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Und täglich grüßt der Laubbläser

Laubblaeser
Unglaublich: Ich höre Phil Collins. Über den Kopfhörer. Weil seine Stimme so beruhigend dahin plätschert, weil die Stücke so harmonisch sind. Und wer mich kennt, weiß: PHIL COLLINS! PUH! Obwohl: Und …Then there were three hat mir damals sogar gefallen. Vielleicht aus einem ähnlichen Grund, vielleicht weil ich mich damals auch nach Ruhe sehnte – und diese nur mit Musik zu haben war.

Lärm. Kennt jemand Rilkes Episode aus dem „Malte Laurids Brigge“, von diesem Wesen, das einem in die Gehörgänge kriecht, einen nicht mehr loslässt, schleicht es sich doch durch die Mauern des Hauses in das eigene Leben ein, ohne dass man sich dagegen wehren könnte?

Dieses Wesen ist der Nachbar. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben… wenn es bei Aldi, Lidl, Norma etc. wieder einmal Laubbläser im Angebot hat.

Meine Nerven vibrieren wohl noch immer nach. Dabei liegt das Wochenende noch nicht lange zurück. Ach, Wochenende. Luft holen. Durchatmen. Den Stress der Arbeitswoche hinter sich lassen. Ja, vielleicht sogar einmal ausschlafen… Ach, die lieben Nachbarn. Liegt Samstagmorgens um 9 Uhr das Laub vielleicht besonders günstig? Ist es die Romantik des sich lichtenden Herbstnebels, die den feschen Gartenfreund, sein von der Morgenfeuchte lockiges Haar zurückstreifend, nach seinem Laubbläser greifen lässt? Das kernige Epos des zupackenden Kerls, welches nur unter einer gewissen Geräuschentwicklung gedeihen kann? Da ein paar Äste am Busch, die nicht wie gewollt wachsen: Heraus aus dem Fundus die Elektrobaumschere! Hier am Rasenrand einige Büschel, welche die Harmonie stören: Der Elektrorasentrimmer wird es richten!

Wie auch immer: Samstags um 9 Uhr habe ich keinen Sinn für derlei Anwandlungen kerniger Elektro-Egomanie. Vielleicht wäre ich gnädiger, wenn nicht Donnerstag und Freitag die Gartenanlagenprofis rund um das Bürogebäude, in dem ich arbeite, bereits ihre Laubbläser angeworfen hätten (die, wie ich anhand der durch Dezibel dokumentieren Power erkenne, nicht aus dem Discounter stammen). Ist der Besen eigentlich ausgestorben? Kaum befinden sich 2 Blätter auf dem Boden wird die Krachpuste angeworfen.

Lärm. Huhn oder Ei? Was bedingt was? Würde ich unempfindlicher in die Woche gehen, wenn das Wochenende weniger geräuschhaft gewesen wäre? Oder würde ich das Wochenende weniger lärmig empfinden, wenn meine Wochentage ruhiger wären?

Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit: Kaum hat die Fähre über den Bodensee in Meersburg ablegt und ein leises Rütteln das beschleunigende Schiff erfasst, beginnt die Alarmanlage des Audi neben mir zu kreischen. Vielleicht ist der Fahrer auf der Toilette im Schiffsrumpf und hört den Ruf seines Autos nicht, jedenfalls es piepst, fiept, kreischt die Alarmanlage, aktiviert durch das sanfte Schaukeln der Fähre. Wie empfindlich doch die Technik heute ist. Und wie ich empfindlich ich doch heute bin. Huhn oder Ei? Einerlei. Wenn die Telefone auf der Arbeit ständig klingeln, treten solch philosophische Fragestellungen in den Hintergrund. Habe ich schon erwähnt, dass ich in einem Großraumbüro arbeite? Irgendeiner hat immer was zu melden. Irgendein Telefon klingelt immer. Kein Wunder, dass sich so mancher Kollege unter Kopfhörer flüchtet. Nur… Muss diese Flucht begleitet sein mit rhythmischem Treten im Takt der Musik gegen den Tisch? Bumms bumms bumms. Da kommen einem schon einmal Gedanken, den Kopf desjenigen zu packen und rhythmisch auf den Tisch zu hämmern.

Gott sei Dank ist Montag. Montags kommen normalerweise nicht die Gartenanlagenprofis mit ihren Laubbläsern. So gelingt es, sich zusammenzureißen. Aber wo kommt jetzt dieses Hämmern her? Es ist ein großes Gebäude, in dem wir arbeiten, irgendwo wird immer etwas gerichtet. Kein Wunder, dass sich meine Kollegen unter Kopfhörer flüchten. Bumms Bumms Bumms. Ach die Gnade der Ignoranz. Dass es gelingt, das klingende Telefon zu ignorieren, weil man sich in den selbstgeschaffenen Lärm flüchtet. Eigentlich beneidenswert. Ich empfinde diese Gnade nicht. Huhn oder Ei? Vielleicht war auch bei dem Kollegen am Samstag ein kerniger Nachbar mit dem Laubbläser unterwegs? Vielleicht erschafft sich auch jeder Laubbläser seine eigene kleine Welt? Eine Oase des selbstgeschaffenen Lärm inmitten von fremdbestimmten Geräuschen…

Täglich grüßt der Laubbläser… vielleicht ist es einfach die ewige Wiederkehr des auditiven Kampfes um die eigene Ruhe. Huhn oder Ei? Einerlei. Ich lärme also bin ich….

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Ich alter Sack und die AfD

Selbst unter Tage – also sogar in der alten Wohnung einer guten Freundin, die im Keller eines Mehrfamilienhauses lag (blickte ich aus einem der Fenster, dann waren meine Augen auf Grasnaben-Niveau. Blickte sie aus dem Fenster, dann sah sie gewissermaßen das Gras von unten wachsen). – Also selbst an einem solchen Ort, an dem es nur selten einen Handyempfang gab, an dem das Sonnenlicht nur für Minuten durch die Kellerfenster schien und Radiosender, die auch schon einmal gute Musik spielten, wie SWR3 oder Antenne Bayern, nur ein Rauschen und Knistern von weit weit weg waren – ja, selbst dort war der regionale Radiosender zu empfangen. Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Und auf Schlager festgelegt.

Als noch eine 19 vorne stand

Radio Seefunk, so sage ich mal, war ein Sender der seine Zielgruppe in den über 50jährigen sah. Gerne auch noch älter. Und viel älter. In der  Zeit, von der ich jetzt spreche, schreiben wir noch eine 19 vorne. Die Generation, die der Sender ansprach, hatte den Blauen Bock, Ernst Mosch, Dieter Thomas Hecks Hitparade in den 70igern bei vollem Bewusstsein, freiwillig als Erwachsene erlebt (und nicht wie ich als hilfloses Kind, das, um überhaupt ein wenig fernzusehen, einfach mit noch unfertigem Hirn dabei saß und hilflos Melodien ausgeliefert war, die es nie mehr vergessen sollte).

Der Sender war also, um es klar zu sagen, in meiner damaligen Perspektive was für alte Säcke. Ein Faktotum, weil er selbst Six feed under zu empfangen war. Aber ein No go. War ich bei einem meiner Studentenjobs damals unterwegs und wurde das Radio aufgestellt – und es gab nichts anderes als Radio Seefunk –, dann ließen wir das Radio aus. Ja, so war das damals. Als noch eine 19 vorne stand. Und heute?

Der Mainstream meiner Generation

Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Selbst unter der Tage – ja, das gilt noch heute für den Sender, aber er spielt keinen Schlager mehr. Er hat sich ein „Neu“ vor seinen Namen gesetzt. Und was er spielt, ist so ziemlich die Setlist, die läuft, wenn wir Party feiern. Eine Mischung aus „Kennen alle“ und „Tut keinem weh“ (meine Metal-Platten und dramatischen Prog-Alben und Trällerelsen-Metall-Opern spiele ich da lieber nicht): Es läuft also Queen, die Best of, rauf und runter, 80iger Jahre Rock von Journey bis Blondie, dazu jede Menge 80iger Pop (Visage und so ein Zeug, ja Spandau Balllet Goooooolddd , puh), 70iger Jahre Perlen wie Earth Wind & Fire, Led Zeppelin, The Doors und Supertramp. Und immer wieder Michael Jackson. Kurz: Es läuft der Mainstream meiner Generation. Der Generation, die in den 70igern Kind war – und jetzt in die Zielgruppe des Senders hineingewachsen, hineingealtert ist. Ich bin zu einem der alten Säcke geworden. Heute, da schon eine Weile die 20 vorne steht.

Der Soundtrack eines alten Sacks

Und ich alter Sack habe das Neue Radio Seefunk oft gehört. Beim Pendeln im Auto zur Arbeit, auch daheim, „Alexa, spiel das Neue Radio Seefunk“. Queen geht immer. Und vielleicht bin ich auch ruhiger geworden und der Mainstream läuft mir deswegen gut rein (wobei: bei Journey erinnere ich mich an meine Hochzeit, und die war nicht Mainstream, und beim Nordic Walking läuft schon eher Metal und Drama und Prog …) – jedenfalls: Radio Seefunk gehörte zum Soundtrack meines Alltags. Ich alter Sack. Selbst wenn wir Besuch hatten, ließ ich den Sender manchmal laufen – obwohl wir keine Kellerwohnung haben, jeder Radiosender über DAB klar reinkommt und Alexa alles spielt, was wir wollen.

Und dann kurz vor der Landtagswahl 2021 in BaWü sendete Radio Seefunk einen Wahlwerbespot der AfD. Vielleicht weil gedacht wird, dass so ein alter Sack wie ich zur Zielgruppe gehöre. Aber das fand ich wirklich unterirdisch. Seitdem habe ich den Sender nicht mehr gehört. Habe ihn für mich begraben. Six feed under. Und dort ist für mich kein Empfang. Manchmal muss einfach ausgeschaltet werden. Gerade von einem alten Sack, der in diesem Punkt hofft, zum Mainstream zu gehören.

