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Das liebende Herz von morgen ist das Lebkuchenherz von heut

Fröhliche_Weihnachtszeit
Bald ist wieder die Zeit gekommen… die Zeit für „Ein haariger Heiligabend“… oder ist sie vielleicht schon da? Schon vor Wochen sah ich sie erstmals im Supermarkt, ein ganzes Regal voll, die ersten Vorboten der Weihnachtszeit: Lebkuchen, Weihnachtsgebäck, Marzipanstangen, und ja, Schokoweihnachtsmänner… – und mein Eindruck ist: Immer früher wird versucht, weihnachtlich kulinarische Begehrlichkeiten zu wecken. Ist dies schlecht? Ist das gut?

Glaubt man der Werbung, so ist es für viele Menschen ein Ereignis der Glückseligkeit, dass für manche Süßigkeiten nun endlich die Sommerpause vorbei ist. Warum diesen Zustand der Glückseligkeit nicht noch verstärken, in dem justament mit dem Vorspiel auf das Fest der Liebe begonnen wird?

„Liebe geht über den Magen“, heißt es. Kann es also schlecht sein, dass sich das Fest der Liebe über die Mägen all derer, die sich von den schon jetzt angebotenen Weihnachtsleckereien verführen lassen, immer weiter ausbreitet – Richtung Sommer? Schließlich kann es kann nicht genug Liebe auf der Welt geben. Und schaut man genau hin, so meint man bereits jetzt überall das Gefühl der Liebe um sich greifen zu sehen.

Lächelnd stehen die Pendler am Morgen im Stau zur Arbeit, winken mit einer Zimtstange in der Hand den Wartenden auf der Zufahrtsstraße zu, damit die sich in den Stau einreihen können. Nachbarn, die sich den ganzen Sommer gestritten haben, weil der eine zu oft gegrillt, der andere zu wenig den Vorgarten gepflegt hat, stehen nun fröhlich schwatzend am Gartenzaun, während sie sich eine Packung Marzipankartoffeln teilen. Die Bankerin, die gerade eine Familienpackung Spekulatius verdrückt hat, bietet dem Hippiemädchen einen Platz unter ihrem Regenschirm an und so gehen vormals getrennte Welten vereint durch den Regen. Sehet den Neonazi mit rasiertem Schädel, wie er nach dem Genuss eines Schokoweihnachtsmannes dem dunkelhäutigen Mädchen dabei hilft, den platten Reifen ihres Fahrrades zu reparieren.

Oh du fröhliche Weihnachtszeit,
Es ist endlich soweit.
Harmonie aller Orten
Himmelweit auf stehen die Pforten
Zur Glückseligkeit.
Ein Lächeln macht sich auf den Gesichtern breit,
Wie das doch die Menschen überall freut.
Das liebende Herz von morgen
Ist das Lebkuchenherz von heut.
Vergessen sind bald alle Sorgen,
Kauft, esst, denn endlich ist soweit,
Es beginnt die fröhliche Weihnachtszeit.

Ja, bald ist die Zeit gekommen… die Zeit für „Ein haariger Heiligabend“.

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Der Frosch sagt: Der Sommer hat begonnen

Thermometer_Frosch
Wie ich an anderer Stelle erwähnt habe, ist guter Kaffee gut für das Betriebsklima. Das guter Kaffee beileibe nicht der einzige für eine angenehme Arbeitsatmosphäre förderliche Faktor ist, eher pekunitär orientierte Persönlichkeiten verweisen gerne auf ein angemessenes Salär, die Romantiker unter den Arbeitnehmern auf freundliche Arbeitsatmosphäre oder Anerkennung für erbrachte Leistungen, hat mir ein alter Freund wieder zu Bewusstsein gebracht.

Ja, es gibt Zustände am Arbeitsplatz, die nicht besser werden, wie viel guten Kaffee man auch trinken mag. Nachdem ich vergangene Woche nach einem angenehmen Arbeitstag in maifeierlicher Atmosphäre auf meinem schnurrenden Roller im prallen Bodensee-Sonnenschein in mein Heim zurückgekehrt war, klingelte, kaum dass ich meiner Liebsten zugelächelt hatte, das Telefon. Mein alter Freund aus der Ferne. Da hört man doch gerne zu – und so erfuhr ich von solchen Zuständen.

„Ich sag Dir, heute hat der Frosch den Sommerbeginn verkündet!“, so lauteten seine einleitenden Worte. Jetzt muss ich, um des Verständnisses Willen vorausschicken, dass besagter Frosch, wie ich von früher wusste, natürlich kein wirklicher Frosch war. Er war nie ein wirklicher Frosch gewesen. Nur ein Thermometer in Froschform, dass mein alter Freund gekauft und zur Verifizierung der gefühlten Temperaturen an seinem Arbeitsplatz an selbigem platziert hatte. Nun, der Frosch war Geschichte. Ein schlichtes Holzthermometer erfüllte, seitdem er den Frosch verschenkt hatte, den nämlichen Zweck – nur die Bezeichnung für den Temperaturmesser war geblieben. Der Frosch sagt… Und wie ich wusste, sprach der Frosch im Winter: 12 Grad nach einem Wochenende, an dem im Büro die Heizung ausgestellt war. Und 39 Grad im Hochsommer, seitdem die Klimaanlage aus Kostengründen nicht mehr angestellt wurde. Da ich wusste, dass mein alter Freund (im Gegensatz zu seinem verflossenen Freund) nicht unbedingt temperaturempfindlich war (es galt sich halt angemessen im Büro zu kleiden, im Winter dicke Socken, Pulli, Strickjacke, Schal, Fingerlinge, im Sommer Flip Flops), war mir schon bei dieser Eröffnung klar, dass der Frosch noch mehr sprach, wenn er den Sommer verkündete.

Der Frosch sagte: „29 Grad im Mai, schon kommt der Gestank des Sommers herbei!“

Wörtliche Rede kann etwas Berauschendes, in ihrer Bildhaftigkeit Mitreißendes haben. So fällt es mir jetzt naturgemäß schwer, in geschriebener Rede den Abscheu meines alten Freundes ob der Ankündigung des Sommers angemessen wiederzugeben. Vor allem, da dieser Abscheu olfaktorischer Natur ist.

Zwei kurze Beschreibungen können hier vielleicht hilfreich für einen gewissen Eindruck sein:

Der Arbeitsplatz meines alten Freundes befindet sich, wie er mir mit hörbarem Widerwillen in der Stimme ausmalte, nahe einer Wand, an deren anderen Seite sich die Männertoilette befindet. Eine Standortlage, die im Winter offensichtlich weniger Probleme bereitet, aber im Sommer entscheidend zur Arbeitsmoral meines Freundes beiträgt. Denn diese Wand ist dünn. Wobei es wohl im Allgemeinen gelingt über die Geräusche, welche sich ungehindert durch die dünne Wand bemerkbar machen, hinweg zu hören. Geräusche, die, wie mein Freund glaubhaft machte, mit dem Öffnen eines Reißverschlusses beginnen und sich dann zu intimeren Lautäußerungen steigern. Wie gesagt, diese Geräusche sind nicht das Problem. Und im Winter ist das Problem auch nicht so ein Problem. Aber diese Toilette verstopft des Öfteren (es geht das Gerücht, dass das ganze Bürogebäude nicht an einen Kanal angeschlossen sei) – und dieses Verstopfen bringt im Sommer das olfaktorische Fass zum Überlaufen. Denn, so mein alter Freund, dann sickert der Toilettengestank durch die dünne Wand, kriecht hinter seinem Rücken hervor, wabbert in der aufgeheizten Luft des Büros um seinen Kopf.

Und wie gesagt: Hier hilft kein Kaffee. Der beste, aromatisch duftende Caffé mit allerfeinster Crema schafft es nicht diesen Gestank zu vertreiben. Natürlich hilft hier das Aufreißen der Fenster, so dass der Gestank aus dem Büro in den Flur wabbert, wo immerhin niemand sitzt und versucht, zu arbeiten. Wobei hier das zweite „sommerliche Problem“ mehrmals in der Woche zu Unbilden führt.

