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Der Frosch sagt: Der Sommer hat begonnen

Thermometer_Frosch
Wie ich an anderer Stelle erwähnt habe, ist guter Kaffee gut für das Betriebsklima. Das guter Kaffee beileibe nicht der einzige für eine angenehme Arbeitsatmosphäre förderliche Faktor ist, eher pekunitär orientierte Persönlichkeiten verweisen gerne auf ein angemessenes Salär, die Romantiker unter den Arbeitnehmern auf freundliche Arbeitsatmosphäre oder Anerkennung für erbrachte Leistungen, hat mir ein alter Freund wieder zu Bewusstsein gebracht.

Ja, es gibt Zustände am Arbeitsplatz, die nicht besser werden, wie viel guten Kaffee man auch trinken mag. Nachdem ich vergangene Woche nach einem angenehmen Arbeitstag in maifeierlicher Atmosphäre auf meinem schnurrenden Roller im prallen Bodensee-Sonnenschein in mein Heim zurückgekehrt war, klingelte, kaum dass ich meiner Liebsten zugelächelt hatte, das Telefon. Mein alter Freund aus der Ferne. Da hört man doch gerne zu – und so erfuhr ich von solchen Zuständen.

„Ich sag Dir, heute hat der Frosch den Sommerbeginn verkündet!“, so lauteten seine einleitenden Worte. Jetzt muss ich, um des Verständnisses Willen vorausschicken, dass besagter Frosch, wie ich von früher wusste, natürlich kein wirklicher Frosch war. Er war nie ein wirklicher Frosch gewesen. Nur ein Thermometer in Froschform, dass mein alter Freund gekauft und zur Verifizierung der gefühlten Temperaturen an seinem Arbeitsplatz an selbigem platziert hatte. Nun, der Frosch war Geschichte. Ein schlichtes Holzthermometer erfüllte, seitdem er den Frosch verschenkt hatte, den nämlichen Zweck – nur die Bezeichnung für den Temperaturmesser war geblieben. Der Frosch sagt… Und wie ich wusste, sprach der Frosch im Winter: 12 Grad nach einem Wochenende, an dem im Büro die Heizung ausgestellt war. Und 39 Grad im Hochsommer, seitdem die Klimaanlage aus Kostengründen nicht mehr angestellt wurde. Da ich wusste, dass mein alter Freund (im Gegensatz zu seinem verflossenen Freund) nicht unbedingt temperaturempfindlich war (es galt sich halt angemessen im Büro zu kleiden, im Winter dicke Socken, Pulli, Strickjacke, Schal, Fingerlinge, im Sommer Flip Flops), war mir schon bei dieser Eröffnung klar, dass der Frosch noch mehr sprach, wenn er den Sommer verkündete.

Der Frosch sagte: „29 Grad im Mai, schon kommt der Gestank des Sommers herbei!“

Wörtliche Rede kann etwas Berauschendes, in ihrer Bildhaftigkeit Mitreißendes haben. So fällt es mir jetzt naturgemäß schwer, in geschriebener Rede den Abscheu meines alten Freundes ob der Ankündigung des Sommers angemessen wiederzugeben. Vor allem, da dieser Abscheu olfaktorischer Natur ist.

Zwei kurze Beschreibungen können hier vielleicht hilfreich für einen gewissen Eindruck sein:

Der Arbeitsplatz meines alten Freundes befindet sich, wie er mir mit hörbarem Widerwillen in der Stimme ausmalte, nahe einer Wand, an deren anderen Seite sich die Männertoilette befindet. Eine Standortlage, die im Winter offensichtlich weniger Probleme bereitet, aber im Sommer entscheidend zur Arbeitsmoral meines Freundes beiträgt. Denn diese Wand ist dünn. Wobei es wohl im Allgemeinen gelingt über die Geräusche, welche sich ungehindert durch die dünne Wand bemerkbar machen, hinweg zu hören. Geräusche, die, wie mein Freund glaubhaft machte, mit dem Öffnen eines Reißverschlusses beginnen und sich dann zu intimeren Lautäußerungen steigern. Wie gesagt, diese Geräusche sind nicht das Problem. Und im Winter ist das Problem auch nicht so ein Problem. Aber diese Toilette verstopft des Öfteren (es geht das Gerücht, dass das ganze Bürogebäude nicht an einen Kanal angeschlossen sei) – und dieses Verstopfen bringt im Sommer das olfaktorische Fass zum Überlaufen. Denn, so mein alter Freund, dann sickert der Toilettengestank durch die dünne Wand, kriecht hinter seinem Rücken hervor, wabbert in der aufgeheizten Luft des Büros um seinen Kopf.

Und wie gesagt: Hier hilft kein Kaffee. Der beste, aromatisch duftende Caffé mit allerfeinster Crema schafft es nicht diesen Gestank zu vertreiben. Natürlich hilft hier das Aufreißen der Fenster, so dass der Gestank aus dem Büro in den Flur wabbert, wo immerhin niemand sitzt und versucht, zu arbeiten. Wobei hier das zweite „sommerliche Problem“ mehrmals in der Woche zu Unbilden führt.

Fettabscheider. Dieser ist wohl das zweite Problem. Ein Problem, das im Winter auch vorhanden ist, aber aufgrund der dämpfenden Niedrigtemperaturen nicht so gravierend empfunden wird. Unterhalb des Büros von meinem Freund ist die Kantine des Bürogebäudes. „Ist schon okay“, sagt mein Freund, „Keine weiten Wege, das Essen ist genießbar.“ Aber aufgrund dieser Kantine ist ein Fettabscheider notwendig und dieser liegt unterhalb der Kantine, also auch unterhalb des Büros meines alten Freundes. Und dieser äußert sich olfaktorisch auf zweierlei Weise, so dass es ratsamer erscheint, die Fenster im Sommer zu schließen, auch wenn der Gestank aus der Toilette durch die Wand sickert, auch wenn sich das Büro immer weiter aufheizt: Der olfaktorische Normalbetrieb. Soll heißen, der Fettabscheider tut, was er tun soll, und stinkt gewohnheitsmäßig vor sich hin, was sich mehrmals am Tag in intensiven Geruchsschwaden äußert. Der olfaktorische Extremfall, soll heißen, der mehr als intensive Gestank, wenn das Entsorgungsunternehmen in regelmäßigen Abständen seinem Auftrag nachkommt und den Fettabscheider auspumpt. Während im Normalbetrieb der Geruch aus der Toilette noch wahrnehmbar ist, ist er im Extremfall, bei schönstem Sonnenschein, der das Büro etliche Grad über Lufttemperatur aufheizt, dermaßen alle Sinne einnehmend, dass weder Toilettengestank noch Kaffeegeruch (selbst mit der Nase in der Tasse) mehr wahrnehmbar sind.

Und davon sprach der Frosch. Und davon sprach mein alter Freund, ein existentielles Problem, das ihn anrufen ließ. Ich hörte ein gewisses Grauen in seiner Stimme. Die heute vom Frosch verkündete Temperatur von 29 Grad im Büro galt ihm als Unheil dräuender Vorbote des nahenden Sommers. Zudem war die Toilette heute wieder verstopft. „Und wie war es bei dir heute?“, fragte er mich schließlich müde. Aber was sollte ich ihm sagen? Bei mir im Büro wabbert nur der Duft nach gutem Kaffee (gemischt mit ein wenig Teegeruch von den Teetrinkern) durch die Luft? Bei mir sorgt die Geschäftsleitung dafür, dass es im Winter warm und im Sommer angenehm temperiert ist? Bei uns sind die Wände dicker? Sollte ich ihm sagen, dass ich mich auf den Sommer freue?

Nein, ich sprach nicht über meine Arbeit. Ich erzählte von meinem Blog (den Beitrag über seinen Ex, seine Fröstlichkeit und die Wärmflasche hatte er gelesen und dabei wehmütig gelächelt). Ich richtete ihm schöne Grüße von meiner Liebsten aus, die gerade hereinkam. Dann verabschiedeten wir uns. „Morgen soll es ja schon wieder kühler werden!“, sagte er zum Abschied. Und die Hoffnung in seiner Stimme ließ mich die Tage danach nicht mehr los, und also ärgerte ich mich nicht, als es zu regnen begann und tatsächlich abkühlte. Und so lächele ich auch jetzt in den Regen hinaus, sehe den Pflanzen dabei zu, wie sie sich nach den warmen Sonnentagen gierig nach dem kühlen Nass strecken, ihre Blätter gen ausströmendem Himmel recken. Für den Moment scheint sich der Frosch geirrt zu haben. Vielleicht ein gutes Zeichen. Vielleicht irrt auch mein alter Freund. Ja, vielleicht unterschätzt er seinen Arbeitgeber und dieser Sommer wird als der Sommer in die Geschichte eingehen, der dem, was der Frosch sagt, seinen Schrecken nahm.

