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Ralf Boscher, sind Sie zufrieden mit ’10 Stück Mäusefallen‘?

Mäusefallen_Luna
Eigentlich wollte ich heute Abend, nachdem ich aus der Werbeagentur an meinen privaten Schreibtisch heimgekehrt bin, über Musik schreiben. Aber dann flatterte diese nette E-Mail des allgegenwärtigen Amazon Kunden-Service in mein Postfach – und ich erinnerte mich an den heutigen Morgen, als ich – noch vor dem ersten Kaffee – auf etwas Weiches getreten bin. Also schreibe ich nun über Mäuse, also über Werbung.

Werbung ist toll. Klar, muss ich ja auch sagen. Arbeite schließlich in der Werbebranche. Aber Spaß beiseite. Werbung ist wirklich toll. Ohne sie wüsste ich überhaupt nicht, wohin mit meinen ganzen wohlverdienten Mäusen. Womöglich würde ich sie, ohne all die dezenten Informationen über die diversen Möglichkeiten, meine Mäuse zu verteilen, gar in der „Mäusefalle Sparkonto“ belassen. Nicht auszudenken. Welch Verlust an Lebensqualität! Wobei: Letztens habe ich eine sehr schön gemachte Werbung für Sparkonten gesehen, da kam ich doch beinahe in Versuchung… Aber das war bei der nächsten Werbung schon vorbei. Das ist ja das Schöne daran. Eine Werbung kommt nie allein. Wenn ich nicht per se – also deswegen per se, weil ich ja selbst in der Werbung arbeite – annehmen würde, dass hinter jeder Werbung wohlmeinende Menschen stecken, dann könnte beinahe der Eindruck entstehen, dass es hier um eine Art Verteilungskampf geht. Geht es natürlich nicht. Es geht um Information. Und es geht um Animation. Werbung will den Menschen zum Handeln bringen. Und das ist doch etwas Gutes, oder? Wer nicht handelt, der hinterläßt keine Spuren auf der Erde. Wer nicht selbst handelt, dem wird das Handeln aus der Hand genommen. Handeln ist also gut. Handeln ist die Quintessenz unseres Zusammenlebens. Handeln ist Wirtschaft. Und was wäre Wirtschaft ohne Werbung?

Eben nichts. Oder besser: Ein Chaos an handlungsunfähigen Individuen, die nicht wissen, wohin mit ihren Mäusen. Denen die Lenkung fehlt. Die Impulse. Die Informationen, die in einer Wirtschaft eben nur die Werbung zur Verfügung stellen kann. Was natürlich auch bedeutet: An den richtigen Stellen verteilen. Denn was nützt die beste Werbung, wenn sie ins Leere stößt. Wenn an der Stelle, wohin all die Informations- und Animationskompetenz fließt, niemand ist, der sich dafür interessiert?

Eben nichts. Und eben das ist die Krux an Werbung. Oder besser die Krux am Menschen: Leider – also aus der Sicht des Werbenden – ist der Mensch, um das einmal umgangssprachlich auszudrücken, zickig. Er will gar nicht immer umworben werden. Oder nur in einem gewissen Rahmen. Und dieser gewisse Rahmen ist leider – also leider aus Umwerbender Sicht – sehr flexibel, geradezu fragil. Was in einem Moment noch okay war, ist im anderen ein „No go!“. Von jetzt auf gleich sind Sympathien verspielt – und ohne Sympathien keine Werbung. Das ist wie in der Liebe. Da kann jemand noch so alle Register der erfolgsversprechenden Werbung durchexerzieren, die durchdachtesten Werbemittel verteilen – ohne Sympathie ist hier Hopfen und Malz verloren.

Wobei ich wieder bei den Mäusen angelangt bin. Ich hege ja eine gewisse Sympathie gegenüber Nagern. Also die Maus heute Morgen, die war niedlich. Große Ohren, große Augen, aus denen sie mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Schrecken ansah, als ich auf sie trat. Und niedlich ist gut. Aber in diesem Fall kein Grund, nicht zu handeln. Denn manche Dinge haben an manchen Orten einfach nichts verloren – und so ein Ding war die niedliche Maus in unserem Flur. Ein Mitbringsel unserer Katze, die auch nicht weit war. Miauuu! Ich hörte sie schon um die Ecke fegen, um sich ihrem Spielkameraden zu widmen (was an sich kein Problem wäre, nur haben diese Spielkameraden die Angewohnheit, sich zum Sterben an die ungewolltesten Orte zurückzuziehen, um dort langsam zu verwesen, Gestank zu verbreiten…). Also griff ich zu – und das vor dem ersten Kaffee. Packte die Maus und beförderte sie in den Garten. „Du hast hier nichts verloren!“, rief ich ihr hinterher und hoffte, sie war klug genug, sich nicht wieder von unserer Katze einfangen zu lassen. „Du hast hier nichts verloren!“, rief ich also. Und ich finde, das ist ein schönes Gleichnis auf Werbung: Sie kann noch so gut gemacht sein, mit niedlichen großen Augen und putziges großen Ohren daherkommen, wenn sie an einem Ort nicht gewünscht ist, dann ist das verlorene Liebesmüh.

Menschen sind da wohl zickig. Wobei ich da wohl, schließlich arbeite ich in der Werbung, großmütiger bin. Klar, da verdiene ich ja auch meine Mäuse. Ach ja, ich bin übrigens sehr zufrieden mit den Mäusefallen. Vielleicht teile ich das sogar mit, mache Werbung für den Mäusefallen-Hersteller.

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Ich hab den Kaffee auf!

Kaffee_auf

Oh aromatica negro,
Bene crema, oh molto gusto
Praestat ridere quam flere,
Oh flair della rondo bohna,
Bohna di deo, credo, rexona.

„Ich hab den Kaffee auf!“, dies werden an jenem Morgen so einige meiner Kollegen gedacht haben, wobei sie es wahrscheinlich in anderen Worten dachten, ist doch dieser Spruch aus NRW hier im süddeutschen Raum nicht so geläufig.

Aber dass sie dies auf die eine oder andere Weise dachten – man musste nur in ihre Gesichter sehen –, zeigt doch: Wie wichtig guter Kaffee für das Betriebsklima ist. Bzw. Caffé, handelte es sich doch um eine italienische Maschine, die zu aller Ärger nicht mehr tat, was sie tun sollte: Heißen Caffé zu machen. Oder wenigstens Kaffee.

Dabei war die Maschine neu. Unser Chef hatte sich nicht lumpen lassen. Das war quasi wie Weihnachtsfeier und Sommerfest in einem. Ein Caffé-Fest erster Güte. Der war aber auch lecker! Allein schon diese Crema wird der einen oder dem anderen auf dem Weg zur Arbeit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben – oder wenn noch nicht auf dem Weg, so doch wenigstens in dem Moment, da sie oder er die Küche betrat und zur rechten Hand dieses neue technische Wunderwerk handwerklicher Präzision thronte. Und wenn noch nicht in diesem Moment, so doch wenigstens dann, wenn er oder sie die Tasse, nachdem ein letzter heißer, dunkler Tropfen von der Maschine in dieses aromatische Kunstwerk entlassen worden war, von dem chromglänzenden Abtropfgitter in die Hand nahm.