Fettabscheider. Dieser ist wohl das zweite Problem. Ein Problem, das im Winter auch vorhanden ist, aber aufgrund der dämpfenden Niedrigtemperaturen nicht so gravierend empfunden wird. Unterhalb des Büros von meinem Freund ist die Kantine des Bürogebäudes. „Ist schon okay“, sagt mein Freund, „Keine weiten Wege, das Essen ist genießbar.“ Aber aufgrund dieser Kantine ist ein Fettabscheider notwendig und dieser liegt unterhalb der Kantine, also auch unterhalb des Büros meines alten Freundes. Und dieser äußert sich olfaktorisch auf zweierlei Weise, so dass es ratsamer erscheint, die Fenster im Sommer zu schließen, auch wenn der Gestank aus der Toilette durch die Wand sickert, auch wenn sich das Büro immer weiter aufheizt: Der olfaktorische Normalbetrieb. Soll heißen, der Fettabscheider tut, was er tun soll, und stinkt gewohnheitsmäßig vor sich hin, was sich mehrmals am Tag in intensiven Geruchsschwaden äußert. Der olfaktorische Extremfall, soll heißen, der mehr als intensive Gestank, wenn das Entsorgungsunternehmen in regelmäßigen Abständen seinem Auftrag nachkommt und den Fettabscheider auspumpt. Während im Normalbetrieb der Geruch aus der Toilette noch wahrnehmbar ist, ist er im Extremfall, bei schönstem Sonnenschein, der das Büro etliche Grad über Lufttemperatur aufheizt, dermaßen alle Sinne einnehmend, dass weder Toilettengestank noch Kaffeegeruch (selbst mit der Nase in der Tasse) mehr wahrnehmbar sind.

Und davon sprach der Frosch. Und davon sprach mein alter Freund, ein existentielles Problem, das ihn anrufen ließ. Ich hörte ein gewisses Grauen in seiner Stimme. Die heute vom Frosch verkündete Temperatur von 29 Grad im Büro galt ihm als Unheil dräuender Vorbote des nahenden Sommers. Zudem war die Toilette heute wieder verstopft. „Und wie war es bei dir heute?“, fragte er mich schließlich müde. Aber was sollte ich ihm sagen? Bei mir im Büro wabbert nur der Duft nach gutem Kaffee (gemischt mit ein wenig Teegeruch von den Teetrinkern) durch die Luft? Bei mir sorgt die Geschäftsleitung dafür, dass es im Winter warm und im Sommer angenehm temperiert ist? Bei uns sind die Wände dicker? Sollte ich ihm sagen, dass ich mich auf den Sommer freue?

Nein, ich sprach nicht über meine Arbeit. Ich erzählte von meinem Blog (den Beitrag über seinen Ex, seine Fröstlichkeit und die Wärmflasche hatte er gelesen und dabei wehmütig gelächelt). Ich richtete ihm schöne Grüße von meiner Liebsten aus, die gerade hereinkam. Dann verabschiedeten wir uns. „Morgen soll es ja schon wieder kühler werden!“, sagte er zum Abschied. Und die Hoffnung in seiner Stimme ließ mich die Tage danach nicht mehr los, und also ärgerte ich mich nicht, als es zu regnen begann und tatsächlich abkühlte. Und so lächele ich auch jetzt in den Regen hinaus, sehe den Pflanzen dabei zu, wie sie sich nach den warmen Sonnentagen gierig nach dem kühlen Nass strecken, ihre Blätter gen ausströmendem Himmel recken. Für den Moment scheint sich der Frosch geirrt zu haben. Vielleicht ein gutes Zeichen. Vielleicht irrt auch mein alter Freund. Ja, vielleicht unterschätzt er seinen Arbeitgeber und dieser Sommer wird als der Sommer in die Geschichte eingehen, der dem, was der Frosch sagt, seinen Schrecken nahm.

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Quelle für Froschthermometer-Bild

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Oh Gott, sie haben die Verpackung verändert

Damenbinden_Verpackung_geaendert
Früher oder später trifft es wahrscheinlich die meisten Männer. Das erste Mal, da ihn, sagen wir auf der Arbeit, zum Beispiel eine sms erreicht: „Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit“ (oder Tampons oder Slipeinlagen…). Und so fährt man nach der Arbeit ahnungslos zum nächstgelegenen Drogeriemarkt, geht lächelnd wohlgemut durch die Auslagen, bis man das Regal für Frauenhygienartikel findet.

„Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit“

Ja, aber gerne doch. Doch welche?

Erst steht man staunend vor dem Regal. Was es nicht alles gibt! Normal, Ultra dies, ultra das. Maxi. Mini. Mit Flügeln. Ohne Flügel. Ohne Duft oder mit Duft. Mit diesem oder jenem Duft. Und die ganze Auswahl wird potenziert durch die verschiedenen Anbieter. Wohin man auch blickt, Pastelltöne in betäubender Vielfalt.

Dann überkommt einen eine gewisse Panik, während man mit dem inneren Augen ins heimische Bad wandert. Wie sieht noch einmal die nun offenbar leere Packung Binden daheim aus? Waren da nicht Grüntöne? Oder doch eher ein leichter Stich ins Bläuliche? Pink? Ja, Pink. Richtig pink oder doch eher eine Nuance Altrosa? Oh Gott, und welcher Anbieter?

Man könnte nun natürlich zum Handy greifen und die fehlenden Informationen bei seiner Frau abrufen. Aber gibt man sich eine solche Blöße?

Dann doch lieber die Logik bemühen. „Normal“ kann doch nicht verkehrt sein. Aber was heißt schon normal? Wo ist denn da die Bemessungsgrundlage? Des Mannes Blick streift vom Regal weg über die anwesenden Damen. „Normal“ meint wahrscheinlich die von der durchschnittlichen Frau bevorzugte Größe. Aber: was heißt hier „durchschnittlich“? Ist diese Frau dort oder jene durchschnittlich? Kleidergrößen sind besser einzuschätzen. Ha! Hatte er nicht vor kurzem etwas über durchschnittliche Kleidergrößen deutscher Frauen gelesen? Wie war das noch? Früher 40, heute 42. Ja, so war das. Also „Mini“, schwankt doch die Kleidergröße der Dame daheim (jedenfalls in offiziellen Verlautbarungen). Man will ja nicht in ein Fettnäpfchen treten. Aber Mini mit oder ohne Flügel? Mit oder ohne Duft. Duft klingt gut. Aber ist das auch wirklich gut verträglich? Und was ist mit der Länge? Mini normal oder Mini lang?

Vielleicht einfach die Augen schließen und sich bei der Auswahl von Fortuna leiten lassen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass Fortuna in diesem Moment einfach mal in eine andere Richtung sieht, ist außerordentlich hoch. Die meisten Neulinge beim Frauenhygieneartikelkauf werden daneben greifen. Aber man ist ja lernfähig.

Erfahrene Männer haben sich nach solchen Momenten natürlich später genau die bevorzugte Marke und die genaue Beschreibung eingeprägt – oder einfach mit dem Handy ein Foto von der entsprechenden leeren Verpackung geschossen, die er in seiner Unfähigkeit mit einem falschen Produkt hatte ersetzen wollen. Und weil man logisch vorgeht – und für die Zukunft gewappnet sein will: Fotos vom Shampoo, der Spülung, vom Haarfestiger, vom… Und weil es dann, nach dem Abgleich mit dem Bild in seinem Gedächtnis (oder auf dem Handy) noch einfacher zu bewerkstelligen ist, merkt er sich genau den Ort, an dem der entsprechende Artikel im Drogeriemarkt zu finden ist. Quasi blind. Man läuft dann einfach immer die gleiche Runde, greift hier in die dritte Regal-Etage links, bückt sich dort zur Auslage hinunter gleich gegenüber dem Wasserspender.