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Quelle für Froschthermometer-Bild

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„Schau doch mal Alter, was für ein Panorama…“

Schau_Alter_Panorama
Originalton auf der Fähre nach einem offensichtlich entspannten Ausflug am Bodensee mit dem Fahrrad: „Schau doch mal Alter, was für ein Panorama…“

Nach einem wie gewohnt stressfreien Arbeit als Werbetexter, der neben viel Freude an kreativer Textarbeit auch die Befriedigung gut auf wichtige Deadlines zugeschnittene Arbeitsabläufe mit sich brachte, fuhr ich um kurz vor 19 Uhr von Konstanz mit der Fähre nach Meersburg. Die Alpen mit ihrem vom Bodensee aus gesehen visuellen Höhepunkt, dem Säntis, waren gut zu sehen. Föhn schien im Anzug. Der Tag war bisher klimatisch unbeständig gewesen. Der Wind trieb die Wolken wild vor sich her über den See. In einem Moment strahlte die Sonne. Im nächsten Augenblick drohte ein Regenguss. Stand man im Wind, so fröstelte es einem. Im nächsten Moment erhitzte einen für ein paar windstille Atemzüge die durch die Wolken brechende Sonne. Doch nun am frühen Abend schwebten kaum noch Wolken über den Bodensee. Die Sonne hatte sich durchgesetzt. Blau. In welchem Blau strahlte der See. Und so nah die Berge…

Es ist schon erstaunlich, über was sich Menschen aufregen. Nein, noch erstaunlicher ist es, mit welcher Vehemenz sich Menschen über Nichtigkeiten aufregen. Menschen im Urlaub sind da erstaunlicherweise eine gute Beobachtungsbasis. Touristen also. Menschen in ausgedehnter Freizeit, die doch eigentlich in einem gewissen Zustand der Entspanntheit sein sollten. Aber nein. Es ist erstaunlich, was bereits 15 Minuten Fährefahrt hier an Stress-Dramen offenlegen. Zum Beispiel die Fahrradfahrer. Die drängeln sich (den durch das Fährepersonal angewiesenen Platz ignorierend) auf der Fähre, um den besten Platz für ihr oft geliehenes Bike zu ergattern, so dass letztlich alles kreuz und quer steht, weil keiner dem anderen einen Fußbreit Platz einräumen will – der könnte ja eher von der Fähre herunterfahren. Und es ist greifbar, dass der eine oder andere nur darauf wartet, dass jemand sein Bike, das er geparkt hat als wäre es ein Auto, nur antippt…

Wobei oben erwähnte Fahrradtouristen so mit sich selbst beschäftigt waren, dass sie weitgreifend andere Fahrradtouristen ignorierten. Wahrscheinlich zwei Ehepaare. Fortgeschrittenen Alters. Die Damen schafften es gerade noch auf die Fähre. Der Schlagbaum war schon geschlossen. Er wurde auf bittendes Zurufen der Damen noch einmal geöffnet, während ihre Männer in einem vehementen Streitgespräch über die letzte Runde in einem Lokal versunken waren, die der eine doch ruhig hätte übernehmen können, als ihre (von ihnen offensichtlich ganz vergessenen) Frauen auf die Fähre radelten. „Warum seid ihr voraus gefahren?“ (Ein Klassiker). „Wir haben doch gesagt, wir nehmen die nächste Fähre, und das ist sie“ (wäre ein Drama gewesen, die Fähre 15 Minuten später zu nehmen). „Du hast deinen Helm nicht auf!“ (ach die Fürsorge). „Stehen tut der dir aber nicht“ (die Fürsorgliche als der Angesprochene seinen Helm demonstrativ aufzieht). „Das Bier schmeckte eh schal“ (der die letzte Runde schuldig gebliebene Beschuldigte). „Abgemacht ist abgemacht!“ (der die Zeche zahlende). „Abgemacht war, wir bleiben zusammen!“ (eine der Frauen). „War doch mal gut, dass ihr auf Trab kommt, habt es ja geschafft!“ (der eine – denke ich – Ehemann).

Da ich nach meinem stressfreien Arbeitstag die Überfahrt ebenso stressfrei auf dem Oberdeck in der Sonne genießen wollte, ließ ich die vier hinter mir zurück. „Toll hier, schöne Aussicht, Wetter gut, aber kein gutes Netz!“, schrie der Herr in der Sitzbank neben mir in sein Handy, während er auf der Suche nach dem guten Netz allerlei Verrenkungen machte, mal mit dem Kopf fast den Boden berührte, mal sich, einen Fuß auf der Bank, gen Himmel streckte, ohne der herrlichen Aussicht überhaupt einen Blick zu würdigen (aber vielleicht hatte er zuvor mit seinem Handy ja ein Bild geschossen). Eine Sitzgruppe weiter stritten sich zwei Kinder um ein halbes Brötchen, weil beide – und das heißt nur eines von beiden – gerne den Möwen Brotkrumen hingeworfen hätten. Der Vater ignorierte den Streit, weil er im Fahrtwind seine Zigarette nicht zum Brennen brachte. Die Mutter löste den Streit, indem sie das ganze halbe Brötchen nahm und es einfach über die Reeling warf, was sich produktiv auf die Stimmung der Kinder auswirkte, und den Vater anregte, eine ziemlich unflätige Tirade über die Fähigkeiten seiner Frau, Kinder zu erziehen, und über den Wind loszulassen. „Scheiß Wind und halt doch endlich mal die Kinder ruhig!“ (zensiertes und gekürztes Zitat).

Es ist schon erstaunlich, über was sich Menschen aufregen. Nein, noch erstaunlicher ist es, mit welcher Vehemenz sich Menschen über Nichtigkeiten aufregen. Wahrscheinlich so wie ich gerade. Da ich mich von derlei nichtigen Beobachtungen anregen lasse, einen Blog-Senf abzugeben. Wobei ich nach meinem stressfreien Arbeitstag diese Worte ganz ruhig, unaufgeregt niederschreibe. Amen, Yoga und Qigong und so. Also quasi locker aus der Hüfte geschossen. Aber wie dem auch sei, die Viererbande war, als ich zurück zu meinem Roller ging, immer noch intensiv dabei, über das Vornewegfahren der Männer (und das nicht Bezahlen der letzten Runde des einen Mannes) zu disputieren.

Aber was heißt schon Nichtigkeit? Jeder Krebs beginnt mit einer kleinen, winzigen Zelle, die aus dem Ruder läuft. Nichtigkeiten, die zu Streitigkeiten führen, sind die Keime, die es behutsam aufzunehmen gilt, zu betrachten – und zu isolieren, denn an ihnen zeigt sich Größeres. Sie sind der kleinste gemeinsame Nenner für das Chaos. Packt man sie nicht, löst diese kleinen Keime nicht auf, dann war es das. „Siehst du, so ist das nach so vielen Jahren Ehe“, meinte der eine Mann, der sich immer noch offensichtlich dämlich mit seinem Fahrradhelm fühlte, als seine Frau, die sich zuvor über das Nichttragen mokiert hatte, in dem Moment, als ich zum Roller zurückkehrte, meinte: „Zieh doch mal den dämlichen Helm ab, noch brauchst du den nicht!“

„Nichts kann man richtig machen!“, meinte er. Dies war der Augenblick, als sie sagte: „Schau doch mal Alter, was für ein Panorama…“ – und die Touristen endlich für einen Moment dort ankamen, wo sie eigentlich hinwollten. Dorthin, wo wir alle sein wollen. Im Angesicht des Schönen. Alle vier blickten gen Alpen. Der eine Mann zückte seine Kamera. Klick. So schön war es am Bodensee. Der andere Mann meinte schnippisch. „Teures Modell. Aber zu geizig, die Runde zu zahlen.“

Nichtigkeiten halt. Der kleinste gemeinsame Nenner für das Chaos in der Welt.

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Auch Du Brutus? Von Rauchern und Nichtrauchern

Raucher_Nichtraucher
Ach die Nichtraucher, zur Zeit gibt es immer mehr von ihnen. Das ist wie mit der Grippe. Nur später. Nicht im Herbst. Sondern nach Neujahr. Jahr für Jahr kommt diese Welle. Und geht meist schnell wieder vorbei. Ganz ohne Impfen. Dabei wäre es natürlich vernünftig, sich gegen die Grippe impfen zu lassen. Und natürlich ist es vernünftig, mit dem Rauchen aufzuhören. Nie zu beginnen. Und so handeln alle, die mit dem Rauchen aufhören, sehr vernünftig. Der Mensch ist das „animal rationale“. Also nachgedacht, und gut ist. Kommt in Wellen, wie gesagt. Dieses vernünftige Nachdenken – und vor allem, sich seine Vernunft zur Richtschnur seines Handelns zu machen. Adé Zigarette. Und weil in diesem Jahr die Welle bei vielen noch nicht am Strand der Rückfälligkeit gebrochen ist, ist das „Aufhören“ auch jetzt noch Thema. Wie gesagt, es ist eine Epidemie. Selbst er, den man seit Jahrzehnten nur als Raucher kannte – basta, fini. Auch Du Brutus?, denkt man, während er mit den Schultern zuckt, an seiner Cola Zero nuckelt (noch so eine Epidemie) und man selbst mannhaft sein Bier nimmt und hinaus in die Kälte geht.

