies sollen nun meine besten Verbündeten gegen ein erneutes Tumorwachstum sein. Ein wahrlich wirkungsvolles Trio aus der pharmazeutischen Giftküche – und in ihrem Zusammenwirken dafür verantwortlich, dass die Sterblichkeitsrate bei Hodenkrebs seit Jahren so beruhigend stark gesunken ist. My deadly Friends.(per E-Mail)

Ich hatte ihn während seiner Chemo nur zweimal kurz am Telefon gesprochen, dann hatte er aufgelegt. „Zu anstrengend!“ Besuche wollte er überhaupt nicht erhalten. Am Abend des ersten Tages seiner Chemo postete er einen kryptischen, nur für Eingeweihte verständlichen Statusbericht auf Facebook. Dann und wann verschickte er eine sms an seine Freunde mit einem Kürzestbericht zum Stand der Dinge. Angesichts dessen, dass sein Kommunikationsbedürfnis so extrem heruntergefahren war, erstaunte mich dann doch die E-Mail, die ich von ihm erhielt: „Ich bin auf deinen Spuren gewandelt.“, schrieb er mir, „Hab mich einfach an den PC gesetzt und geschrieben. Hatte schon das Gefühl zu verblöden, so sehr schlug die Chemo auf meine Konzentration. Da war das Schreiben für mich wie so eine Art „Gehirn-Walking“. Und wenn dir das Ergebnis einigermaßen sinnig erscheint, kannst du auch diesen letzten Teil meiner Krebsgeschichte gern auf deinem Blog posten. Vielleicht ist das für den einen oder anderen ja interessant.“ Hier also der von mir mit Bildmaterial ausgestattete letzte Teil der Hodenkrebsgeschichte meines alten Freundes in seinen eigenen Worten.

Zum Hintergrund:

1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie

I. Der stationäre Teil meiner PEB Chemo

PEB_Plan_www.urologielehrbuch.de

PEB Chemotherapieplan, Quelle: http://www.urologielehrbuch.de/PEB.html

 

Eröffnungsveranstaltung sehr gut gelaufen!
„Friendly Poison“ – eine Themenwoche, die unter die Haut geht!
Publikum und Veranstalter zeigten sich nach der gestrigen Premiere äußerst zufrieden.
„Der Anfang war ein wenig kribbelig, aber das ist normal. Es gilt erst einmal einen Zugang zum Thema zu finden – und der liegt nun einmal nah am Herzen.“
„Also mir lief das gut rein, weiter so!“

(Facebook Status)

„Hinein damit!“

Montagmorgen um 7.30 Uhr betrat ich das Krankenzimmer. Der Krankenhaus-Urologe, der mich die 5 stationären Tage über (sehr gut!) betreuen und auch jeweils die Zytostatika-Infusionen anhängen würde, begrüßte mich. Er informierte mich, was an diesem Tag alles anstehen würde, beantwortete meine Fragen. Weil die Voruntersuchungen (Bluttests, u.a. Tumormarker, Leber, Niere, Sonographie, Lungenfunktionstest, EKG, Neurokonferenz, Hörtest beim HNO-Arzt) keine Ergebnisse erbracht hatten, die gegen eine Chemotherapie sprachen, ging es dann los, wie geplant.

Häufige Nebenwirkungen einer PEB Chemotherapie

Häufige Nebenwirkungen einer PEB Chemotherapie

Ich händigte dem Doc die von mir unterzeichnete Patientenaufklärung aus, die u.a. über die häufigen Nebenwirkungen einer PEB-Chemotherapie aufklärte, welche auftreten, weil Zytostatika keinen Unterschied zwischen Krebszellen und gesunden Zellen machen. Dann wurde ich auch schon mitsamt Bett auf die Intensivstation gefahren, damit ein Anästhesiearzt mir das Zentrale Venenkatheder (ZVK) legt (ZVK weil dieser schonender sei, als das tägliche Legen einer Viggo und die Zytostatika die kleineren Venen angreifen. Der ZVK verbleibt bis zum Ende der 5 stationären Tage).

Das Legen des ZVK war in den 5 Tagen Krankenhaus die unangenehmste Erfahrung. Während der gut Dreiviertelstunde, die es dauerte, bis das Katheter richtig lag (ultraschallgestützte Anlage, 18cm rein, bis zum Herzvorhof vorschieben, dann ca. 1cm zurückziehen bis EKG wieder normal, dann liegt ZVK richtig), musste ich einige Male ins Bettlaken greifen. Doch als es einmal lag (und an der Haut vernäht und verpflastert war), machte das ZVK keine Probleme mehr. Ich hatte mich, weil ich meist auf der rechten Seite schlafe, für die linke Halsbeuge entschieden. Das war die richtige Entscheidung. Das ZVK störte insgesamt weniger als ein venöser Zugang in einer Armvene.

Zurück auf Station ging es dann mit der Chemo los. Oral erhielt ich Emend 125mg, eine Kotzbremse erster Güte, bzw. um es mit einem Fachwort auszudrücken: Ein sehr wirksames Antiemetikum. Dann kam mein Doc und bald hing mein Galgen voll mit Beuteln. Dies lief am Tag 1 in mich hinein: Infusion Granisetron („Antikotz“) & Dexamethason („Entzündungshemmer“). Dann Infusion NaCl für Spülung. Dann Infusion des ersten Zytostatika Bleomycin und gleichzeitig Infusion Mannitol (osmotisches Diuretikum, soll Nierenschädigungen durch Zytostatika vorbeugen, „Nephrotoxizitätsprophylaxe“, und deren Ausscheidung über die Nieren fördern, „renale Elimination“). Wieder NaCl. Dann das erste Mal Infusion Cisplatin. NaCl. Dann Infusion Etoposid. Wieder NaCl-Lösung und wieder (bis zur nächsten Runde Chemo wird Flüssigkeit zugeführt).

Ich hatte gelesen, 2-3 Stunden nach der ersten Cisplatin-Infusion würde (wenn man denn zu diesen unglücklichen Menschen gehört) die Übelkeit beginnen. Ich verschlief diesen Zeitpunkt. Konnte ihn verschlafen, weil nach 2-3 Stunden nichts passierte.

Es passierte auch den Rest der stationären Woche nichts Gravierendes: Keine Übelkeitsattacken, keine gravierenden Nebenwirkungen. Halleluja! Ein Hoch auf die Antikotz-Medikamente. Ein Hoch auf was auch immer, dass ich zu den Patienten gehörte, die die Chemo gut vertrugen. Ja, Friendly Poison…

So verging meine stationäre Woche: Medizinischer Höhepunkt jeden Tages war die vom Doc in die Wege geleitete Chemotherapie. Die Infusionen liefen jeden Tag wie auch Tag 1 ab, mit dem Unterschied, dass an den Tagen 2-5 keine Bleomycin-Infusion stattfindet (und dass statt Emend 125mg oral Emend 80mg gegeben wird). Dauer der Chemo circa 3 Stunden.

Hinein damit! Die Tage in der Klinik waren ein einziges langes Gefüllt- und Gespültwerden. Irgendeine Flüssigkeit lief immer in mich hinein. Zusätzlich trank ich mindestens 3 Liter Wasser am Tag. Die Folge: Bereits am zweiten Tag brachte ich 6 Kilo mehr auf die Waage – und das obwohl ich alle halbe Stunde meine Blase entleeren musste. Ich las, hörte Musik über meine Kopfhörer oder schlief abwechselnd. Dann ging es wieder auf die Toilette, pinkeln. Mehrmals am Tag schob ich den Galgen zum Wasserkasten neben dem Schwesternzimmer, um mich mit Nachschub zu versorgen. Ich versuchte, mich zu bewegen. Wobei ich spürte, dass ich langsam machen sollte. Die Zytostatika zerrten an meinen Kräften (wobei ich einfach nur „schlapp“ war, von wirklicher Erschöpfung konnte keine Rede sein). Also ab ins Bett. Wieder schlafen. Auf Toilette usw.

Viele Chemopatienten haben Probleme mit ihrem Appetit, können Lebensmittel nicht riechen: Bei mir davon keine Spur. Zwar hatte ich manchmal einen metallischen Geschmack im Mund oder meinte, etwas Metallisches zu riechen, aber das wirkte sich nicht auf meinen Appetit aus. Ich aß die ganz normale Vollkost (leckeres Krankenhausessen übrigens), selbst auf meinen Kaffee musste ich nicht verzichten, verhielten sich meine Schleimhäute doch robust, so dass ich in der ersten Chemowoche keinerlei Verträglichkeitsprobleme hatte.