Und so lächelt man, wenn man wieder einmal eine sms erhält. „Schatz, bringst Du mir bitte Binden mit, ach ja, und noch das Trockenshampoo“. Lächelt, bis man wieder im Drogeriemarkt steht – und merkt: Sie haben umgeräumt.

Doch die entsprechenden Regale und Auslagen sind zu finden. Zur Not fragt man eine der freundlichen Verkäuferinnen oder Verkäufer. Und somit steht man dann vor den gesuchten Artikeln. Doch in der dritten Regal-Etage links steht etwas anders. Ein leichter Anflug von erhöhtem Blutdruck macht sich bemerkbar. Der Blick streicht über die nun anders geordnete Vielfalt, gleicht das Angebot mit dem Bild vor dem inneren Auge (oder dem Foto auf dem Handy) ab – und findet nichts. Denn – oh Gott! – die bevorzugte Marke hat bei diesem Artikel die Verpackung geändert.

Ja, oh Gott. Denn was lernt man daraus (außer sich die genauen Produktspezifikationen unabhängig von der Verpackung einzuprägen)? Wenn selbst bei Binden die Produktpräsentation wechselt, das Produktmarketing also der Ansicht ist, dass sowohl eine andere Gestaltung als auch ein anderer Verkaufsort für den Umsatz förderlich sind, dann obacht Mann!

Frauen suchen das Neue.

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Zauber unserer Sprache

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Zauber unserer Sprache, so reich an Wörtern mit vollem Klang, warm im Ton und tief im Sinn. Wörter, die singen, das Herz zum Schwingen bringen, angefüllt mit Bildern zum Schwelgen, zärtlich teils, teils erhaben. Eine Quelle von Göttern gegeben, an der sich unsere Seelen laben. Kleinodien, von denen heute eines besonders glänzt, sich an mich schmiegt, so kraftvoll wie behende, und dieses eine Wort ist: Wochenende.

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Ich hab den Kaffee auf!

Kaffee_auf

Oh aromatica negro,
Bene crema, oh molto gusto
Praestat ridere quam flere,
Oh flair della rondo bohna,
Bohna di deo, credo, rexona.

„Ich hab den Kaffee auf!“, dies werden an jenem Morgen so einige meiner Kollegen gedacht haben, wobei sie es wahrscheinlich in anderen Worten dachten, ist doch dieser Spruch aus NRW hier im süddeutschen Raum nicht so geläufig.

Aber dass sie dies auf die eine oder andere Weise dachten – man musste nur in ihre Gesichter sehen –, zeigt doch: Wie wichtig guter Kaffee für das Betriebsklima ist. Bzw. Caffé, handelte es sich doch um eine italienische Maschine, die zu aller Ärger nicht mehr tat, was sie tun sollte: Heißen Caffé zu machen. Oder wenigstens Kaffee.

Dabei war die Maschine neu. Unser Chef hatte sich nicht lumpen lassen. Das war quasi wie Weihnachtsfeier und Sommerfest in einem. Ein Caffé-Fest erster Güte. Der war aber auch lecker! Allein schon diese Crema wird der einen oder dem anderen auf dem Weg zur Arbeit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben – oder wenn noch nicht auf dem Weg, so doch wenigstens in dem Moment, da sie oder er die Küche betrat und zur rechten Hand dieses neue technische Wunderwerk handwerklicher Präzision thronte. Und wenn noch nicht in diesem Moment, so doch wenigstens dann, wenn er oder sie die Tasse, nachdem ein letzter heißer, dunkler Tropfen von der Maschine in dieses aromatische Kunstwerk entlassen worden war, von dem chromglänzenden Abtropfgitter in die Hand nahm.

Wie gesagt: Guter Kaffee ist wichtig fürs Betriebsklima. So verwundert es nicht, dass die Kaffee-Universität in ihren Leitlinien ganz im Sinne der Schaffung eines guten Betriebsklimas formuliert: „Im Mittelpunkt dieser Akademie stehen die Menschen, ihre Ansprüche und ihre Perspektiven“. Und somit war die Vorgängermaschine wohl auch der Grund für die gesunkene Moral in allen Abteilungen gewesen. Der Kaffee genügte keinen Ansprüchen. Das dunkle Gebrüh war zwar heiß, aber das war es dann auch. Die Arbeit hatte gewissermaßen allen nicht mehr geschmeckt. Selbst der Chef hatte sein sonniges Gemüt verloren. Und da so etwas nicht angeht, musste eine neue Maschine her. Und siehe da, es ward Licht…

Heiß, schwarz, wohl duftend – und man, wie lecker! Da ging an jedem Morgen auf Arbeit die Sonne auf – bis zu jenem Tag. Jenem Morgen, als die Maschine keinen Mucks mehr tat. Drama Baby, Drama! Aber holla die Waldfee! In diesen dramatischen Minuten hatte schon so mancher den Kaffee auf, bevor der Arbeitstag überhaupt so richtig in die Gänge gekommen war. „Ich werd zum…“, „… aus dem Fenster!“ Die Extrovertierteren machten sich mit Worten Luft. Andere starrten stumm auf die Maschine, als wollten sie diese mit der puren Kraft ihrer Gedanken zum Laufen bringen. Einer griff gar in seiner Verzweiflung zu löslichem Kaffee – entkoffeiniertem.

Was aber war geschehen? Es ist dies, es ist das… „1, 2, 3, Du musst Dich entscheiden, ob Du recht hast oder nicht, das sagt Dir gleich das Licht!“ Und das Licht wies tatsächlich den Weg, als endlich einmal jemand durchatmete und seine Panik („Kein Kaffee! Oh Gott!“) in den Griff bekam. Da blinkt eine Lampe! Eine Lampe blinkt da! Oh, Wunderwerk der Technik! Die Maschine sprach mit uns – und ihre Anweisung war ganz klar: Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel? Da war kein Satzbehälterdeckel (klar!), vielleicht noch nie einer da gewesen (klar!) – wie sollte der auch verschwinden? Der Satzbehälter hatte doch sehr ordentliche Ausmaße, schließlich fasste er den Kaffeesatz von pi mal Daumen 50 Kaffees, oder Caffé. So etwas verschwindet doch nicht einfach!

Findige Mitarbeiter hatten eine Anleitung zur Benutzung der Kaffeemaschine ausgedruckt, sie grafisch verfeinert mit Bildchen und Icons und Hinweisstrichen („Hier drücken!“), aber nicht daran gedacht, dazu zu schreiben, dass man beim Ausleeren des Satzbehälters zuvor den Satzbehälterdeckel abnehmen müsse. Sträflich! So etwas weiß man doch, seitdem eine Amerikanerin versucht hat, ihren Pudel in der Mikrowelle zu trocknen. Entweder gar keine Hinweise (so dass jeder selbst denken muss) oder Hinweise zu allem, jedem, zu jedem auch noch so unwahrscheinlichen Fall („Den Wasserbehälter der Kaffeemaschine nicht benutzen, um eine Instantsuppe zuzubereiten!“ – etwa falls jemand denkt: Cool, ich gieße meine Tütensuppe oben rein und durch den Heißwasserspender erhalte ich lecker Erbensuppe!)

Jedenfalls fand sich der Satzbehälterdeckel, halb so groß wie eine altmodische LP-Hülle, schließlich im Biomüll – und das war ja auch gut fürs Betriebsklima: Da gab es etwas zu lachen! Und lecker Caffé gab es obendrauf. Und niemand hatte mehr „den Kaffee auf“, außer vielleicht die Person, die den Spott aller über sich ergehen lassen musste („Aber es stand ja auch nichts in der Anleitung…“). Doch wie auch immer: Als dann später der Chef lächelnd mit einer Tasse heißen, dunkel dampfenden Caffé mit Crema über den Flur ging, war die Welt in Ordnung und die dramatische Situation des Morgens vergessen. Guter Kaffee und ein Lächeln ist halt wirklich wichtig für das Betriebsklima.