Wie gesagt: Guter Kaffee ist wichtig fürs Betriebsklima. So verwundert es nicht, dass die Kaffee-Universität in ihren Leitlinien ganz im Sinne der Schaffung eines guten Betriebsklimas formuliert: „Im Mittelpunkt dieser Akademie stehen die Menschen, ihre Ansprüche und ihre Perspektiven“. Und somit war die Vorgängermaschine wohl auch der Grund für die gesunkene Moral in allen Abteilungen gewesen. Der Kaffee genügte keinen Ansprüchen. Das dunkle Gebrüh war zwar heiß, aber das war es dann auch. Die Arbeit hatte gewissermaßen allen nicht mehr geschmeckt. Selbst der Chef hatte sein sonniges Gemüt verloren. Und da so etwas nicht angeht, musste eine neue Maschine her. Und siehe da, es ward Licht…

Heiß, schwarz, wohl duftend – und man, wie lecker! Da ging an jedem Morgen auf Arbeit die Sonne auf – bis zu jenem Tag. Jenem Morgen, als die Maschine keinen Mucks mehr tat. Drama Baby, Drama! Aber holla die Waldfee! In diesen dramatischen Minuten hatte schon so mancher den Kaffee auf, bevor der Arbeitstag überhaupt so richtig in die Gänge gekommen war. „Ich werd zum…“, „… aus dem Fenster!“ Die Extrovertierteren machten sich mit Worten Luft. Andere starrten stumm auf die Maschine, als wollten sie diese mit der puren Kraft ihrer Gedanken zum Laufen bringen. Einer griff gar in seiner Verzweiflung zu löslichem Kaffee – entkoffeiniertem.

Was aber war geschehen? Es ist dies, es ist das… „1, 2, 3, Du musst Dich entscheiden, ob Du recht hast oder nicht, das sagt Dir gleich das Licht!“ Und das Licht wies tatsächlich den Weg, als endlich einmal jemand durchatmete und seine Panik („Kein Kaffee! Oh Gott!“) in den Griff bekam. Da blinkt eine Lampe! Eine Lampe blinkt da! Oh, Wunderwerk der Technik! Die Maschine sprach mit uns – und ihre Anweisung war ganz klar: Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel? Da war kein Satzbehälterdeckel (klar!), vielleicht noch nie einer da gewesen (klar!) – wie sollte der auch verschwinden? Der Satzbehälter hatte doch sehr ordentliche Ausmaße, schließlich fasste er den Kaffeesatz von pi mal Daumen 50 Kaffees, oder Caffé. So etwas verschwindet doch nicht einfach!

Findige Mitarbeiter hatten eine Anleitung zur Benutzung der Kaffeemaschine ausgedruckt, sie grafisch verfeinert mit Bildchen und Icons und Hinweisstrichen („Hier drücken!“), aber nicht daran gedacht, dazu zu schreiben, dass man beim Ausleeren des Satzbehälters zuvor den Satzbehälterdeckel abnehmen müsse. Sträflich! So etwas weiß man doch, seitdem eine Amerikanerin versucht hat, ihren Pudel in der Mikrowelle zu trocknen. Entweder gar keine Hinweise (so dass jeder selbst denken muss) oder Hinweise zu allem, jedem, zu jedem auch noch so unwahrscheinlichen Fall („Den Wasserbehälter der Kaffeemaschine nicht benutzen, um eine Instantsuppe zuzubereiten!“ – etwa falls jemand denkt: Cool, ich gieße meine Tütensuppe oben rein und durch den Heißwasserspender erhalte ich lecker Erbensuppe!)

Jedenfalls fand sich der Satzbehälterdeckel, halb so groß wie eine altmodische LP-Hülle, schließlich im Biomüll – und das war ja auch gut fürs Betriebsklima: Da gab es etwas zu lachen! Und lecker Caffé gab es obendrauf. Und niemand hatte mehr „den Kaffee auf“, außer vielleicht die Person, die den Spott aller über sich ergehen lassen musste („Aber es stand ja auch nichts in der Anleitung…“). Doch wie auch immer: Als dann später der Chef lächelnd mit einer Tasse heißen, dunkel dampfenden Caffé mit Crema über den Flur ging, war die Welt in Ordnung und die dramatische Situation des Morgens vergessen. Guter Kaffee und ein Lächeln ist halt wirklich wichtig für das Betriebsklima.

Oh aromatica negro,
Bohna di deo, credo, rexona.

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Eine Flasche im Bett

Waermflasche
„Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“, mit den Worten Freuds antwortete ich einem alten Freund, der mir sein Leid mit seinem Lebensgefährten klagte.

Was war passiert?

Das Corpus Delicti war eine Wärmflasche.

Sein Lebensgefährte sei eine Frostbeule, erklärte mir mein Freund. Das wäre ja eigentlich auch nie ein Problem gewesen – jedenfalls so lange ihr Schlafzimmer noch ein erotischer Ort war. Aber mittlerweile…

„Bei ihm auf dem Nachttisch liegen seine Tabletten gegen Rückenschmerzen und eine dicke Tube mit Pferdesalbe gegen seine Meniskusbeschwerden. Auf meiner Seite stehen auf dem Nachttisch japanisches Heilpflanzenöl gegen meine ständigen Erkältungen, neben einem Nasenspray liegt Iboprofen, daneben ein Krimi, damit ich wenigstens vor dem Schlafen noch ein bisschen etwas Spannendes erlebe… Ich komme mir schon vor wie so ein altes Heteropärchen!“, ätzte er, während ich in Gedanken die Dinge durchging, die bei meiner Liebsten und mir auf dem Nachttisch liegen.

„Vielleicht ist es auch einfach das Alter.“, sagte er dann, „Egal wo du hingehst, mit wem du auch redest, Wehwehchen überall – und leider bleibt es ja nicht dabei. Kaum eine Woche vergeht ohne Hiobsbotschaften. Der oder die hat Krebs, einen Schlaganfall erlitten, Diabetes ist ausgebrochen, Bandscheibenvorfall… Krankheiten und Tod wohin du nur siehst. Und da soll einer nicht empfindlich werden…“

Ja, das Alter… es holt einen einfach ein. Eine Freundin von ihm hätte immer gesagt: „Man muss Acht geben, die alte Frau nicht herein zu lassen!“ Und er und sein Freund, ja sie hätten wohl den alten Mann herein gelassen. So sei er, meinte er, mittlerweile, was die Wärmflasche angeht, sehr empfindlich. Ja, er hätte mittlerweile das Gefühl, die Wärmflasche stünde, bzw. läge zwischen ihnen – wäre ein Zeichen dafür, dass sie sich von einander entfernt hätten, dass ihre Beziehung an Altersschwäche leiden würde.

Früher da hätte er nie etwas dagegen gehabt, dass sein Freund irgendwann aufstand, um sich eine Wärmflasche zu machen. Wenn er denn nun einmal so schnell friert. Warum nicht. Schließlich wäre bis zu dem Zeitpunkt, an dem er die Wärmflasche benötigte, zwischen ihnen allerhand passiert. „Da war unser Schlafzimmer noch ein erotischer Ort“. Aber sehr schleichend hätte sich das geändert, dergestalt schleichend geändert, dass es ihm kaum bewusst gewesen wäre.

Erst die Wärmflasche hätte ihm die Augen geöffnet.

„Früher war es so: Wenn es ihm mitten in der Nacht doch zu warm oder die Wärmflasche ihm unangenehm wurde, dann schob er sie im Schlaf auf seiner Seite des Bettes über die Bettkante. Aber jetzt schiebt er sie mir ins Kreuz! Da wache ich auf, weil mich etwas Hartes an der Seite zwickt – und es ist die Wärmflasche, die er mir in den Rücken geschoben hat. Ein paar Mal hat er sie doch tatsächlich gegen meinen Kopf gedrückt, die Abdrücke an meiner Wange waren auch noch nach dem ersten Kaffee am Morgen nicht verschwunden!