 

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Post von der Bundesregierung – eine schöne Maskerade

Corona, Masken, Bundesregierung, Krankenkasse, EW Responsemarketing e.K, BriefHabe heute Post bekommen, von der EW Response Marketing e.K. (deren Webseite übrigens nahezu blank ist, noch nicht einmal ein Impressum, Stand 6.2.2021), dachte, Werbung. Mitnichten. Ein Brief meiner Bundesregierung. Die mir mitteilt, dass sie meine Krankenkasse gebeten hat (tatsächlich das Wort, gebeten), mir dieses Schreiben zu schicken.

Gebeten … wie ist das wohl gelaufen?

Haben sich die Damen und Herren meiner Bundesregierung hingesetzt (also symbolisch, faktisch dann wohl die angestellten Damen und Herren in der Kommunikationsabteilung oder so) und haben die Krankenkasse angeschrieben: „Bitte schaut doch einmal in euren Unterlagen nach, wer von euren Leuten ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlauf bei einer Infektion mit Corona hat – und dem schreibt ihr dann bitte eine netten Brief (gerne formulieren den unsere Spezialisten für euch vor) und zusammen mit dem Brief schickt ihr bitte zwei Berechtigungsscheine für den Erhalt von Masken mit. Die beiden Scheine schicken wir euch dann auch noch …“

Ist das so in der Art gelaufen? Gebeten … Und haben einige Krankenkassen gesagt „Danke, aber nein!“?

Meine Krankenkasse hat wohl Ja! gesagt. Und dann hat meine Krankenkasse die Marketing-Agentur beauftragt, dieser Bitte nachzukommen. Also waren meine Bundesregierung, meine Krankenkasse und die Agentur damit beschäftigt, mir diese beiden Berechtigungsscheine zukommen zu lassen.

Aber die hat hübsche Wasserzeichen!

Bundesdruckerei, Berechtigungsschein für 6 Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung, WasserzeichenZwei amtliche, höchst offizielle Scheine mit hübschen Wasserzeichen (die wurden nämlich in der Bundesdruckerei gedruckt) für insgesamt 12 Schutzmasken, die ich mir für insgesamt 4 Euro Eigenbeteiligung in einer Apotheke abholen kann.

Also da fühle ich mich doch wirklich umfassend gut betreut. Und ich denke, für eine so wichtige Sache wie die 12 Masken kann ich mir eventuelle Gedanken zum Datenschutz auch sparen (die mache ich mir dann lieber bei einer so unwichtigen Angelegenheit wie dem Nachverfolgen von Infektionsketten (nein, Alexa, ich möchte keine Angebote für Ketten zum Valentinstag ansehen …).

Jedenfalls für 12 Masken (danke Alexa, aha, 20 Masken und Prime Lieferung 19,90 Euro, interessant*) – für 12 Masken für mich persönlich sind meine Regierung, meine Krankenkasse, eine Marketing-Agentur, die Bundesdruckerei und eine Apotheke meines Vertrauens mit im Boot.

Ach ja, ich habe den Zusteller vergessen. Puh. Und beinahe wäre der Brief ungeöffnet im Altpapier gelandet, weil ich dachte, Werbung… Dabei haben alle keine Kosten und Mühen gescheut, mir etwas Gutes zu tun. Wer will da schon undankbar rumkritteln, bei einer so schönen Maskerade.

*apropos Zahlen … um mal ein paar Hausnummern zu nennen: Im Referentenentwurf des Bundesministerium für Gesundheit zur Verordnung zum Anspruch auf Schutzmasken zur Vermeidung einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Bearbeitungsstand: 13.12.2020 14:11 Uhr) stehen interessante Zahlen, z.B.:
„Dem Bund entstehen angesichts von rund 27,3 Millionen anspruchsberechtigten Personen mit einem Anspruch auf insgesamt 15 Schutzmasken und einer Vergütung von sechs Euro je Schutzmaske sowie durch den Verwaltungskostenersatz für die Krankenkassen und pri-vaten Krankenversicherungsunternehmen Kosten in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro.“ (Quelle)
Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro … „2,5 Milliarden Euro hat die gesetzliche Kran­ken­ver­siche­rung 2013 für Vorsorge- und Rehaleistungen ausgegeben“ (Quelle). Oder um ein neueres Datum zu nennen: „Das Bundesfinanzministerium plant als Unterstützung für die Veranstaltungsbranche 2,5 Milliarden Euro ein“ (Hilfe für die Kulturbranche 2021, Quelle)
PS: Heute schweigt Alexa übrigens zu den Masken, vielleicht weil die nun teurer sind oder weil es gewisse Unwägbarkeiten mit der CE Zertifizierung gibt … Alles nicht so easy.
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Ein Patient 1. Klasse – „Der eingebildete Kranke“ von Molière, eine Rezension

Moliere_eingebildete_Kranke
Ein Sommer, der zu oft unter dem Zeichen „Patient 3. Klasse“ stand, ließ mich zu einem feinen, gemeinen Stück Literatur greifen, das sehr oft mit dem schwerfüßigen Attribut „Klassiker“ belegt wird (Klassiker = schwer = angestaubt).

Aber da hier auch nach über 300 Jahren nichts angestaubt ist, wusste ich, dass mir die Lektüre ein Lächeln in Gesicht zaubern wird.

Die Wahrheit, heißt es, sei das Gute und Schöne. Die Wahrheit ist: Es ist gut und schön, wenn es einem gelingt, in einer Welt, die weder gut noch schön ist, ein lächelndes Herz zu behalten.

Ein Patient 1. Klasse – „Der eingebildete Kranke“ von Molière, eine Rezension

Der Vorhang geht auf und ohne Umschweife ist der Zuschauer (und der Leser) mittendrin in der wahnhaften Welt des Herrn Argan, einer Welt, deren Lauf nicht durch den Fluss der Zeit, die Wanderung der Gestirne oder durch den Wechsel von Tag und Nacht bestimmt wird, sondern durch das Fließen der Einläufe und Tinkturen und des Geldes an Ärzte. Argan ist ein Hypochonder wie er im Buche steht, für die Ärzte, die ihm das Geld aus der Tasche ziehen, ist er ein Patient 1. Klasse. Seine Vernarrtheit in Krankheit geht sogar soweit, dass er seine Tochter nur an einen Arzt oder einen Apotheker verheiraten will. Herr Argan leidet, und das ist gut so, ist ihm das Gefühl des Leides doch so vertraut wie die Klistierspritze im Körper. Ein Tag ohne Darmreinigung… – undenkbar.

Le malade imaginaire – Der eingebildete Kranke ist das letzte von Molière geschriebene und inszenierte Stück. Eine Hypochonderkomödie mit reichlich Wortwitz rund um geldgierige Ärzte, Ehestiftung, eine Erbschleicherin und ein mit allen Wassern gewaschenes Dienstmädchen.

Mit scheinbar lockerer Hand gelingt Molière eine zugleich amüsante wie hintergründige Kritik an der Medizin und der Ärzteschaft seiner Zeit, eine Kritik, die, insofern sie Standesdünkel und Arroganz gegenüber den Patienten betrifft, sehr aktuell ist. Die Medizinerschelte ist ein Thema, das sich über viele Jahre hinweg durch Molières Schaffen zieht und welches in Der eingebildete Kranke seinen gestalterischen Höhepunkt findet.

Molières Kritik an der Medizin ist durchaus persönlich motiviert: er ist davon überzeugt, dass er die schwere Krankheit, die er von Dezember 1665 bis Januar 1666 durchlitt (und deren misslungene Behandlung durch die Ärzte dann tatsächlich zu der anhaltend angeschlagenen Gesundheit Molières führte) und die ihn zur zeitweiligen Schließung seines Theaters zwang, nicht wegen, sondern trotz der Ärzte überlebt habe. Ein Gedanke, der im Stück auftaucht, wenn Béralde über seinen Bruders Argan sagt, dass jener bislang nur wegen seiner guten Gesundheit die Ärzte überlebt habe.

Die Ärzteschaft in Molières Zeit und die von ihr praktizierten Heilmethoden sind der Antike auf eine Weise verpflichtet, die an blinde Abhängigkeit grenzt, es gelten nicht Beobachtungen, nicht Erfahrungen, sondern allein die überkommene Lehrmeinung der Alten. Dreh- und Angelpunkt der Medizin ist die antike Lehre von den Temperamenten und Körpersäften, die besagt, dass Wärme, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit im Körper der Menschen in einem bestimmten Verhältnis vorhanden sein müssen. Krankheit ist Ungleichgewicht der Säfte, die Ärzte suchen es wiederherzustellen, indem sie erhitzen, erfrischen, befeuchten oder austrocknen. Zwei beliebte Mittel dazu sind Aderlass und das Verabreichen von Klistieren. Was vor Hunderten von Jahren laut den Alten gut gewesen ist, muss auch noch heute gut sein… Molière selbst steht auf der Seite des Fortschritts, im Gegensatz zu der offiziellen Medizin seiner Zeit ignoriert er nicht die Entdeckungen auf dem Gebiet der Medizin, etwa die Entdeckung des Blutkreislaufes im Jahr 1619 durch den Engländer Harvey.

Die große Kunst des Molière ist es nun, seine Kritik nicht einfach zu formulieren und z.B. einer Figur monologisch belehrend in den Mund zu legen, sondern sie ungezwungen in das komische Geschehen rund um den Hypochonder Argan und seine Familie einzuflechten.

Molière gibt die Ärzteschaft der Lächerlichkeit preis, in dem er sich selbst lächerlich machende Ärzte auf die Bühne stellt. Ein Paradebeispiel ist der frisch von der Universität kommende, angehende Mediziner Thomas Diafoirus, dessen Abhängigkeit von überkommenden Meinungen Molière in den grandiosen Szenen, die der Vorstellung dieses von Argan gewünschten Schwiegersohns dienen, dadurch augenfällig macht, dass Thomas nur vorher auswendig Gelerntes von sich gibt: höfliche, steife, immer wieder mit lateinischen Wendungen versehene Galantarien, die dann auch noch den Adressaten verfehlen, weil er Argans Ehefrau für Angélique hält. Thomas ist also nicht auf der Höhe der Zeit und einen Blick für Menschen hat dieser angehende Arzt auch nicht: hält er es doch für eine gute Idee seiner Auserwählten als erstes Date eine Sektion vorzuschlagen.