Oh aromatica negro,
Bohna di deo, credo, rexona.

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Buchvorstellung: „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“

Ralf_Boscher_Krimi_Mordsroman_Abschied

Bin ich ihm auf den Leim gegangen, indem ich seine Briefe, seine bei unserem Treffen geäußerten Drohungen ernst nahm? Indem ich hinter seinen Geschichten, seinem ganzen Gehabe, einen dunkel dräuenden, bedrohlich wahren Kern vermutete? Aber vielleicht bestand in Wahrheit nie eine wirkliche Bedrohung. Vielleicht war er nur ein wunderlicher Kauz, der einen Narren an mir gefressen hatte. Alles nur Fiktion, Teil seines Spiels. Wie auch immer. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Mir genügte es zu wissen, dass seine Hände so wenig fiktiv waren wie meine eigenen. Hände, die zupacken könnten, eine Bremsflüssigkeit ablassen, ein Feuer legen, ein Messer greifen…

„Der etwas andere Roman… Die einzelnen Charaktere sind gut herausgearbeitet und beschrieben, glaubhaft, wenn auch manchmal völlig abgedreht. Die zum Ende des Romans forcierten Elemente aus Krimi, Horror und Psychothriller münden in einem gewaltigen Finale der Haupthandlung; die Rahmenhandlung endet ebenfalls dramatisch. „Eine gute Geschichte. Eine Geschichte, die es wert war, veröffentlicht und gelesen zu werden“ – diesem Zitat aus der Nachbemerkung schließe ich mich gerne an.“ (Peka auf Amazon).

„Skurriler Krimi… Schräge Charaktere, eine “mordsmäßig spannende Story” (Leser) und dazwischen philosophisch verstiegene Gedankengänge – das liest sich gut und frisch, ist manchem Rezensenten aber dann doch “too much”. Ausprobieren!“ (Johannes Zum Winkel auf xtme).

„Eine außergewöhnliche Geschichte , spannend erzählt , am Ende vielleicht etwas dick aufgetragen. Daher vier Sterne. Ich kann das Buch empfehlen für Leser die keine Geschichte nach Standardschema lesen wollen.“ (Malika auf Amazon)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung.

Oft anrührend, manchmal melodramatisch, immer wieder witzig entblättert der Ich-Erzähler der Haupthandlung sein Leben und seine Leiden. Ist er sympathisch? Ja. Ist er abstrus, sogar dubios? Oh ja. Ist er ein psychopathischer Serienmörder? Seine Erzählungen sind temporeich und farbenfroh (von blutrot bis schwarzhumorig). Eine Lebensgeschichte voller skurriler, ja grotesker Momente. Wir begegnen interessanten Charakteren (mit meist nur kurzer Lebenserwartung) und dämonischen Gestalten. Würzig abgeschmeckt wird das Ganze mit einem Hauch von Philosophie, einem satten Pfund Sex and Crime, einer guten Prise Wahnsinn und zwei Messerspitzen Horror.

„Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ – ein Buch, das in vielen Genres wildert.

Der Roman ist als eBook und Taschenbuch erhältlich.

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Ruhe im Kartong oder: WG-Leben kann so grausam sein

Ralf_Boscher_Krimi_Mordsroman_Abschied
Ja, ich muss zugegeben, dass ich mir zu dieser Zeit ein wenig Sorgen um mein sonniges Wesen machte. Die Tabletten, welche ich gegen meine Rückschmerzen schluckte, machten es wahrscheinlich auch nicht besser. Zu allem Überfluss erhielt ich zwei meiner Manuskripte von Verlagen dankend zurück, womit ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte, war ich doch davon ausgegangen, dass ich mir den Verlag würde aussuchen können. Und Udo, ja Udo trieb es in diesen Tagen, da ich bei den Frauen kein Glück hatte, wie ein Wahnsinniger bei uns in der WG. Ausgerechnet Udo, um den doch die Frauen sonst immer einen solchen Bogen machen, wie er mit seiner Matte um den Friseur. Und wenn ich in der WG schreibe, dann meine ich auch in der WG.

Es musste doch wirklich nicht der Kühlschrank sein, und gerade zu der Zeit, da ich zumeist – wie Udo es doch mittlerweile wissen müsste – von der Arbeit nach Hause komme und gerne noch ein letztes Bier in der Küche trinke. Also, das Letzte, was ich in einer solchen Nacht noch sehen möchte, ist Udos Arsch, eingerahmt von zwei Beinen, die in der Luft hängen, untermalt von einem geradezu obszönen, so lauten Klatschen, dass ich dies eigentlich schon – wenn ich nicht so müde gewesen wäre – im Flur hätte hören müssen. Mal ganz abgesehen von Udos angestrengtem Keuchen, dem Geklirre und Geschepper im Kühlschrank und der hörbaren Freude von Udos Bekanntschaft an dieser ganzen Aktion. Als hätte dies noch nicht gereicht, schäumte mein Bier zudem über, das ich mir dann – als die Küche wieder frei war – genehmigen wollte.

Als ich Udo am nächsten Tag darauf ansprach, zuckte er nur mit den Achseln. War ihm wohl zu Kopf gestiegen, auch mal was mit einer Frau zu haben. Zugegeben, diese Frau nahm ihn ganz schön ran, der Küchenszene folgte schon bald heftigstes Treiben in der Dusche, aber muss man sich denn gleich seinen ganzen Anstand aus dem Hirn ficken? Schließlich hatte ich mein Zimmer direkt neben dem Bad, und dieses Gekicher, lauthalse Lachen, dieses ganze Geplätscher, und schließlich dieses beständige Rumsen gegen die Wand, mal schneller, mal langsamer, in solch einem unberechenbaren Rhythmus, dass es einfach nicht zu ignorieren war, zumal diese Frau irgendwann begann, Udo lautstark anzufeuern: Ja ja, pack mich, tiefer, schneller, höher, weiter, weiter, meine Muschi, mein Arsch, meine Titten! Fehlte nur noch, dass Udo auch noch anfing: Mein Schwanz, mein Arsch, meine Eier. Ich kann Ihnen sagen, Udos Ausdauer ging mir ganz schön an die Nieren, man will ja auch mal schlafen. Aber das interessierte ihn, wie gesagt, nicht die Bohne, er zuckte nur mit den Achseln, meinte, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, griff sich zwei Tassen Kaffee, und wie ich dann am steigenden Geräuschpegel aus seinem Zimmer hören konnte, ließ es sich seine Bekannte schon wieder gefallen, feste gefeiert zu werden. Tja, so sah es aus, und dergestalt ging das Tage weiter. Zwischenzeitlich tauchte Gerd wieder auf, der einige Zeit unterwegs gewesen war, und selbst ihm, der gerne beobachtend an den Vergnügungen anderer Menschen teilnimmt, reichte es bald. »Als ich gestern nach Hause kam, ließ sich die Wohnungstür einfach nicht öffnen«, meinte er eines Morgens, sichtbar genervt und übermüdet zu mir, »nur einen Spalt bekam ich sie auf, und dann hörte ich sie auch schon wieder, ich hörte es schmatzen und leise stöhnen, sie standen direkt an der Tür, ich spürte es, als ich gegen sie drückte, und meinst du, sie hätten aufgehört, ‘Moment noch!’ meinte Udo nur. Ich dachte, ich spinn’. Der hat überhaupt keine Hemmungen mehr, ‘Schneller!’ sagte er dann noch zu ihr. Eine geschlagene Zigarettenlänge stand ich da wie ein Depp vor der Tür, bis Udo mich mit so einem blöden Grinsen reinließ.«

Wahrlich die Stimmung bei uns in der WG kochte hoch. Um das Fass vollzumachen, hatte Gerd, als er unterwegs gewesen war, auch eine Frau kennengelernt, und da sie mehrere Hundert Kilometer entfernt in Konstanz am Bodensee lebte, blockierte er ständig das Telefon. Außerdem bewies er das Fingerspitzengefühl eines Bulldozers: »Wie geht’s denn so mit dir und Carmen?«, fragte er mich, »Siehst du sie hier irgendwo?«, gab ich kurz angebunden zurück und dachte, damit hätte ich Ruhe. Er aber sah sich wirklich um, zuckte dann mit den Schultern: »Nein! Und was ist mit deinem Roman?« Ich ließ ihn stehen, mit ihm darüber zu reden, das von den Manuskripten, die ich kurz nach der Vollendung meines Werkes an Verlage gesandt hatte, nahezu jeden Tag eines zu mir zurückkehrte, hatte ich nun wirklich nicht das geringste Bedürfnis.