Und jetzt sag mir“, so sagte er: „Ist das nicht ein Zeichen, dass er im Schlaf, also unbewusst, zwischen uns die Wärmflasche platziert? Als würde er Distanz schaffen wollen – oder schlimmer: Als wäre die Distanz zwischen uns schon so groß geworden, dass er gedankenlos im Schlaf die Wärmflasche in meine Richtung schiebt.“

Das war der Moment, in dem ich Freud zitierte: „Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre – und eine Wärmflasche nur eine Wärmflasche.“

Ich versuchte meinen Freund zu beruhigen. Das sei nur eine Phase. Versuchte, ihm Tipps zu geben: Räum‘ doch einfach mal alle Medikamente aus dem Schlafzimmer ins Bad, stell‘ stattdessen Kerzen auf, Sektgläser und mache eine Zeitreise in die erotischeren Zeiten zurück.

„Hmm, ja, eine gute Idee!“, stimmte er mir zu. „Ich sollte die Initiative ergreifen! Denn vielleicht ist das ja auch Zeichen, dass er es leid ist, den alten Mann in unserer Beziehung zu nähren – und so schiebt er den unbewusst mit Wärmflasche von sich. Er schiebt mir den Schwarzen Peter zu. Hier hast du den alten Mann! Vielleicht schiebt er mir ja sogar die Schuld zu: Hier hast du den alten Mann, denn du hereingelassen hast!“

Wir vertagten dann unser Gespräch. Er wolle jetzt die Initiative ergreifen, meinte er verschmitzt. Und ich wünschte ihm viel Erfolg.

Zwei Tage später rief er mich noch einmal an. Er hätte das Problem gelöst: Er hätte einen kuscheligen Überzug für die Wärmflasche gekauft. „So einen weichen Pelzüberzug mit einem Bärengesicht! Für mein Bärchen!“, meinte er. „Er hätte sich auch echt gefreut.“

Leise meldete ich eine gewisse Skepsis. Fragte nach den Kerzen, nach der Zeitreise in erotischere Zeiten. Aber er war ganz und gar auf dem „Kuschelig ist nah-Trip“, so dass er meine Skepsis überging. „Weißt Du, jetzt ist das viel besser, jetzt merk ich die kaum noch im Rücken. Außerdem: Du hast es selbst gesagt: Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre!“

Was sollte ich jetzt noch sagen?

Nachdem er aufgelegt hatte, legte ich eine Flasche Sekt in den Kühlschrank und drehte die Heizung im Schlafzimmer auf. Dann verstaute ich die Medikamente in unseren Nachttischschubladen und bestückte die Kerzenständer im Schlafzimmer mit neuen Kerzen. Meine Liebste war mit einer Freundin unterwegs. Wenn sie heimkehrt, wollte ich sie angemessen empfangen.

Eine Woche danach erhielt ich spät am Abend eine sms von meinem alten Freund.

„Du hast eine sms bekommen!“, rief meine Liebste aus dem Schlafzimmer, während ich heißes Wasser aus dem Wasserkocher in ihre Wärmflasche goss.

Die Wärmflasche in Händen ging ich ins Schlafzimmer, wo meine Liebste die zerwühlten Kissen und Bettdecken für die Nacht richtete. Die Wärmflasche noch in der einen Hand las ich die sms.

„Lass bloß nicht den alten Kerl herein. Die Zigarre war nicht nur eine Zigarre. Es ist Schluss!“

Ich war glücklich, als sich meine Liebste mehr über meine warmen Hände auf ihrer Haut freute, als über die Wärmflasche an ihren Füßen.

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Inspiration – Daimon oder Dämon? Neknomination, Kunst und Religion

Inspiration
Ist es wirklich so viel verrückter, sich von der Idee, dass es cool und mitteilenswert sei, ein Bier vor der Kamera zu kippen, inspirieren zu lassen, wie von einem brennenden Dornbusch, aus dem eine Stimme erschallt?

Was inspiriert uns? Bringt uns dazu, etwas Ungewohntes zu tun, vielleicht eine neue Sicht der Dinge einzunehmen. Inspiriert uns dazu, etwas zu malen, Musik zu schöpfen, Geschichten zu schreiben?

Menschen? Eine Idee, ein Anblick, ein Gefühl? Ein Moment der Begeisterung oder des Staunens?

Was inspiriert viele, einen halben Liter Bier auf Ex zu trinken und sich dabei zu filmen? Oder ist es hier verfehlt, von Inspiration zu sprechen?

Die Wikipedia vermerkt zum Stichwort „Inspiration“: „Unter Inspiration (von lat.: inspiratio „Beseelung“, Einhauchen von spiritus „Leben, Seele, Geist“) versteht man allgemeinsprachlich eine Eingebung, etwa einen unerwarteten Einfall oder einen Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität.“

Inspiriert zu sein bedeutet demnach, von etwas beseelt zu sein.

Die alten Griechen haben dies mit dem Gedanken des daimon ausgedrückt. Der daimon, oft auch als eine Art Geistwesen gedacht, offenbart uns unsere Bestimmung, zeigt uns den Weg, den wir gehen sollen. Berühmt ist Sokrates‘ Rede von einer „göttlichen Stimme“, die ihm hilft auf dem ihm angemessenen Weg zu bleiben.

Von diesem Wort, dieser Art, beseelt zu werden, zum christlich gedachten Dämon, der in einen fährt, war es dann nicht weit.

Aber ob göttliche oder dämonische Eingebung – Inspiration als „Beseelung“ gedacht hat immer auch einen irrationalen Touch. Hier geschieht etwas, dass mit Vernunft allein nicht zu fassen ist.

Ein Gedanke, der im künstlerischen Bereich vor allem seit der Romantik sehr verbreitet ist – und das läuft uns kreativ Schaffenden ja auch gut rein. Die fast göttliche Energie, die sich – kaum fassbar – dann in einem inspirierten Werk niederschlägt. Kurz: das Genie. „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei mir.“

Im religiösen Bereich war Inspiration schon immer irrational. „Von Gott geschlagen“. Es ist noch nicht lange her, dass in unserem Kulturkreis bestimmte, heute als Krankheiten eingeordnete Verhaltensweisen oder körperliche Gegebenheiten, als „göttliche Inspiration“ interpretiert wurden.

Und hier wie dort war und ist der Grad zwischen „göttlicher Eingebung“ und „dämonischen Einflüsterungen“, zwischen daimon und Dämon schmal.

Und hier wie dort sind Inspiration fördernde Maßnahmen nicht weit. Im religiösen Bereich zum Beispiel extremes Fasten, körperliche Kasteiung aber auch gewisse Substanzen, die mystischen Erfahrungen den Boden bereiten. Im künstlerischen Bereich spielen vor allem Drogen die Rolle von Maßnahmen, die Inspiration fördern sollen. Und das nicht nur bei Musikern („Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll“). Harte Drogen, harter Alkohol, weiche Drogen, weicher Alkohol – aber von allem immer viel. Bei Schriftstellern spielt vor allem der Alkohol eine große Rolle – und sie wird sowohl im Sinne des daimon wie auch das Dämon thematisiert.

Kurz: Inspiration und ungesunde Substanzen sind schon lange miteinander verquickt. Gerne auch überhöht, Stichworte: „Club der 27“ oder die im Sinne einer Hagiographie geschilderten Lebensläufe etwa von Hemingway, Bukowski etc.