Nicht weniger lächerlich als Thomas sind auch sein Vater Dr. Diafoirus und sein Onkel Dr. Purgon, etwa wenn sie sich gelehrten Diskursen ergehen und Herr Argan in seinem Wahn all diese gegensätzlichen Diagnosen und gegensätzlichen Therapien für der Weisheit letzter Schluss hält, nur weil er es kaum erwarten kann, ein neues Medikament auszuprobieren oder wieder ein Klistier verordnet zu bekommen. Die Glaubwürdigkeit der Ärzte bekommt ihren Todesstoß, als es nach allerhand mit der Komik der Konfusion spielenden Szenen (z.B. der Entlarvung der Erbschleicherin) dem Dienstmädchen Toinette und Argans Bruder gelingt, Herrn Argan einmal von einem Einlauf abzuhalten. Sogleich fühlt sich der verordnenden Arzt Dr. Purgon in seiner Autorität gekränkt. Und weil diese Kränkung der Autorität – wie Molière suggeriert – das Schlimmste ist, was einem Arzt passieren kann, geht Dr. Purgon auch gleich in die Vollen und malt seinem störrischen Patienten in bunten Farben seinen nahen, jetzt nicht mehr abzuwendenden, qualvollen Tod aus – nicht ohne daraufhin zu weisen, dass Herr Argan vor dem Eintritt seines selbstverschuldeten Dahinscheidens noch den verschmähten Einlauf zu bezahlen habe, schließlich sei er schon vorbereitet gewesen…

Der eingebildete Kranke wurde am 10. Februar 1673 mit großem Erfolg uraufgeführt. Molière selbst spielte die Hauptfigur Argan, seine Frau Armande die Rolle der Angélique. Er war damals bereits schwer an der Lunge erkrankt, und im Verlauf der vierten Vorstellung am 17. Februar 1673 (auf den Tag ein Jahr zuvor war Madeleine gestorben) erlitt er einen Schwächeanfall. Im sicheren Bewusstsein des nahen Todes bat Molière um die Sterbesakramente. Weil die Schauspielerei aber zur damaligen Zeit als unehrenhaft und als Teufelszeug galt (Schauspieler – und auch Zuschauer – zu exkommunizieren war gängige Praxis) lehnten zwei Priester Molières Bitte ab. Erst ein dritter Priester erklärte sich bereit, Molière die Letzte Ölung zu geben: er kam zu spät. Im Kostüm des Argan starb Molière ohne Segen der Kirche. Es heißt, erst durch das Eingreifen des Königs konnte er christlich beerdigt werden. Allerdings halten sich seit damals hartnäckig die Gerüchte, dass Molière sterbliche Überreste auf Betreiben der Kirche bald nach der Bestattung ausgegraben und in den für ungetaufte Kinder reservierten Teil des Friedhofs verlegt wurden.

Diagnose: Ein feines, gemeines Stück Medizin-Literatur, dass auch nach über 300 Jahren nicht angestaubt ist, da dieser Klassiker leichtfüßig, ebenso humorvoll wie giftig, mitten hinein – auch in die moderne – Seele greift. Mit scheinbar lockerer Hand gelingt Molière eine zugleich amüsante wie hintergründige Kritik an der Medizin und der Ärzteschaft seiner Zeit, eine Kritik, die, insofern sie Standesdünkel und Arroganz gegenüber den Patienten betrifft, sehr aktuell ist.

Zum Autor:

Molière wurde am 15. Januar 1622 als Sohn eines Tapezierermeisters in Paris geboren und auf den Namen Jean-Baptiste Poquelin getauft (den Künstlernamen Molière nahm er 1644 an). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie des aufstrebenden Bürgertum. 1643 gründete er, zusammen mit der Schauspielerin Madeleine Béjart, die seine Geliebte, Freundin und Vertraute wurde, eine Schauspielgruppe. Molière war Komödienschreiber, Regisseur und Schauspieler in Personalunion. Aufgrund von Geldnöten war die Schauspielgruppe gezwungen nach drei Jahren Paris zu verlassen, erst nach zwölf Jahren in der Provinz kehrten sie 1658 nach Paris zurück. Es begann die erfolgreiche Zeit, denn Molière gelang es mit seinen Komödien die Gunst von König Ludwig XIV, des Sonnenkönigs, zu gewinnen, der Molière – wenigstens eine Zeitlang – gegen alle Anfeindungen (vor allem von der Kirche) in Schutz nahm. Da die Einnahmen der Schauspieltruppe pro Kopf ausgezahlt wurden und Molière in seiner dreifachen Funktion als Autor, Regisseur und Schauspieler einen dreifachen Anteil einstreichen konnte, war er bald ein wohlhabender Mann. 1662 heiratete Molière Armande, von der es gerüchteweise hieß, sie sei die Tochter seiner langjährigen Geliebten Madeleine, vielleicht sogar seine eigene Tochter. Vieles spricht aber dafür, dass Armande und Madeleine Schwestern gewesen sind. Nach langer Krankheit verstarb Molière am 17. Februar 1673.

Quelle zu Hintergrundinformationen: Jürgen Grimm, Molière, Stuttgart/Weimar (Verlag J.B. Metzler), 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage 2002 (ISBN 3-476-12212-3)

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Männer… Von „Hör mal, wer da hämmert“ bis zu Liegestützen auf der Fähre…

Maenner
Also Männer… Wie komme noch einmal auf dieses Thema? Ach, ja, Donnerstag auf der Bodenseefähre, da gab es sehr geballt einige einprägsame Beobachtungen. Und ja, ich habe Samstag ein Lattenrost zusammengebaut und dann im Getränkemarkt, beim Kauf eines Kasten Warsteiner, einen Gratis-Rasierer bekommen (im Rahmen einer sogenannten „Männerbox“).

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“ Anscheinend dann, wenn er unrasiert in Arbeitsklamotten einen Kasten Bier kauft (ich trug meine mit Farbe besprenkelten Malerjeans, dazu ein kariertes Arbeitshemd, ebenfalls mit Farbe besprenkelt, denn angestrichen haben wir an diesem Wochenende auch).

Also bekam ich die Männerbox. Logisch. Mit Tusch. Aber lieber als ein Gratis-Rasierer, den ich doch nicht benutzen werde. Bin da eigen, rasiere mich, wenn ich mich denn rasiere, mittlerweile nur noch trocken (rasiere ich mich nass, dann seh‘ ich gleich 10 Jahre jünger und so brav aus, und das will doch keiner…) – also lieber als ein Gratis-Rasierer wäre mir irgendetwas Vitalisierendes für meine Augenpartie gewesen. Oder etwas, das mir die Stressfalten aus dem Gesicht bügelt… So ungern, ich das hier schreibe…. Hallo, es ist Wochenende, und da sollte es doch genügen, einmal Auszuschlafen, um wie ein junger Gott auszusehen (zumal ich mir den zweiten Teil von Thor unters Kopfkissen gelegt habe…). Kann doch nicht sein, oder?

Und warum sah ich am frühen Abend nicht wie ein junger Gott aus? Weil ich die Lehren aus „Hör mal, wer da hämmert“ vergessen habe. Mea Culpa.

Wie oft habe ich geschmunzelt, wenn Tim der Heimwerkerkönig wieder einmal eine Gebrauchsanweisung oder eine Zusammenbauanleitung ignorierte, weil er glaubte, er könne es eh besser. Er bräuchte keine Hilfe. Und Tims Bemühungen dann in einem Chaos endeten.

Wir hatten an diesem Samstag zunächst unser zukünftiges Gästezimmer frisch gestrichen, anschließend nahm ich mir das dafür neu angeschaffte Lattenrost vor.

Ja, und da war ich also. Der Mann und das Lattenrost (zerlegt). Ein Mann und circa 100 Einzelteile. Klingt beinahe so heroisch wie „300“ (300 Spartaner gegen 100mal so viele Perser). Das konnte doch nicht so schwer sein! Also ordnete ich erst einmal die Einzelteile gemäß der Beschriftungen in der Zusammenbauanleitung. Ja, bis hierhin hatte ich meine Lektion aus „Hör mal, wer da hämmert“ gelernt. Erst lesen, dann zusammenbauen. Und ich muss sagen, ich hatte schon wesentlich schlechterer Anleitungen gelesen. Und ich freute mich daran, dass die Bohrungen sauber ausgeführt worden waren und die Schrauben griffen (das hatte ich schon anders erlebt).

Die Arbeit ging schnell voran. Die zerlegten Außenholme zusammenschrauben, die verschraubten Außenholme mit Querstrebe und Kopf- und Fußteil verschrauben – also überhaupt, viel schrauben. Und merkte nicht, dass ich gleich zu Beginn eine winzige, aber wichtige Kleinigkeit übersehen hatte – war ja doch alles nicht so kompliziert, recht intuitiv…

Nun, eine halbe Stunde und etliche Schrauben später sagte mir meine Intuition: Da kann etwas nicht stimmen. Ich… Tief durchatmen. In diesem Moment kam meine Liebste herein. „Wie läuft es? Eine Menge Teile, oder?“ „Oh ja!“, entgegnete ich (…also es waren mindestens 1000mal so viele Perser wie wir…), „Bin aber gleich fertig!“, sagte ich, während ich dachte Wie doof kann man eigentlich sein? Ich habe die Außenholme falsch herum angeschraubt.