Und so stehen mittlerweile immer weniger Unverzagte (Unvernünftige) in der Kälte, im Regen, auf einem Balkon, vor der Gaststätte, vor dem Bürogebäude. Kurz draußen vor der Tür. „Draußen vor der Tür“ war eine dieser Erzählungen, die einen nachhaltig beeindruckten, ob dieser unerbittlichen Zwangsläufigkeit des Schicksals, der Trauer, die den Einzelnen fasste und gleichzeitig in die Einsamkeit entließ. Na gut, jetzt sollte der Boscher nicht den Borchert machen. Schließlich ist Rauchen kein Schicksal, sondern eine Sucht. Und dem Brutus klopfe ich ja auch auf die Schulter, weil er es endlich geschafft hat, seit Wochen ohne Zigarette zu leben. Ein Wunsch, den ich von ihm ebenso lange kannte, wie ich ihn mit Zigarette erlebte. Und weil Alkohol und Zigaretten gerne Hand in Hand durchs Leben wanken, hat er auch gleich dem Alkohol abgeschworen. Nieder mit dem Diktatoren! Nieder!, ich prostete ihm mit meinem Bier zu.

Politisch gesehen ist dies natürlich ein bedeutender Schritt. Selbst die „gesunden“ Zigaretten, also jene ohne Zusatzstoffe, atmen den Hauch von Ausbeutung. Da können sie noch so viele Indianer auf die Verpackung drucken, nach Fair Trade-Richtlinien sind hier kaum Zigaretten hergestellt worden. Vom Rest mal ganz zu Schweigen. Freiheit. Immer Freiheit. So die Werbung. Aber eher Freiheit der Globalisierung. Der Riesenfirmen. Da bekommt man als Raucher auch politisch ein schlechtes Gewissen. Nur gut, dass das Bier, mit welchem man Abends in der Kälte steht und in das der Regen tropft, aus deutschen Landen ist. Quasi um die Ecke. Kurze Wege. Gut für die Ökobilanz. Regional ist der Affront gegen Globalisierung. Das klappt bei Zigaretten nicht so gut. Wobei das Nachdenken über derlei Dinge sich irgendwie hohl anfühlt. Denke tiefer. Lasse die Zigarette und gut ist!

Jawohl! Aber was ist mit der Steuer? Und mit der Rente?, so fragt der gleichwohl unverbesserliche Raucher. Tabaksteuer. Kein Klacks. Blauer Dunst für schwarze Zahlen im Staate. Und die Rente? Die Sterblichkeitsrate bei Rauchern ist aufgrund von durch das Rauchen verursachten Erkrankungen hoch. Und sie sterben nicht erst dann, wenn die Rentenkasse für ihr Auskommen aufkommen muss. Sondern früher. Gut für die Rente der anderen – und all die, die einzahlen müssen.

Aber was ist mit den Erkrankungen zuvor?, so lautet der wichtige Hinweis. Die kommen doch allen teuer zu stehen… Ja, es heißt, dass Raucher die Krankenkassen im Quartal 500 Euro kosten. Also 2000 Euro im Jahr (Quelle: Deutsches Krebszentrum Heidelberg).

Ist natürlich ein horrender Betrag, erst einmal. Wobei, bei der richtigen Verteilung der Einnahmen der Tabaksteuer bei einem Raucher, der eine Schachtel am Tag raucht, die Hälfe der 2000 Euro wieder eingenommen wird (Quelle: Wikipedia: „Nimmt man eine Packung mit 19 Zigaretten zu 5 Euro ergibt sich folgende Rechnung: 19 * 0,0963 Euro + 5,00 Euro * 21,74% = 1,8297 Euro + 1,087 Euro = 2,9167 Euro.“, macht aufs Jahr gerechnet 1064 Euro.)

Es heißt Raucher sterben im Schnitt 10 Jahre früher als Nichtraucher. Sagen wir also wir haben einen 70jährigen Raucher, jetzt verstorben, daneben sein Kumpel, seit Jahren rauchfrei, der sich somit 10 Jahre länger auf Mutter Erde halten wird. Der Raucher rauchte seit dem er 20 ist. Also laut obiger Rechnung 50 Jahre Mehrkosten für die Krankenkassen. 50mal 2000 Euro im Jahr, insgesamt (auf Grundlage heutiger Zahlen) 100.000 Euro auf Kosten der Kassen. Minus pi mal Daumen Tabaksteuer (50.000 Euro) = 50.000 Euro, die der verstorbene Raucher der Allgemeinheit schulden blieb.

Leider hat der nichtrauchende Kollege beruflich nicht so gut für sein Alter vorsorgen können, seine Rente reicht nicht aus, um die Kosten für den Pflegedienst (oder das Altersheim) zu bezahlen. Er ist ja eigentlich fit. Rüstig. Also mit einem Augenzudrücken Pflegestufe eins. Sind knapp 1000 Euro, die von der Pflegekasse übernommen werden. Ein Pflegeheim kostet bei dieser Pflegestufe ungefähr 2500 Euro (wobei die 2500 Euro nach Hörensagen – auch bezüglich eines Pflegedienstes – eher niedrig gegriffen ist). Bleiben also 1500 Euro im Monat. Davon bekommt er mit seiner Rente 1000 Euro im Monat gerockt. Bleiben also 500 Euro fürs das Sozialamt. Macht also für die 10 Jahre länger leben als der Raucher: 120.000 Euro aus der Pflegekasse aufgrund Pflegestufe 1, dazu 60.000 Euro vom Sozialamt, um die Differenz auszugleichen.

Also böse gerechnet kostet dieser 10 Jahre länger lebende Nichtraucher die Allgemeinheit 130.000 Euro mehr als der früher verstorbene Raucher.

Nun gut, wie dem auch sei. Vielleicht habe ich mich ja auch verrechnet. Außerdem liegen die Renten derzeit im Schnitt noch höher als oben genannter Betrag. Und zudem: Natürlich ist es vernünftiger, nicht zu rauchen. Und wenn man überlegt, wie groß die Schnittmenge von Rauchern und Trinkern ist, dann fallen die Zahlen sicherlich günstiger für die Vernünftigen aus. Und so kann man allen, die es schaffen, aufzuhören, nur auf die Schulter klopfen. Sie als Vorbild nehmen – wenn sie nicht gerade das „Lassen der Zigarette“ mit einer gehörigen Portion Arroganz untermalen. Aber das tun nur die Wenigsten. Bei den meisten „Ehemals Rauchern“ ist eine gehörige Portion Demut zu spüren. Und so ist es wohl auch angemessen gegenüber einer großen Gefahr. Demut. Keine andere Handlung lässt einem so sehr die Chance, die Gefahr richtig einzuschätzen und ihr zu entgehen.

Also unter dem Strich: Hut ab! Egal, dass Du Brutus mich in der Kälte stehen lässt. Sei stolz auf Dich! Und was immer auch 10 Jahre mehr kosten, wenn es denn 10 glückliche und auch gesunde Jahr sind… Ohne Lungen- oder Kehlkopfkrebs. Ohne aufgrund von Gefäßerkrankungen absterbende Gliedmaßen. Ohne COPD. Wer mag das mit Geld aufwiegen? Und wer weiß, vielleicht war der erwähnte, länger lebende Nichtraucher ein Kumpel des verstorbenen Rauchers und hat sich vor etlichen Jahren gedacht: „Also was der am Tag an Kohle veratmet, das leg ich mir zur Seite“. Wären, nur mal so auf die letzten 10 Jahre gerechnet (bei einer Schachtel am Tag), rund 18.000 Euro. Wie gesagt: Brutus ist vernünftiger.

PS: Der Auslöser für meine Gedanken übers Rauchen war, dass ich von einem Ehepaar hörte, dass sich kennt, seitdem beide 17 sind. Heute sind sie über 70. Und der Mann weiß bis heute nicht, dass seine Frau seit damals raucht (1 Schachtel am Tag).

Engel_Boscher_Rückumschlag
Zitat aus „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“:
„Das Zittern hatte sich schließlich gelegt. Er hatte sich zusammengerissen. Alex war dann in die Küche hinaufgegangen, um eine Tasse Kaffee zu trinken, bevor er sich an den angefallenen Schreibkram machen würde.