Kurz gesagt also: Es war wirklich Zeit, sich mal wieder zusammenzusetzen und ein bisschen etwas für ein besseres Klima bei uns in der WG zu tun: am besten Skatspielen (für eine Runde Doppelkopf waren wir, seit Diana nicht mehr unter uns weilte, zu wenig Spieler), denn das hatte bislang bei Unstimmigkeiten immer geholfen. Und so zockten wir dann ein paar Tage später, als ich einen freien Abend hatte, Gerd nicht dringend telefonieren musste und Udo, da seine Freundin mal etwas anderes unternahm, seinen Schwanz in der Hose lassen konnte, eine Partie Skat.

Zunächst ging alles gut. Wir spielten Runde um Runde, arbeiteten uns an dem Kasten Bier, den ich besorgt hatte, ordentlich ab und qualmten die Bude voll. Abgesehen davon, dass keiner von uns das heikle Thema Frauen ansprach, ein ganz normaler Abend unter Männern. Doch dann schwankte Gerd auf die Toilette, und Udo hatte plötzlich diese Anwandlung, unbedingt doch einmal in diesen Topf hineinschauen zu müssen, der schon des längeren unberührt auf unserem Herd gestanden hatte.

Mir hätte ja sein Gesicht, als er den Deckel hob, vollends gereicht, hätte mir den Inhalt gar nicht zeigen brauchen. Was immer es mal gewesen sein mag, es stank nicht nur, es bewegte sich auch. Vielleicht sogar schneller als Gerd. Denn als Udo ihm – kaum dass er von der Toilette kam – den Topf wortlos unter die Nase hielt (es war einfach klar, dass diese Sauerei von Gerd stammte), da schien es zwar so, als würden Gerds Hände den Topf umfassen, ja, zumindest fassten sie, als Udo ihn losließ, zum Topf, aber eben nicht schnell genug. Vielleicht hatte er sich auf Toilette ja auch einfach nur nicht gründlich genug die nassen Hände abgetrocknet, so dass er noch Seife an den Fingern hatte, jedenfalls sauste ihm der Topf durch die Finger und schlug geradezu spektakulär auf dem Boden auf. Erst schepperte es, dann spratzte es auch mächtig. Was immer es mal gewesen sein mag, jetzt bedeckte es großflächig unseren Küchenboden oder versuchte in den Ritzen der Fliesen zu verduften. Und dann ging alles sehr schnell.

Udo musste lachen, und ich konnte endlich mal wieder lachen, hatte ja schon fast geglaubt, ich wäre der Einzige unter Gottes weitem Himmel, dem Missgeschicke geschehen würden. Gerd lachte nicht. Dafür ging er hoch wie eine Rakete, von langsamen Bewegungen plötzlich keine Spur mehr: »Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich das wegmache!« schrie er. Blitzschnell hatte er kombiniert, denn natürlich glaubten wir dies. Statt einer, oder wie er es wohl aufnahm, als Antwort mussten wir noch mehr lachen, woraufhin er äußerst behende einen Stuhl nahm und vor die Wand warf, was uns dazu brachte, wenigstens zu versuchen, unseren Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken, weil es jetzt offensichtlich Ernst wurde. Ich schaffte es sogar ganz gut – der ganze Frust der letzten Zeit war ein ordentliches Gegengewicht gegen Heiterkeit –, stand auf und sagte recht ruhig zu Gerd: »Natürlich machst du das weg, es ist dein Scheiß!« Dann aber musste ich doch kichern, was meine Autorität beträchtlich untergrub, und noch mehr untergrub diese mein auf Gerds Worte: »Ich hab den Scheiß aber nicht hingeworfen!« folgendes Lachen, was jenen dazu brachte, sich den Besen zu greifen und mit diesem drohend auf mich loszugehen: »Hör auf zu lachen, du Arsch!«, schrie Gerd, »Ich mach mich doch hier nicht vor euch zum Affen!« schrie er und hob den Besen über seinen Kopf.

Das hätte er wohl besser nicht getan, immerhin hatte Gerd einen Mann vor sich, dem in der letzten Zeit einiges aus dem Ruder gelaufen war. Aber um des lieben Friedens willen verzog ich mich – immer noch lachend – Richtung Tür. Hatte mir wirklich vorgenommen, jedem Streit aus dem Weg zu gehen, schließlich ging es um die gute Stimmung in der WG. Aber irgendwas in der Art wie Na, dann mach mal schön! habe ich mir dann doch wohl, den Türgriff schon in der Hand, nicht verkneifen können.

Ich hätte die Tür garantiert nicht mehr auf- und vor allem hinter mir zubekommen, so schnell stürzte Gerd brüllend wie ein kompletter Wikingerhaufen beim Angriff auf mich zu. Er hob den Besen, »AaaaaaHHHH!« schrie er, machte einen letzten, langen Schritt: »Aaahhh!« und rutschte auf all dem Scheiß, der den Boden bedeckte, aus. Der Besen flog, seine Arme flogen, seine Beine, und s p r a t z landete Gerd auf dem Rücken mitten im Was immer es gewesen sein mag. So nahmen die Dinge, die nun wahrlich nicht mehr in ihrem rechten Verhältnis zueinanderstanden, ihren Lauf.

Udo konnte sich vor Lachen kaum mehr auf dem Stuhl halten, war richtiggehend am Headbangen vor Schadenfreude. Gerd rappelte sich mit vor wilder Wut verzerrtem Gesicht wieder auf. Ich verließ derweil getreu meiner einmal gefassten Maxime Kein Streit! die Küche. Kaum dass ich im Flur war, hörte ich schon den nächsten Stuhl poltern, Gerd schrie: »Hör bloß auf zu lachen!«, aber Udo lachte weiter, lachte gar noch lauter, dann erneutes Poltern, Gläser splitterten, das war dann wohl der Tisch gewesen, und dann Udos Stimme – nun ohne Lachen: »Wag‘ es nicht!« In diesem Augenblick schwang die Wohnungstür auf und zu allem Überfluss betrat Udos Freundin den Flur, und nun konnte auch ich nicht mehr an mich halten, hatte Udo ihr doch offenbar einen Schlüssel gegeben, ohne es abzusprechen: »Heut’ wird nicht gefickt!« warf ich ihr also, meinen guten Vorsatz über Bord werfend, an den hübschen Kopf (Geschmack hatte er ja, der Udo). Doch da krachte plötzlich Udo mitsamt der Küchentür, die aus den Angeln gerissen wurde, in den Flur hinein. »Oh Gottogott!«, stöhnte nun seine Freundin (das kannte ich schon aus einem in anderen Zusammenhang), doch Gerd, der augenscheinlich in seiner Wut Wahnsinnskräfte entwickelt hatte, schrie sie aus der Küche heraus nieder: »Du gehst mir nicht mehr auf den Sack!« Währenddessen versuchte Udo, unterstützt von seiner Freundin und vielen »Ohgottogott!«, sich aufzurappeln, doch da kam auch schon Gerd wie eine der sieben Plagen über sie: »Ah, das trifft sich gut!« meinte er nur und hieb mit dem Besen auf sie beide ein. Schließlich aber bekam Udo eines von Gerds Beinen zu fassen und riss ihn um, was dann damit endete, dass Udo, seine Freundin und Gerd unter einigem Gebrüll und vielen »Ohgottogott!« in wildem Herumgeringe aufeinander einprügelten, bis ich von all dem Theater genug hatte, den lieben Frieden endgültig lieben Frieden sein ließ, mich – nachdem ich kurz noch einen Blick in die demolierte Küche geworfen hatte – einmischte und die Streithälse trennte. Und nun endlich war – wie man am Niederrhein so sagt – Ruhe im Kartong.