Männer halt. Ich wartete, bis ich wieder allein war und drehte die ganzen Schrauben aus den Außenholmen wieder heraus, tauschte deren Position und schraubte alles wieder zusammen. Präsentierte dann stolz das Ergebnis, als hätte ich gerade gottweißwas Bedeutendes geschaffen, das Rad erfunden oder so. „Super, Schatz!“, sagte meine Liebste, „Baust Du dann bitte eben noch das Bett auf, und dann tragen wir noch den Schrank ins Zimmer, hoffe nur, der passt durch die Tür!“

Also baute ich das Bett auf – ein Klacks. Mein altes Bett. Ikea. 8 Schrauben. 8! 5 Minuten auseinander bauen, 5 Minuten zusammen. Dann der Kleiderschrank – wie viele Schrauben der hat, daran wollte ich gar nicht denken. Aber der Aufbau von dem Schrank ist eine andere Geschichte, denn die Götter waren uns hold. Der Schrank passte durch die Tür. Anschließend ging ich besagten Kasten Bier kaufen.

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“ Manchmal dann, wenn er Arm in Arm mit seiner Liebsten, ein Bier in der Hand, das frisch gestrichene, nun gemütlich eingerichtete Gästezimmer begutachtet, dass einen Tag zuvor kaum mehr als eine ungemütliche Rumpelkammer gewesen war („Und er sah, dass es gut war“).

Manchmal wohl auch dann (um auf die versprochenen Beobachtungen auf der Fähre zurückzukommen):
Faehreerlebnisse
Klack, klack. Ich hörte ihn, bevor ich ihn sah. Wobei ich im ersten Moment dachte, es sei eine Frau auf hohen, für die Fährestiegen unpraktischen Absätzen, die das Passagierdeck betrat. Klackkkk. Nein, es waren keine hohen Absätze von Damenschuhen, die je Schritt nur einmal eindrücklich Klack machen. Es war eher ein Klackkkk, wie ich es von früher kannte, wenn die Läufer auf dem Sportplatz die Tartanbahn verließen und ihre Spikes auf den Steinplatten klackten. Mehrere Klacks, die zu einem verschwammen. Klackkkk. Und dann sah ich ihn. Sein neonfarbener Ganzkörperfahrradanzug saugte sich mit dem Licht der untergehenden Sonne voll und schoss es dann in Richtung meiner Augen: Helles Gelb dominierte seine blendende Erscheinung, hinter der die Sonne nur noch ein Schatten war. Eingeflochtene schwarze Streifen vervollständigten das dynamische Design des hautengen Anzugs. Ach, was sage ich. Hauteng… Der Anzug ging unter die Haut. Denkt Euch Batman in seinem Panzer, Superman in seinem Dress – ok? Ok. Dann zieht von diesem Bild vor Eurem inneren Auge die Muskeln ab. Minus Sixpack. Minus kräftige Oberschenkel. Minus mindestens einer Kopfgröße. Setzt der Gestalt einen ebenfalls neongelben Fahrradhelm auf – dann habt Ihr ein ungefähres Bild vom Beeman. Nein, ein wichtiges Detail habe ich noch vergessen: Entweder trug er ein Suspensorium, dessen Größe sich zu seiner schmächtigen Gestalt umgekehrt proportional verhielt, oder der Bienenmann hatte einen mächtigen Stachel. Jedenfalls konnte er kaum Laufen. Breitbeinig setzte er vorsichtig Fuß vor Fuß. Nun gut, vielleicht taugte sein Fahrradsattel einfach nichts. Vielleicht lag sein merkwürdiger Gang auch an diesen das Klackkkken erzeugenden speziellen Fahrradfahrschuhen, welche offensichtlich nicht zum Laufen gemacht waren… Ja, vielleicht.

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“

Wohl auch dann:

Als der Beeman breitbeinig an mir vorbei gestakst war, stand ich auf, um vom Heck der Fähre noch ein paar Fotos von der untergehenden Sonne zu schießen. Da stand ich also an die Reling gelehnt, der Blick gen untergehender Sonne, freute mich an meiner Zigarette ziehend an den wechselnden Farben des Sees, als ein Mann im Anzug ein paar Bänke weiter plötzlich sein Jackett auszog und begann – mit den Füßen auf der Bank, seine Hände auf dem Boden – Liegestütze zu machen. Mindestens 20. Dann Sit-Ups, auf der Bank liegend, die Füße an der Reling. Die machte er noch, als ich meine Kamera wegpackte, weil die Sonne untergegangen war, und ich eine sms an meine Liebste schrieb, dass ich nun bald daheim sei.

Und dann wohl auch:

Ich stand schon neben meinem Roller, die Fähre fuhr in den Meersburger Fährhafen ein. Klackkkk, klackkkk, der Beeman stakste die Treppe hinunter, an deren Fuß sein Hightech-Fahrrad an der Reling lehnte. Lässig das Jackett mit einem Finger über die Schulter gehängt, ging hinter ihm der Liegestützenmann die Treppe hinunter, wobei sich sein weißes Anzughemd über einem kräftigen Brustkorb spannte. Scheint ja doch was zu bringen, dachte ich, diese Liegestütze auf der Fähre. In dem Moment rempelte mich ein junger Mann an, als er an mir vorbei zu seinem Wagen ging. „FRAUEN MÜSSEN NICHTS VERSTEHEN, SIE MÜSSEN NUR JA SAGEN!“, rief er in sein Handy hinein und stieg ein. Die Autotür schlug zu, so dass nicht zu verstehen war, was er noch Behämmertes ins Handy rief. Er startete den Wagen, obwohl es noch Minuten dauern würde bis wir von der Fähre würden fahren können, und nebelte Beeman, den Liegestützenmann und mich mit Abgasen ein.

Männer halt…

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„Hello Kitty“ oder ein Wichteln des Grauens. Eine vorweihnachtliche Geschichte

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3 Staffeln „Hör mal wer da hämmert“ auf DVD, „Nightmare on Elm Street“ Teil 1 bis 5 und „Bernhard und Bianca“ – dies war mein Weihnachten im vergangenen Jahr. Dazu grob geschätzt: 3 Tüten Paprika-Chips, 1 Tüte Chips mit Salzgeschmack, 2 Packungen Marzipan-Kartoffeln, Erdnüsse, 2mal gesalzen, 1mal ohne Fett geröstet, Salami-Pizza 2mal, 1mal Quattro Stagioni, das Ganze runtergespült mit 6 Flaschen Rotwein. Es war mein erstes Weihnachten seit 5 Jahren ohne Anna, einige Wochen zuvor hatte sie sich von mir getrennt. Einmal machte ich den Fehler, die Fernbedienung in die Hand zu nehmen und zappte vom Heimwerker-König weg ins TV-Programm hinein. Prompt landete ich bei Mary Poppins – und musste weinen. „Schim schiibi di schimm schibbi schimm schi schi bu…“. Mary sang und tanzte und drehte sich auf ihren Stiefeln im Kreis, diesen Stiefeln, die so schlanke Fesseln machen – und ich musste daran denken, wie Anna eines Tages kurz vor Heiligabend zur Tür hereinkam und dann ihren Mantel von ihren Schultern gleiten ließ und nichts weiter trug als ein tief ausgeschnittenes, sexy rotes „Ich bin Deine Weihnachtsfee“-Kleidchen und sich dann auf ebensolchen Stiefeln vor mir drehte… – und ich schaltete schnell zurück zum rülpsenden Tim, öffnete eine weitere Flasche Wein und später zu „Bernhard und Bianca“ noch eine.

Mein Fest der Liebe

Doch in diesem Jahr würde es zu Weihnachten keine unendlichen Stunden alleine mit Chips und Pizza auf dem Sofa vor dem Fernseher geben. Dachte ich, denn Anna hatte mich zu einem gemütlichen Weihnachtsessen bei sich daheim eingeladen. Außer mir würden zwar noch ein paar Freunde kommen, denn Anna wollte Wichteln, Scheiße-Wichteln um genau zu sein. Das hatte sie immer schon lustig gefunden, dass man alte Geschenke wichtelte, die man selbst mal bekommen hatte und so hässlich fand, dass man sie nicht behalten wollte. Ich hatte mich ungemein über diese Einladung gefreut. Hatte sie insgeheim erhofft. Schließlich waren wir uns in den Monaten zuvor wieder näher gekommen. 5 gemeinsame Jahre tut man ja auch nicht so einfach ab. Hatten ab und zu telefoniert, waren 2mal was trinken gewesen – und beim zweiten Mal, etwa drei Wochen sind seitdem vergangen, hatten wir uns zum Abschied geküsst. Mein neues Ich gefiel ihr offensichtlich. „Du bist so negativ!“, dies war einer der Gründe gewesen, weswegen sie sich von mir getrennt hatte. „Immer siehst Du nur das Schlechte, Peter!“ Und zuviel getrunken hatte ich für ihren Geschmack. Aber ich hatte nach unserer Trennung schwer an mir gearbeitet – also nach besagtem Weihnachten. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!“ – dies Motto hatte ich mir nun auf die Fahne geschrieben, und versuchte seitdem Tag für Tag das Gute in allem, was mir widerfuhr, zu sehen – und dies mit wesentlich weniger Alkohol im Blut als die Jahre zuvor. Natürlich, oder gerade auch, an jenem Abend, als wir uns küssten: nur 3 Bier hatte ich getrunken, obwohl ich ungemein nervös gewesen war. Aber die Anstrengung hatte sich gelohnt – erst der Kuss, dann die Einladung. Ich hatte es schwer im Gefühl: Dieses Weihnachten würde mein Fest der Liebe werden!