Bis vor zwei Jahren hatte er bei dieser Gelegenheit geraucht. Eine Tasse Kaffee und eine Benson & Hedges. Oder zwei. Oder je nachdem, wie kräftig er die Entspannung herbei rauchen musste: drei. Irgendwann aber war Alex aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen konnte. Stress wirkt sich ja bekanntlich auf den Kreislauf aus, er fühlte sich gehetzt, atmete nicht durch, atmete nur flach und verkrampfte sich dadurch. Jeder Atemzug blieb ihm im Hals stecken und erreichte den Rest des Körpers nicht. Manchmal fühlte er sich, als hätte er die Stirnhöhlen vereitert, Kopfschmerzen bekam er und Sehstörungen, dazu Nackenschmerzen, Kälteschauer, das ganze Programm. Am liebsten war ihm dann, schlafen zu gehen, sich einfach ins Bett zu legen und zu schlafen, ohne jemals wieder aufzustehen. Denn aufzuwachen war deprimierend, wenn man sich nach dem Schlaf noch genauso zerschlagen fühlte, wie vor dem Einschlafen. Eine Zigarette war da nur Wasser auf die marode Mühle, denn er fühlte sich nach ein paar Zügen nur noch kaputter, zerschlagener.

Und dazu kam dann noch das deprimierende Gefühl, trotz alledem nicht anders zu können, und wieder und wieder der Illusion der entspannenden Zigarette zu erliegen. Der deprimierende Zwang, unter Belastung zur Halt und Stärke versprechenden Zigarette zu greifen, nur um sich danach noch beschissener zu fühlen, denn nach einer Zigarette sah für ihn das Leben viel zu oft noch grauer, enger und bedrückender aus als vor ihr.

Seinen Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören, stärkte, dass die Zigaretten einer Zeit angehörten, die Alex als längst überwunden ansah: seiner Jugend, abgeschlossen mit der Trennung von Sandra. Und darin, nicht mehr zu rauchen, sah er ein weiteres Indiz für seine Veränderung, für seine positive Entwicklung weg vom kleinen, schwachen, dicklichen Jungen und hin zum autonomen, von den Eltern und dem Urteil der anderen unabhängigen, leistungsstarken, erfolgreichen Mann.

Mit 15 etwa hatte er mit dem Rauchen angefangen, denn er wollte ein Mann sein, wie die Werbung es versprach, ein Mann ein Ganzer Kerl allen Lebenslagen gewachsen und so fest in seiner eigenen Kraft verwurzelt wie die kräftige Zigarette in seinem Mundwinkel. So wollte er sein, und damals hatte er noch eine andere Marke als die Benson & Hedges geraucht. Doch dann dachte sich Alex, wie kann jemand unabhängig, kraftvoll, mit sich im Reinen sein, der raucht?

Und dennoch… So stolz er auch immer darauf war, als einer der wenigen wirklich aufgehört zu haben, heute hätte Alex verdammt gerne eine geraucht. So schlecht wie er sich fühlte, hatte er sich nach einem Halt gesehnt, um all dem Scheiß der letzten Tage etwas entgegensetzen zu können. Er hatte das Bedürfnis nach etwas Qualmendem zwischen den Fingern gehabt, um das Gefühl zu bekommen, alles im Griff zu haben.
Seit langem das erste Mal hatte Alex sich danach gesehnt, die Plastikhülle einer Zigarettenschachtel abzureißen, die Schachtel zu öffnen und sich eine würzig riechende Benson & Hedges unter die Nase zu klemmen. Er würde am Fenster sitzen, eine dampfende Tasse vor sich auf dem Tisch. Draußen wäre die Straße in warmes, oranges Straßenlaternenlicht getaucht, und er entzündete ein Streichholz an. Der strenge Schwefelgeruch würde sich mit dem kräftigen Aroma des Kaffees mischen und zusammen mit dem Duft brennenden Holzes eine entspannende Atmosphäre verbreiten. Alles würde nicht mehr so schlimm erscheinen, und in aller Ruhe hielte er die Flamme an die Spitze der Zigarette. Tief würde Alex den Rauch einatmen, und mit den vielfältigen Stoffen würde Ruhe durch seinen Körper strömen. Von neuer Kraft erfüllt würde er die Benson & Hedges zwischen seinem Mittel‑ und Zeigefinger betrachten, und hier fände sich die Lösung für jedes Problem. Tanjas Tod sähe nicht mehr so furchtbar aus, und seine Gewissensbisse würden sich mit dem Rauch in Luft auflösen.

Es war so verlockend, wieder eine Zigarette, nur ein einzige Zigarette, zu rauchen, auch wenn sie nach Niederlage schmecken würde, auch wenn sie ein Rückfall wäre, der bestimmt auf sein Ego drücken würde. Obwohl er wusste, dass der Druck nicht ab‑, sondern zunehmen würde, da sein Kreislauf durch das Rauchen geschwächt, und er statt Entspannung doch nur Schwindelgefühle und Kopfschmerzen ernten würde, und trotz der Erinnerung, dass der Rauch, der von vielen Zigaretten aufstieg, zum Ende hin eigentlich immer mehr nach der Wirbelsäule eines Gerippes aussah, eine Andeutung, die sich gnädigerweise meistens schnell verflüchtigte, wollte Alex ein paar Mal an einer Zigarette ziehen. Denn vielleicht würde ja dieses Mal doch alles anders aussehen. Allerdings hätte er sich erst Zigaretten kaufen müssen…“

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Oh Gott, sie haben die Verpackung verändert

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Früher oder später trifft es wahrscheinlich die meisten Männer. Das erste Mal, da ihn, sagen wir auf der Arbeit, zum Beispiel eine sms erreicht: „Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit“ (oder Tampons oder Slipeinlagen…). Und so fährt man nach der Arbeit ahnungslos zum nächstgelegenen Drogeriemarkt, geht lächelnd wohlgemut durch die Auslagen, bis man das Regal für Frauenhygienartikel findet.

„Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit“

Ja, aber gerne doch. Doch welche?

Erst steht man staunend vor dem Regal. Was es nicht alles gibt! Normal, Ultra dies, ultra das. Maxi. Mini. Mit Flügeln. Ohne Flügel. Ohne Duft oder mit Duft. Mit diesem oder jenem Duft. Und die ganze Auswahl wird potenziert durch die verschiedenen Anbieter. Wohin man auch blickt, Pastelltöne in betäubender Vielfalt.

Dann überkommt einen eine gewisse Panik, während man mit dem inneren Augen ins heimische Bad wandert. Wie sieht noch einmal die nun offenbar leere Packung Binden daheim aus? Waren da nicht Grüntöne? Oder doch eher ein leichter Stich ins Bläuliche? Pink? Ja, Pink. Richtig pink oder doch eher eine Nuance Altrosa? Oh Gott, und welcher Anbieter?

Man könnte nun natürlich zum Handy greifen und die fehlenden Informationen bei seiner Frau abrufen. Aber gibt man sich eine solche Blöße?

Dann doch lieber die Logik bemühen. „Normal“ kann doch nicht verkehrt sein. Aber was heißt schon normal? Wo ist denn da die Bemessungsgrundlage? Des Mannes Blick streift vom Regal weg über die anwesenden Damen. „Normal“ meint wahrscheinlich die von der durchschnittlichen Frau bevorzugte Größe. Aber: was heißt hier „durchschnittlich“? Ist diese Frau dort oder jene durchschnittlich? Kleidergrößen sind besser einzuschätzen. Ha! Hatte er nicht vor kurzem etwas über durchschnittliche Kleidergrößen deutscher Frauen gelesen? Wie war das noch? Früher 40, heute 42. Ja, so war das. Also „Mini“, schwankt doch die Kleidergröße der Dame daheim (jedenfalls in offiziellen Verlautbarungen). Man will ja nicht in ein Fettnäpfchen treten. Aber Mini mit oder ohne Flügel? Mit oder ohne Duft. Duft klingt gut. Aber ist das auch wirklich gut verträglich? Und was ist mit der Länge? Mini normal oder Mini lang?

Vielleicht einfach die Augen schließen und sich bei der Auswahl von Fortuna leiten lassen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass Fortuna in diesem Moment einfach mal in eine andere Richtung sieht, ist außerordentlich hoch. Die meisten Neulinge beim Frauenhygieneartikelkauf werden daneben greifen. Aber man ist ja lernfähig.

Erfahrene Männer haben sich nach solchen Momenten natürlich später genau die bevorzugte Marke und die genaue Beschreibung eingeprägt – oder einfach mit dem Handy ein Foto von der entsprechenden leeren Verpackung geschossen, die er in seiner Unfähigkeit mit einem falschen Produkt hatte ersetzen wollen. Und weil man logisch vorgeht – und für die Zukunft gewappnet sein will: Fotos vom Shampoo, der Spülung, vom Haarfestiger, vom… Und weil es dann, nach dem Abgleich mit dem Bild in seinem Gedächtnis (oder auf dem Handy) noch einfacher zu bewerkstelligen ist, merkt er sich genau den Ort, an dem der entsprechende Artikel im Drogeriemarkt zu finden ist. Quasi blind. Man läuft dann einfach immer die gleiche Runde, greift hier in die dritte Regal-Etage links, bückt sich dort zur Auslage hinunter gleich gegenüber dem Wasserspender.