Dachte ich. Denn am Morgen nach dem einschneidenden Skatabend kehrte Carmen mit Macht zurück. […]

Ende

Dies war eine Leseprobe (eine Szene des sechsten Kapitels „Das Ende vom Lied“) aus: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher. Erhältlich als Taschenbuch und eBook (das eBook noch für kurze Zeit für 2,99 Euro).

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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Ein haariger Heiligabend – „Ho! Ho! Ho! oder Tante Marthas Hintern“, eine unbesinnliche Weihnachtsgeschichte

Ungekürzte Weihnachts-Kurzgeschichte aus Ralf Boschers eBook / Taschenbuch „Tiefer in die Dunkelheit. Von Frauen, Männern und Monstern“

Haariger_Heiligabend_Ralf_Boscher
Ein haariger Heiligabend

Es traf mich völlig unvorbereitet. Wenn es bereits November gewesen wäre, oder wenigstens Ende Oktober, ja dann hätte ich damit gerechnet, aber doch nicht Mitte Oktober. Ich hatte gerade die Obsttheke im Supermarkt hinter mir gelassen und bog Richtung Tiefkühlkost ab, da sah ich sie. Eine ganze Palette. Lebkuchen. Ich versuchte noch, meinen Blick abzuwenden, aber es war zu spät. Und es geschah, wie es jedes Jahr seit diesem verhängnisvollen Heiligabend damals geschah. Ich sah das Bild vor mir.

Meine Therapeutin hatte es bei mir mit Desensibilisierung versucht, schließlich wollte ich einmal eine Familie gründen und würde es meinen Kindern schuldig sein, ihnen ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Da konnte ich doch nicht bei der kleinsten weihnachtlichen Kleinigkeit zusammenbrechen. Aber all ihre Versuche, mich allmählich an Weihnachten zu gewöhnen, zum Beispiel indem sie mir winzig kleine Weihnachtsmänner in der Absicht in die Hand gab, mich durch den Anblick gewissermaßen abzuhärten und mich so aus dem Bann des Bildes zu befreien, fruchteten nicht. Da mochte sie auch noch so beruhigend auf mich einreden, ich begann zu zittern, mein Puls raste, mir brach der Schweiß aus, ich sah das Bild vor meinem inneren Auge und zerquetschte so manchen Schokoweihnachtsmann in meiner sich verkrampfenden Hand. Die Therapie scheiterte. Und so war ich dem Anblick der Lebkuchen hilflos ausgeliefert.

Es war an jenem Heiligabend des Jahres geschehen, in dem ich 14 Jahre alt geworden war. Zusammen mit meinem Vater hatte ich wie jeden Heiligabend zuvor den Tannenbaum vom Garten ins Wohnzimmer geschleppt und aufgestellt. Das war ein Männerjob. Schmücken würden ihn meine Mutter und meine kleine Schwester, die – als Vater und ich uns mit dem Baum abmühten – in der Küche waren und Plätzchen backten. Auf diese Plätzchen freute ich mich schon seit Wochen, gab es bei uns im Elternhaus doch nur selten Süßigkeiten, und war Weihnachten eine der wenigen Gelegenheit im Jahr – vor allem neben Ostern und Nikolaus – an denen wir Kinder nach Herzenslust Süßes essen durften. Ich mochte Weihnachten. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass ich schon längst nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte. Ich hatte damit aufgehört, kurz nachdem ich entdeckte, dass es Tante Martha war, die Jahr für Jahr als Nikolaus verkleidet unser Haus besuchte (was sie mit offensichtlicher Freude tat, vielleicht allein schon deswegen, weil sie sich als Nikolaus ihren sprießenden Damenbart nicht rasieren musste). Von einer Tante Martha als Nikolaus zu ernsten Zweifeln an der Existenz auch anderer im Kinderleben wichtiger Gestalten war es kein weiter Weg, und als ich ihn einmal eingeschlagen hatte, dauerte es nicht lange und ich eröffnete meinen Eltern, dass es den Weihnachtsmann und den Osterhasen genauso wenig gäbe wie den Nikolaus. Meine kleine Schwester ahnte von all dem nichts. Ich brachte es einfach nicht über mich, sie in meine Erkenntnisse einzuweihen. So wie ihre Augen glänzten, wenn der 6. Dezember nahte und sie ihren Stiefel (oder wie sie es einmal in der Hoffnung tat, mehr Süßes zu bekommen, ein ganzes Dutzend Stiefel) vor die Tür stellte. Zauber der Weihnachtszeit. Und meine Eltern gaben sich alle Mühe, diesen Zauber nicht verfliegen zu lassen. Sie verkleideten sich sogar.

Am Morgen des besagten Heiligabends wurden wir – wie in den Jahren zuvor – von einem Engel geweckt. Mutter trug ein strahlend-weißes Nachthemd, aus dem an ihrem Rücken Engelsflügel herausragten, außerdem hatte sie ihre blonden, langen Haare zu einer Lockenpracht frisiert. Am Frühstücktisch wartete dann unser Vater als Weihnachtsmann verkleidet auf uns, in einem langen, roten Mantel, mit einem langen, weißen, umgehängten Bart und einer Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf, wobei er – während er uns Kindern heißen Kakao einschenkte – immer aufpassen musste, dass der weiße Bommel am Ende der Mütze nicht in unsere Tassen fiel. Diesen Bommel hatte ich den ganzen Heiligabend vor Augen. Er baumelte vor meinem Gesicht, als Vater und ich den Weihnachtsbaum aufstellten, er baumelte hin und her, während Vater und ich auf den Wegen rund ums Haus die abgefallenen Blätter zusammenfegten, und später am Abend dann, während meine Eltern uns Kinder vor dem Fernsehapparat wähnten, würde ich ihn bei einer Gelegenheit baumeln sehen, bei der ich den Bommel nicht hätte baumeln sehen wollen…

Bis zu dieser Gelegenheit verlief alles so, wie es sich für einen Heiligabend gehört (inklusive jäher Übelkeitsattacken bei meiner kleinen Schwester aufgrund übertriebenen Keksgenusses, was sie aber nicht daran hinderte, auch noch die Lebkuchen zu probieren und eine ganze Packung Marzipankartoffeln zu essen). Nach dem Aufstellen des Baumes, dem Backen der Plätzchen, dem allgemeinen Herrichten eines weihnachtlichen Hauses, aßen wir festlich zu Abend (was der Magen meiner Schwester zunächst einmal gut verkraftete). Im Sonntagsstaat saßen wir Kinder mit Engel und Weihnachtsmann am Tisch, wobei mir zwar die Blicke auffielen, die sich meine Eltern zuwarfen, aber ich dachte, dass aus ihnen die Vorfreude auf die Bescherung spricht, wenn wir Kinder nach dem Essen mit strahlenden Gesichtern die Geschenke auspacken würden. Ein paar Mal zupfte der Weihnachtsmann dem Engel neckisch am Flügel, wobei ich mir gar nichts dachte. Darüber, dass sich meine Eltern öfter als sonst einen Kuss gaben, regte ich mich nicht auf, ich nicht (meine kleine Schwester kommentierte es jedes Mal mit einem „das ist eklig!“), schließlich war ich schon vierzehn, hatte schon selbst ein Mädchen geküsst (den Sommer zuvor, im Freibad, hinter der Pommes-Bude) und natürlich wusste ich, dass meine Eltern auch andere Dinge taten. So Dinge, die Erwachsene halt tun. Ich glaubte wenigstens, zu wissen, was Erwachsene so tun.

