Futter für die Bestie – Erster Teil der Geschichte

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Erster Teil der ungekürzten Kurzgeschichte „Futter für die Bestie“ aus der dann ebenso benannten Gruselgeschichten-Anthologie des Schreiblust-Verlages.

Futter für die Bestie

Zur Mittagszeit kamen einige Spaziergänger aus dem Bruch zurück und redeten sich in der Gastwirtschaft bei Schnaps und Alt den Schrecken von der Seele. Niemand nahm sie wirklich ernst. Der Wind kann schon tückisch sein! hieß es. Da kann man schon mal das Gefühl haben, daß plötzlich jemand hinter einem steht und einem kalt in den Nacken atmet! Und nach einigen Korn waren die Spaziergänger ebenfalls so weit, das unheimliche Gefühl, von etwas beobachtet zu werden, was man nicht selbst sehen kann, als Einbildung abzutun. Keiner glaubte, daß etwas dran sein könnte an den alten Geschichten, die sich früher um das Tote Rahm und das Galgenrahm rankten. Damals. Bevor Männer aus den umliegenden Dörfern die Sümpfe am Rande der Aldekerker Platte trocken legten, um Ackerland zu schaffen. Als es im Bruch weder Straßen noch Brücken gab, und es in Nächten ohne Elektrizität leicht fiel an Dämonen und Geisterstimmen zu glauben, die unvorsichtige Seelen von den schmalen Pfaden weg in die Sümpfe locken.

I.

Unweit der Stelle, an der es den Spaziergängern nicht geheuer gewesen war, befindet sich ein Waldstück, und darin eine Lichtung. Ein Platz, wie geschaffen für Verliebte, verborgen zwischen den Bäumen, so nah am Weg, daß die Decke und der Korb mit dem Wein nicht schwer werden, und doch genügend abseits des Weges gelegen, daß niemand zufällig das romantische Picknick stört. Nach einem kürzlich abgehaltenen Picknick sieht es auf der Lichtung auch aus. Allerdings nach einem der weniger romantischen Sorte. Der von der Nachmittagssonne beschienene Boden ist übersät mit ausgedorrten Insektenkörpern. Bienen und Schmetterlinge, Fliegen, Bremsen und einige Hummeln. Chitinleichen, wie ausgesaugt. Daneben ein Hasenskelett. Die Überreste einiger Vögel. Der verwesende Kadaver einer streunenden Katze, die sich von einem sterbenden Vogel auf die Lichtung hatte locken lassen, und dann selbst zur Beute geworden war.

Der Lichtung nähert sich nun ein Eichhörnchen. Es springt im angrenzenden Wald von Baum zu Baum. Mit schnellen Sprüngen folgt ihm laut bellend ein Hund auf dem Fuße. Ein junger Bernhardiner, der spielerisch der flinken Beute nachjagt. Doch kaum, daß beide die Lichtung erreichen, verliert er das Interesse an dem Eichhörnchen. Voller Neugier springt er einer summenden und brummenden Hummel nach, die in der Sonne torkelt. Dann, er hat die Hummel ausgebellt und schnüffelt gerade an einigen ausgebleichten Knochen, scheint er etwas zu spüren, daß ihn unruhig macht. Der Bernhardiner legt die Ohren an. Seine Nackenhaare richten sich auf. Er knurrt und bleckt die Zähne, weicht schließlich zum Wald zurück. Schritt für Schritt. Plötzlich geht er winselnd in die Knie, als hätte ihn eine Faust brutal am Halsband gepackt und zu Boden gezogen. Der Hund schüttelt seinen Kopf, reibt ihn an der Erde, genauso wie er es macht, wenn er ein lästiges Insekt abstreifen will. Was ihn gepackt hat, läßt sich aber nicht abschütteln. Das junge Tier springt auf. Jaulend läuft es im Kreis, rammt dabei einige Male seinen Kopf auf den Boden. Plötzlich verstummt es. Seine Bewegungen werden langsam und von einer gewissen drolligen Unbeholfenheit, als könne es sich nicht mehr recht daran erinnern, was es mit seinen Beine anfangen soll. Es bellt noch zweimal, wie um sein Frauchen zu rufen, daß es ihn hier abholen könne. Dann legt es sich am Rande der Lichtung in die Sonne und blickt aus trüben Augen in den Wald hinein. Wartet, während mitten auf der Lichtung das Eichhörnchen tot am Boden liegt und bereits seine Körperfestigkeit verliert.

Einige Minuten später tritt ein Mädchen in Blue-Jeans zwischen den Bäumen hervor.

„Da bist Du ja endlich!“, schimpft das Mädchen mit dem schönen niederrheinischen Namen Mary van Eyll,
„Unartiger Hund!“, und holt die Leine aus ihrer Jackentasche hervor.
„Das hast Du jetzt davon, Arko! Komm‘ her!“ Arko aber bleibt in der Sonne liegen, sieht Mary lediglich mit einem undefinierbaren Blick aus seinen braunen Augen an. Dann legt er seinen Kopf quer, als horche er auf etwas, und schnüffelt am Waldboden.

[…]

Hier geht es zur Fortsetzung: „Futter für die Bestie“ – Zweiter Teil der Geschichte

„Boschers Bestie
Aldekerk. ‚Aldekerk im Rücken‘ heißt die vor rund anderthalb Jahren in der Anthologie ‚Dichter Nebel am Niederrhein‘ veröffentlichte Kurzgeschichte von Ralf Boscher. Jetzt ist der gebürtige Aldekerker, der in Konstanz lebt, literarisch wieder an seinen Geburtsort zurückgekehrt mit ‚Futter für die Bestie‘. Die Erzählung findet sich in der gleichnamigen Grusel-Geschichten-Sammlung des Schreiblust-Verlags Andreas Schröter. 9,90 Euro kostet das 248-seitige Taschenbuch mit 24 Beiträgen.“
(Rheinische Post, Ausgabe Gelderland, Nr. 110, Dienstag, 11. Mai 2004)

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