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Randbemerkung zum Thema „Vertrauen / gut versorgt“

Zweimal wurden in dieser stationären Woche die Blutwerte bestimmt (Mittwoch und Freitag am letzten Tag), meine Blutwerte waren je im normalen Bereich. Ich bekam kein Fieber, mein Blutdruck war normal. Selbst mein Stuhlgang pendelte sich mit Hilfe von Macrogol ein. Bis zum Ende der Woche ging mein Gewicht herunter, am Freitag wog ich 4 Kilo weniger als noch den Dienstag zuvor. Ich hatte mehr Flüssigkeit ausgeschieden als aufgenommen (aufgenommen hatte ich mindestens 6 Liter jeden Tag).

Nachdem mir eine Krankenschwester ohne Probleme am Freitagnachmittag das ZVK („tief Luft holen, tief ausatmen…“) gezogen hatte, konnte ich heim. Ich war geschafft, aber sehr froh, wie die Woche verlaufen war. Meine erste Woche mit „Friendly Poison“ war doch sehr freundlich abgelaufen – und ich hatte es tatsächlich geschafft, nicht zu rauchen.

 

II. Der ambulante Teil meiner PEB Chemo

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Der „ambulante Teil“ – das klingt doch gegenüber „stationärem Teil“ vergleichsweise harmlos. „5 Tage jeden Tag eine mehrstündige Chemositzung“ klingt gewichtiger als an den Tagen 8 und 15 innerhalb von nicht einmal einer halben Stunden noch einen Bolus von je 1x Bleomycin zu erhalten…

„Bis in die Haarspitzen“

Die Tage in der Klinik zuvor waren ein einziges langes Gefüllt- und Gespültwerden. Beides fand nun nicht mehr statt. Die einzigen Medikamente, die ich an den Tagen 6 & 7 nehmen sollte, waren das Mittel gegen Übelkeit Emend 80mg und der Entzündungshemmer Dexamethason. An Tag 8 stand als Bolus die Bleomycin-Infusion an.

Da ich nach wie vor sehr häufig Wasserlassen musste (mindestens alle halbe Stunde), sah ich es weiterhin als wichtig an, viel zu trinken. Mindestens 3 Liter Wasser am Tag, das hatte ich mir vorgenommen (was in diesen Tagen kein Problem war, weil ich ständig Durst hatte).

Ich fühlte mich gut. Wobei ich im Verlauf der Tage spürte, dass die Schlappheit, die mich immer wieder überkam, eine andere Qualität annahm. In der Klinik war mein Körper, so erschien es mir, passiv gewesen. Ein Gefäß, dass es zu füllen galt. Jetzt war mein Körper gefüllt, ich fühlte mich „bis in die Haarspitzen voll“ – und er wurde Hand in Hand mit den Friendly Poison sehr aktiv.

In mir arbeitete es auf Hochtouren, die Zytostatika hatten ihr Werk aufgenommen – und so war meine Schlappheit in den Tagen 6 bis 9 immer weniger von der Art „müde“, sondern nahm Formen der Erschöpfung an.

Die Infusion von Bleomycin am Tag 8 verstärkte den Wirkprozess. Meine Sorge, dass die erneute Zytostatika-Gabe (Dauer der Infusion eine halbe Stunde) mein gutes Gefühl ändern würde, bewahrheitete sich nicht. Als sehr beruhigend empfand ich es, dass laut Labor alle meine Blutwerte normal waren. Ich erhielt auch keine unterstützenden Mittel wie einen Übelkeitshemmer, weil der Onkologe nicht mit Nebenwirkungen rechnete. So kam es auch. Keine Übelkeit. Ich fühlte mich gut. Vielleicht noch etwas erschöpfter als zuvor, aber gut.

Gleichwohl ging mit der Erschöpfung eine Art geistiger Schwäche einher. Ich hatte den Eindruck, mich weniger gut konzentrieren zu können. Ein Buch lesen empfand ich nun als zu anstrengend. Tippte ich ein paar Zeilen auf dem Computer, so merkte ich, wie schwer es mir fiel, die richtigen Tasten zu treffen und mich an Rechtschreiberegeln zu halten.

Kommunizieren empfand ich im zunehmenden Maße als anstrengend, vor allem in Form von Telefonaten. Hier wird auch eine Rolle gespielt haben, dass sich zwischenzeitlich ein beidseitiges leises Ohrengeräusch bei mir bemerkbar machte, nicht so schlimm, dass ich von Tinnitus sprechen würde, nicht so schlimm, dass ich nicht hätte darüber hinweg hören können (vor allem mit dem Wissen, dass es nach der Chemo auch wieder weggehen wird), aber dennoch da.

Aber, wie gesagt, mein Grundempfinden war, dass es mir gut ging. Ich war halt ein Organismus unter Hochlast. Dies zeigte sich auch an meinem Gewicht: Von Tag 6 bis zum Tag 10 der Chemo nahm ich fast 4 Kilo ab. Dabei aß ich gut (und dank meiner Liebsten auch gesund). Zwar waren von Tag zu Tag meine Magen- und auch meine Hals- und Mundschleimhäute empfindlicher geworden (auf meine Tasse Kaffee musste ich verzichten). Aber ich hatte keine Schmerzen. Es traten keine Entzündungen der Schleimhäute auf, sehr schmerzhafte Entzündungen in der Mundhöhle, im Magen, im Darm, die leider viele Chemopatienten quälen. Ich hatte Glück. Hatte Durst und hatte Appetit. Konnte eigentlich essen, auf was ich Lust hatte. Es gab einige Momente, in denen ich mir erlaubte zu denken: Vielleicht gehörst Du ja wirklich zu den Glücklichen, die eine Chemo über die ganze Distanz ganz gut vertragen.

Ach ja, ich ging jeden Tag ein wenig spazieren (hatte mir Nordic Walking Stöcke gekauft) und – ich war natürlich stolz wie Oskar – ich hatte nach wie vor keine Zigarette angepackt. Da musste es doch einfach weiter gut laufen…

„System down“

30 Mio.E.0,5ml Filgrastim
Es passiert nicht bei allen PEB Chemopatienten, aber bei vielen, und wenn es passiert, dann um den Tag 10 herum – wie bei mir: Die Zahl meiner weißen Blutkörperchen ging in den Keller. Somit fuhr mein Immunsystem nahezu komplett herunter.

Es geschah, schien mir, von jetzt auf gleich. Ohne Vorwarnzeit. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr nur erschöpft, sondern total ausgelaugt, bis ins Mark ausgesaugt. Ich hatte das Gefühl „immer weniger“ zu werden – und dass obwohl ich plötzlich begann, wieder an Gewicht zuzulegen.

Was den Eindruck der Schwäche verstärkte, war, dass zudem meine Oberschenkel zu schmerzen begannen. Sie schienen mein Gewicht nicht mehr zu tragen, meine Beine knickten manchmal weg. Auf einem Bein stehen, um in eine Hose zu schlüpfen, ging nicht mehr. Laufen fiel schließlich schwer.

Ich war bedient – und nur froh, dass ich an Tag 11 einen Termin beim Onko-Doc zwecks Bestimmung der Blutwerte vereinbart hatte. Ich machte mir große Sorgen, dass die Schmerzen und meine Gehschwäche etwas mit den Nerven zu tun haben könnten (eine der Nebenwirkungen einer PEB Chemo, die gerne irreversibel ist).

Was meine Beine anging, konnte mich der Doc nach einigen Test beruhigen, keine Nervenangelegenheit, sondern Muskelschmerzen und -schwäche als eine späte Nebenwirkung des Cisplatin.

Beunruhigend entgegen waren meine Blutwerte, denn seit dem letzten Labor 4 Tage zuvor war die Anzahl meiner Leukozyten so stark gesunken, dass meine Immunabwehr quasi nicht mehr vorhanden war.

Das bedeutete: Prophylaktisch ein Antibiotikum schlucken (Ciprofloxacin 500mg, 2x täglich) und 1x täglich einen Wachstumsfaktor für weiße Blutkörperchen subkutan spritzen (30 Mio.E./0,5ml Filgrastim, dass das Knochenmark anregt, weiße Blutkörperchen zu produzieren). Kontrolle der Laborwerte am Morgen des Tages 15, einem Montag, dem Tag, an dem die nächste und letzte Chemo-Infusion stattfinden soll. Dann schickte mich der Onkologe mit der Auflage, Menschenansammlungen zu meiden, und dem Rat, 30 Minuten am Tag spazieren zu gehen (wenn es denn die Muskelschmerzen zulassen), heim. Infektionen vermeiden, Immunabwehr stärken, die Devise für die kommenden Tage, das kommende Wochenende. Sollte ich allerdings Fieber bekommen, dann müsse ich in die Notaufnahme…

Zwischenbemerkung_stationär_ambulant

Randbemerkung zum Thema „stationär / ambulant“

Das folgende Wochenende war ich nicht wirklich entspannt, um nicht so sagen nervös. Dieses Kratzen im Hals… Kommt das jetzt von der Chemo, die meine Schleimhäute angreift? Oder ist das Kratzen ein Anzeichen einer Erkältung? Apropos Erkältung… Wie sind denn diese plötzlichen Hitzewallungen zu werten? Die Nachtschweißattacken? Und das meine Temperatur von sonst durchschnittlich 36,4° nun auf 37,5° gestiegen ist? Ist das bereits als Fieber zu werten?

