Der Frosch sagt: Der Sommer hat begonnen

Thermometer_Frosch
Wie ich an anderer Stelle erwähnt habe, ist guter Kaffee gut für das Betriebsklima. Das guter Kaffee beileibe nicht der einzige für eine angenehme Arbeitsatmosphäre förderliche Faktor ist, eher pekunitär orientierte Persönlichkeiten verweisen gerne auf ein angemessenes Salär, die Romantiker unter den Arbeitnehmern auf freundliche Arbeitsatmosphäre oder Anerkennung für erbrachte Leistungen, hat mir ein alter Freund wieder zu Bewusstsein gebracht.

Ja, es gibt Zustände am Arbeitsplatz, die nicht besser werden, wie viel guten Kaffee man auch trinken mag. Nachdem ich vergangene Woche nach einem angenehmen Arbeitstag in maifeierlicher Atmosphäre auf meinem schnurrenden Roller im prallen Bodensee-Sonnenschein in mein Heim zurückgekehrt war, klingelte, kaum dass ich meiner Liebsten zugelächelt hatte, das Telefon. Mein alter Freund aus der Ferne. Da hört man doch gerne zu – und so erfuhr ich von solchen Zuständen.

„Ich sag Dir, heute hat der Frosch den Sommerbeginn verkündet!“, so lauteten seine einleitenden Worte. Jetzt muss ich, um des Verständnisses Willen vorausschicken, dass besagter Frosch, wie ich von früher wusste, natürlich kein wirklicher Frosch war. Er war nie ein wirklicher Frosch gewesen. Nur ein Thermometer in Froschform, dass mein alter Freund gekauft und zur Verifizierung der gefühlten Temperaturen an seinem Arbeitsplatz an selbigem platziert hatte. Nun, der Frosch war Geschichte. Ein schlichtes Holzthermometer erfüllte, seitdem er den Frosch verschenkt hatte, den nämlichen Zweck – nur die Bezeichnung für den Temperaturmesser war geblieben. Der Frosch sagt… Und wie ich wusste, sprach der Frosch im Winter: 12 Grad nach einem Wochenende, an dem im Büro die Heizung ausgestellt war. Und 39 Grad im Hochsommer, seitdem die Klimaanlage aus Kostengründen nicht mehr angestellt wurde. Da ich wusste, dass mein alter Freund (im Gegensatz zu seinem verflossenen Freund) nicht unbedingt temperaturempfindlich war (es galt sich halt angemessen im Büro zu kleiden, im Winter dicke Socken, Pulli, Strickjacke, Schal, Fingerlinge, im Sommer Flip Flops), war mir schon bei dieser Eröffnung klar, dass der Frosch noch mehr sprach, wenn er den Sommer verkündete.

Der Frosch sagte: „29 Grad im Mai, schon kommt der Gestank des Sommers herbei!“

Wörtliche Rede kann etwas Berauschendes, in ihrer Bildhaftigkeit Mitreißendes haben. So fällt es mir jetzt naturgemäß schwer, in geschriebener Rede den Abscheu meines alten Freundes ob der Ankündigung des Sommers angemessen wiederzugeben. Vor allem, da dieser Abscheu olfaktorischer Natur ist.

Zwei kurze Beschreibungen können hier vielleicht hilfreich für einen gewissen Eindruck sein:

Der Arbeitsplatz meines alten Freundes befindet sich, wie er mir mit hörbarem Widerwillen in der Stimme ausmalte, nahe einer Wand, an deren anderen Seite sich die Männertoilette befindet. Eine Standortlage, die im Winter offensichtlich weniger Probleme bereitet, aber im Sommer entscheidend zur Arbeitsmoral meines Freundes beiträgt. Denn diese Wand ist dünn. Wobei es wohl im Allgemeinen gelingt über die Geräusche, welche sich ungehindert durch die dünne Wand bemerkbar machen, hinweg zu hören. Geräusche, die, wie mein Freund glaubhaft machte, mit dem Öffnen eines Reißverschlusses beginnen und sich dann zu intimeren Lautäußerungen steigern. Wie gesagt, diese Geräusche sind nicht das Problem. Und im Winter ist das Problem auch nicht so ein Problem. Aber diese Toilette verstopft des Öfteren (es geht das Gerücht, dass das ganze Bürogebäude nicht an einen Kanal angeschlossen sei) – und dieses Verstopfen bringt im Sommer das olfaktorische Fass zum Überlaufen. Denn, so mein alter Freund, dann sickert der Toilettengestank durch die dünne Wand, kriecht hinter seinem Rücken hervor, wabbert in der aufgeheizten Luft des Büros um seinen Kopf.