Ist es also vor diesem Hintergrund falsch im Falle des „Neknomination“ von Inspiration zu sprechen?

Bedeutet Inspiration nicht auch Nacheifern, Nachahmen, dem Impuls folgen, den uns jemand anderer eingegeben hat? Wie ausgeführt, ist, wenn man beseelt ist, immer auch ein geschüttelt Maß Irrationalität im Spiel.

Oder um es mit den Monty Python zu sagen: „Folgt der Sandale!“ „Folgt dem geexten Bier!“ Folgt dem, diesem oder jenem. Alles Sandalen. Alles Stimmen aus einem Dornbusch, denen man nachfolgt.

Nun gut, künstlerische und religiöse Inspiration würde man eigentlich nicht als „Bierlaune“ abtun.

Aber wo ist der Unterschied?

Wie Wikipedia vermerkt, versteht man unter Inspiration „einen unerwarteten Einfall oder einen Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität.“

Sind die Entwicklungen, welche die Videos im Zeichen des „Neknomination“ durchlaufen, etwa nicht kreativ?

Immer ausgefeilter, ungewöhnlicher, die ursprüngliche Idee variierend, kreativ ausformend kommen die Videos daher. Nicht zu vergessen, die Videos, in denen sich die ursprüngliche Idee ablehnende Gedanken manifestieren. Also eine Art negative Inspiration. Die Bildsprache der Neknomination-Videos wird aufgegriffen, um das Trinkspiel zu kritisieren.

Also: Dem „unerwarteten Einfall“ folgen Taten, beim Trinkspiel wie auch im Bereich der Kunst oder Religion. Zunächst Taten der puren Nachahmung, noch nah an der ursprünglichen Idee. Dann wird die ursprüngliche Idee kreativ erweitert, es gibt Variationen. Vielleicht werden dann die einmal anfangs gegebenen Regeln anders interpretiert. Zum Teil bleibt als Anknüpfung nur noch die Symbolik der ursprünglichen Idee, die in einen ganz anderen Sinnzusammenhang transformiert wird.

Aus dem Trinkspiel wird ein Anti-Trinkspiel. Aus dem Roman der Romantik wird der Naturalismus, wird… Aus der Stimme des Dornbusch wird das Neue Testament.

Inspiration. Ein interessantes Thema. Weil es auch immer ein Thema ist, dass an herrschenden Meinungen hängt. Die herrschende Meinung sagt: Dieser Roman ist gut, er ist inspiriert! Die herrschende Meinung sagt: Dieses gehört zum Kanon, das aber zu den Apokryphen. Die herrschende Meinung sagt: Neknomination ist ein gefährlicher Ulk.

Und liegt die herrschende Meinung etwas nicht richtig?

Vielleicht ist Inspiration ja nicht nur ein interessantes Thema, sondern auch ein gefährliches?

Weil Inspiration ohne Verstand verpufft. Weil bei den meisten und meistens auf einen Moment der Inspiration nur ein „folgt der Sandale“ nachfolgt. Weil wir uns nicht klar machen, was uns in diesem Moment anrührt:

Daimon oder Dämon?

Lassen wir uns verführen, an der Nase herumführen? Rennen wir kopflos einem Trend hinterher? Ein Schaf unter anderen Schafen. Dem Gruppenzwang unterworfen. Leichtes Futter für alle, die die Sandale nur hoch genug halten, sie laut genug schwenken?

Oder erleben wir wahrhaft einen Moment, der unser Leben ändert? Ändert, weil wir einen tieferen Einblick in unsere Bestimmung, unseren Lebensweg, unser Schicksal, unsere Bedürfnisse gewonnen haben. Und nicht, weil die Folgen einer kopflosen „Folgt der Sandale“-Handlung gravierend sind?

Was inspiriert uns wirklich, wahrhaftig? Ich denke: es ist die Sehnsucht. Oder genauer: Was uns beseelt, is das Gefühl, einen Weg entdeckt zu haben, auf dem unsere Sehnsucht gestillt werden kann. Zum Beispiel: Die Sehnsucht danach, an etwas Besonderem teilzuhaben. Oder: Die Sehnsucht dazu zugehören. Die Sehnsucht, etwas Besonderes aus seinem Leben machen zu können. Etwas Besonderes erschaffen zu können. …

Und Menschen, die Sehnsucht in sich tragen, sind ebenso leicht verführbar wie sie zu Großem fähig sind.

Ob wir also ein Bier exen oder mit einem Roman beginnen – hier handelt unsere Sehnsucht. Und immer bleibt die Fragen: Wonach sehnen wir uns? Und: Ist es daimon oder ein Dämon, der uns hier die Hand führt?

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Schon drei habe ich überholt – aber ich vermisse meinen alten Freund

Lebe wohl alter Freund

Lebe wohl alter Freund

Es sprechen vernünftige Gründe für meine Entscheidung: Zum Beispiel mehr Licht. Was Goethe schon anmerkte, ist auf der Straße eine wirklich gute Sache, will man den Moment, den Goethe unmittelbar vor Augen hatte, doch möglichst auf Abstand halten.

Ja, mein neuer gebrauchter Roller hat nun eine vernünftige Beleuchtung. Nicht so stylische Tigeraugen wie meine alte Piaggio NRG, die nur cool aussahen, einen aber weder sehen lassen, was die Straße vor einem so alles an Überraschungen zu bieten hat, noch wirklich hilfreich dabei sind, gesehen zu werden. Bessere Bremsen. Ja, nicht zu verachten. Mein alter Freund schwächelte hier gegen Ende doch sehr. Zwang einen natürlich enorm, vorausschauend zu fahren, ist ja auch gut für die Konzentration – aber gleichwohl: Gut funktionierende Bremsen haben natürlich ihre Vorteile. Immer ist man ja auch nicht hundertprozentig konzentriert. Wobei ich sagen muss: Die Probe aufs Exempel habe ich seit dem Umstieg auf meinen neuen Gebrauchten noch nicht erlebt. Ist ja auch gut. Wenn ich nur an die vielen Male denken, bei denen ich mit meinem alten gebrauchten Roller unterwegs war und mir die Vorfahrt genommen wurde. Von Fahrradfahrern, Autofahrern, LKW-Fahrern. Und immer kam ich mit einer Mischung aus Bremsen und Gasgeben gut aus den prekären Situationen heraus.

Ja, apropos Gasgeben. Das war bei meiner alten NRG schon ein anderes Kaliber. Die reagierte prompt – und saftig. Da ging schon einiges, da konnte ich mich schon das eine oder andere Mal aus einer Gefahrensituation hinauskatapultieren (also wenigstens sprichwörtlich). Und erst am Berg… Von der Fähre hoch nach Konstanz hinein. Die Serpentine in Meersburg hinauf. Die letzte Steigung die Daisendorfer Straße hoch. Da ließ meine NRG alle anderen 50er hinter sich – und kaum je einmal sah sich ein Autofahrer genötigt, mich zu überholen.

Überholen, bzw. überholt werden. Also überholt werden mag ich gar nicht. Weil es auf den eben erwähnten Straßenabschnitten auch oft nicht gerade ohne Risiko ist. Meist Gegenverkehr. Und in solch einer Situation neigen Autofahrer, denen es zu langsam geht, dazu, nötigen Abstand nicht zu wahren. Fahrt mal mit einem Roller ganz rechts, vielleicht nah am Bordstein. Was da alles rumliegt. Von Gullis ganz zu schweigen. Und war das Licht meiner NRG auch nur eine Funzel, reagierten die Bremsen auch nicht so prompt (jedenfalls im letzten Herbst), so hielt sie mir die Autos und LKWs doch auf Abstand – hielten die sich doch meist hinter mir.