Sehr froh war ich aber, dass die Muskelschmerzen in den Oberschenkeln und damit die Muskelschwäche verschwanden (kaum in die Badewanne hineinzukommen, um zu duschen – ich habe keine separate Dusche -, war bedrückend). Somit konnte ich spazieren gehen (das Wetter war ja auch noch herrlich), und etwas für meine Immunabwehr tun.

Dann kam der Montagmorgen. Nach einer sehr unruhigen, verschwitzten Nacht war ich ziemlich geschafft, aber dennoch guter Dinge: Ich hatte kein Fieber bekommen (die 37,5° hatte ich als einmaligen Ausrutscher nach oben gewertet), hatte mir keine Infektionen eingehandelt. Das Wochenende hatte ich überstanden.

Meine Liebste brachte mich zum Onkologen. Tag 15 meiner Chemo. Laut Therapieplan sollte ich an diesem Morgen meine letzte Dosis erhalten, eine letzte Infusion Bleomycin. Und so schlapp ich mich auch fühlte (und so blass wie ein Vampir auf Diät ich auch war), ich war mir sicher, dass meine Blutwerte besser sein würden als den Donnerstag zuvor. Friendly Poison. Kinders, so sind die Kleinen halt, wenn sie einmal losgelassen werden… Schießen einfach gerne mal übers Ziel hinaus… Ich freute mich, auf die Zielgerade meiner Chemo einzubiegen.

Die Laborwerte verzögerten meinen Schlussspurt. Die Anzahl meiner Thrombozyten war so weit abgesackt, dass mit einer erhöhten Blutungsneigung zu rechnen war. Die Zahl meiner Leukozyten war nach wie vor unterirdisch. Mir Bleomycin in die Vene zu jagen, war dem Onko-Doc zu riskant. Ich war enttäuscht. Jetzt hieß es: Weiter spritzen, weiter Antibiotikum schlucken, Kontrolle den Mittwoch darauf. Jetzt hieß es: Keimen, Bakterien, Viren aus dem Weg gehen, Infektionen vermeiden, Immunabwehr stärken, auf eventuelle Blutungen achten, durchhalten. Und es lief so weit auch alles ganz gut. Die Muskelschmerzen, die als Nebenwirkung des Filgrastim auftraten (erst in den Kiefermuskeln, dann auch im Rücken) empfand ich als weniger belastend als die Schmerzen in den Oberschenkeln die Tage zuvor, wusste ich doch, sie werden abklingen, wenn ich nicht mehr spritzen muss. Dennoch, die Kieferschmerzen waren nicht ohne, bereiteten mir zusammen mit den Nachtschweißattacken schlaflose Nächte. Aber zumindest die Rückenschmerzen sprachen recht gut auf Ibuprofen an.

Dann die Kontrolle am Mittwoch, dem Tag 17: Werte besser, aber noch nicht gut genug. Weiter spritzen, weiter Antibiotikum schlucken, mich mit keinem Keim, keiner Bakterie, keinem Virus infizieren. Kontrolle am Freitag, dem Tag 19, an meinem Geburtstag.

Bad Hair Days & Happy Birthday
Happy_Birthday_Bad_Hair_Day1

Waren sich die Herren und Damen Doctores auch bei den sonstigen Nebenwirkungen der Chemo nicht einig gewesen, bei einer Sache hatten sie übereingestimmt: Meine Haare werden ausfallen.

Ab Tag 16 war es soweit. Meine Kopfhaare begann auszufallen. Zuerst an den Schläfen, dann an den Seiten. Die Haare am Hinterkopf hielten sich zunächst noch standhaft an Ort und Stelle. Aber auch das sah bald anders aus. Ich musste nur mit der Hand über meinen Kopf streichen und meine Finger waren voll mit Haaren.

Auch meine Barthaare fielen aus. Es war ein ganz eigentümliches Gefühl zu bemerken, dass ich mir meine Barthaare, während ich mir mit kalten Wasser mein Gesicht abwusch, einfach mit der Hand abrubbeln konnte. Rasieren mit der Handkante, voll Kung Fu.

Ich hatte mir meine Haare nicht im Vorfeld abrasiert, weil ich wissen wollte, wie das vor sich geht und wie sich das anfühlt, wenn sie ausfallen. Als ich schließlich wie ein gerupftes Huhn aussah, war aber die Zeit des Rasierers gekommen. Tag 19 meiner Chemo. An meinem Geburtstag sollte es geschehen. Ganz passend fand ich. Eine besondere Rasur an einem besonderen Tag. Zwar trug ich meine – vor allem auf dem Oberkopf – eher in geringerer Zahl vorhandenen Haare seit etlichen Jahren kurz geschnitten. Aber mir eine Glatze zuschneiden, fühlte sich doch ungewöhnlich an. Wie gesagt, für meinen Geburtstag in meinem Krebsjahr ganz passend.

Aber zuvor hoffte ich, ein weiteres Event an meinem Geburtstag über die Bühne bringen zu können: meine letzte Dosis Friendly Poison, die Bleomycin Infusion. Dafür mussten sich natürlich meine Blutwerte, insbesondere die Anzahl der Leukozyten, normalisiert haben – und endlich war es soweit. 2 Stunden nachdem mir beim Onko-Doc das vierte Mal innerhalb von 10 Tagen Blut abgenommen worden war, erstrahlten die entscheidenden Werte auf dem Laborbericht in schönster Normalität.

„Womit habe ich nach der Infusion zu rechnen?“, fragte ich. „Mit nichts Besonderem!“, antwortete mein Onko-Doc – und ich in meiner Freude, endlich wieder mit einem funktionierendem Immunsystem ausgestattet zu sein (und vielleicht sogar meinen Geburtstag nun doch mit Freunden feiern zu können) und nun bald meine Chemo hinter mir zu haben, hörte: „Nichts!“ Schließlich war die erste ambulante Bleo-Infusion am Tag 8 meiner Chemo unspektakulär verlaufen. Also Bleomycin vorbereiten, Viggo legen – und hinein damit.

Und zunächst passierte auch nichts. Ich fuhr heim. Spürte eine gewisse Müdigkeit. Aber das war ja auch kein Wunder, nichts Besonderes. Schließlich war ich früh aufgestanden, hatte 3 Stunden mit meinem Arztbesuch verbracht und mir innerhalb einer halben Stunde eine satte Dosis Zellgift in die Vene jagen lassen. Da kann man schon müde werden… Also legte ich mich – für ein Stündchen, so der Plan – aufs Ohr. Kaum lag ich einige Minuten, ging es los.

Als hätte jemand gigantische Kühlaggregate aufs Bett gerichtet. Als würde draußen ein Eisblizzard toben und die schützenden Wände samt Fenster wären eingerissen worden, so dass ich plötzlich inmitten des Kältesturmes liegen würde. So einen Schüttelfrost, wie der, der mich da plötzlich überkam, hatte ich noch nie erlebt. Was war mir kalt. Glücklicherweise war ich ja nicht allein und bald mit zwei Wärmflaschen und heißem Tee versorgt.

Nach einer halben Stunden Zähneklappern war es mit dem Kältesturm genauso schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Und die Temperatur begann zu steigen – jedenfalls die von mir gefühlte und meine Körpertemperatur. Ich bekam Fieber, 38°, 38,7°, 39,5° zeigte das Fieberthermometer, Tendenz also steigend. Und mit steigendem Fieber wuchs – obwohl laut Labor wenige Stunden zuvor mein Immunsystem ok war und auch nichts auf eine Infektion hindeutete – meine Besorgnis. Zwar gaben die ersten Treffer bei Google zur Anfrage „Bleomycin Schüttelfrost Fieber“ Entwarnung in dem Sinn, dass dies nach einer Infusion Bleomycin typisch sei und nur bedenklich, wenn die Temperatur nicht bald wieder hinuntergeht (unterstützt durch etwa fiebersenkende Tabletten – oder wenn jemand nicht schlucken könne – Zäpfen und durch Hausmittel wie Wadenwickel). Aber ich wollte zur Sicherheit noch einen ärztlichen Rat.