Und wie gesagt: Hier hilft kein Kaffee. Der beste, aromatisch duftende Caffé mit allerfeinster Crema schafft es nicht diesen Gestank zu vertreiben. Natürlich hilft hier das Aufreißen der Fenster, so dass der Gestank aus dem Büro in den Flur wabbert, wo immerhin niemand sitzt und versucht, zu arbeiten. Wobei hier das zweite „sommerliche Problem“ mehrmals in der Woche zu Unbilden führt.

Fettabscheider. Dieser ist wohl das zweite Problem. Ein Problem, das im Winter auch vorhanden ist, aber aufgrund der dämpfenden Niedrigtemperaturen nicht so gravierend empfunden wird. Unterhalb des Büros von meinem Freund ist die Kantine des Bürogebäudes. „Ist schon okay“, sagt mein Freund, „Keine weiten Wege, das Essen ist genießbar.“ Aber aufgrund dieser Kantine ist ein Fettabscheider notwendig und dieser liegt unterhalb der Kantine, also auch unterhalb des Büros meines alten Freundes. Und dieser äußert sich olfaktorisch auf zweierlei Weise, so dass es ratsamer erscheint, die Fenster im Sommer zu schließen, auch wenn der Gestank aus der Toilette durch die Wand sickert, auch wenn sich das Büro immer weiter aufheizt: Der olfaktorische Normalbetrieb. Soll heißen, der Fettabscheider tut, was er tun soll, und stinkt gewohnheitsmäßig vor sich hin, was sich mehrmals am Tag in intensiven Geruchsschwaden äußert. Der olfaktorische Extremfall, soll heißen, der mehr als intensive Gestank, wenn das Entsorgungsunternehmen in regelmäßigen Abständen seinem Auftrag nachkommt und den Fettabscheider auspumpt. Während im Normalbetrieb der Geruch aus der Toilette noch wahrnehmbar ist, ist er im Extremfall, bei schönstem Sonnenschein, der das Büro etliche Grad über Lufttemperatur aufheizt, dermaßen alle Sinne einnehmend, dass weder Toilettengestank noch Kaffeegeruch (selbst mit der Nase in der Tasse) mehr wahrnehmbar sind.

Und davon sprach der Frosch. Und davon sprach mein alter Freund, ein existentielles Problem, das ihn anrufen ließ. Ich hörte ein gewisses Grauen in seiner Stimme. Die heute vom Frosch verkündete Temperatur von 29 Grad im Büro galt ihm als Unheil dräuender Vorbote des nahenden Sommers. Zudem war die Toilette heute wieder verstopft. „Und wie war es bei dir heute?“, fragte er mich schließlich müde. Aber was sollte ich ihm sagen? Bei mir im Büro wabbert nur der Duft nach gutem Kaffee (gemischt mit ein wenig Teegeruch von den Teetrinkern) durch die Luft? Bei mir sorgt die Geschäftsleitung dafür, dass es im Winter warm und im Sommer angenehm temperiert ist? Bei uns sind die Wände dicker? Sollte ich ihm sagen, dass ich mich auf den Sommer freue?

Nein, ich sprach nicht über meine Arbeit. Ich erzählte von meinem Blog (den Beitrag über seinen Ex, seine Fröstlichkeit und die Wärmflasche hatte er gelesen und dabei wehmütig gelächelt). Ich richtete ihm schöne Grüße von meiner Liebsten aus, die gerade hereinkam. Dann verabschiedeten wir uns. „Morgen soll es ja schon wieder kühler werden!“, sagte er zum Abschied. Und die Hoffnung in seiner Stimme ließ mich die Tage danach nicht mehr los, und also ärgerte ich mich nicht, als es zu regnen begann und tatsächlich abkühlte. Und so lächele ich auch jetzt in den Regen hinaus, sehe den Pflanzen dabei zu, wie sie sich nach den warmen Sonnentagen gierig nach dem kühlen Nass strecken, ihre Blätter gen ausströmendem Himmel recken. Für den Moment scheint sich der Frosch geirrt zu haben. Vielleicht ein gutes Zeichen. Vielleicht irrt auch mein alter Freund. Ja, vielleicht unterschätzt er seinen Arbeitgeber und dieser Sommer wird als der Sommer in die Geschichte eingehen, der dem, was der Frosch sagt, seinen Schrecken nahm.

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