Das ist bei meinem neuer Gebrauchten anders. Suzuki. Solides Teil heißt es. Und für mein Budget sehr angemessen – vor allem angesichts dessen, dass die Reparatur meiner NRG den Kaufpreis meiner neuen Gebrauchten überschritten hätte (und das bei 18000 Kilometern weniger auf dem Tacho). Und wie gesagt: Gut leuchtend. Gut bremsend. Aber: Gerade am Berg kommt das Teil nicht recht vom Fleck. Gerade Strecke, Stadtfahrten in Konstanz – kein Problem. Da fließe ich so mit. Aber wehe die Strecke steigt an…

Nun gut, vielleicht ist noch nicht aller Steigung Abend. Die Suzuki war ein Stadtvehikel. Kaum gefahren von der Vorbesitzerin. Und wenn dann nur in der Stadt. Eine Garagenkarre für gelegentliche Ausflüge. Also genau das Gegenteil meiner Anforderungen. Aber wie heißt es so schön: „Wie der Herr so’s Gescherr“. Die Suzuki murrt, aber sie fügt sich. Vorbei die Zeiten, da es nur gelegentlich hinausging. Und mittlerweile strengt sie sich am Berg auch mehr an. Ich sage nur: schon drei andere 50er habe ich am Berg überholt – und das waren neuere Maschinen.

Wer weiß, vielleicht vermisse ich meinen alten Freund ja bald nicht mehr. Mehr Licht! – und irgendwann kann ich die vernünftigen Gründe wirklich schätzen.

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„Mein Patronus ist ein Schweinehund“ oder: Abräuchern und Klang-Diaphragma

Klangdiaphragma_Caisa

„Ja, da muss ich dich erst einmal abräuchern!“

Meine Liebste hat ein neues Lieblingswort – und das kommt immer dann zur Anwendung, wenn ich mich über etwas aufrege. Zum Beispiel darüber, dass ich mich darüber aufrege, dass ich mich aufrege. Herr, schmeiße Gelassenheit vom Himmel!

Früher habe ich Stress besser verpackt. Konnte abschalten. Zur Ruhe kommen. Doch diese Zeiten sind anscheinend vorbei, jedenfalls im Moment. Und deswegen: „Abräuchern!“ Sie sagt es und ich lächle. Und Lächeln ist immer gut, um Stress von sich abperlen zu lassen – wenn man nicht gerade ein „Goldenes Ei“ oder ein „Klang-Diaphragma“ zur Hand hat.

Youtube bildet. Wenn ich nur an meine Laptop-Reparaturen denke… Den Tutorials sei Dank! Auf ein Tutorial nicht elektrotechnischer, sondern emotionaltechnischer Art haben uns Freunde aufmerksam gemacht – und diesem Video sei Dank: Es reicht nur eine Erwähnung und ich lächle. Dabei habe ich die dort erwähnten Techniken noch gar nicht versucht, die pure Erinnerung lässt mich wohler fühlen. „Soll ich dich abräuchern?“ Ich sage „Klang-Diaphragma!“ – und wir lächeln beide.

Es haben sich schon beinahe 6000 Menschen besagtes Video angesehen – eine Menge, finde ich. Natürlich ein Klacks gegenüber dem Auftritt von Julia Engelmann. Obwohl es um das gleiche Thema geht: Ein selbstbestimmtes, befriedigendes, ja glückliches Leben zu führen. „Dieses Video könnte Ihr Leben ändern“, schrieb der Stern über Engelsmanns Youtube-Mitschnitt. „Spiritualität im Alltag – Leben aus der Herzkraft“, ist der Youtube-Videotipp unserer Freunde überschrieben. Hier wie dort geht es also um unser Seelenheil.

Und um dieses scheinen sich viele Menschen Gedanken zu machen. Würden sie sonst klicken? Und wieder klicken? Aber ob das hilft? Hier wie dort? Ich bin da eher skeptisch. Mal abgesehen davon, dass ich ein esoterisch Ungläubiger bin, wenigstens in dem Sinn, dass sich bei mir bei einem bestimmten Vokabular ganz automatisch ein „Goldenes Ei“ um mich materialisiert, dass mich hier gegen Einflüsse abschirmt. Ich weiß, dass ist ein Widerspruch. Gleichwohl: Wäre ich hier offener, wäre ich angesichts dieses als spirituelles Hilfsmittel benutzten Klangerzeugers, der im besagten 6000-Klicks Video vorgestellt wird, wohl nicht auf das Wort „Klang-Diaphragma“ gekommen. Vielleicht hätte ich dann auch den weißen Salbei besorgt, diesen angezündet und mich von meiner Liebsten „abräuchern“ lassen, um mich so von schädlichen Energien zureinigen. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut“ heißt es in einer Erzählung, dessen Titel und Autor ich hier nicht nennen muss. Ich habe mir das 6000-Klicks Video wohl zu sehr mit dem Kopf gesehen. Vielleicht ein Teil meines oben erwähnten Problems. Aber für mich sah das Instrument nun wirklich wie ein Diaphragma aus – und schützen sollte es auch mit seinen Klängen…. Nun gut, ich habe einen Knuff kassiert. Aber auch ein Lächeln – und Lächeln ist schließlich gut.

Noch besser wäre natürlich, und hier bin ich wohl ganz Materialist, den Arsch hochzukriegen. Denn als Materialist weiß ich, dass etwas nur dann rund läuft, wenn die einzelnen, am Prozess beteiligten Elemente miteinander im Gleichklang sind. Kurz: Meine Menschmaschine läuft nicht rund. Mein Hirn läuft, mein Herz läuft – aber mein Körper läuft hinterher.

Früher, ganz früher, da war ich mehr auf den Beinen. Hab gar Sport getrieben. Selbst meine Jobs waren gut für meine körperliche Fitness. Was bin ich nicht als Kellner gelaufen. Als Möbelpacker oder beim Paketservice habe ich so einige Gewichte gestemmt. Und heute? Den ganzen Tag am Schreibtisch. Jetzt am Schreibtisch… Seit Jahren, Tag um Tag.

Es ist ein Gemeinplatz, dass es vielen Menschen so geht. Immer schon so erging. Wäre es anders, hätte sich ein kluger Mensch nicht schon in der Antike den einprägsamen Hinweis einfallen lassen „Mens sana in corpore sano“, um den trägeren Mitmenschen auf die Sprünge zu helfen, endlich ein vollständiges Leben, ein Leben im Gleichgewicht mit sich selbst zu führen. Wobei ich hier noch das Herz ergänzen würde, jedenfalls als den symbolischen Sitz der Gefühle. Heilige Dreifaltigkeit sage ich esoterisch Ungläubiger nur.

Heute sah ich, als ich nach der Arbeit meinen Roller antrat, einen Werbespruch auf einem Auto, das auf dem Parkplatz stand. Es ging um einen Drink, der eine bessere „Brain und Body Perfomance“ versprach. Aber ich bin nicht nur esoterisch, sondern auch isotonisch ungläubig. Das wäre ja auch zu einfach. Da bin ich ganz das Kind meiner Eltern. Seelenheil hat etwas mit Arbeit zu tun. Dabei bin ich katholisch und nicht protestantisch aufgewachsen. Nun gut, sei es drum. Letztlich läuft es für mich darauf hinaus, den Arsch hochzukriegen. Wieder mehr für meinen Körper zu tun. Da hilft kein Drink, kein brennender weißer Salbei, kein Klick auf Julia Engelsmanns Youtube-Clip.