Ich versuchte also meinen Onko-Doc zu erreichen – vielleicht war er an diesem Tag zufällig ja länger als bis um 12 Uhr in der Praxis geblieben. Nur der AB. Dann rief ich im Krankenhaus an, um den Urologen, der mich an den stationären Chemotagen betreut hatte, um Rat zu fragen. Leider konnte ich nicht mit ihm persönlich reden, die Sekretärin schirmte ihn an, sie überbrachte aber meine Anfrage – und übermittelte mir seine Einschätzung: Ich solle ins Krankenhaus kommen, mich an der Inneren melden. Happy Birthday! Toll. Ich hatte gehofft, der Urologe beruhigt mich. „Hey, ganz typisch nach einer Bleomycin Infusion. Das geht vorbei, keine Panik. Hausmittel anwenden. Fiebersenkende Tablette schlucken. Die Temperatur im Blick behalten. Nur ins Krankenhaus, wenn sie nicht bald wieder sinkt…“

Ich gab meiner Körpertemperatur eine Stunde, bis ich mich entscheide: Ist sie nach Ablauf der Stunde gesunken, bleibe ich daheim. Ist sie weiter gestiegen, dann geht es ins Krankenhaus. Und mein Körper tat mir den Gefallen, mit dem Fieber klarzukommen und mir den erneuten Klinikaufenthalt zu ersparen. 39,2°, 38,6°, 37,5°, Tendenz: die Temperatur normalisiert sich. Mein Körper schwitzte das Fieber weg. Ich war klatschnass, aber froh. 36,9° Die Notwendigkeit, ins Krankenhaus zu gehen, sah ich nicht mehr. Fühlte mich über dem Berg.

Gestern wurden noch einmal die Blutwerte bestimmt, und die Werte gaben meiner Entscheidung recht. Dies bestätigte mir auch der Urologe, der mich während der stationären Phase des Zyklus betreut hatte und der (mein Onkologe hatte zwischenzeitlich, wie ich erfahren musste, seinen Urlaub angetreten) meine aktuellen Laborwerte für mich interpretierte. Alle Werte normal. Alles bestens. „Sie haben es geschafft – und wenn ich das sagen darf: Die Glatze steht Ihnen sehr gut!“

Meine Liebste hatte mir einen Tag nach meinem Geburtstag den Kopf rasiert. Und ich war wirklich erstaunt gewesen, wie fremd mir mein Anblick im Spiegel wurde – und dass obwohl meine normale Haarpracht, wie gesagt, eh bereits eine deutliche Tendenz Richtung Glatze hatte. Aber so glatt geschoren, das war doch etwas anderes (hoffe nur, dass meine Wimpern und Augenbrauen nicht ausfallen). Und kühl war mir plötzlich am Kopf. Auch das war erstaunlich: selbst kurze Haare wärmen.

Zum Glück hatte meine Liebste mir zum Geburtstag eine coole britische Schiebermütze geschenkt, damit war ich sowohl wärmetechnisch wie auch stylisch auf der richtigen Seite. Zum Glück brauchte ich nur ein paar Tage, um mich an die Glatze zu gewöhnen. Ja, schließlich begann sich in mir sogar das Gefühl zu regen, dass mir die Glatze eigentlich ganz gut steht, so dass ich jetzt die Mütze nur wegen der Kühle brauche oder sie anziehe, weil ich sie cool finde, und nicht, um mich zu verstecken.

Ich war und bin sehr froh. Sehr froh, dass die Chemo vorbei ist. Dass ich die Chemotherapie so gut vertragen habe. Ja, my Deadly Friends Cisplatin, Etoposid und Bleomycin waren wirklich freundlich zu mir gewesen. Werden weiter freundlich zu mir sein, denke ich hinsichtlich eventueller Spätfolgen (z.B. Lungenprobleme aufgrund des Bleomycin). Wie Anfangs gesagt: Ich will eine positive Einstellung an den Tag legen… Die Nebenwirkungen, die sich derzeit noch bemerkbar machen, sind jedenfalls nicht schlimm: Der Haarausfall (das sichtbarste Zeichen meiner Chemozeit, glücklicherweise immer noch nicht meine Augenbrauen und Wimpern betreffend), die Ohrengeräusche (werden schon leiser), die veränderte, flüssigere Konsistenz und blassere Farbe meines Spermas und eine sehr starke Erschöpfung, die mich mindestens einmal am Tag überkommt und dann für mehrere Stunden in ihrem Griff behält.

Letzteres könnte jene starke, unter Umständen gar Monate dauernde Müdigkeit sein, die mit dem Begriff „Fatique“ bezeichnet wird (vgl. Blauer_Ratgeber_Hodenkrebs_Krebshilfe, S. 69). Muss es aber nicht sein. Ich gehe davon aus, dass es eine stinknormale Erschöpfung ist, weil die Chemo anstrengend für Körper und Seele war, immer noch ist und sein wird, bis sich mein Zell- und mein seelischer Haushalt komplett normalisiert haben. Ja, normalisieren… Jetzt heißt es, mich erholen. Stress vermeiden. Und gelassen in die Normalität, in einen Alltag ohne Krebs, zurückkehren. In zwei Monaten dann die erste Nachsorgeuntersuchung. Aber hier verlasse ich mich ganz auf meine Deadly Friends.

Und nun werde ich eine Runde spazieren gehen, bzw. Nordic Walken… Gerade bricht die Nachmittagssonne durch die Wolken. Ideal, um ein wenig an die frische Luft zu gehen. Denn frische Luft ist gut, um sich zu erholen, die Phase der Müdigkeit zu überwinden. Die Stöcke zu schwingen ist gut, um mich abzulenken. Denn während ich diese letzten Zeilen zu meiner PEB Chemotherapie schreibe, habe ich wieder einmal große Lust, mir eine Zigarette anzuzünden. Toi toi toi: Bisher bin ich stark geblieben, habe keine geraucht. Bald feiere ich meinen Geburtstag nach. Ja, wenn ich stark bleibe, wird dies der erste Geburtstag seit rund 25 Jahren sein, von dem es kein Foto von mir mit einer Kippe in der Hand oder im Mundwinkel geben wird. Der Gedanke gefällt mir.

 


 

Links und Quellen zur PEB Chemotherapie


 

Die ganze Geschichte in 4 Akten:

  1. Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus (rund um die OP nach Diagnose Hodenkrebs)
  2. Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB… (histologischer Befund und die Empfehlung des Tumorboards)
  3. Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp (die Entscheidungsfindung, active surveillance oder Chemo?)
  4. Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen (die Chemotherapie)

 

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Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp

Hodenkrebs_Erfahrungen2
„Ich habe nicht inhaliert!“ – ich sah meinen alten Freund förmlich vor mir, wie er breit grinsend ins Telefon sprach. Ich war nicht der Erste, der ihn Sonntagabend nach dem Münster-Tatort anrief. Dabei war es bei mir Zufall. Ich hatte den Tatort nicht gesehen, in dem Prof. Börne behauptet: „Kiffen erhöht das Hodenkrebsrisiko um 70 Prozent“. Nicht Pot, sondern Plot – das war meine Sonntagsbeschäftigung – kurz ich sah kein TV, sondern brütete an meinem Schreibtisch über der Dramaturgie meines dritten Romans. Als mein Tag- und Abendwerk beendet war, rief ich an, weil ich wissen wollte, was es Neues an der Hodenkrebs-Front gab.

Ich war noch auf dem Stand von einigen Tagen zuvor. Bedeutet: Die Fragen, die sich ihm gestellt hatten, bevor er sich entscheidet, ob er active surveillance oder PEB Chemo wählt, waren beantwortet worden. Endlich!

Das Warten und die Empfehlung

Der Nachtragsbefund des Pathologen, der das Orchiektomie-Präparat untersucht hatte und bezüglich der Einordnung des Tumors unsicher gewesen war, lag als Erstes vor. Leider hatte man versäumt, meinem Freund dies mitzuteilen, obwohl er mehrmals nachgefragt hatte. „Ich habe meinen ergänzten Befund doch bereits vor einer Woche übermittelt!“, gab sich der Pathologe erstaunt, als mein Freund mit ihm persönlich telefonierte. Wie auch immer. Bezüglich der strittigen Frage, ob eine vaskuläre Invasion vorliege (und somit ein bedeutender Risikofaktor), brachte der Mediziner nun Licht ins Dunkel: Die erneute Betrachtung des Präparates hätte seine Unsicherheit beseitigt und den ursprünglichen Bericht bestätigt. Vaskuläre Invasion der Lymphbahn (L1).