Leberwurst in Black

Dann war es soweit. Obwohl ich nicht mehr als ein, vielleicht zwei Gläser Wein trinken würde, ließ ich meinen Wagen stehen und nahm ausnahmsweise den Bus. Im Gepäck hatte ich mein Geschenk für Anna: eine Sonderedition ihres Lieblingsparfüms, gerade erst auf den Markt gekommen. 10ml feinstes Dufterlebnis. Hatte lediglich den kleinen Flacon gekauft, schließlich wollte ich es nicht übertreiben. Noch waren wir ja getrennt. Für das Wichteln hatte ich ein Muskelshirt eingepackt, das mir lange vor Anna mal eine Freundin geschenkt hatte: schwarzes glänzendes Polyester, ein Ungetüm aus hautengem Design. Ich hatte es einmal Anna gezeigt – natürlich ohne es anzuziehen, schließlich passte ich schon lange nicht mehr hinein. Und sie hatte geschrien vor Lachen – und dann darauf bestanden, dass ich es dann doch überziehe. Woraufhin sie noch mehr lachen musste. Ich die Leberwurst in Black. Mit meinem Bauch, den ich mittlerweile hatte. Mit meinen Muskeln, die ich mittlerweile nicht mehr hatte. Es sah grotesk an mir aus. Es war, wie ich fand, ideal fürs Scheiße-Wichteln.

Voller Vorfreude stieg ich also in den Bus, summte leise Frankie goes to Hollywood vor mich hin: „Power of Love“. Der Bus war sehr voll. Aber das machte mir nichts aus, obwohl ich dermaßen gedrängte Menschenansammlungen nicht mag. Ich hatte Anna und unser Fest der Liebe im Herzen. Außerdem fand ich einen Sitzplatz. Bei der nächsten Haltestelle stand mein Sitznachbar auf und verließ den Bus. Ich rückte auf den nun freien Platz am Fenster und sah träumend hinaus, sah Anna und mich, in der Küche, aufräumen, nachdem alle anderen gegangen waren, wir, dann an den Kühlschrank gelehnt, küssend, streichelnd, dann wir am Küchentisch…

Hey Alder …

Plötzlich dachte ich, was stinkt hier so? Ich war dermaßen in Gedanken versunken gewesen, dass ich jetzt erst merkte, dass jemand neben mir saß. Ein Mann. Dem Augenschein nach gerade aus dem Bett gekommen. Dem Geruch nach schon geraume Zeit ungewaschen. Eine ekelerregende penetrante Mischung aus Schweiß und Alkohol schoss mir in die Nase – und die herrlichen Bilder von Anna und mir zerstoben in diesem Geruchsinferno. Zu allem Überfluss hatte er Schuppen. Ich rückte so nah ans Fenster, wie es nur ging. Hoffte inständig, er würde beim nächsten Halt aussteigen. Der Bus hielt, er aber blieb sitzen. Ein Schwung junger Leute kam herein. Sofort wurde es sehr laut im Bus. Nun war auch der ganze Gang im Bus voll. „Hey Alder, alles klar?“, „Alles klar, Alder, und bei Dir Alder?“ „Hey geil, Alder, sach Dir Alder, alles klar Alder!“ „Geil Alder!“ Die nächste Haltestelle. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich der Mann mit einer Hand übers Haar strich. Er stieg nicht aus. Schuppen rieselten herab. Auf seine Schultern. Seine Beine. Meine Beine. Mich schüttelte es. Ein Handy klingelte. „Hey Alde, alles klar?“ Plötzlich berührte er mich mit seiner Hand an meinem Arm, ich zuckte zurück. „Entschuldigung“, sprach er mich an – und mir verschlug es den Atem ob des Geruchs, der dieses eine Wort begleite. „Echt Alde? Geil Alde, hast Du gehört Alder? Geil was Alder?“ „Entschuldigung!“, sagte er noch einmal, und ich atmete nur noch aus. „Wann kommt denn der Bahnhof?“, fragte er, und die Schuppen rieselten – und ich dachte nur noch: Lieber Gott, was habe ich getan? Und im gleichen Moment hörte ich Annas Stimme: Sieh doch nicht immer alles so negativ! Und ich sah auf seine Finger, an deren Enden Fingernägel waren, so abgekaut und dreckig, wie die Schuppen auf meiner Hose weiß, und riss mich zusammen, sagte mir: Weihnachten ist das Fest der Liebe, sei nett, es ist alles gut, sieh nicht alles so negativ! Gleich kannst Du aussteigen! Und sah ihm ins Gesicht, und sah, dass auch seine Augenbrauen voller Schuppen waren – und presste heraus, ohne Luft zu holen: „Fünf Haltestellen!“, und dankte Gott, dass ich gleich aussteigen konnte. Sagte „Entschuldigung!“, und stand auf, er stand auf, es war eng. „Immer langsam Alder!“, die jungen Leute machten Platz, ich drückte mich an ihm vorbei, möglichst ihn nicht berührend, der Bus hielt, ich zwängte mich durch all die Leute im Gang und stieg aus.

California Sunnyboy

Mein früheres Ich wäre jetzt bereits am Ende gewesen: Ein Abend, der so anfing, konnte nicht gut werden. Aber das war früher. An jenem Abend lächelte ich. Als der Bus weiterfuhr, zündete ich mir eine Zigarette an, strich mir die letzten Schuppen von der Hose und dachte an Anna. Wie ich mich freute! Mein Fest der Liebe! Ich ging rauchend die letzten Meter zu ihrer Wohnung, klingelte, der Türöffner ward gedrückt, ich warf die Zigarette weg, ging die Treppe hoch zu ihrer Wohnung, die ich so gut kannte, weil ich dort 5 Jahre ein- und ausgegangen war, stand vor der nur angelehnten Tür, fasste nach dem Türgriff und – in diesem Moment schwang die Tür auf und ein Kerl stand vor mir, einen halben Kopf größer als ich, blond, Marke California Sunnyboy, und lächelte mich an: „Du musst Peter sein!“ – und streckte mir seine Hand entgegen: „Ich habe schon viel von dir gehört! Ich bin Dennis!“ Und plötzlich war da auch Anna und hing diesem Kerl am Hals und küsste ihn auf den Mund und strahlte mich an und umarmte mich und küsste mich auf die Wange. „Ah, ihr habt euch schon miteinander bekannt gemacht. Schön, dass du da bist! Nun sind wir ja vollzählig!“, sagte sie. Strahlte mich an mit ihrem herrlichen Lächeln. Strahlte ihn an und küsste ihn wieder auf den Mund. Der Abend verlief nicht so, wie ich es mir gedacht hatte. Ich überreichte ihr mein Geschenk und sagte mir: Lächle, es ist Weihnachten! Alles wird gut! Du bist Deines Glückes Schmied! Und betrat Annas Wohnung, folgte den beiden ins Wohnzimmer. Dort um den großen Tisch herum saßen 5 Personen, 4 kannte ich, es waren 2 mit Anna befreundete Paare, Nr. 5 war eine mir unbekannte Frau. Neben ihr der Platz war frei. „Setz dich!“, sagte Anna und drückte mich auf den freien Platz. „Das ist Peter!“, stellte sie mich vor, „Ein alter Freund von mir!“ Bei diesen Worten zerstob das letzte bisschen Hoffnung, das mir beim Anblick von Anna und ihrem offensichtlich neuen Freund noch geblieben war. Die Frau gab mir ihre Hand: „Hallo!“ Sie war hübsch. Also, so per se, nicht mit Anna verglichen. Aber immerhin. Ein Lichtblick.

Prost Prost Prösterchen

„Ich mache mich dann mal an die letzten Vorbereitungen!“, sagte der Kerl und ging in die Küche. „Ist er nicht toll?“, fragte Anna in die Runde, „Es gibt gefüllte Gans! Hat er alles selbst gemacht!“ In dem Moment kam er aus der Küche, eine Schürze umgebunden, „Hoffe, ihr mögt alle Gans!“ „Hmmm!“, machten alle. Ich sagte nichts. Anna hätte wissen können, dass ich Geflügel nicht mag. Ich griff nach dem Rotwein und schenkte mir das Glas gut voll. Trank es zur Hälfte in einem Zug aus. Ich mochte einfach keine Gans. „Trinkst du viel?!“, fragte die unbekannte Frau neben mir. Sie hatte ein Glas Wasser vor sich stehen. „Weniger als ich rauche!“, rutschte es mir raus – und leerte mein Glas. Sollte sie jemals nur einen Hauch von Interesse an mir gehabt haben, so war dies damit vorbei. Ich sah es in ihrem Blick, dann strahlte sie Anna an: „Erzähl doch noch mal, wie du und Dennis euch kennen gelernt habt, das ist so romantisch!“ „Oh ja!“, riefen die beiden Pärchen-Frauen wie aus einem Munde, während ihre Männer lächelten. Na, der Abend verlief ja wahrlich nach meinem Geschmack. Ich goss mir Wein nach, trank. Gerade einmal 10 Minuten war ich auf der Scheiß-Wichteln-Weihnachtsessen-Party und hatte das Quantum Alkohol, das ich mir vorgenommen hatte zu trinken, schon intus. Annas Geschichte war herzerweichend. 1 Jahr zusammen im gleichen Büro gearbeitet. Jeden Tag gesehen. Nett gefunden, aber nicht mehr gewesen. Außer – hier schelmisches Lächeln von Anna – einmal auf der Sommerparty… Dann nach einem langen Arbeitstag, als es regnete, von ihm nach Hause gebracht worden. Kaffee am Abend. Plötzliches Funken. Liebe auf den 150 Blick. Zack bum! Wie romantisch! Ich schenkte mir Wein nach. Mr. Gans kam aus der Küche, verkündete, dass es noch 5 Minuten dauern würde – und wer hätte Lust auf einen Aperitif? Ich sagte nicht nein. Selbst die Wassertrinkerin ließ sich von Mr. Gans zu einem Gläschen animieren. Prost Prost Prösterchen. Wir stießen alle miteinander an. Dann kam die Gans – und bei Anna und ihrem Koch ständige Blicke und Küsschen. Die Gans schmeckte sogar. Musste ich zugegeben. War ich froh, sagen zu können. Hatte mich nach dem dritten Glas Rotwein wieder gefangen und versuchte, ein netter Gast zu sein und mir selbst einen dennoch angenehmen Abend zu bereiten. Wenn ich denn schon einmal da war. Mein Charme ließ sogar die Dame neben mir etwas auftauen, so dass sie mir ein Lächeln schenkte. Und ich fand in diesem Moment sogar, dass sie hübscher lächelte als Anna. Auch die Figur, die sie in dem Kleid, das sie trug, machte, war ganz nach meinem Geschmack. Noch ein Glas von dem Aperitif mit mir zu trinken, schlug sie allerdings aus. Ich ging auf dem Balkon eine rauchen, alleine, war ich doch der einzige Raucher in der Runde. Von draußen sah ich sie alle lachen, und dann stand Anna auf, kam aber nach wenigen Augenblicken mit etwas in ihren Händen zurück, was eindeutig genauso aussah wie mein Geschenk für sie, nur viel größer. Ich drückte die Zigarette aus und kehrte zum Tisch zurück. „Ist er nicht süß!“, hörte ich Anna gerade noch sagen, „Seit Nikolaus habe ich jeden Tag von ihm ein Geschenk bekommen – und das hier heute: Mein Lieblingsparfüm!“ Und gleich 100ml davon, wie ich sah, als ich zur Flasche Wein griff. „Apropos Geschenk!“, lächelte Anna mich an und packte dann meine mickrigen 10ml aus. „Wie niedlich!“, meinte die Wassertrinkerin. Na, so hübsch wie ich vorher gedacht hatte, war ihr Lächeln auch nicht. Und das Kleid saß an manchen Stellen doch sehr stramm. Aber Anna schien sich auch über mein Geschenk zu freuen und küsste mich auf die Wange.