Apropos: „Mein Patronus ist ein Schweinehund!“, dieser Satz aus Engelmanns Text gefiel unserer Jüngsten sehr. Sie mag die Romane von Rowling. Ich bin mir sicher, dass sie, sobald mal wieder das Thema „Ich sollte aufräumen, aber mir kam etwas Wichtigeres dazwischen“ ansteht, lächelnd erwidern wird: „Mein Patronus ist ein Schweinehund!“ Und ich werde – hoffentlich gerade auf dem Weg zum Sport – lächelnd entgegen: „Da muss ich dich wohl mal abräuchern!“

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Quelle für das Foto der Caisa

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Nicht mehr in die Röhre gucken – wieder über Sex schreiben können…

Endlich kann ich wieder über Sex schreiben oder, wenn ich denn je auf diese Idee komme, über Xavier Naidoo.

Gebraucht_Neu
Gebraucht – ein Wort, dass mich seit dem Auszug bei meinen Eltern begleitet. Was habe ich nicht alles mitgenommen. Einen gebrauchten Herd, einen Kühlschrank, die Kaffeemühle… Und nicht zu vergessen, die schönen alten Küchenutensilien meiner Oma, die ich in einem alten Schrank ausgegraben hatte. Der Quirl, das Besteck, der Suppenschöpflöffel, alles mit Holzgriff. Fein – und auch heute noch in Gebrauch. Gebraucht – ein Gedanke, der altmodisch ist und dennoch in seiner Nachhaltigkeit topaktuell.

Altmodisch: Weil doch heutzutage alles neu sein muss. Denn Neu!, das heißt doch: Gut!
Nachhaltig: Weil vieles auf dem Müll landen würde, wenn ein anderer es nicht im gebrauchten Zustand in Gebrauch nehmen würde.

Jemand, wie ich zum Beispiel. Blicke ich in meinem Arbeitszimmer herum, dann sehe ich viele gebrauchte Gegenstände. Der Tisch, an dem ich gerade sitze. Das Regal zu meiner Linken, bestehend als alten Brettern und Weinkisten. Alles erzählt eine Geschichte. Dort und dort besorgt. Von dem oder der geschenkt bekommen. Mitgenommen aus meiner ersten Wohnung, meiner zweiten, mit mir von Wuppertal an den Bodensee umgezogen… Der Schrank in meinem Rücken zum Beispiel. Der stammt aus der Auflösung eines Büros in Wuppertal. Wie viele Möbel haben wir nicht damals, als ich mir am Wochenende einen Teil meiner Miete als Möbelpacker verdiente, diverse Treppen hinunter geschleppt, sie in den 7,5 Tonner gewuchtet, nur um sie, weil sich kein Abnehmer fand, zur Müllverbrennungsanlage zu karren. Aber nicht diesen schönen, alten Dokumentenschrank mit variabler Fächereinteilung. Ein schweres Teil, dass mich schon einige Umzüge begleitet hat. Ideal, um meine CDs aufzunehmen.

Nun gut, die CDs. Die sind nicht gebraucht. Auch nicht die Tastatur, auf der ich gerade tippe. Oder der Computerbildschirm, auf den ich gerade sehe. Der Stuhl, auf dem ich sitze… Manchmal ist neu! eben doch gut! Weil neu bei CDs zum Beispiel bedeutet, die CD in einer Verpackung zu erhalten und es ein Teil des Ritual ist, diese Verpackung abzureißen, diesen speziellen Geruch neuer CDs wahrzunehmen, bevor die CD in den Player geschoben wird, das Booklet in die Hand genommen wird, dessen Seiten, weil frisch aus der Druckerei, manchmal noch aneinander haften. Erinnert sich noch jemand an diesen ganz eigenen Geruch der alten Drei??? Bücher? Was habe ich als Kind doch dem neuesten Band entgegen gefiebert. Und dann, wenn ich genug gespart hatte, bin ich in den Buchladen – und habe mir die Neuerscheinung gekauft. Sie nach Hause getragen, aus ihrer Plastikhülle befreit – und dann begleitet von diesem ganz eigenen Geruch bin ich in der Welt von Justus, Peter und Bob verschwunden.

Ja, manchmal ist neu eben doch gut. Weil eben manches, auch wenn es viele Geschichten zu erzählen gäbe, eben doch so sehr gebraucht war, dass es unbrauchbar wurde. Und diese Erfahrung mache ich schweren Herzen – auch wenn man sein Herz ja eigentlich nicht an Dinge hängen soll. Aber gleichwohl. Ich finde es falsch, nicht um die Dinge, die einen begleitet haben, zu kämpfen. Sie bei den ersten Anzeichen von Gebrauchsspuren aufzugeben. Zu schnell nach etwas Neuem Aussicht zu halten…

Mein alter Laptop zum Beispiel. Gebraucht gekauft. Weil: Das Geld. Weil: Ich schon schon lange einen Thinkpad haben wollte. Mit rotem TrackPoint. Weil ich Wert auf eine gute Tastatur lege. Und so habe ich mir vor Jahren meinen T42 zugelegt. Ein treuer Gefährte. Daheim. Unterwegs. Bis sich an der Tastatur Verschleißerscheinungen bemerkbar machten: Die X-Taste funktionierte nicht mehr. Und die x-Taste brauchte ich. Schrieb ich doch an einer Geschichte, in der es nicht nur häufiger um Sex ging, sondern in der dieses Wort auch öfter auftauchte, auftauchen sollte, weil die Dialoge keine Umschreibung zuließen. Also habe ich eine Office-Datei angelegt, in die ich ein x und ein X hineinkopiert habe, um den kleinen und den großen Buchstaben bei Bedarf aus der Datei herauszukopieren – also vor allem das kleine x. Das war natürlich auf Dauer zu umständlich. Also recherchiert und die Tastaturbelegung geändert. Wer braucht schon ein Y? Nun auch das braucht man manchmal. Und so habe ich mich dazu durchgerungen eine neue Tastatur für meinen alten Laptop zu erwerben, den Schraubenzieher in die Hand zu nehmen (was bei meinem technischen Geschick einiges heißt) und die Tastatur auszutauschen. Und siehe da, es funktionierte. Was war ich froh und stolz: Ich hatte es gerichtet und endlich konnte ich wieder ohne umständliche Umwege über Sex schreiben oder, wenn ich denn gewollte hätte, über Xavier Naidoo. Endlich waren wieder ohne Mühe so schöne Sätze wie „Das war ein Satz mit X“ möglich…

Nur leider war dies „ein Satz mit x“, denn die Freude währte nicht lange. Manchmal ist lange gebraucht eben doch unbrauchbar. Plötzlich machte mein Thinkpad Geräusche, die er nicht machen sollte. Der Lüfter, die Festplatte. Dann gab der Monitor seinen Geist auf – glücklicherweise erst nachdem ich ein komplettes Backup gemacht hatte. Und so schreibe ich die Zeilen auf einer neuen Tastatur, verbunden mit einem neuen PC, der seine Daten auf einen neuen Bildschirm ausgibt – und ich genieße es. Manchmal ist neu eben doch gut!

Wobei dieses Neue eben auch eine Geschichte hat. Zum Beispiel die gerade erzählte. Dies scheint mir wichtig zu sein. Gerade in Zeiten, in denen wir leben, und an dem Ort, an dem wir leben und uns soviel mehr leisten können, als andere Menschen in anderen Umständen. Denn was liegt einem schon am Herzen, wenn es keine Geschichte zu erzählen hat? Wenn in einem Gegenstand, den man gebraucht oder neu erworben hat, nicht eine Erinnerung mitschwingt, die diesen Gegenstand mit unserem Leben verbindet?