Länger dauerte es, bis die beiden Fragen „Was sagt das Zweitmeinungsprojekts der Deutschen Hodentumor Studiengruppe (GTCSG) zu seinem Fall? Und wenn Chemo: Reicht nicht auch 1 Zyklus PEB?“ beantwortet waren. Das lag zum einen daran, dass sich der Urologe eine Woche Zeit ließ, bis er den Fall dort vorstellte. Und zum anderen hatte jener den Fall nicht über die Homepage des Zweitmeinungsprojektes und die dort installierte Eingabemaske eingereicht (es wird auf der Homepage eine Zeitspanne von längstens 24 Stunden genannt, bis eine Empfehlung vorliegt), vielmehr hatte er ein Fax mit dem Befund und der Anfrage an eine an das Projekt angeschlossene Universitätsklinik geschickt. Dieses Fax war unbemerkt geblieben und unter einem Stapel verschwunden. Es dauerte rund zwei Wochen bis das Schriftstück entdeckt wurde und sich die Zweitmeinungsstelle meldete.

Dann aber hatte das Warten ein Ende und alle Fragen waren geklärt: Der Tumor sei, so die Zweitmeinungsstelle, aufgrund der vaskulären Invasion und der Infiltration der Rete Testis als high risk non-seminom Karzinom zu werten. Auch bei einem Stadium 1B Tumor sei in diesem Fall von „wait and see“ (active surveillance) abzuraten. Da mit der adjuvanten Chemotherapie von 1 Zyklus PEB aufgrund neuerer Studien Rezidiven ebenso erfolgreich vorgebeugt werden könne wie mit stärker belastenden 2 Zyklen PEB (eine Vorgehensweise, die zwar noch nicht in die Leitlinien übernommen worden sei, aber das wäre nur eine Frage der Zeit…), laute die Empfehlung 1 Zyklus PEB.

Und mein alter Freund war der Empfehlung gefolgt, hatte sein OK zur Chemo gegeben. Mit der Überweisung des Urologen in der Tasche war er zum vorgeschlagenen Onkologen gegangen. Hier hatte man ob seiner Bitte um einen baldigen Termin erst einmal gelächelt („Also frühestens in 3 Monaten“), dann aber nach einem gewissen freundlichen Insistieren doch einen Termin eine Woche später herausgerückt. Und dieser Termin war drei Tage vor gesagtem Tatort. Dies war mein Informationsstand, als ich ihn an besagtem Abend anrief.

Sind die denn alle bekifft?

„I didn’t inhale!“, begrüßte er mich mit dem alten Clinton-Spruch. Ich war beileibe nicht der Erste, der bei ihm an diesem Abend durchklingelte, wie er meinte. Er fasste den Münster-Tatort kurz zusammen. Börne hätte bewirkt, dass einige Menschen, die sich bislang nicht so getraut hatten, sich bei ihm zu melden, jetzt anriefen. Die Sprüche vom Börne zum Hodenkrebs wären wohl ein guter Aufhänger gewesen, um das schwierige Thema ein bissel locker anzugehen. Es gab zwar auch Stimmen der „Das lass mal besser!“-Fraktion, aber die kannten ihn, der selbst auf Partys, wo Cannabis in Hülle und Fülle angeboten wurde, bei seinem Bier blieb, nicht gut. Er war da wie ich. Cannabis war nicht seine Droge.

„Aber wer weiß?“, meinte er, „Vielleicht wird sie das angesichts der Nebenwirkungen der Chemo ja noch – wobei: Bis auf den Onkologen sagen eigentlich alle: 1 Zyklus PEB wird nicht ganz so furchtbar arg.“

Ja, der Onkologe. Ein sehr netter Mann. Das wäre dann ja alles easy, sagte der, die Urologie des Krankenhauses hätte ihn schon wegen seines Falles angerufen und ihm die Diagnose durchgegeben. Zweimal müsse er zu ihm ambulant kommen, um die Infusionen zu erhalten. Und gut.

Und gut? Ich selbst hatte ja schon häufiger mit Ärzten zu tun, und nicht immer lief alles glatt, aber hier schien es hinsichtlich eines gewissen Kommunikationsproblems an kein Ende zu kommen. Denn nichts war gut. „Was heißt zweimal ambulant? Ich dachte der erste Teil eines Zyklus würden an 5 Tagen stationär verabreicht?“, fragte mein Freund verwirrt, „Und warum hat die Urologie des Krankenhauses wegen meines Falles angerufen? Mit denen habe ich das letzte Mal nach den OP-Tagen gesprochen.“

Und dann stellte sich heraus, dass der Onkologe aufgrund des Anrufes aus dem Krankenhaus davon ausgegangen war, dass der erste, der stationäre Teil schon gelaufen wäre. Das war natürlich nicht der Fall. Und somit war der Onkologe nicht zuständig. Der stationäre Part einer PEB Chemo wird von der Krankenhaus-Urologie betreut. Die Überweisung durch den Urologen war ein Fehler gewesen. „Das hätte der aber wissen müssen…“ Eine Woche hatte mein Freund auf den Termin gewartet – umsonst.

Na ja, nicht ganz umsonst. Denn der Onkologe nahm sich gut eine dreiviertel Stunde Zeit, um ihn über die Nebenwirkungen einer Chemo aufzuklären (was bislang so ausführlich bei ihm noch kein Arzt gemacht hatte – „einen mündigen Patienten muss man auch über den worst case aufklären“). Interessant war: Der Onkologe hatte zwar vom Urologen Unterlagen zum Fall erhalten, aber nicht den Bericht des Tumorboardes und nicht den histologischen Befund – also die wichtigsten Unterlagen. Diese hatte mein Freund dabei. Interessant war: Die Nebenwirkungen sind – laut der Einschätzung des Onkologen – nicht ohne. Und das heißt nicht nur Haarausfall und Übelkeit und Schleimhautprobleme im Mund (Nebenwirkungen, die nach Beendigung der Chemo abklingen), sondern eventuelle (gerne länger anhaltende) Probleme wie Tinnitus, Nervenschädigungen (Kribbeln oder Taubheit in den Gliedern), Lungenschädigungen – und vor allem: Bereits während des ersten Zyklus‘, ab dem Tag 10., würde erfahrungsgemäß das Immunsystem so down sein, dass man höllisch auf eine Infektion mit Irgendetwas aufpassen müsse (und das gerne länger anhaltend). Als Zugabe: Eine Chemo könne andere Tumore auslösen… Zu bedenken sei übrigens auch, dass seiner Erfahrung nach die Zahlen, die üblicherweise hinsichtlich des Wiederauftretens eines Rezidivs (30% unter active surveillance bekommen ein Rezidiv, nur 3-5% nach einer Chemo) genannt werden, seinen Erfahrungen nicht entsprechen: Er halte die Zahlen 20% unter active surveillance, etwa 10% nach einer Chemo bezüglich der Gefahr eines Rezidivs für wahrscheinlicher. „Sie sind ja, wie ich merke, nicht blöd“, sagte der Onkologe, „Und ein mündiger Patient sollte schon richtig aufgeklärt werden. Jetzt haben sie noch die Wahl.“

Angesichts dieser Zahlen (und angesichts der beschriebenen Nebenwirkungen) erschien die Strategie active surveillance jetzt doch wieder sehr attraktiv. Vor allem: Vielleicht hatte der Urologe, dessen Überweisung an den Onkologen schon falsch gewesen war, der diesem Onkologen gerade die wichtigsten Befunde nicht übermittelt hatte, auch dem Zweitmeinungsprojekt nicht genügend Informationen übermittelt (nur ein Fax,  kein Einholen der Zweitmeinung über das standardisierte Formular… )? Vielleicht beruhte die Empfehlung von 1 Zyklus PEB auf falschen Voraussetzungen?

Kurz: Mein Freund, der sich darauf eingestellt hatte, nun vom Onkologen betreut in Kürze den 1 Zyklus PEB zu erhalten, ging niedergeschlagen, verwirrt heim. Die Informationen, die er zuvor zur Chemo erhalten hatte, waren gewesen: „Erst bei 3, 4 Zyklen wird es schlimm“. Von eventuellen längerfristigen Folgen, gar einem erhöhten Risiko aufgrund der Chemo neue Tumore sich einzufangen, war keine Rede gewesen….

„Vielleicht sollte ich mir jetzt doch mal einen Joint durchziehen!“, meinte er, „Vielleicht wird mir dieses ganze Hin- und Her, und Kommunikationsgalama und Prognosenzeugs ja dann egal! Ja, vielleicht hätte ich beim Vertretungsurologen meine Schnauze halten sollen, einfach nicht nachfragen, als er sagte, alles in Butter mit der OP . Einfach rausmarschieren – und weiterleben, als sei nichts geschehen, weiterleben ohne nachzudenken.“

„Soviel kannst Du gar nicht kiffen, dass Du aufhörst, nachzudenken, Fragen zu stellen!“, gab ich ihm zurück. Und dann vertagten wir unser Gespräch auf den nächsten Tag. Der Onkologe hatte angeboten, Rücksprache mit der Urologie des Krankenhauses zu halten, um die optimale Behandlung abzuklären. Er würde sich am folgenden Tag melden. Nett der Onkologe.