Mein Bärchen

Es war das letzte Mal an diesem Abend, dass ich mich zu einem Lächeln durchringen konnte. Denn schließlich wichtelten wir. Wir losten aus, wer von wem das Geschenk erhalten sollte. Wie es der Zufall wollte, musste Anna mich und ich ihren Dennis beschenken. Dennis machte den Anfang und überreichte einem der Pärchen-Männer ein Riesenpaket. Darin war eine beinahe 1 Meter hohe, knallig orange wie ein Gummibärchen aussehende Lampe. „Wie geschmackvoll!“, meinte der Beschenkte. Die anderen lachten. Anna küsste wieder einmal Dennis: „Mein Bärchen!“ Dann schlug sie in die Hände: „Jetzt ich!“, und drückte mir ein schmales längliches Geschenk in die Hände. Ich konnte es nicht glauben, was ich in Händen hielt, als ich das Papier aufgerissen hatte. „Ist das hässlich!“, entfuhr es der Wassertrinkerin – und sagte dies über ein Geschenk, welches ich Anna gemacht hatte, als wir gerade zusammengekommen waren. „Ja, nicht!“, meinte Anna und strahlte. Was ich da in Händen hielt, war ein originaler Hello Kitty-Brieföffner, der mich viel Geld gekostet hatte. „Wer hat dir das denn geschenkt?“, fragte eine der Pärchen-Frauen. „Weiß nicht mehr“, antwortete Anne, „Hab es ganz hinten in einer Schublade wiedergefunden.“ Das bunte Kätzchen glotzte mich vom Griff des Brieföffners blöde an, derweil Anna lachte. Damals hatte sie auf diese Hello Kitty-Sachen gestanden, als wir uns kennen lernten. Als sie noch auf mich stand. Plötzlich, wie ich da an diesem Weihnachtsabend jenseits der Grenzen des guten Geschmacks mit dem Hello Kitty-Brieföffner in der Hand saß und alle um mich herum ihren Spaß hatte, kamen mir sehr düstere Dinge in den Sinn, was ich doch jetzt mal mit diesem Brieföffner tun könnte. „Miau Miau!“, rief Dennis. „Schöne Muschi!“ nuschelte angetrunken einer der Pärchen-Männer, woraufhin seine Freundin hysterisch kicherte. Ganz und gar düstere Dinge kamen mir in den Sinn, was ich mit diesem Brieföffner in der Hand aus dem Fest der Liebe machen könnte. Aber ich tat nichts, außer mir noch einen Wein einschenken. Ich riss mich zusammen. Ein Glas noch, sagte ich mir, dann gehe ich. Der Wein wenigstens ist gut. „Jetzt ich!“, rief Dennis und packte mein Wichtel-Mitbringsel aus. „Na wow!“, meinte die Wassertrinkerin. „Und da hast du mal reingepasst?“ Ich antwortete nichts, zeichnete nur imaginäre Linien mit dem Brieföffner auf den Tisch. „Anziehen! Anziehen!“ skandierte mit einem Mal eine der Pärchen-Frauen, die andere fiel mit ein. Anna lachte – und ihr neuer Lover ließ sich nicht lange bitten. „Wow!“ meinte unwillkürlich die Wassertrinkerin, als er sich sein Hemd über den Kopf zog und ein ebenso schlanker wie muskulöser Oberkörper zum Vorschein kam. Dann zog er das schwarz glänzende Polyester-Muskelshirt an – und es sah doch recht anders aus als an mir. Keine Spur von Leberwurst in Black. Ich hatte Annas Lachen von damals im Ohr, als ich dieses Shirt trug, sah nun ihren Blick, der lächelnd und lüstern auf ihrem neuen Kerl ruhte, und meine Finger verkrampften sich um den Brieföffner in meiner Hand. Da gab es nur noch eins für mich zu tun: Ich kippte den Rest Wein hinunter. Stand auf. Ich musste gehen. Das Weihnachtsessen verlassen, ehe ein Unglück passierte. „Musst Du schon gehen?“, fragte die Wassertrinkerin und in ihrer Stimme hörte ich kein Bedauern.

Der Brieföffner in meiner Tasche

Ich verabschiedete mich quasi im Laufschritt. Meinen Mantel zog ich im Hausgang an. Kaum stand ich auf der Straße, brannte die Zigarette, und ich nahm einen tiefen Zug. Was für ein Abend! Mein Weihnachten vom zurückliegenden Jahr erschien mir nun nicht mehr ganz so schrecklich. Auf dem Weg zur Bushaltestelle begann es zu regnen. Wind kam auf, aus dem Regen wurde Schneeregen, den der Wind mir direkt ins Gesicht drückte. Meine Zigarette wurde nass. Für ein Taxi hatte ich nicht genügend Geld eingesteckt. Ich musste den Bus nehmen. Aber der Gott des Öffentlichen Nahverkehrs meinte es gut mit mir. Wenigstens ein Gott, der es an diesem Abend mit mir gut meinte. Mein Bus kam umgehend. Ich stieg ein. Der Bus war voller noch als auf der Hinfahrt. Die Scheiben waren beschlagen. Die Luft war zum Schneiden. Ich musste stehen. An der nächsten Haltestelle stiegen mehr ein als aus. Es wurde noch enger. Ich konnte mich kaum rühren. Plötzlich klingelte ein Handy, ganz in der Nähe. „Hey Alder, alles klar? Geil Alder, bin im Bus. Alder und du? Echt? Geil Alder!“ Der Bus hielt. Ein junger Typ stieg zu, schrie quer durch den überfüllten Gang: „Hey Alder, was geht?“! Der Andere in meiner Nähe schrie zurück: „Geil Alder! Und bei dir Alder? Was geht?“ „Ich sach dir Alder, da geht was!“ Plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob der Brieföffner in meiner Manteltasche zuckte. Als ob er sich bemerkbar machte: Miau! Miau! Nimm mich doch mal in die Hand. Versuchte nicht auf diese Stimme zu hören, versuchte irgendwie an dem Gespräch der beiden jungen Männer vorbei zu hören, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Die regelmäßigen Löcher in der Decke des Busses. Wofür sind die eigentlich gut? Durchlüftung? Wie viele das wohl sind? Ich begann zu zählen. In diesem Moment bremste der Bus ruckartig ab. Keiner fiel um, dafür war es zu eng. Aber mein Blick fiel nun durch einen Spalt zwischen den Leibern, der sich durch den Ruck aufgetan hatte, auf eine Frau, deren Körperumfang sich im Laufe der Jahre entschieden über jedes gesunde Maß hinaus entwickelte hatte. Aber nun gut. Das alleine wäre nicht so schlimm gewesen. Aber sie wirkte zudem auch sehr ungepflegt – und vor allem bohrte sie voller Inbrunst mit einem Finger in der Nase. Reiß Dich zusammen! sagte ich mir. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Also liebe die Menschen. Miau! flüsterte mir der Brieföffner zu, während die Frau ihren Finger aus der Nase zog und ihren Fund betrachtete. Miau! Miau! Ich nahm alle meine Kraft zusammen: Weihnachten ist das Fest der Liebe! Während sie nun ihren Finger in den Mund steckte, und ich in meiner Tasche nach dem Brieföffner griff. Miau! freute sich Hello Kitty. „Los Alder!“ schrie der Junge in meiner Nähe. Und die Frau steckte ihren Finger zurück in die Nase. „Schauen was abgeht, Alder!“, schrie der Andere zurück. Der Bus hielt. Haltestelle Bahnhof. Die Türen des Busses öffneten sich und entließen den Großteil der Menschenmenge im Bus in die Kälte, mitsamt den jungen Männern, mitsamt der dicken Frau, die ihren Finger aus der Nase nahm, ihren neuerlichen Fund an der Vorderlehne abstreifte und sich mit großer Mühe aus dem Sitz hoch rappelte. Ich atmete auf, nahm meine Hand aus der Tasche. Das Miau verstummte. Ich setzte mich auf einen freien Platz am Fenster. Was freute ich mich auf meine Wohnung. Meinen Fernseher. Auf eine schöne große Schüssel Chips neben mir. Noch ein Glas Rotwein in Ruhe. Sicherlich gab es auch noch eine Episode „Hör mal wer da hämmert“, die ich noch nicht gesehen hatte. Ich blickte aus dem Fenster, derweil sich der Bus mit einer neuen Menschenmenge füllte. Jemand ließ sich neben mir auf den Sitz fallen. Und da war er wieder: dieser Gestank. Diese penetrante Mischung aus Schweiß und Alkohol. Seine Hand berührte mich an meinem Arm: „Entschuldigung!“, sagte er. Ich schloss die Augen Hello Kitty schnurrte in meiner Manteltasche. Ich griff hinein – und mit einem lauten Miau! begrüßte der Brieföffner meine Fingerspitzen.