Und so lächelt man, wenn man wieder einmal eine sms erhält. „Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit, ach ja, und noch das Trockenshampoo“. Lächelt, bis man wieder im Drogeriemarkt steht – und merkt: Sie haben umgeräumt.

Doch die entsprechenden Regale und Auslagen sind zu finden. Zur Not fragt man eine der freundlichen Verkäuferinnen oder Verkäufer. Und somit steht man dann vor den gesuchten Artikeln. Doch in der dritten Regal-Etage links steht etwas anders. Ein leichter Anflug von erhöhtem Blutdruck macht sich bemerkbar. Der Blick streicht über die nun anders geordnete Vielfalt, gleicht das Angebot mit dem Bild vor dem inneren Auge (oder dem Foto auf dem Handy) ab – und findet nichts. Denn – oh Gott! – die bevorzugte Marke hat bei diesem Artikel die Verpackung geändert.

Ja, oh Gott. Denn was lernt man daraus (außer sich die genauen Produktspezifikationen unabhängig von der Verpackung einzuprägen)? Wenn selbst bei Binden die Produktpräsentation wechselt, das Produktmarketing also der Ansicht ist, dass sowohl eine andere Gestaltung als auch ein anderer Verkaufsort für den Umsatz förderlich sind, dann obacht Mann!

Frauen suchen das Neue.

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Was ich an Frauenzeitschriften nicht leiden kann

Frauenzeitschriften
Um es gleich festzustellen: Ich lese gerne Frauenzeitschriften. Nicht nur beim Arzt. Habe ich immer schon getan. Es gibt eine Menge Nützliches zu erfahren. Über Frauen. Und über Allerlei. Interessante Geschichten, spannende Lebensläufe – da blättere ich gerne hinein.

Aber was ich überhaupt nicht leiden kann: All diese eingeklebten Pröbchen, Duft-Appetizer, die Nase-Neugierig-Macher. Puh. In ihrer Mischung manchmal schwer zu ertragen. Was da für Dämpfe zwischen den Seiten aufsteigen. Appretur, Lackfarben-Ausdünstungen sind nichts dagegen. Olfaktorischer Overkill. Und mit tränenden Augen liest sich schlecht. Zudem: Wie soll man denn da einfach mal durchblättern, wenn die Zeitschrift immer zur nächsten eingeklebten Probe springt? Wenn immer diese Doppelseiten aufklappen, wo auf der einen Seite Werbung mit einem geruchsintensiven Lesezeichen prangt…

Man nimmt ein Heftchen zur Hand und fast automatisch landet man bei einer dieser Doppelseiten – und je dicker die eingeklebte Probe ist, umso zwangsläufiger. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Artikel daneben die je interessantesten des Heftchens sind. Vielleicht alleine schon deswegen nicht, weil nichts von der Werbung ablenken soll…

Das empfinde ich als penetrant. Ob es nur mir als Mann so geht? Eine repräsentative Umfrage der Frauen im Haus hat ergeben: Nein. 100% Zustimmung.

Da lobe ich mir doch meine Heavy Metal-Postillen: Dort finden sich die Proben geballt auf einer Seite. 10, 14, 18 Proben auf einer CD. Und ansonsten kann man ungestört blättern. Es könnte ja auch jede Plattenfirma ihre eigene CD mit einem Song pressen lassen und dann finden sich diese Proben verteilt im Heft… Frauenzeitschriften-Prinzip.

Warum tun sich die Kosmetikkonzerne nicht zusammen – und produzieren zusammen eine Pröbchenseite (vor allem da es ja eh nur wenige Konzerne sind, die nur in der Werbung so tun, als würden sie voneinander völlig unabhängige Produkte vertreiben – ach die Vielfalt). Also 4, 6, 8 kleine Proben auf einer Plastikseite, ins Heft eingeklebt, jede Probe von der anderen mit einer Perforation getrennt. Jedes einzelne Pröbchen könnte sogar individuell gestaltet werden – und ist diese Seite einmal herausgetrennt, dann steht nichts mehr dem Frauenzeitschriften-Lesevergnügen im Weg. Man kann hinblättern, wohin man will…

Wobei, ich bin nicht die Zielgruppe. Was weiß ich schon von Frauen-Marketing. Ich blättere ja nur mal hinein… Und wahrscheinlich ist das der Trick dabei, dass auch Frauen nur hineinblättern – und mittels Proben an die wichtigen Stellen gelotst werden. Kann das denn sein? Size matters? Je dicker die Probe… Scheint so. Aber was weiß ein Mann schon davon.

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Ein Schriftsteller beim „Perfekten Dinner“ – Boscher zum Casting eingeladen

Perfektes_Dinner
Mich erreichte eine sehr nett formulierte E-Mail, Betreff „Anfrage für Das perfekte Dinner am Bodensee“. Inhalt: „Bei meiner Recherche bin ich auf Sie gestoßen. Als Schriftsteller wären Sie ein spannender Kandidat für uns. Vielleicht kochen Sie ja auch gerne.“ Absender: die Produktionsfirma, welche für einen privaten Sender die Sendung „Das Perfekte Dinner“ herstellt.

Boscher beim „Perfekten Dinner“? Im TV? Warum nicht?

Ich bin natürlich geschmeichelt – „ein spannender Kandidat“… und was sich für Perspektiven ergeben… Wie viele Zuschauer hat wohl die Sendung? Wie vielen Menschen könnte ich mich als Schriftsteller präsentieren… Ich eloquent, charmant witzig am Herd werkelnd. Jeder Handgriff untermalt von literarischen Bonmots – nicht übertrieben natürlich. Eben gerade genau richtig dosiert, dass der Zuschauer neugierig wird. Ach, von diesem sympathischen und gut aussehenden Kerl möchte ich aber wirklich etwas lesen…

Und wohl dosiert würde natürlich das Menü sein, meiner Schriftsteller-Laufbahn folgend: Eine leckere Vorspeise vom Niederrhein, die mir Anlass geben würde, eine kleine Anekdote zum Besten zu geben, aus welcher Idee heraus die Niederrhein-Kapitel meines zweiten Romans entstanden sind (und die Ideen des Romans, an dem ich zur Zeit arbeite). Um dann überzuleiten zu den Bodensee-Kapiteln meines Romans und einem entsprechend für die Region typischen Gericht als Hauptspeise. Bevor letztendlich die Speisefolge mit einer bergischen Kaffeetafel gekrönt wird, die mir Anlass gibt, auf meinen ersten Roman einzugehen (und Hinweise zu den Wuppertal Kapiteln meines zweiten Romans einzustreuen).

Ja, dass klingt gut. Jedenfalls müsste ich ein typisches Bodensee-Gericht zubereiten, bei dem ich Fleisch schneiden müsste, um dann leichthin erzählen, dass ich dieses gelernt habe, weil ich mir für meine kriminalistischen Szenen fachkundige Beratung eingeholt habe – für die richtige Schnitttechnik. Es müsste etwas auf der Speisekarte stehen, bei dem ich bei großer Hitze etwas anbrate, dann mit Hochprozentigem ablösche, so dass eine Stichflamme entsteht – was mir Gelegenheit gibt, die wichtige Rolle auch heißer Erotik-Szenen für meine Schreibe zu verdeutlichen. Beim Nachtisch gäbe mir das Kneten des Teiges Gelegenheit, über die Sinnlichkeit des Schreibens ein paar Worte zu finden. Eine Sinnlichkeit, die – hier könnte ich effektvoll den Teig auf den Tisch knallen – auch in harten Horror umschlagen könnte (hier darf natürlich beim Nachtisch heiße rote Kirschsoße nicht fehlen).

Ja , so stelle ich es mir vor. Natürlich komme ich währenddessen nicht aus der Ruhe, bin eine Art gelassener, ein wenig düsterer Gourmetschreiber mit latent sinnlicher Ausstrahlung. Kurz: ich sehe einfach gut aus in der Kamera. In der Küche. In meinem (natürlich mit Unmengen an Büchern zugestellten) Arbeitszimmer, das Allerheiligste, in dem alles entsteht – eine inspirierende Mischung aus Chaos und Individualität. Schriftsteller halt. Die ganze Wohnung (also den Teil, den die geschickten Kamerafahrten zeigen): Schriftsteller halt.
Ralf Boscher - Engel
Ach, schon der Wohnungsflur so individuell – und „ist das nicht die Puppe, die auf dem Cover Ihres ersten Romans zu sehen ist?“ Und die ganzen Bilder, Gemälde an den Wänden – „Ja, alle von befreundeten Künstlern.“ Und dann erst das Esszimmer (also eigentlich das Wohnzimmer als größter Raum, in den der Esstisch hineingetragen wurde) – Bücher natürlich (auch hineingetragen), Bilder (die da wirklich hängen) – und dieser Blick durch die Tür zum Garten. Hier kehrt die Ruhe ein, wenn die Inspirationsströme durch den Schriftstellerkopf und -körper jagen… Und hier findet das Dinner statt – hier fühlen sich die vom Sender ausgewählten Gäste einfach wohl, hier fühlen diese sich (wer immer dies auch ist) quasi selbst inspiriert. Und lecker. Ja, lecker ist es auch. Darauf am Ende eine Obstler aus Meersburg.