Der nette Onkologe rief tags darauf nicht an. Auch am Tag danach meldete er sich nicht. Erst am dritten Tag meldete er sich.

„Sind die denn alle bekifft?“, erboste sich mein Freund, als er mir von dem Telefonat berichtete. „Erst überweist mich der Urologe völlig überflüssig an den Onkologen. Dann sagt der Onkologe doch glatt, dass der Anruf des Krankenhauses nicht mir gegolten hätte. Er hätte mich mit einem anderen Patienten verwechselt. Verwechselt! Somit müsse er seine Aufklärung bezüglich active surveillance oder Chemo revidieren. Er hätte sich meine Unterlagen noch einmal angesehen und rate deswegen auch zu einer Chemo…“

Der Sprung ins Vertrauen

Glücklicherweise – weil sein Vertrauen in die Empfehlung der Zweitmeinungsstelle wiederherstellend – hatte mein Freund zwischenzeitlich der Professorin der Zweitmeinungssstelle, die mit seinem Urologen telefoniert hatte, eine E-Mail geschrieben, in der er alle Informationen, die ihm zur Verfügung standen, aufgelistet hatte. Sie war so nett gewesen, gleich am nächsten Tag anzurufen. Sie bekräftigte am Telefon ihre Empfehlung: Kein active surveillance, er hätte zwar Stadium 1B, aber die TNM-Klassifikation pT2 cN0 cM0 L1 R0 V0 ICD-O 9070/3 und 9061/3 sei als high risk Karzinom zu werten. „Tun sie mir den Gefallen, und tun sie etwas. Warten sie nicht ab. Nehmen sie sich eine Woche Zeit, und dann ist gut!“, sagte sie (die Nebenwirkungen offensichtlich anders bewertend als der nette Onkologe).

Und das ist also der Stand der Dinge. Mein alter Freund sagte sich: „Die macht den ganzen Tag kaum etwas anderes, als sich mit Hodenkrebs beschäftigen. Wenn er schon jemandem vertrauen soll, dann doch ihr.“ Also setzte er zum Sprung an. Trotz aller gegenteiligen Erfahrungen. Zum Sprung ins Vertrauen. Er hat entschieden. Keine Fragen mehr.

Apropos Vertrauen: Der Krankenhaus-Urologe, der bereits vor der OP die Voruntersuchungen gemacht hatte, rief ihn dann an – ohne dass er hätte aktiv werden müssen. Der Onkologe hatte mit ihm gesprochen. „Und er würde seinen Fall jetzt in die Hand nehmen“. Eine Aussage, die sehr gut tat. Ein leises Gefühl von Hier werde ich in guten Händen sein stellte sich ein. Vor allem auch, weil der Urologe von sich aus die noch zu machenden Voruntersuchungen ansprach. Mein alter Freund musste nicht fragen, hier wurde Wichtiges für ihn geregelt.

Dann ging es ins Krankenhaus, um die Voruntersuchungen (Bluttests, u.a. Tumormarker, Sonographie, Lungenfunktionstest, EKG, Neurokonferenz) zu absolvieren. Die Möglichkeit von Samenspenden (und anschließender Kryokonservierung meiner Fortpflanzungszellen) wurde besprochen und, weil ich keinen Kinderwunsch mehr hegte, nicht ergriffen. Alle Ärzte und Pflegekräfte waren sehr freundlich, aufmerksam, strukturiert. Ein Hörtest beim HNO-Arzt steht noch an. Kommenden Montag geht es los mit der Chemotherapie.

Ich hoffe nur, dass nicht der Onkologe, sondern die Professorin bezüglich der Nebenwirkungen Recht behält – und mein alter Freund den Sprung ins Vertrauen nicht bereut.

Links:

Zusammenfassung von Spiegel online zum Thema „Tatort und Hodenkrebs und Kiffen“: Frage nach dem „Tatort“: Erhöht Cannabis das Risiko für Hodenkrebs?

Bericht über Studien bezüglich 1 Zyklus PEB und Leitlinien: EAU-Leitlinie 2011 mit Blick in die Zukunft: maligner Hodentumor im Stadium I – weniger ist mehr!

Informationen zur PEB-Chemotherapie:

 


 

Nachtrag: Die ganze Geschichte in 4 Akten

  1. Patient 3. Klasse? Von der Kommunikation im Krankenhaus (rund um die OP nach Diagnose Hodenkrebs)
  2. Alles fit im Schritt? Diagnose Hodenkrebs etc. pp., OP und PEB… (histologischer Befund und die Empfehlung des Tumorboards)
  3. Sind die denn alle bekifft? Hodenkrebs, PEB etc. pp (die Entscheidungsfindung, active surveillance oder Chemo?)
  4. Friendly Poison… 1 Zyklus adjuvante PEB Chemotherapie – Hodenkrebs, Erfahrungen und Informationen (die Chemotherapie)

 

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Das liebende Herz von morgen ist das Lebkuchenherz von heut

Fröhliche_Weihnachtszeit
Bald ist wieder die Zeit gekommen… die Zeit für „Ein haariger Heiligabend“… oder ist sie vielleicht schon da? Schon vor Wochen sah ich sie erstmals im Supermarkt, ein ganzes Regal voll, die ersten Vorboten der Weihnachtszeit: Lebkuchen, Weihnachtsgebäck, Marzipanstangen, und ja, Schokoweihnachtsmänner… – und mein Eindruck ist: Immer früher wird versucht, weihnachtlich kulinarische Begehrlichkeiten zu wecken. Ist dies schlecht? Ist das gut?

Glaubt man der Werbung, so ist es für viele Menschen ein Ereignis der Glückseligkeit, dass für manche Süßigkeiten nun endlich die Sommerpause vorbei ist. Warum diesen Zustand der Glückseligkeit nicht noch verstärken, in dem justament mit dem Vorspiel auf das Fest der Liebe begonnen wird?

„Liebe geht über den Magen“, heißt es. Kann es also schlecht sein, dass sich das Fest der Liebe über die Mägen all derer, die sich von den schon jetzt angebotenen Weihnachtsleckereien verführen lassen, immer weiter ausbreitet – Richtung Sommer? Schließlich kann es kann nicht genug Liebe auf der Welt geben. Und schaut man genau hin, so meint man bereits jetzt überall das Gefühl der Liebe um sich greifen zu sehen.

Lächelnd stehen die Pendler am Morgen im Stau zur Arbeit, winken mit einer Zimtstange in der Hand den Wartenden auf der Zufahrtsstraße zu, damit die sich in den Stau einreihen können. Nachbarn, die sich den ganzen Sommer gestritten haben, weil der eine zu oft gegrillt, der andere zu wenig den Vorgarten gepflegt hat, stehen nun fröhlich schwatzend am Gartenzaun, während sie sich eine Packung Marzipankartoffeln teilen. Die Bankerin, die gerade eine Familienpackung Spekulatius verdrückt hat, bietet dem Hippiemädchen einen Platz unter ihrem Regenschirm an und so gehen vormals getrennte Welten vereint durch den Regen. Sehet den Neonazi mit rasiertem Schädel, wie er nach dem Genuss eines Schokoweihnachtsmannes dem dunkelhäutigen Mädchen dabei hilft, den platten Reifen ihres Fahrrades zu reparieren.

Oh du fröhliche Weihnachtszeit,
Es ist endlich soweit.
Harmonie aller Orten
Himmelweit auf stehen die Pforten
Zur Glückseligkeit.
Ein Lächeln macht sich auf den Gesichtern breit,
Wie das doch die Menschen überall freut.
Das liebende Herz von morgen
Ist das Lebkuchenherz von heut.
Vergessen sind bald alle Sorgen,
Kauft, esst, denn endlich ist soweit,
Es beginnt die fröhliche Weihnachtszeit.

Ja, bald ist die Zeit gekommen… die Zeit für „Ein haariger Heiligabend“.