Nach dem Essen kam die Bescherung, während der der Engel dem Weihnachtsmann einmal herzhaft an den Hintern fasste, was der mit einem „Ho! Ho! Ho!“ quittierte. Das bekam ich aber nur aus den Augenwinkeln mit, war ich doch viel zu sehr damit beschäftigt, das Papier von dem größten aller Geschenke abzureißen, von dem ich vermutete, dass es die ersehnten Rollerskates sein würden. Nach der Bescherung sah sich unsere ganze Familie wie jedes Jahr den Kleinen Lord an, ich im Sessel mit meinen Rollerskates an den Füßen, meine Eltern und meine kleine Schwester, die sich herzhaft von dessen Kopf abwärts einem Schokoweihnachtsmann widmete, auf dem Sofa, während eine Kerze auf dem Tisch heimeliges Licht spendete. Tante Martha und Onkel Peter kamen kurz vorbei und brachten uns Kindern noch mehr Geschenke. Wir müssen aber gleich wieder weiter, sagte Onkel Peter, der der Bruder von Papa war. Aber auf ein Eierlikörchen bleiben wir noch! meinte Tante Martha. Nachdem die Erwachsenen ihr Gläschen getrunken hatten, meinte Mutter, sie bringe die beiden noch zur Tür und stand auf. Außerdem müsse sie in der Küche nach dem Braten für Morgen schauen, sagte sie noch. Und so begann meine heile Weihnachtswelt aus den Fugen zu geraten. Denn nur wenig später brummelte Vater etwas von „Schauen, wo Mutter bleibt!“ in seinen umgehängten Bart und ging ebenfalls hinaus. Meine Schwester hatte sich mittlerweile ihrer Tafel Kinderschokolade angenommen und schob sich einen Riegel nach dem anderen in den Mund. Ich versuchte in diesen unbeobachteten Momenten meine ersten Schritte mit den Rollerskates zu unternehmen, was aber auf dem Teppichboden nicht so gut ging, so dass ich mehr lief als rollte. Plötzlich begann meine Schwester zu husten, was ich zunächst nicht weiter beachtete, saß ich doch mittlerweile auf dem Boden und lauschte fasziniert dem surrenden Geräusch der Rollen, die ich mit der Hand drehte. Erst als meine Schwester aufhörte zu husten und stattdessen würgende Geräusche von sich gab, sah ich auf. Ich sah auf und erschrak. Offensichtlich hatte sie sich verschluckt, ihr kleines Gesicht war vor Anstrengung bereits rot angelaufen, während sie mich aus großen Augen anschaute und verzweifelt versuchte, das in der Luftröhre festsitzende Stück Schokoriegel herauszubefördern. Ich sprang sofort auf, um ihr zu helfen, vergaß in meinem Schrecken aber die Rollerskates an meinen Füßen, so dass ich das Gleichgewicht verlor. Leider stand ich neben dem Weihnachtsbaum. Hilflos ruderte ich mit meinen Armen, versuchte meine Füße sicher auf den Boden zu bekommen, aber nun taten die Rollerskates, was sie tun sollten, sie rollten, und so fand ich mich stürzend in der Rückenlage wieder, hörte noch für einen kurzen Augenblick das Surren der Rollen, dann krachte ich in den Weihnachtsbaum. Glücklicherweise kippte der Baum nicht um, und glücklicherweise erschrak sich meine Schwester, als sie mich fallen sah, so sehr, dass ihr reflexhafter Aufschrei das Schokostück aus ihrem Hals beförderte. Allerdings begann sie nun vor lauter Aufregung, sich wieder zu übergeben, ihre Händchen verkrallten sich in der Tischdecke, als sie der Krampf schüttelte und sie sich über den Teppich beugte. Und nun war es an mir, der ich mich aus dem Tannenbaum aufrappelte, aufzuschreien, denn meine Schwester zog an der Tischdecke, und die Kerze, die auf dem Tisch stand, kippte um. Kippte um und blieb brennend auf der Fernsehzeitung liegen. Als ich es endlich geschafft hatte, mich vom Weihnachtsbaum zu befreien, brannte die Zeitung bereits lichterloh, wovon meine Schwester nichts bemerkte, schüttelte sie sich doch noch immer in Krämpfen. Ich erreichte den Tisch, als auch noch der weihnachtliche Tischschmuck aus Trockenblumen Feuer gefangen hatte. Das passierte alles so schnell, dass mir keine Zeit blieb zu fragen, wo denn meine Eltern blieben, die doch sicherlich vom ganzen Lärm und unseren Schreien hätten alarmiert sein müssen. Weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, packte ich mein Schwesterlein und zog es vom Tisch und dem Feuer weg, das mittlerweile auf die Tischdecke übergriff, während meine Schwester immer noch würgte und statt dem Teppich nun mich bekleckerte. Ich brauchte Wasser, das war mir klar. Schnell. So ließ ich meine Schwester im Raum neben dem Wohnzimmer einfach auf dem Boden liegen und stakste so schnell es ging auf meinen Rollerskates Richtung Küche. Dort gab es Wasser und Töpfe, in denen ich das Wasser würde tragen können. Dort war sicher auch Mutter, die nach dem Braten schaute. Und Vater würde auch nicht weit sein. Dies war der Moment, in dem ich mich das erste Mal fragte, wo sie bei all dem Lärm denn blieben. Ich rief nach ihnen: „Mama! Papa!“ Rief: „Es brennt, es brennt!“ „Mama, Papa, es brennt!“ rief ich, als ich über den glatten Boden des Flures rollte, an dessen Ende die Küche lag, rief es in dem Augenblick, als ich die Küche erreichte und die Küchentüre aufriss und –

„Ho! Ho! Ho!“, rief der Weihnachtsmann wieder und wieder, er hatte die Augen geschlossen und der Bommel seiner Weihnachtsmannmütze baumelte hin und her, „Ho! Ho! Ho!“ Auch die auf dem Küchentisch liegende Tante Martha hatte die Augen geschlossen, dafür waren ihre Bluse und ihre Schenkel geöffneter, als ich es je hätte sehen wollen, vor allem weil mein Vater zwischen ihnen stand und den Bommel baumeln ließ, hin und her, wie der Kopf des Engels hin und her, der strahlendweiße Engel, der wie zum Gebet auf dem Boden kniete und seinen Blick andächtig erhoben hatte, nur dass dieser Engel nicht hinauf zum Himmel blickte, sondern hoch zu Onkel Peter, der genüsslich an einer Zigarre paffend und mit heruntergelassener Hose am Kühlschrank lehnte und wieder und wieder sagte: „Mein Engel, mein Engel!“, bis er mich, der ich fassungslos in der Küchentür stand, endlich bemerkte und nach einer Schrecksekunde, in der er wie in Zeitlupe die Zigarre aus dem Mund nahm, tonlos sagte: „Martha, Du solltest doch die Tür abschließen!“ „Ho! Ho! Ho!“, rief der Weihnachtsmann noch einmal, während Tante Martha die Augen öffnete und mich erblickte und dermaßen erschrak, dass sie nach dem Weihnachtsmann trat, der aufstöhnend in der Mitte zusammenklappte, woraufhin Tante Martha vom Tisch fiel.