Man soll sein Herz ja nicht an Dinge hängen, heißt es. Aber Erinnerungen an Dinge hängen, ist etwas anderes, finde ich. Das haben schon die alten Griechen gewusst mit ihrer Gedächtnistechnik, der Topik. Topos heißt „Ort“, „Stelle“, und die Gedächtnislehre beruht auf der Erfahrung, dass wir uns Dinge besser merken können, wenn wir sie in Gedanken mit Stellen verbinden, die uns vertraut sind. Kurz: Wir erzählen uns eine Geschichte, um uns etwas zu merken. Etwa eine Geschichte der abendlichen Heimkehr nach dem Arbeiten. Ich parke vor dem Haus mein Auto (Stelle 1) und sehe in dem Moment, da ich die Scheinwerfer ausschalte einen Pinguin über die Straße hüpfen. Ich wundere mich, steige aus, gehe zur Haustür, an die (Stelle 2) jemand einen weißen Schleier genagelt hat. Ich schließe auf und trete beinahe im Hausflur (Stelle 3) in eine Bratpfanne voller Bratfett. Und um sicher zu gehen, falls mir bis hierher noch nicht eingefallen ist, was ich mir merken wollte, sind auf der Treppe zur Wohnungstür Rosenblätter verstreut. Und Heureka! Ich trete dieses Mal nicht ins Fettnäpfchen, ich erinnere mich daran, dass ich mich damals über die Nonne lustig gemacht habe, die dem Pfarrer assistierte, und wie wenig dies meiner Frau gefallen hat… Und so kehre ich um, fahre schnell zur Tanke, um, wenn es sie denn zu kaufen gibt, Rosen zu besorgen. Denn heute ist Hochzeitstag!

Nun, die alten Griechen habe diese Technik natürlich wesentlich ausgefeilter ausgeübt. Aber im Kern sollte klar geworden sein, um was es geht. Was uns täglich umgibt, jedes Ding in unserer Nähe, sorgt dafür, dass wir uns in einer Welt bewegen, die voll mit Erinnerungen ist. Und Dinge, die wir länger im Gebrauch haben, haben mehr zu erzählen.

Nachhaltigkeit hat also für mich etwas mit der Lust, dem Bedürfnis zu tun, aus seinem Leben eine kohärente Geschichte zu machen. Keine pure Aneinanderreihung von willkürlichen Akten. So gedacht ist Nachhaltigkeit in ihrer Aktualität ein sehr altmodischer Gedanke: Denn am Anfang war das Wort – und das war bei dem, der mit der ersten großen Geschichte begann. Und so schuf er etwas Neues, die Welt. Und er schuf den Menschen, um durch dessen Gebrauch der Welt selbst zur Geschichte zu werden.

Apropos Anfang… Jetzt gegen Ende meiner Überlegungen möchte ich doch noch einmal auf den Titel meines Beitrags zurückkommen: Wir gucken nicht mehr in die Röhre.

Jahrelang haben wir über ein betagtes, höllenschweres Röhrengerät ferngesehen. Auch wenn der Fernseher mittlerweile gewisse Ermüdungserscheinungen zeigte, so dauerte es manchmal ein paar Minuten, bis aus der schwarzen Röhre allmählich ein Bild entstand, tat er im Großen und Ganzen, was er tun sollte. Also war ein neuer Fernseher nötig?

Nein, er war nicht nötig. Wir brauchten nicht unbedingt einen Neuen – aber wir hatten Lust darauf. Und es gehört zu meiner Geschichte, mich darüber freuen zu können, in einem gewissen wohl dosierten Rahmen dieser Lust auf etwas Neues auch nachkommen zu können. Also: LED. Flach. Viel größerer Bildschirm. Und ich kann doch tatsächlich vom Sofa aus die Schrift im Videotext lesen. Manchmal ist neu eben doch gut. Wie wir den gebrauchten, höllenschweren Röhrenfernseher auf den Dachboden geschleppt haben – nun, das ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte, die vielleicht eines Tages jemand anderer erzählen wird.

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Ich habe es getan – und dann versäumt, es auf Facebook zu posten! Wie konnte ich nur?

Geloescht_Facebook
Ich denke, als bin ich (so die Vernunftoptimisten). Ich lenke, also bin ich (die Automobilisten). Ich fühle, also bin ich (die Innerlichsten) – ich poste, also bin ich (die Social-Medialisten)…

Versäumt. Einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist: Also vor allem im Gesichtssinn. Die Welt mit Augen lesen. Kurz: Facebook.

Dabei gibt es sogar Fotos. Aber nein. Das ist zu privat – hieß es. Wurde mir gesagt. Aber dabei weiß man doch: „privat“ kommt von „privare“, und das bedeutet „berauben“.

Kurz: Dadurch, dass ich es nicht gepostet habe, habe ich mich der Möglichkeit beraubt, zu begreifen, was ich da eigentlich getan habe. Mehr noch: Ich habe alle beraubt – der Welt einen wichtigen Moment vorenthalten…

Die Quittung folgte auf dem Fuße: 2013 – Sieh dir deinen Jahresrückblick für 2013 an. Sieh dir deine 20 wichtigsten Momente des vergangenen Jahres an. Und? Nichts und. Woher auch. Plötzlich regte sich mein schlechtes Gewissen: Warum habe ich nur auf die Stimmen gehört, die da sagten „Poste es nicht“?

Vielleicht war ich mir einfach nicht sicher genug? Es hätte nur wenige Mausklicks benötigt, um diesen wichtigen Moment des Jahres sichtbar zu machen. Und ich habe es nicht getan.

Viele Likes, Kommentare, „Teilen“-Klicks – keine Likes, keine Kommentare, niemand teilt meine Tat. Angesichts solcher Optionen muss man sich natürlich sicher sein, etwas zu posten. Dahinter stehen, egal wie die Reaktionen ausfallen.

Stand ich also nicht hinter meiner Tat? Scheute ich mich davor zu begreifen, was sie für mein Leben bedeutet?

Da fällt mir eine Szene aus dem „13 Krieger“ mit Antonio Banderas ein: Wikinger kommen mit einem Boot an. Ein Junge steigt aus und wartet vor einem Haus im Sonnenlicht darauf, hineingebeten zu werden. Und warum wartet er: Weil er den Menschen im Haus erst die Möglichkeit einräumen will, zu erkennen, dass er wirklich ist. Wirklich ist also nur, was im Sonnenlicht der Öffentlichkeit geschieht.

Ja, das Licht der Öffentlichkeit… Wie konnte ich nur so blind sein! Jetzt sehe ich es ein: Ich scheute es, weil ich insgeheim hoffte, meine Tat sei nicht real. Ich stand nicht hinter meiner Tat und hörte deswegen nur zu gern auf die Stimmen, die da mahnten „Das ist zu privat“.

Dabei haben schon die alten Griechen gesagt: Der Mensch muss das Private verlassen. Denn im Privaten, im Oikos, dem Haushalt, da gibt es keine Freiheit. Nur in der Öffentlichkeit ist die Verwirklichung von Freiheit möglich…

Und ich nutze meine Freiheit nicht, weil ich zweifle? Wie konnte ich nur!

Ja, wie konnte ich nur so blind und unfrei sein. Mich abhängig machen von meinen Zweifeln! Stehe ich hinter meiner Tat oder nicht? Egal! Ich habe es getan, also gehört es gepostet. Punkt.