Wer wohl die Gäste sind? Schriftsteller-Kollegen vom See? Andere Künstler aus der Gegend? Oder vielleicht wählt der Sender nach dem Gladiatorprinzip aus? Nichtleser, Bücherhasser, Brotlosekunstvertreter?

Aber wie auch immer, eines ist gewiss: Ich kann nicht kochen. Leckere Dinge zubereiten, ja, das schon. Aber kochen… Und noch eines ist gewiss: Auf eine gewisse Weise bin ich extrovertiert (spiele literarisch auch gerne mit meiner eigenen Person). Ich liebe auch die Live-Situation einer Lesung. Mich reizt auch der Gedanke, als Schriftsteller bekannter zu werden (natürlich). Aber: ein Kamerateam in meine Wohnung lassen? Einigen Hunderttausend (oder Millionen) Menschen Einblick in meine Wohnung geben? Den Menschen, die ich liebe und mit mir leben, dies zumuten?

Nein. Das ist nicht mein Ding. Ich habe gewiss Dinge geschrieben, die von ebenjener Produktionsfirma, die das „Perfekte Dinner“ dreht, als Spielfilm, Serienepisode etc. „verbraten“ werden könnten. Aber vor den Kameras der Firma „ganz privat“ braten? Nein – selbst wenn ich ein begnadeter Koch wäre. Auch wenn die Anfrage zum Casting ebenso nett wie schmeichelhaft war. Auch wenn mir hier vielleicht eine große Chance durch die Lappen geht.

Ich bin sehr gerne Gastgeber. Und es macht mich immer glücklich, zu spüren, dass sich unterschiedlichste Menschen bei mir einfach wohlfühlen. Aber dieses Vergnügen bleibt dann wohl privat.

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Das sind so die Momente… Fähre voll und meine Romanidee ist auch futsch

Faehreschnellkurs

Ich hatte so ein paar Ideen für einen Vampirroman – mehr als ein paar Ideen, einzelne Kapitel sind bereits geschrieben. Ja, und dann…

Als ich damals an meinem ersten Roman schrieb, in dem ein wichtiges Thema „Abtreibung“ ist, habe ich mich geweigert, John Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ zu lesen, obwohl er damals mein Lieblingsautor war (und auch heute noch einer meiner Alltime-Faves ist). Einige Jahre zuvor hatte er dieses wirklich tolle Buch (wie ich heute weiß, da ich es schließlich glücklicherweise sofort nach Fertigstellung meines Romans doch gelesen habe) veröffentlicht, und nachdem ich die anderen greifbaren Bücher von ihm schon verschlungen hatte, schlich ich um „Gottes Werk“ herum wie der Teufel um eine sündige Seele. Aber ich riss mich zusammen. Kaufte zwar das Taschenbuch – aber ich las es nicht. Denn bei ihm wie bei mir war ein Thema „Abtreibung“, und ich hatte einen Höllenschiss, mich zum einen von meinem Lieblingsautor beeinflussen zu lassen (ich Narr damals, glaubte ganz naiv an so etwas wie „originäre Schöpfung“, an meinen eigenen gänzlich „unbeeinflussten“ Roman), zum anderen fürchtete ich, kein eigene Zeile mehr aufs Papier zu bekommen, wenn ich gelesen hätte, wie Irving das Thema anpackt.

Heute denke ich anders. Alles ist durchtränkt von Einflüssen. Kombination ist das Stichwort. Es gibt nichts Neues unter der Sonne – aber viele Möglichkeiten, Altbekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen. Schöpfung ist zugleich Mythos (logisch, will doch meine romantische Idee des Kreativen nicht aufgeben) und handwerkliches Geschick im Spiel mit Zitaten und all dem, was man erfahren hat. Ein eigener Stil ist ein überraschender Cocktail aus gut gewählten Zutaten, die man aus der Schatzkiste „Kultur“ zieht.

Also ganz easy… Ich lese in einem Roman – und lese „meine Ideen“. Warum aufregen, locker bleiben! Nun, an diesem Morgen war ich nicht locker. Ehrlich gesagt, war ich die Nacht zuvor auch schon nicht locker. Ich hatte also schlecht geschlafen. Soviel zu theoretischen Erwägungen über den „Autor“, über „Topik“ als der Grundlage schöpferischer Kreation.

Obwohl: Schuld ist die Fähre Meersburg-Konstanz. Beziehungsweise deren morgens zu Pendlerstosszeiten oft zu geringe Verfügbarkeit. Denn die Fähre war voll. Und so schlecht ich geschlafen hatte, schlug mir dies an diesem Morgen aufs Gemüt. Natürlich: Ich als Rollerfahrer hätte noch auf die Fähre rollen könne, für eine 50er ist meist immer noch Platz. Aber da ich mit meiner Liebsten zusammen zur Arbeit fahren wollte, musste ich warten – und das war beileibe nicht das erste Mal (Hintergrund: Meine Liebste fährt mit dem Auto. Ich roller. Das Ende unserer Arbeitszeiten ist nicht derart, dass wir planen könnten auch den Rückweg gemeinsam anzutreten.).

Also stand ich um 7 nach 7 auf dem Meersburger Fähreplatz. Wie ich an der auf dem See gen Konstanz fahrenden Fähre sehen konnte, hatte diese pünktlich voll belegt um 5 nach 7 abgelegt. Und obwohl die 20 nach 7 Fähre beinahe voll war, warteten bereits wieder 2 Reihen PKW und einige LKW darauf, einen Platz für die Überfahrt zu finden. Darunter meine Liebste in ihrem PKW, Reihe 2, keine Chance noch auf die Fähre zu kommen. Ich schaltete also die Zündung aus. Wartete. Noch vor dem ersten Kaffee. Der Einweiser winkte mir freundlich zu. Los fahr, Du hast noch Platz. Ich winkte ab. In diesem Moment, während die Sonne hinter der Meersburger Burg emporstieg, holte mich meine schlechte Nacht ein.

Ich hatte vor dem Schlafen noch ein wenig gelesen, das Buch gefiel mir. Chick-Lit? Vielleicht. Aber egal. Gut geschrieben. Amüsant. Spannend. Ja, und dann las ich… Las von den PR-Kampagnen der Schattenwesen – und: Puh. Auf die Idee war ich auch gekommen. Twilight, der ganze Vampir-Boom – ein Marketingtrick der Vampire (bzw. in diesem Roman der Vampire, der Werwölfe, der Elfen…). Wenn mir wenigstens nicht gefallen hätte, was ich las. Aber das Buch zog mich in sich hinein, und das obwohl mein Verstand eingeschaltet war. Ich dachte, fühlte: Meine Romanidee ist futsch. Obwohl mir aufs Ganze gesehen doch etwas anderes vorschwebte – vorschwebt?

Nachfrage
Nichts Neues unter der Sonne… Auch an diesem Morgen nicht. Wieder einmal ist das Angebot an Fährekapazität nicht an der Nachfrage der Pendler ausgerichtet. Dabei machen die Fährebetreiber deutlich, dass sie sich sehr wohl einer gewissen Nachfrage bewusst sind: Wobei (ab 9 Uhr wegen erhöhter Nachfrage Schnellkurs) es hier nicht um die Pendler geht, sonst würde der Schnellkurs früher gefahren werden. Meiner Einschätzung nach ist hier mit Nachfrage die Nachfrage durch die nun im Frühling mehr und mehr eintrudelnden Touristen gemeint – die aufs Jahr gesehen wohl mehr Geld in die Kassen spülen, als all die Pendler mit ihren Jahreskarten. Und somit stand ich also, weil ich auf meine Liebste im PKW wartete, auf dem Fährevorplatz. Und sann, während die Sonne höher über die Burg stieg, über Pendler, Touristen und Vampire nach. Auch das eine Idee von mir: Den Vampiren eine Evolution zuzusprechen, so dass sie z.B. heute unempfindlicher gegenüber Sonnenstrahlen sind. Aber wie heißt es so schön: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber was für Pendler richtig ist, muss für Romanautoren nicht wahr sein. Sonst würde sich niemand für einen Roman wie „Eine Odyssee“ interessieren, den ich ebenfalls zur Zeit lese und der in vielen Teilen den „Ulysses“ von James Joyce thematisiert, welcher wiederum nicht ohne Grund nach der Hauptfigur aus Homers „Odyssee“ benannt ist. Und das wäre wirklich schade.