In diesem Moment sah ich, was sich mir dergestalt wie glühende Kohlen in mein Gedächtnis einbrennen sollte, dass mir Weihnachten vielleicht für alle Zeit verleidet ist. Da lag sie auf dem Boden, Tante Martha, sie lag auf dem Bauch, den Rock bis über die Hüften hinaufgezogen. Ich hörte kaum, wie mein Vater fluchte, wie meine Mutter wieder und wieder Oh Gott, Oh Gott rief, und Onkel Peter meinte Hier riecht es verbrannt (glücklicherweise schafften Vater und er es nur wenig später mit vereinten Kräften das Feuer im Wohnzimmer zu löschen). Alles um mich herum schien zu verschwimmen, nur Tante Marthas Hintern sah ich klar und deutlich vor mir aufragen, ich konnte meinen Blick nicht von ihrem Hinterteil nehmen, das, ich wage es kaum auszusprechen, behaart war wie ihre Oberlippe zu Nikolaus, dunkle Haare noch und nöcher, und jedes dieser auf ihren Pobacken sprießenden Haare prägte sich mir ein. Erst als mein kleines Schwesterlein plötzlich inmitten der geschockten Erwachsenen stand, mit klarer Stimme rief: „Mir ist schlecht!“, und sich noch einmal mit Nachdruck auf die Küchenfliesen erbrach, nur um uns alle dann anzustrahlen, als hätte sie gerade Gottweißwas vollbracht, konnte ich mich von diesem erschreckenden Bild losreißen. Ich begann zu lachen, lachte noch, als bereits alle die Küche Richtung Wohnzimmer verlassen hatten, lachte noch, als mir bereits Tränen über die Wangen liefen. Akuter Schockzustand, nannte es Jahre später meine Therapeutin, eine vegetative Überreaktion aufgrund pathogener Reizüberflutung, dann drückte sie mir den kleinsten Schokoweihnachtsmann in die Hand, den sie hatte finden können, und lächelte mich aufmunternd an: „Versuchen wir es doch mal mit dem!“

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Nicht mehr Herr der Fliegen – über unsere Katze

Lenalee
Da komme ich nach Hause, alles ruhig, ich bin der Erste daheim, ich bin allein. Ein kurzer Durchgang durchs Haus, alles in Ordnung, was letzter Zeit vor allem heißt: Es liegen keine toten Mäuse in unterschiedlichsten Zerstörungsgraden im Flur, neben dem Kleiderschrank, vor der Badewanne oder oder. Ich habe es ja schon einmal erwähnt. Wir haben eine Katze. Nomen est omen. Benannt wurde sie nach einer Figur aus einem Manga, einem sympathischen Exorzisten, also eigentlich dem Helden der Geschichte. Und der Held unserer Haustiergeschichte, Lenalee, exorziert im Schnitt eine Maus am Tag (also kurz gerechnet, wir haben unsere Katze seit etwas 2 Jahren…) – und pi mal Daumen eine zunächst einmal nicht, die lässt sie laufen. Man will ja schließlich seinen Spaß haben und noch ein wenig jagen. Nicht im Garten, nicht auf den Wiesen in der Nähe, sondern bei uns im Haus. Doch als ich heimkam, da sah es nicht nach einem Jagdtag aus. Keine Blutspritzer auf dem Boden, keine Mäuseköpfe in der Ecke. Alles ruhig.

Später dann am Abend, in der Nacht, alle sind schon zu Bett gegangen. Ich mache noch einen kurzen Durchgang durchs Haus. Gehe die Treppe hinunter. Öffne eine Tür – und da höre ich dieses Summen, Brummen. Es klingt beinahe elektrisch. Jedenfalls stellen sich mir, als ich die Ursache des Geräusches sehe, meine Nackenhaare auf. Ich öffne noch eine Tür, stehe in einem Gang, an der Wand ein Schrank, in dem wir Bettwäsche aufbewahren – und überall Fliegen. Dicke, fette, schwarze Schmeißfliegen. Wenige Stunden zuvor war noch alles ruhig. Aber nun: Ein Summen, Brummen, Wuseln an den Wänden, unter der Decke. Und mittendrin unser Exorzist. Mauzt um den Schrank herum, ein kurzer Blick aus dunklen Katzenaugen, „wie lieb ich doch bin, kann kein Wässerchen trüben“, mauz mauz. Summ brumm. Ein erster Anflug von Ekel macht sich breit. Weniger wegen dem, was ich entdeckt habe, als wegen dem, was ich vielleicht noch entdecken werde.

Ich öffne den Schrank, wappne mich gegen einen satten Aufschwung von noch mehr dicken, fetten, schwarzen Schmeißfliegen, die aus dem Schrank aufsteigen. Aber nichts. Ich greife nach dem ersten Stoß gefalteter Bettwäsche, schüttele ihn aus. Mäuseköttel fallen zu Boden. Ich packe mir den nächsten Stoß. Schüttele. Und eine Maus springt heraus, springt mir gegen das Bein, rutscht an meiner Hose zu Boden. Direkt vor Lenalees Schnauze. Sie lässt die Maus laufen, die durch die Tür entwischt und die Treppe hinunterhuscht. Man will ja schließlich seinen Spaß haben. Schaut mich aus dunklen Katzenaugen an. Mauz. Und beginnt in der Bettwäsche, die noch im Schrank liegt, zu wühlen.

Hausmaus, Zwergmaus, Brandmaus, Feldmaus, Gelbhalsmaus, Hausspitzmaus, Waldmaus, Waldspitzmaus, Zwergmaus, Hausratte, Wanderratte… Die heimische Nagetierfauna ist vielfältig – und alle hat unser Exorzist ins Heim gebracht, teils in Teilen, teils ganz. Das kleinste Exemplar hatte die Größe meines Daumens, das größte Exemplar füllte die ganze Breite eines Kehrblechs aus – und der Schwanz hing sogar noch über die Kante hinaus. Was mir am Bein heruntergerutscht war, war eine Hausmaus gewesen. Was ich im Schrank schließlich finde, ist ein wenig größeres Kaliber.

Ich denke der Schrank muss die Tage zuvor offen gestanden sein. Durch die Ritzen konnte sich diese kapitale Wühlmaus nicht gequetscht haben, vor allem nicht mit diesen Verletzungen. Aufgrund ihrer Größe kann ich mir ein recht genaues Bild machen, wo unsere Katze zugebissen, ihre Krallen in ihr Opfer geschlagen hat. Mauz. Jetzt schnüffelt sie nur friedlich an dem Kadaver, der die Bettwäsche, zwischen die sich die Wühlmaus, um zu sterben, verkrochen hatte, durchnässt hat. Mauz. Als eine einzelne Fliege hinter dem Kadaver hervorkriecht und zu ihren Kameraden an der Wand fliegt. Mauz. Als ich die Maus mit einer dreifachen Lage Küchentücher packte. Mauz. Als ich, nachdem ich die tote Maus aus dem Haus gebracht hatte, den Staubsauger packe – egal wie spät es schon ist – und versuche, der Fliegen Herr zu werden, sie einzusaugen.

Nun, an dem Abend werde ich der Fliegen nicht mehr Herr. Schließlich gebe ich auf. Ziehe noch alle Bettwäsche aus dem Schrank, bringe sie in die Waschküche. Im gleichen Gang steht ein Kleiderschrank, in welchem wir unsere Mäntel und Jacken aufbewahren. Ich komme aus der Waschküche. Mauz. Lenalee kratzt am Kleiderschrank – und in diesem Moment spüre ich, wie ich müde werde. Sehr müde. Dennoch öffne ich den Schrank. Lenalee springt hinein und packt sich die Hausmaus. Schaut mich an. Öffnet ihre Fänge. Die Maus fällt zu Boden. Bevor sie wegspringen kann, beißt unsere Katze einmal zu, in den Hinterlauf der Maus. Dann eine Tatze, beinahe zart, Lenalee stupst die Maus nur an. Beobachtet neugierig, wie die sich schwer verletzt ein wenig zur Seite schleppt. Mauz. Lenalee sieht mich aus dunklen Augen an. Will ja nur spielen. Und in diesem Moment entkommt die Maus unter den Schrank, dorthin, wo Lenalee sie nicht erreicht. Auch wenn sie mit ihren Krallen in den Spalt langt. Mauz. Was bin ich müde. Ich gehe die Treppe hinauf, ignoriere das Summen und Brummen. Gehe zu Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, um nach Mäusen, toten oder lebendigen, zu suchen. Um der Fliegen Herr zu werden. Mauz

Mehr von unserem Exorzisten hier

 

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