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Mit dem Kindle auf Reisen oder: Ein Pro und Contra E-Books aus Autorensicht

Kindle_auf_Reisen
Gleich vorneweg ein „Tempo“-Hinweis: „Kindle“ steht für alle E-Book Lesegeräte und für Tablets, Handys, auf denen Leseapps installiert sind…

Ich war auf Reisen. Strand- und Poolurlaub. Sonne. Schwimmen. Erholung.  Mallorca. Den Schriftsteller habe ich zu Hause gelassen (anders als bei meinem letzten Frankreich-Urlaub, wo ich auf der Terrasse hockend die finale Fassung meines zweiten Roman redigiert habe). Gleichwohl konnte ich nicht über meinen Schatten springen (wie auch, da ich am Strand oder am Pool lag), und war auch dort nicht gefeit vor Beobachtungen und Gedanken, die ich schließlich im Flieger nach Hause brachte.

Ein Contra E-Books aus Autorensicht:

Lag ich am Pool, schlenderte ich lächelnd unter der Nachmittagsonne, den warmen Sand unter den Füßen spürend, den Strand entlang, dann sah ich eine Karin Slaughter, eine Kathy Reichs, ich sah mehrmals Shades of Grey, ich sah einen King, sah Dan Brown und Fitzek – und ich sah graue bzw. schwarze Lesegeräte.

Die Autoren und Buchtitel, die ich sah, wurden von Sonnenmilch glänzenden Händen als Taschenbuch oder vereinzelt als Hardcover gehalten und gelesen. Ich sah nicht (immerhin pi mal Daumen 10% der Lesenden), was auf den Lesegeräten gelesen wurde.

Also: Autoren, die auf Lesegeräten gelesen werden, sind für Dritte unsichtbar. Das mag für einzelne Leser, die etwa Hardcore-Erotikliteratur lesen, von Vorteil sein (weil Dritte nicht das Hardcore-Erotikcover sehen), aber generell scheint mir dies eher ein Contra zu sein: Keine Werbung aufgrund von zufälligen Blicken (ach, das sieht ja interessant aus…), keine Werbung aufgrund von einem gewissen Gewöhnungseffekt (oft gesehen = mehr gekauft), keine Werbung aufgrund von Synergieeffekten (ach dieser hübsche Kerl, diese hübsche Frau, liest dies oder jenes am Strand, da muss ich doch mal auch nach dem Buch schauen…).

Ein Pro E-Books aus Autorensicht:

„Was für ein tolles Buch!“. Meine Liebste legte ihren Kindle zur Seite, lächelte mich an. Das Ende des Romans, der sie seit Stunden gefesselt hatte, war erreicht. Nach einer kurzen Abkühlung im Pool erzählte sie begeistert von ihrem Leseerlebnis, schwärmte von dem spannenden Plot, den interessanten Figuren, dem lebendigen Schreibstil – und machte mir Lust, genau dieses Buch nun auch zu lesen.

Jetzt konnte sie mir, am Pool liegend, das E-Book natürlich nicht einfach auf mein Tablet schicken (daheim gäbe es da schon Möglichkeiten, die ich – im privaten Rahmen – auch durchaus angemessen finde). Hätte sie ein Taschenbuch gelesen, dann wäre es an jenem Tag in meine Hände gewandert. Ein Buch gekauft, zwei Leser gefunden.

Das funktioniert bei einem E-Book aber nicht. Natürlich, wir hätten die Lesegeräte tauschen können. Aber das klappte in diesem Fall nicht, weil auf dem Kindle meiner Partnerin der nächste Roman, der sie interessierte, auf den Klick wartete – und auf meinem Tablet nur Literatur gespeichert war, die sie nicht interessierte (zudem las sie wegen des höheren Gewichts nicht gern auf meinem Tablet). Und ich denke, das wird der Normalfall sein: Es wird normalerweise nicht klappen, die Lesegerät zu tauschen, weil die Lesegewohnheiten gerne auseinandergehen.

Also: Literatur, auf die man neugierig gemacht wird, wird nochmals gekauft. Das ist ein Pro für E-Book Autoren. Zwei Leser gefunden, zwei Bücher gekauft (ein Hoch auf das WLAN im Hotel, das ich vom Pool aus anzapfen konnte), folglich mehr Umsatz.

Was fällt wohl mehr ins Gewicht? Pro oder Contra?

Mit dem Kindle auf Reisen…

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Lichterspiele auf Mallorca – von All Inclusive bis Atemlos durch die Nacht. Ein Reisebericht

Boscher_Palma_6
Meine Vorgaben für den kurzfristig anvisierten Urlaub waren: Eine Anreise nicht länger als 2,5 Stunden. Ein Hotel mit klimatisierten Zimmern und Pool. Das Meer sollte nicht weiter als 250 Meter entfernt sein. Und über dem Strand strahlt die Septembersonne aus blauem Himmel.

10 Tage lang wollte ich mich erholen, die Seele baumeln lassen. Ich wollte nicht frieren. Nicht einkaufen, kochen, abspülen müssen. Ich wollte nicht schreiben. Nicht nachdenken. Ich wollte schwimmen, lesen, und wieder schwimmen, tagsüber in die Sonne blinzeln, Abends in Hemd und kurzer Hose am Meer sitzen und den Tag lächelnd bei einem kühlen Bier ausklingen lassen.

Alles, was ich suchte, fand ich hier: Mallorca – Can Pastillaallsun Kontiki Playa

Abflug vom Flughafen Friedrichshafen (mein erster Flug seit rund 10 Jahren, aufregend), Ankunft Flughafen Palma 2 Stunden später (zum ersten Mal betrete ich Mallorca), eine Viertelstunde später einchecken im Hotel (der Transfer war inklusive), 5 Minuten später auf dem Balkon des Zimmers stehen und mit breitem Grinsen auf die Poolanlage, Palmen und das nicht einmal 200 Meter entfernte Meer blicken. Treffer!

 

Lichterspiele auf Mallorca

Das Wetter hielt, was Mallorca versprach: Kaum ein Wölkchen am Himmel, 27 bis 30 Grad Außentemperatur. Das Meer war herrlich (und so nah), der kilometerlange Sandstrand angenehm sauber. Egal ob ich durch die Wellen des Mittelmeeres schwamm und das Salz auf der Haut spürte oder ob mich an einen Schattenplatz an der Poolanlage zurückzog, um unter einem Sonnensegel oder einem Sonnenschirm etwas zu lesen – ich lächelte und lächelte. Und dann dieses Licht am Abend… Was für eine schöne Gegend, was hatte ich es doch gut getroffen – und als Bonus: Palma mit seiner Kathedrale und der hübschen Altstadt war ganz nah.

Hier einige Impressionen:

Mallorca – Can Pastilla – allsun Kontiki Playa

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Palma de Mallorca

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Von All Inclusive bis Atemlos durch die Nacht. Ein Reisebericht (1.-10. Sept. 2014)

Von Deutschland aus schnell zu erreichen, bestes Wetter, das Meer herrlich (und so nah), der kilometerlange Sandstrand angenehm sauber – natürlich war ich nicht der einzige (vor allem deutsche) Mensch, der dort diese Vorzüge genoss. Kurz (da allgemein bekannt): Mallorca (es sei denn, man wählt einen ruhigeren Ort im Inselinneren) ist beileibe kein Urlaubsziel für Menschen mit Aversion gegen Menschen, beileibe kein Urlaubsort für Menschen mit einer so großen Aversion gegen deutsche Schlager, dass bereits die ersten Klänge zu ausgeprägtem Fluchtverhalten führen.

Das Hotel allsun Kontiki Playa

Die Angestellten des Hotels allsun Kontiki Playa, von denen es sehr viele gab, waren durch die Bank überaus freundlich, tatkräftig und hilfsbereit. Für alle, die des Spanischen nicht mächtig sind: Es war immer jemand in der Nähe, der deutsch oder englisch sprach. Mehrere Stunden am Tag war die alltours Reisebegleitung vor Ort.
Mallorca_Kontiki_Playa_Eingang
Aufgrund der Größe des im Winter 2014 komplett renovierten, nun zum Reiseunternehmen alltours gehörenden Hotels (4 Sterne, 228 Zimmer, 45 Appartements, 6-8 Etagen, Lifte in jedem Gebäude ) waren die Momente der Einsamkeit auf dem Hotelgelände natürlich rar gesät, zumal die Verpflegung im Hotel überwiegend „all inclusive“ gebucht wird (geschätzte 95% der Gäste). Bedeutet: Viele Gäste halten sich daher in der Hotelanlage auf, um das Gastronomie-Angebot wahrzunehmen. Eine „all inclusive“-Buchung (der Aufschlag auf die Halbpension betrug bei mir 45 Euro) hat z.B. den Vorteil, dass man die gewünschten Getränke gegen Vorlage einer blauen Chipkarte erhält, welche auch als Zimmerschlüssel dient. Halbpension-Gäste hatten eine orange Karte und mussten bei jedem Getränk ihre Order unter Angabe der Zimmernummer gegenzeichnen, die Abrechnung folgte beim Auschecken.