Ende

Ungekürzte Kurzgeschichte veröffentlicht unter dem Titel „Leberwurst in Black“ in Boschers eBook / Taschenbuch „Tiefer in die Dunkelheit. Von Frauen, Männern und Monstern“

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Erotische Mails und Briefe schreiben – eine Anleitung. Erfolgreich mit AKT

Erotische Mails und Briefe schreiben

Erotische Mails und Briefe schreiben

Die Suchanfragen rund um den Valentinstag haben wieder einmal gezeigt, dass viele Menschen nach Anleitung Ausschau halten, die ihnen dabei hilft, ihre Gefühle für und Phantasien mit ihren Partnerinnen und Partnern in geeigneter Weise aufs Papier zu bringen. Gefühle der Nähe, der Vertrautheit, des hitzigen Verlangens. Phantasien erotischer Natur, von umschlingender, verschlingender Zweisamkeit (oder mehr). Eine Weise, die geeignet ist, weil sie den Adressaten tief berührt, in Schwingungen versetzt, und sehnsuchtsvolle Leidenschaft hervorkitzelt.

Und so folgt nun, wie bereits an anderer Stelle angekündigt, ein kleiner Leitfaden zum Thema „Erotische Mails und Briefe schreiben“. Eine Anleitung, die – um das eindringlich hervorzuheben – ebenso bar jeden Humors ist, wie es Erotik sein sollte, wenn sie sich denn ernst nimmt und mehr sein will als die Prosa des Verlangens, ein Aufguss feuchtschwüler Tatsächlichkeit, nämlich: ein lyrischer Erguss innerlichster Körperlichkeit, ein AKT der sinnlichen Poesie.

Leitfaden „Erotische Mails und Briefe schreiben“

Es gilt die AKT-Regel zu beachten:

A – Bleibe AUTHENTISCH – soll heißen: Knüpfe dort an, wo Du gerade stehst!

Du willst eine erotische Mail schreiben – und Du hast gerade Hunger? Dann esse nichts, sondern lasse Deinen Hunger für Dich arbeiten: „Ich verzehre mich nach Dir, ach, könnte ich Dich doch kosten, bei Dir sein, meinen Hunger nach Dir stillen, Dich schmecken. Erwache ich, dann sollst Du mein Frühstück sein, mein Toast, den ich mit Herzenlust buttern will. Mein Speck, dessen leckeren Saft ich gierig lecke. Das Ei, das sich mir mit seinen heißen Rundungen darbietet und das ich bis zur Neige auslöffeln will….“

Du willst eine erotische Mail schreiben – und gerade beginnt Deine Lieblingsserie im Fernsehen? Dann schalte den Fernseher nicht ein, sondern lasse Deine Neugier, wie es in der Serie wohl weiter geht, für Dich arbeiten: „Seit ich Dir das erste Mal begegnet bin, will ich nichts anderes, als Dich anmachen, Dich betrachten, meine Neugier auf Dich stillen, Dich sehen, hören. Will Dir zu jedem nur erdenklichen Höhepunkt folgen, Dich in Serie lieben und auch beim Cliffhanger nicht fallen lassen…“

Du willst eine erotische Mail schreiben – leidest aber an akuter Diarrhoe? Dann schlucke keine Mittel dagegen, sondern lasse dieses Gefühl in Deinem Bauch für Dich arbeiten: „Dieses Kribbeln, Brummen, Grummeln im Bauch, wenn ich nur an Dich denke, nichts anderes zählt mehr – außer Dich fühlen. Nur von Dir will ich mich ans Bett fesseln lassen, zum Fließen bringen, bis ich das Gefühl habe, mein ganzes Sein löst sich auf…“

Tipp: Der im Leben verankerte Aufhänger sollte in der Mail nicht genannt werden.

K – KEINE KOMMASETZUNG oder Rechtschreibung – Orthographie ist ein Hemmschuh zum Herzen der Begehrten!

Richtig angewendete Orthographie ist ein Zeichen dafür, dass der Schreibende mit dem Kopf bei der Sache ist. Aber in einer erotischen Mail hat der Kopf nichts zu suchen – es geht um Gefühl, Leidenschaft, Begehren, Sehnsucht, Phantasie, Gier.

Um den Adressaten mit der eigenen Leidenschaft anzustecken, das Herz der begehrten Person zu erreichen und für einen selbst zu entflammen, muss eine erotische Mail direkter Ausdruck dieses intensiven Gefühl sein: Am Kopf vorbei geht der Weg. Also keine Kommas, und wenn, dann nur als Rhythmuszeichen Deines Innenlebens gesetzt. Denke nicht an Rechtschreibung, lasse es fließen. Regeln sind Kopf, das Regellose wird den Adressaten mitreißen.

Tipp: Bei aller Kopflosigkeit dennoch auf den richtigen Adressaten der Mail achten, sie soll ja nicht an den Chef oder ein Familienmitglied gesendet werden.

T – TUE es gleich und TUE es immer wieder – Zurückhaltung führt Dich nicht auf den richtigen Weg!

Was ist Begehren wert, wenn es nur ein Strohfeuer ist? Wenn nach einmaliger Erfüllung die Sinne erlahmen und die Gier erloschen ist? Nichts. Wirkliche Leidenschaft zielt auf Wiederholung ab. Ich will Dich, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Und gleich noch einmal – und zwar: Sofort! Leidenschaft kennt keine Geduld, packt sie einen im Supermarkt, dann will sie die Erfüllung sofort im Schatten der Gemüsetheke. Lodert sie im Park auf, so drängt die Gier einen hinter den nächsten Baum.

Also sollten erotische Mails spontan geschrieben und verschickt werden (siehe auch Punkt K – keine Kommasetzung). Nachdenken, zögern, tötet die Erotik. Also tippen, nicht nachdenken, nicht noch einmal über die Mail lesen, sondern sofort senden – nur so wird sich ein direkter Draht zwischen Herzen herstellen lassen. Und vor allem: Nicht nur einmal senden. Wie gesagt: Leidenschaft zielt auf Wiederholung ab. Also senden. Und wieder senden. Das darf ruhig immer wieder die gleiche Mail sein. Denn wie gesagt: Leidenschaft zielt auf Wiederholung.

Tipp: Keine Verwendung von Eigennamen in Mails. Die Gefahr, eine ehemals an einen anderen Adressaten gesendete Mail nun an eine begehrte Damen (Herren) anderen Namens zu senden, ist in der Hitze der Begierde zu groß.

Mehr erfahren: Dies war nur ein kleiner Leitfaden zum Thema „Erotische Mails schreiben“, eine Erfolgsgarantie kann nicht gegeben werden. Wer seine Erfolgschancen exponentiell erhöhen und die Hohe Kunst der erotischen Mail erlernen möchte, dem lege ich meinen umfassenderen Leitfaden ans Herz „Durch AKTE zum Akt – wie sie einfach und erfolgreich erotische Mails schreiben!“ (inklusive zahlreicher Vorlagen-Mails), der als E-Book bei allen bekannten Anbietern zum Preis von nur 49,80 Euro verfügbar ist. Hier erweitere ich die AKT-Regel um eine zusätzliche Erfolgskomponente zur AKTE-Regel: E = Lieber EINMAL gut geklaut, als zweimal schlecht geschrieben (das E-Book bietet somit einen umfangreichen Anhang erotischer Zitate aus Literatur, Film und Kochbüchern).

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Von deplatzierter Werbung bis zu einer historischen Erektion – Mixed Pickles #9

In den Mixed PicklesBeiträgen auf Boschers Blog findet Ihr ein buntes Gemisch diverser Fundstücke aus dem Netz und aus der noch realeren Welt (mehr zur Bedeutung von Mixed Pickles – und mehr Beiträge – findet Ihr hier…).

Youtube-Fund: Haarpflege für Chemoglatzen – etwas aus der Abteilung „Deplatzierte Werbung“

Es ist ja nichts ungewöhnlich, dass auf Youtube, bevor der eigentliche Videoclip beginnt, Werbung eingeblendet wird – so wie hier die Werbung von Garnier für das Haarpflegeprodukt Fructis Kraft Zuwachs…

Garnier_Werbung_beiHodenkrebs_Video

Das es aber – wahrscheinlich automatisch zugesteuert – bei diesem Video zum Thema „Hodenkrebs“ passiert, lässt dann doch stutzen…

Garnier_Werbung_beiHodenkrebs_Video1

Das Video des sympathischen jungen Mannes namens Nik fand ich auf Youtube. Er erzählt von seiner Hodenkrebs-Erkrankung, von seinen Operationen und den anschließenden 3 Zyklen PEB Chemotherapie aufgrund eines Rezidiv. NMDK Design heißt sein Kanal auf Youtube (hier geht es zum Video „Hodenkrebs – Meine Geschichte“ von Nik)

Eine andere Hodenkrebsgeschichte findet Ihr hier auf Boschers Blog.

 

Apropos Stutzen – wieder etwas aus der Abteilung „Katze“

Benennung einer Internetseite, die einen stutzen lässt. Nach einer Zubereitungsart für unsere Katze hatte ich nicht gesucht…

Boschers-Blog_Rezepte_Katze-selberkochen-fund

Entdeckt als ich nach besonderem Futter für unsere kranke Katze, die partout nicht essen wollte, recherchierte, um sie wieder aufzupäppeln. Auf der Seite von Christel W fand ich neben der in die Irre führenden Benennung „Rezepte für Katzenfutter zum Selberkochen“.