Wäre es auch schade, wenn ich meine ursprüngliche Romanidee nicht weiter verfolge? So etwas weiß man als Autor erst dann, wenn man durch die Idee hindurchgegangen ist und der Roman in Gänze vorliegt. Und das erfordert Zeit und Mut. Man läuft immer Gefahr zu spät zu kommen. Oder völlig unzeitgemäß zu sein. Und nicht jeder hat Nietzsches Mut, sich dieses Unzeitgemäße auf die Fahnen zu schreiben (wenn es denn Mut war und nicht nur ein Symptom der beginnenden Paralyse).

Als ich mit einer Schoki für sie und einem Kaffee für mich (endlich, die erste „Tasse“ des Tages) zu meiner Liebsten ins Auto stieg, die es endlich auf die Fähre geschafft hatte, waren weniger meine Autorengedanken als Überlegungen zu „Touristen und Pendlern“ das Thema. Klar, in einer Touristengegend sind diese immer ein Thema. Auch außerhalb der Saison. Ihre Anwesenheit wirkt sich genauso wie ihre Abwesenheit auf die Einheimischen aus: Versuchen Sie mal hier im Winter Abends in einem Restaurant fein essen zu gehen… Sind keine Touristen da, dann nehmen die Betreiber von Gaststätten, Restaurants, Geschäften ihren Jahresurlaub: In Meersburg zum Teil den ganzen Winter über.

Ralf_Boscher_Burg
Im Winter ist Meersburg genau das beschauliche, romantische Städtchen mit Neuem Schloss und Burg und Altstadt und See, das die Touristen so sehr anzieht, dass es ab Frühling mit der Beschaulichkeit vorbei ist. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen – ein immer wieder in neuen Variationen beliebter Spruch in Stellenanzeigen. Was soll das überhaupt heißen? Hebt es meine Lebensqualität als Arbeitnehmer am Bodensee, aus dem Fenster zu sehen und draußen die Urlauber urlauben zu sehen? Freue ich mich als pendelnder Arbeitnehmer, dass ich mich nach der Arbeit eine Stunde und länger an der Fähre in die Warteschleife stellen muss, um über den See heim zu kommen (und das trotz Schnellkurs), vielleicht weil ich denke: Ist doch toll, wie beliebt der Bodensee ist?

Erlebnis
Ach, ich bin ungerecht. Selbst jetzt noch in der Rückschau. Natürlich ist es schön, am Bodensee zu leben. Und der Weg zur Arbeit ist immer wieder ein Erlebnis. Es gibt nichts Neues unter der Sonne… Ja. Dennoch. Wenn ich die ewig gleiche Sonne morgens über Meersburg aufsteigen sehe, dann packt mich das doch immer wieder und auch jetzt noch nach Jahren. Wie oft habe ich dieses Bild schon gesehen (und fotografiert) und dennoch hat es immer wieder den Hauch des faszinierend Neuen. Und sollte ich an dem Vampirroman weiterschreiben, hoffe ich, dass ich selbst bekannten Ideen den faszinierenden Hauch des Neuen werde verpassen können.

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Hut ab! Vorbilder – nicht nur bekannt aus Funk und Fernsehen

Vorbilder_Leuchtturm
Menschen, die – oftmals unter Einsatz des eigenen Lebens – anderen Menschen helfen. Schriftsteller, deren Bücher von vielen Menschen gelesen und geliebt werden. Musiker, die mit ihren Songs ganze Generationen berühren. Wissenschaftler, die die kompliziertesten Sachverhalte auf den Begriff bringen. Sportler, die so begabt und gut trainiert sind, dass sie Höchstleistungen verbringen. Ein junges Mädchen, das es mit selbst gefilmten Beautytipps-Videos zum Youtube-Star schafft. Und… Oder…

Leuchttürme, die anderen Menschen einen gangbaren Weg zeigen.

Menschen, die in einer Welt, die reich an Armut jeglicher Art ist, die Fülle dessen zeigen, was es bedeuten kann, Mensch zu sein. Menschen, die bewundert werden. Die für andere Menschen Vorbilder sind. Denen nachgeeifert wird.

Aber man muss gar nicht weit gehen oder in die Ferne sehen, um solch besondere Menschen zu erleben. Menschen, deren Handlungen und Haltung einen berühren. Die man bewundert und für sich selbst als vorbildlich empfindet.

Ein junges Mädchen zum Beispiel, das dem Gruppendruck widersteht – und das auf dem Schulhof, auf dem Schulweg, auf einer Party die wieder und wieder angebotenen Zigaretten ausschlägt.

Ein Junge, der der eigenen Angst widersteht und „Nein!“ sagt gegen den Hass und sich schützend vor den hilflosen Fremden stellt. Ein mutiger Junge, der auf der Straße, im Bus, in der Bahn, im ganz realen Leben „Nein zum Fremdenhass! sagt und sich so selbst der Gefahr durch den wütenden Mob aussetzt.

Ein Mann mittleren Alters, der sich mit seinem massiven Übergewicht nicht auf der Couch verkriecht, sondern den inneren Schweinehund Tag für Tag überwindet, auch wenn jedes Mal, wenn Trainingseinheiten anstehen, 1000 ach so gute Gründe dagegen sprechen, den Hintern hoch zu kriegen.

Eine Frau an die 50, die nochmals die Schulbank drückt und sich neben Beruf und Familie weiterbildet und eine Ausbildung macht. Die, 30 Jahre nachdem sie die Schule verlassen hat, mit mehr als halb so alten Mitschülern in einer Klasse sitzt und Abends nach Brotjob und Hausarbeit über den Büchern brütet, um zu lernen und etwas Neues zu erfahren.

Eine ältere Dame, die seit vielen Jahren unter starken Schmerzen leidet, die immer wieder mit neuen dramatischen Diagnosen konfrontiert wird, keine Hoffnung auf Heilung mehr – und die dennoch nicht einfach nur leidet. Die kämpft, ohne sich in ihre Krankheiten zu verbeißen, die mit Stil und Liebe zu den Mitmenschen ihrem vorhergesagten Tod entgegengeht – und ihn mit einem Lächeln als eh unvermeidbar links liegen lässt.

Vorbilder – nicht nur bekannt aus Funk und Fernsehen. Man muss wahrlich gar nicht weit gehen oder in die Ferne sehen, um einen Menschen zu erleben, bei dem man einfach sagen muss: Hut ab!

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Vom Höcksken aufs Stöcksken… Von LPs zu YouTube, von „Balls To The Wall“ bis „Darm mit Charme“…

Youtube_Topik
Ich bin ein echter Fan von Musik-Assoziationsabenden. War ich immer schon, schon zu Schallplatten-Zeiten. Nette Menschen zu Besuch, man plaudert bei einem Getränk über dies, über das. Lächeln hier, Lächeln dort. Einer sagt etwas, das nach „Hoooh ho hoooo!“ klingt (vielleicht war es auch nur der etwas unartikulierte Hinweis, aufs Klo zu müssen). Jedenfalls sagt ein anderer: „Das erinnert mich jetzt aber an Balls To The Wall.“ „An was?“ „Sag bloß, Du kennst Accept nicht?“

Ja, und schon geht er los, der Streifzug durch die Musikgeschichte, durch die Plattensammlung. Die einen headbangend zu „Balls To The Wall“ („Sign of Victoryyyyyyyyyyyyyyyy!“), die anderen kopfschüttelnd ob einer generellen Abneigung gegenüber grandiosem Heavy Metal. „Ist ja schon irgendwie stumpf!“ Pah. Die nächste LP wird aus dem Regal gezogen. „Stumpf, pah! Die bauen sogar Beethoven ein! Hört euch das mal an…“ Und schon wandert „Metal Heart“ auf den Plattenteller. Was das Kopfschütteln nur bedingt eindämmt, aber zu noch mehr Headbangen führt. „Apropos Beethoven…“ – wird dann der nächste Ball ins Spiel geworfen – „Kennt jemand Difficult to Cure?“ „Kennen?“, so der Herr über die umfangreiche Plattensammlung, in dessen Bude wir gesellig zusammensitzen. „Ich hab die Live-Aufnahme mit Orchester da, Tokyo Budokan 1984!“

Also löst Rainbow Accept ab – und los geht es mit der Ritchie Blackmore Version des letzten Satzes aus Beethoven 9. „Bin mit Rainbow nie warmgeworden.“, wirft einer nach ein paar Minuten ein. „Aber bei Deep Purple fand ich den Blackmore toll.“ „Smoke on the waaaaaaaaater!“ – hier konnte auch einer der zuvor Kopfschüttelnden glänzen. „Ja, die waren schon geil. Mark II. Aber auch die älteren Sachen haben was….“, meint unser Gastgeber und zieht eine LP mit einem Hieronymus Bosch-Cover aus dem Regal (nach Alphabet geordnet und innerhalb der einzelnen Gruppen nach Erscheinungsjahr). „Hier, hört euch mal April an – gefällt mir vom Orchestralen besser als Difficult to Cure oder das Concerto“.