Das Essen war vielfältig und lecker. Das Hotel gepflegt und sauber (tägliche Zimmerreinigung, wenn gewünscht täglich frische Handtücher). Die Hotelanlage ist, soweit ich das sehen konnte, bis auf den unmittelbaren Zugang zum Poolbecken (5 flache Stufen) komplett barrierefrei.

Das Hotel hat ein großes Restaurant (mit überdachter Außenterrasse), das Angebot an leckeren Speisen ist zu jeder Mahlzeit (Buffet) sehr reichhaltig (und wird zum Teil vor den Augen der Gäste zubereitet). Gerade für jemanden, der gerne Fisch und Meeresfrüchte isst, gab es viel zu entdecken, hier ein Stückchen vom Haifisch (um etwas Exotisches zu nennen), dort gegrillte Makrele, dann Garnelen, Tintenfisch, Seehecht, Dornfisch, Dorsch, Lachs, Forelle, Miesmuscheln, Seeteufel… Aber auch die Pizza-, Pasta-, Schnitzel- und Schweinebratenfraktion kam nicht zu kurz. Zu jeder Mahlzeit gab es frisches Obst und einheimischen Käse. Wer im Urlaub etwas für seinen Leibesumfang tun wollte, konnte dies beginnend von 8 Uhr an ausgiebig tun (Frühstück 8 bis 10.30 Uhr, Langschläferfrühstück von 10.30 bis 11.30 Uhr, Mittagessen 12.30 bis 14.30 Uhr, Abendessen 18.00 bis 21.00). Die Lücke zwischen Mittag- und Abendessen wurde meist noch mit Kuchen, frisch zubereiteten Waffeln oder Crêpes an der Pool- / Snackbar geschlossen.

Wer also wollte, konnte den Tag mit Speisen verbringen. Getränke wurden ab 10 Uhr bis 24 Uhr an der Poolbar ausgeschenkt (von Kaffee über Bier, Wein, Wodka Lemon, Whiskey Cola bis zu Wasser „mit oder ohne Gas“). Ein Angebot, das sehr beliebt war (Wodka Lemon nach dem Frühstück scheint ein Klassiker zu sein). All inclusive waren alle Getränke ohne Alkohol, Wein und Bier, Mixgetränke mit dem jeweiligen „Hausalkohol“ (wer Markenalkohol wollte, musste zahlen: Bacardi Cola etwa 2,50 Euro).

Neben dem Essen bot das Hotel jeden Tag ein Unterhaltungsprogramm: Es gab Tanzabende, einen Bingoabend, Fußball-Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft wurden auf einem riesigen Flachbildschirm gezeigt, es gab Livemusik (eine Jazzkapelle), einen Flamenco-Abend. alltours bot mindestens einmal die Woche einen Ausflug ins Hinterland von Mallorca oder zu Sehenswürdigkeiten an (etwa Jürgens Drews Lokal „König von Mallorca“ in Santa Ponca). Diese Ausflüge mussten Interessierte extra zahlen. Für die Sportler unter den Gästen stand im ebenfalls zu alltours gehörenden Pil-Lari Playa (ca. 150m entfernt) ein Fitnesscenter mit Blick aufs Meer zur Verfügung, das kostenlos mitbenutzt werden konnte. Fitness-light gab es mit der mehrmals pro Woche stattfindenden Wassergymnastik im Pool des Kontiki Playa.

Das Publikum im Hotel war überwiegend aus Deutschland, und den Dialekten nach zu urteilen, überwiegend aus NRW und Norddeutschland. Daneben Niederländer, einige Engländer, Skandinavier, Russen. Das Durchschnittsalter der Hotelgäste dürfte in den 60er liegen, der Seniorenanteil war sehr hoch.

Die Lage

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Die Lage ist top (der erste Blick vom zum Appartement gehörenden Balkon zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht, das mich den ganzen Urlaub über begleitete). Keine 200 Meter Entfernung zum Meer (und dem kilometerlangen, jeden Abend gesäuberten Sandstrand). Von 10 Uhr morgens bis 18 Uhr konnte man über die Poolanlage und das zu dieser Zeit geöffnete, die Hotelanlage zur Promenade hin abgrenzende Kontiki Cafe (hier kein all inclusive) zum Meer gelangen. Vor 10 Uhr morgens und nach 18 Uhr führte der Weg zum Meer über den Haupteingang des Hotels, Treppe (oder Rampe) hoch, dann nach rechts gehen, nach 30 Metern wieder rechts – und 200 Meter voraus das Meer und die Promenade mit bis spät in den Abend hinein geöffneten Geschäften und bis spät in die Nacht hinein geöffneten Lokalen.

El Arenal war für jeden, der dort sich amüsieren wollte, nah (30 Minuten zu Fuß, 10 Minuten mit dem Bus oder 10 Minuten mit den kleinen Bähnchen, die an der Promenade entlang fuhren) – aber für jeden, der es etwas ruhiger haben wollte, weit genug entfernt. Die Nächte im Hotel (ab ca. 0.30 Uhr) waren ruhig.

Palma_Mallorca
Von Can Pastilla aus war Palma mit seiner Kathedrale und der hübschen Altstadt schnell zu erreichen. Direkt am Hotel hielten die Stadtbusse (1,50 Euro pro Person, die Linien 15 und 25 nach Palma hinein, ca. alle 10 Minuten kam ein Bus, die Linie 21 zum Flughafen). Die schnellste Busverbindung in die Altstadt von Palma ist die Linie 25 (15 Minuten Hinfahrt, die Linie 15 fährt eine weitere Strecke durch die Vororte), die hinter Can Pastilla die Stadtautobahn nimmt und bis zum zentralen Placa de la Reina fährt (hier sollte man auch die Rückfahrt wieder antreten, da bereits eine Haltestelle später der Bus voll ist und die Rückfahrt etwas länger dauert, ca. 30 Minuten. Zudem: ist der Bus zu voll, kann es sein, dass die Busfahrer niemanden mehr zusteigen lassen).

Bemerkenswert: Es gab keine Mücken (na ja, eine gab es), was natürlich an den lauen Abenden unter freiem Himmel sehr angenehm war (wie oft bin ich nicht hier am Bodensee an einem Sommerabend zerstochen worden). Sehr angenehm: Keine Wespen. Es gab überhaupt nur wenig Insekten (habe nur einen Käfer gesehen und einige vor der Sonne flüchtende Ameisen), was vielleicht auch erklärt, dass es nur wenige Vögel gab, hier und da mal ein Spatz, einige Möwen.

Atemlos durch die Nacht

Helene Fischer begrüßte mich mit „Atemlos“ gleich nachdem ich in das Hotel eingecheckt hatte, begleitete mich, Hand in Hand mit Wolfgang Petry, Andrea Berg etc. die Tage und die Abende und winkte mir zum Abschied.

Mein Eindruck: Auf Mallorca (und im Hotel) geht es – jedenfalls zur Hauptsaison – nicht ohne Musik: Ob beim Frühstück oder Mittagessen, ob Mittags am Pool oder Strand, des Abends bis um Mitternacht – vor allem deutsches Liedgut lieferte den Soundtrack meines Urlaubs (nur im Fahrstuhl lief keine Musik).

Zwar wurde in der zweiten Hälfe meines Aufenthaltes der Schlageranteil ein wenig heruntergeschraubt, es lief tagsüber nun mehr chillige Jazz-, Loungemusik (vielleicht weil der Anteil der Niederländer, Engländer, Skandinavier unter den Gästen gestiegen war), gleichwohl: Wem es bei dieser kurzen Schilderung kalt den Rücken herunterläuft, der sollte nicht Mallorca buchen (jedenfalls nicht in Strandnähe) – oder gutsitzende Ohrstöpsel kaufen oder sich per Kopfhörer mit eigener Musik beschallen.

Für jeden, dem die Dosis Schlager im Hotel zu gering war (selbst wenn eine singende Damengruppe aus dem Rheinland schon zum Frühstück schlagerlose 10 Minuten hochmotiviert überbrückte), hielten die Lokale im Umkreis (und etwas weiter entfernt El Arenal) die Volldröhnung bereit.

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Für jeden, der auch in diesem Umfeld ruhige Momente suchte, bot sich z. B. der abendliche Strand an. Man brauchte nur wenige Meter am anbrandenden Meer entlang zugehen, um den Trubel hinter sich zu lassen. Die Brandung des Meeres – in der Nacht, dort in meinem Hotelzimmer, das ich im Laufe des Abends mittels der Klimaanlage auf eine angenehme Temperatur herab gekühlt hatte, meist das einzige Geräusch, das zu vernehmen war. Schön.

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