 

Noch ein Youtube-Fund: Running To The Sea

Flüchtings-Video des Überlinger Filmemachers Alexander Bergmann zum gleichnamigen Song von Röyksopp:

Boschers-Blog-Running-to-the-sea-alexander-bergmann-röyksopp

Aufs Bild klicken, der Link führt zum Video auf youtube

Der 1994 geborene Überlinger Filmemacher Alexander Bergmann, der zusammen mit Phil Nylund für den Kurzfilm Momentum (2013) viele Preise einheimste, u.a. eine Einladung zum Filmfestival Cannes (Quelle), nahm mit seinem Video „Running To The See“ an dem von Genero TV und den Musikern Röyksopp ausgerufenen Wettbewerb für das offizelle Musikvideo zu dem gleichnamigen Song teil und konnte sich unter den besten Videos qualifizieren (Quelle). Das Video läuft zudem im Programm des 12. Wettbewerbs um den Jugendfilmpreis (Stuttgart, 3.-6. Dezember 2015):

„Das Video ‚Running To The See’ zum gleichnamigen Song von Röyksopp zeigt Bilder aus dem Leben von vier jungen Flüchtlingen, die sich inzwischen in Deutschland in einer Unterkunft befinden. Ihre Gefühle werden hier auf einfühlsame Weise inzensiert –  so werden sie und ihre Reaktionen unter anderem beim Ansehen dramatischer Bilder aus dem Flüchtlingsalltag auf dem Mittelmeer gezeigt. Außerdem wird die Einsamkeit, die viele von ihnen hier in Deutschland erleben müssen, zum Thema; aber auch Gastfreundschaft und Nächstenliebe die viele Deutsche an den Tag legen ist Gegenstand von ‚Running To The Sea’.“

Credits: Regie: Alexander Bergmann. Produzent: Benjamin Tomoff. Drehbuch: Alexander Bergmann, Mathis von der Berg. Kamera: Nicolai Rissmann. Schnitt: Benjamin Tomoff, Alexander Bergmann. Musik: Royksopp. Ton: Phil Nylund. Visual Effects: Dschafar El Kassem. Cast: Gibbi Sillah, Lamin Travally, Jammeh Ousmann, Mbye Sillah, Mathis van den Berg (Quelle, Hervorhebungen R.B.)

Hier nochmals der Link zum Video auf Youtube…

Nachtrag 13. Dezember 2015 – Jugendfilmpreis „Bestes Musikvideo“: Überlinger Filmteam holt Jugendfilmpreis für bestes Musikvideo.

 

Apropos „See“: Fundstück auf der Fähre – fliegauf Seele

Auf der Fähre über den Bodensee, die zwischen Meersburg und Konstanz verkehrt, gibt es einiges zu entdecken. Zum Beispiel diesen treffenden Namen eines Bestattungsunternehmens: Für jede gläubige Seele ein Name, der einen mit Zuversicht in die Zukunft blicken lässt…

Boschers-Blog-Bestattungen-Fliegauf-DeggenhauserTal

Als ich das entdeckte, fiel mir noch ein weiterer, auf seine, andere Weise durchaus passender Name eines Bestattungsunternehmens vom See ein:

Bestattungsdienst_Wurm_Markdorf_Friedrichshafen

 

Und noch etwas vom See: Zuguterletzt die historische Erektion

Boschers-Blog-Konstanz-Standbild-LeopoldI-Rheinsteig_Ständer

Mittlerweile steht er nicht mehr in seiner ganzen Pracht dort am Konstanzer Seerhein. Das hervorstechende Merkmal des historischen Standbildes am Rheinsteig direkt neben dem alten Pulverturm wurde wieder einmal mutwillig entfernt.

Die Fotografie habe ich beim Stöbern in einer alten Bilderkiste gefunden. Mehr Infos zum Standbild von Großherzog von Leopold I. findet Ihr hier…

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Von Sexy Facebook, einer haarigen Tante und erotischen Mails – Mixed Pickles #6

In den „Mixed Pickles“-Beiträgen auf Boschers Blog findet Ihr ein buntes Gemisch diverser Fundstücke aus dem Netz und aus der noch realeren Welt.

Sexy_Facebook
Sexy Facebook

Seitdem ich der Facebook-Gruppe „Werbung und Verkauf von A-Z“ beigetreten bin, ist das Panorama der mich täglich erreichenden Postings noch bunter geworden.

Da haben wir die sympathischen Selbststricker, die Kredithaie, die Gesundheitstipps-Experten, die Filzer, aktuell die Weihnachtskeksebäcker und -bäckerinnen, die „Mit dieser Idee können Sie ohne viel Aufwand viel Geld verdienen und Ihr Glück machen“-Spezialisten – und natürlich die Autoren, die ihre Bücher bewerben (und aufgrund deren Postings ich auf diese Gruppe überhaupt erst aufmerksam geworden bin).

Sehen und Gesehen werden – Facebook. Kurz: Werbung. Werbung für dies und das, für Besonderes und Alltägliches (seht her, das habe ich gegessen…), immer aber Werben um Aufmerksamkeit. Selbst die, die nach Ganzheitlichkeit streben, erhoffen sich ein „Teilen“.

„Ich denke, als bin ich (so die Vernunftoptimisten). Ich lenke, also bin ich (die Automobilisten). Ich fühle, also bin ich (die Innerlichsten) – ich poste, also bin ich (die Social-Medialisten)…“ (Quelle)

„Gefällt mir“ – der Nabel der Facebook-Welt.

Und hier sind wir beim Thema „Sexy Facebook“ angelangt: Nackte Nabel, knapp bedeckte Brüste, gereckte Pos – die Erotikbranche lässt auf Facebook Testballons steigen. Eigentlich nicht verwunderlich und auch keine Meldung wert.

Aber dies fand ich verwunderlich: Sie tun dies bildlich vergleichsweise dezent (und bei „Werben und Verkaufen von A-Z“ auch an der richtigen Stelle).

Dezenter jedenfalls als einen so manches andere Bild in der Timeline anspringt – Plattencover etwa (von meinen gelikten Heavy Metal-Seiten), oder z.B. das Vorschaubild jenes eine Zeitlang umlaufenden Videos, das eine Lehrstunde für Ärzte in Ausbildung am lebenden Objekt (eine junge, nackte Dame, die den jungen Ärzten ihren Po entgegenstreckt) zum Thema hat. Eine Lehrstunde die in einer rektal-fäkalen Version der berühmten Pfefferminzplättchen-Szene aus Monty Python’s „Sinn des Lebens“ endet.

Und was ich wirklich interessant fand: Die textliche Auslobung der Sexy Facebook-Fraktion ist ebenfalls eher zurückhaltend, weniger knallig als vielmehr diskursiv auf das Umfeld der sozialen Medien bezugnehmend:

„So ich habe mich mal getraut mich bei so einer Seite anzumelden und muss sagen es ist echt geil. In meinem neusten Beitrag geht es um Sexy Facebook für Erwachsene. Lies mehr drüber auf meinem neuen Blog: http//raphaela123456.blogdiesunddaszumir.komm Dort sind auch meine geilen Bilder, denn Facebook ist ja verklemmt, also schaut sie euch an!“

Leider wiederholen sich die in Bezug auf „Sexy Facebook“ geposteten Texte, nur die jeweilige Dame und ihr Appetizer-Bild wird ausgetauscht – aber dies stört wahrscheinlich nur jemanden, dem Texte wichtig sind. Zudem glaube ich nicht, dass diese Art von Werbung auf Facebook eine große Zukunft haben wird. Allein schon, weil sich der eine oder andere Interessierte nicht trauen wird, auf den angepriesenen Link zu klicken, da er Angst hat, dass dieser Klick in seiner Timeline auftaucht („XY sieht sich gerade Raphaela123456 an“).

Apropos anschauen:

Haarige Tante

Es ist immer wieder interessant, aufgrund welcher Suchanfragen, jemand auf meinen Blog findet und sich einen Beitrag anschaut.

Quelle: http://www.lightlybraisedturnip.com/giant-squid-in-california/

Quelle: http://www.lightlybraisedturnip.com/giant-squid-in-california/

Heute zum Beispiel gehen die Suchanfragen sehr einseitig in Richtung einer meiner Rezensionen, deren Titel lautet: „Architeuthis oder der verstrahlte 48 Meter Riesentintenfisch – Rezension: „Der Rote“ von Bernhard Kegel“. Die Suchanfragen lauten: koloss kalmar,  koloss-kalmar,  koloss kalmar vs pottwal,  kalmare,  kolosskalmar.

Immer wieder aber taucht eine Suchanfrage auf, die ich recht skurril finde. Diese Anfrage lautet „Haarige Tante“. Warum jemand auf meinem Blog mit dieser Anfrage landet, ist mir klar, ich sage nur „Haariger Heiligabend“.

Aber aus welchen Beweggründen wird wohl nach diesem Begriffspaar gesucht? Welche Geschichten stecken hinter dieser Anfrage (bzw. Anfragen, weil eine einzelne Eingabe in eine Suchmaschine nicht in meiner Statistik auftauchen würde). Sind es Jugendtraumata (wie in meiner oben verlinkten Geschichte), sind es Anfragen aus kosmetischen Beweggründen (etwa um einer Tante bei ihrem als Problem empfundenen Haarwuchs zu helfen) oder stecken dahinter eher Motive aus dem erotischen Fetisch-Bereich?

Apropos erotisch:

Erotische Mails schreiben

Erotische_Mails
Eine andere, immer wieder auftauchende Suchanfrage, die auf meinen Blog führt, ist: erotische mail schreiben. Gefunden wird dann vor allem mein Beitrag „Erotik und Schreiben“, eher eine literarische Reflexion als eine Schreib-Anleitung. Gefunden wird auch die Kurzgeschichte „Der Liebesbrief“ – wobei der Suchende sicherlich erwartet hat, etwas anderes zu finden als eine Erotik-Psycho-Story über einen Stalker.

Aber vielleicht kann ich hier Abhilfe schaffen. Lesen Sie hier den Leitfaden zum Thema „Erotische Mails schreiben“.

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