Als nach den ersten Minuten seine Begeisterung nicht überspringt, greift er wieder zu D. „Dann eben das, auch Mark I., und den Song kennt ihr bestimmt“. Er reicht das Cover herum, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Zeichnungen aus einem Monty Python Film hat. „Auch Orchestral. Geil oder! Also sprach Zarathustra. Aber das meine ich nicht, was ihr kennt, wartet ab, jetzt gleich geht es los!“ Und noch circa 4 Minuten gibt es ein Aha. „Das ist doch?“, „Das kenne ich doch?“ Richtig. Und schon wird eine andere LP aus dem Regal gezogen. M. Ein Motown-Sampler, auf dem sich die bekannte Version von „River Deep, Mountain High“ von Ike & Tina Turner findet. Von den Turners geht es zu den Jackson 5, die auch auf dieser LP vertreten sind. Von dort zu Michael Jackson. Von „Beat it“ zu Van Halen, da Eddie Van Halen ja das Gitarrensolo beigesteuert hat. „Meine erste Single.“, meint einer, „Jump!“ „Meine erste Single war Hard To Say I’m Sorry von Chicago“, wirft ein anderer ein – nicht ohne mit den Schultern zu zucken, was soviel heißen sollt, wie: Jugendsünde. Aber da sind die Dämme auch der Heavys schon gebrochen. Das ist ja das Schöne an so innigen Runden. Irgendwann sinkt die Peinlichkeitsschwelle. „Famous Last Words von Supertramp war meine erste LP. Don’t Leave Me Now halte ich heute noch für einen der besten Songs überhaupt“, „Words von F.R. David – meine erste Single.“ „Gloria Gaynor – I Will Survive“ „Moonlight Shadow, Mike Oldfield“, „BAP, Verdammt lang her“.

Ja, so war das damals – unschwer an den Titeln zu erkennen. Die goldenen Zeiten, als Musik noch knisterte. Als das nächste Musikstück nicht nur ein paar Klicks entfernt war, sondern wohldosierte Handgriffe mit einem empfindlichen Gut, dem Vinyl. Da man sich die Köpfe über das Thema „Trocken oder nass abspielen?“ heißreden konnte.

Vermisst jemand das Knistern? Bestimmt. Vermisst jemand die großformatigen Albumcover? Ganz bestimmt.

Ich habe lange gebraucht, um mich auf das neue Medium CD einzulassen, habe mir anfangs nur neue CDs gekauft, also frisch auf den Markt gekommene Aufnahmen, die zuerst auf CD veröffentlicht wurden. Und zum Teil war das wirklich ein Aha-Effekt. Wie sauber, wie voluminös. So empfand ich das. Wobei entschiedene Vinyl-Liebhaber gerade der CD dieses Voluminöse absprachen. Wie gesagt, zuerst kam nur Neues in meinen CD-Player – ich habe lange gebraucht, um mir eine meiner Lieblingsplatten auch auf CD zuzulegen. Und noch länger, um bei einer bestimmten Stelle, wo bei meiner oft gehörten LP immer ein Knistern war, nicht die Luft anzuhalten – nur um dieses Knistern nicht zu hören und ein Gefühl von Fremdheit zu empfinden. Aber nun gut, bei den meisten CD-Überspielungen hat mich der Klang doch überzeugt – oder bin ich einfach nur in die Jahre gekommen? Bequemer geworden? Ist ja auch einfacher eine CD als eine Platte zu wechseln…

Wie auch immer. Für meine Ohren hat der Klang gewonnen (bis auf die „Loudness-War“-Opfer). Und vielleicht ist der reine Klang auch gar nicht das Wichtigste an der Musik? Als ich Musik für mich entdeckte, hatte ich nur ein kleines Radio („Mal Sondocks Hitparade“ im WDR) und dann einen Mono-Kassettenrekorder. Und es war toll. Klar war die erste, mühsam ersparte Anlage auch toll. Und toller Klang ist ja auch einfach toll. Aber wie auch immer – schon zu Zeiten von Mono-Kassettenrekordern gewann Musik einen besonderen Reiz dadurch, dass man sie so schön teilen kann.

Teilen war immer schon ein wichtiger Bestandteil, wie sich Musik verbreitet hat. Kassetten tauschen, LPs ausleihen (allerdings in meinem Fall nur an Trockenabspieler) – und vor allem ganz persönliche Mixe herstellen (viele Jahre auf Kassette, dann auf CD). Wenn ich überlege, wie viele interessante Musik ich schon über solche Mixe kennengelernt habe.

Und hier sind wir bei YouTube angekommen. Die Globalplayer gewordene Inkarnation der Lust am Teilen. Ich finde Youtube toll. Wie viele Bands ich dort schon entdeckt hab (mein CD-Dealer dankt es mir). Zudem ist YouTube ein Hilfsmittel erster Güte für Musik-Assoziationsabende, es macht einfach Spaß, auf Youtube vom Höcksken aufs Stöcksken zu kommen.

Kommt das Gespräch auf Michael Jackson, dann wird nicht nur die Musik abgespielt, dann ist auch gleich das Thriller-Video zur Hand. Wie etwa gestern mit meiner Liebsten: Nostalgisch hörte ich über Youtube „Hard To Say I’m Sorry“, da kam sie dazu. „Meine erste Single.“, meinte ich. „Meine Erste war Thriller.“ Also lief dann das Video. „Die Tanzen so cool!“, meinte meine Liebste, „Schau mal hier, das ist auch cool!“ – und schon lief „Happy“ von Pharrell Williams. Nach ungefähr 10 Minuten fiel mir ein anderes cooles Tankstellen-Video ein: „Gimme All Your Lovin“ von ZZ Top. Angesichts der Bärte hatte dann meine Liebste einen Poetry Slam-Videotipp parat: Patrick Salmen „rostrotkupferbraunfastbronze“ bei der Poesieschlacht Düsseldorf („Auf Bart reimt sich hart – sonst nichts… Und wir singen Manowar… “). Also lief als nächstes Video „Die For Metal“. Von Manowar kamen wir auf Man o’ War (das berühmte Rennpferd) und von dort war es nicht weit bis zum Video-Trailer von „Seabiscuit“, denn Seabiscuit war immerhin ein Enkel von Man o’ War gewesen. Dann Black Beauty. Keine Folge habe ich als Kind verpasst, was weniger an dem Pferd und den spannenden Geschichten lag, als an der Hauptdarstellerin Judit Bowker, in dich ich mich verknallt hatte. Meine Liebste erzählte, sie hätte damals für David Cassidy von der Partridge Family geschwärmt. Ein Name mit dem ich auch so meine Erinnerungen verband, schließlich hatte eine damalige Freundin, während sie auf ihrem alten Plattenspieler die frisch erworbene Single von „Last Kiss“ spielte, mit mir Schluss gemacht (was ich erzählte, während Cassidy auf Youtube schmachtete). Mit ihr hätte mal ein Freund zu „I Want To Break Free“ Schluss gemacht, erzählte meine Liebste. Na immerhin hatte er einen guten Musikgeschmack. Also hörten wir Queen, während wir darüber sprachen, wie wir damals die Nachricht von Freddie Mercurys Tod aufgenommen haben. Über die posthum herausgekommene CD „Made In Heaven“, von der wir „Too Much Love Will Kill You“ hörten (die CD war in Montreux am Genfer See aufgenommen worden, ihr Cover zeigt eine Statue von Freddie vor dem Genfer See), kamen wir auf „Smoke On The Water“. Schließlich singt hier Ian Gillan über einen Brand im Casino von Montreux während eines Zappa-Konzertes. Apropos Texte von Deep Purple. Ich erzählte, dass ich eine Weile gebraucht hätte, um zu verstehen, dass es bei „Knocking At Your Backdoor“ nicht um jemanden geht, der an die Hintertür eines Hauses klopft. Woraufhin wir dann zu Julia Enders Auftritt „Darm mit Charme“ bei einem Science Slam kamen…

Ja, ich finde Youtube toll. Und weil es Millionen Menschen weltweit so geht, hat die Nutzung von Youtube mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass man hier von einem „Kulturellen Gedächtnis“ sprechen kann, einem „Archiv für Medieninhalte“. Was die Nationalbibliotheken für Texte sind, ist Youtube für Musik und multimediale Inhalte. Schade nur, dass das wichtige Thema „Honorierung der Urheber“ immer noch nicht befriedigend geklärt ist.

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