Also raus aus dem stillen Kämmerchen. Sich dem Urteil der Gemeinschaft stellen. Sichtbar werden. Nur in der Öffentlichkeit ist die Verwirklichung von Freiheit möglich. Klick. Nur was im Sonnenlicht der Öffentlichkeit geschieht, ist wirklich. Klick. Ich poste, also bin.

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Cyber-Angriffe – oder: Eigentlich wollte ich über Vampire schreiben…

Cyber-Angriff
Endlich brach die Sonne durch den Nebel über dem Bodensee, das nachmittägliche Licht fiel durch das Fenster auf meinen Schreibtisch, auf dem einige Notizen zu meinem neuen Roman auf mich warteten. Ich fuhr meinen Rechner hoch, startete meine Textverarbeitung, öffnete den Ordner „Roman_3_Midlife_Crises_Vampir_Roman“. Doch bevor ich am aktuellen Kapitel weiterarbeiten würde, wollte ich mich noch um meinen Blog kümmern und einen neuen, am Vortag geschriebenen Artikel posten – da alles vorbereitet war, eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Dachte ich.

Ich startete Firefox. Öffnete die Einlog-Seite zu meinem Blog – und eine Fehlermeldung erschien auf weißem Hintergrund: „Seite nicht erreichbar“. Ich versuchte es wieder, und erneut war die gewohnte Seite, um mich bei meinem Blog-Adminbereich einzuloggen, nicht erreichbar. Das war ärgerlich, aber beunruhigte mich in den ersten Minuten noch nicht. Hole ich mir erst einmal einen Kaffee. Nur ein kleines technisches Problem bei meinem Anbieter. Schnell behoben. Manchmal sind ja auch Internetseiten kurzzeitig nicht erreichbar. Zweimal in die Sonne zwinkern, Seite erneut aufrufen und es klappt. Es klappte nicht. „Seite nicht erreichbar“, auch nach einem weiteren Kaffee.

Jetzt war ich beunruhigt.

Ich versuchte einen anderen Browser. Das gleiche unbefriedigende Ergebnis. Ich loggte mich in mein Wordpress.com-Konto ein, versuchte auf diesem Weg, den Admin-Bereich meines Blogs zu erreichen. Zwecklos. In diesen Momenten war nicht daran zu denken, an meinem Roman weiterzuarbeiten, „Seite nicht erreichbar“ nahm meine Gedanken ganz ein – und eine unschöne Erfahrung begann sich in den Vordergrund zu drängen:

„Sehr geehrte(r) Besucher(in), leider kam es kürzlich zu einem gezielten Cyber-Angriff auf die Forensoftware der eBook-Gemeinde.

Dieses Forum wurde ehrenamtlich betrieben. Aus mangelnden zeitlichen und finanziellen Mitteln für die Wiederherstellung des Forums und Identifizierung vorhandener Sicherheitslücken muss das Forum leider geschlossen werden.

Das Team der eBook-Gemeinde bedankt sich für Ihr Verständnis.“

Diese Nachricht vom vergangenen Herbst hat mich geschockt. Weil ich mir nur im Ansatz vorstellen konnte, wie viel Arbeit es gekostet haben muss, dieses Forum aufzubauen – und diese Arbeit war nun zunichte gemacht worden. Weil der Schritt, das Forum komplett dicht zu machen, radikal war – und ich bis dato noch nie von so einem Schritt gehört hatte. Vor allem aber auch, weil mir mein liebstes Marketinginstrument nun genommen worden war.

Ich war sehr froh gewesen, dass ich im weltweiten Netz für mich mit der eBook-Gemeinde die ideale Anlaufstation für meine Social Media-Aktivitäten als Autor gefunden hatte. Ein gut besuchtes Forum (über 13.000 Besucher im Monat), einfach zu bedienen, übersichtlich – und ein Interesse meiner Arbeit gegenüber, das mich sehr glücklich machte. So konnte ich mich neben den hohen Anklickraten meiner geposteten Neuigkeiten, Blogeinträge, Aktionen, über schnell steigende Besucherzahlen auf meinem Profil freuen. Die Berücksichtigung meiner eBooks bei den Buchtipps, eine Interview-Anfrage taten ihr Übriges, dass ich mich bei der eBook-Gemeinde sehr wohl fühlte. Ich erreichte wesentlich mehr Leserinnen und Leser, ein Vielfaches mehr als auf allen anderen Kanälen.

Dann eines Abends, ich wollte mich in mein Profil einloggen, die schockierende Nachricht: „Leider gibt es die eBook-Gemeinde nicht mehr…“ Also gab es auch meine Postings nicht mehr, meine Antworten auf andere Beiträge, meine Leseproben, Buchtipps, das Interview mit mir – alles weg. Mein bis dato bestes Marketinginstrument – weg.

Weg. Und aufgrund dieser Erfahrung war ich, während mittlerweile die spätnachmittägliche Sonne durchs Fenster schien, bei der Mitteilung „Seite nicht erreichbar“ schließlich sehr beunruhigt. Deswegen gab ich in die Suchzeile von Google den Namen meines Providers und die Wörter „Wordpress“ und „Cyberangriff“ ein – und „Holla die Waldfee!“: Mehrere Angriffswellen auf die Server allein im Jahr 2013, nicht nur bei meinem Anbieter, sondern vielen großen Providern. Das war mir nicht bewusst gewesen.

Und lag da der Hase im Pfeffer? Ja, es war ein aktueller Cyber-Angriff auf die Server meines Providers, wie ich dann am Telefon erfuhr. Aufgrund der sofort eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen seien alle Admin-Oberflächen von Wordpress, Joomla, etc. vorübergehend nicht erreichbar. Das Problem sei aber bald gelöst. Das empfand ich als beruhigend: Denn dafür ist ja ein Provider mit seinem ganzen Know-How da, dass er auch solche Probleme löst. Zudem würde ich meinen Blog bald wieder erreichen können. Das empfand ich als beunruhigend: So viele Möglichkeiten das Internet für Autoren, gerade auch für Indie-Autoren, bietet, so viele Gefahren lauern auch. Gefahren, gegen die Spam-Kommentare und illegal zum Download angebotene eBooks ein Klacks sind. Gefahren, die einen vom Schreiben abhalten. Das Internet ist voll von Blutsaugern. Und so hat man sich um solche Dinge wie die Impressumspflicht zu kümmern. Man muss sich mit solchen Sachen wie Double-Opt-In beschäftigen. Beschäftigt sich viele Stunden mit Sicherheit im Internet und lernt so schöne Sachen wie .htaccess etc. kennen.

Und so postete ich, nachdem die Einlog-Seite meines Blogs wieder erreichbar war, erst einmal nicht meinen neuen Beitrag, schrieb auch nicht weiter an meinem Roman, sondern änderte zum zweiten Mal (zum ersten Mal bei Einrichtung meines Blogs) meinen User-Namen und mein Passwort. Überprüfte noch einmal anhand von einschlägigen Tipps einer der unzähligen Seiten zu diesem Thema meine Sicherheitsstandards.

Also schrieb ich die ersten Zeilen dieses Tages erst lange nachdem die Sonne über dem Bodensee untergegangen war. Was zur Hölle? Die Fensterscheibe unseres Schlafzimmers explodierte förmlich, ein Riesenradau. Und nur einen Wimpernschlag später schwang er sich bereits durch das zerbrochene Fenster hinein. Ein ausgewachsener Vampir in all seiner nackten, unverstellten Grässlichkeit.

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