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Verdammt! Hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen?

Verdammt_Kirchenaustritt„…in aller Deutlichkeit…“

Sie sind flott, nicht flotter als die Feuerwehr, auch wenn es darum geht, ein Feuer zu löschen. Aber immerhin flotter als das Finanzamt… Das hatte beinahe einen Monat Zeit, meinen neuen Ewigkeitszustand auf der Steuerkarte zu vermerken – aber vielleicht warten sie ja noch? Doch mit Datum drei Tage nach meiner förmlichen Erklärung „Nein, ich möchte das nicht mehr!“ erreichte mich ein eng beschriebener (also eng formatierter) Brief der seit meinem Umzug zuständigen Kirchengemeinde. Bzw., denn Kirchengemeinde scheint ein veralteter Ausdruck zu sein, der „Seelsorgeeinheit“.

Apropos veraltet, apropos „Feuer löschen“: In dem Brief der Seelsorgeeinheit wird nicht der schöne, weil so viele Bilder transportierende Ausdruck des „Höllenfeuers“ verwendet, vielleicht weil er – eben – veraltet ist. Aber gleichwohl – immerhin richtet sich der Brief an jemanden, der fast ein halbes Jahrhundert zur allumfassenden Seelsorgeeinheit dazu gehört hat – schwingt er im Duktus mit.

Für die Eingeweihten muss nicht alles ausgesprochen werden.

„Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe…“

„Mein Pfarrer…“

Ihr Pfarrer – so ist unterschrieben. Wobei ich unter „Mein Pfarrer“ immer noch den Pfarrer meiner Kindheit und Jugend verstehe. Den Pfarrer, der mich getauft hat (woran ich mich nicht erinnere), den Pfarrer, in dessen Nähe ich, die Fahne für unsere Bruderschaft haltend, in der Mitglied war, vor lauter Weihrauchgeruch zusammenklappte. Den ich bei Beerdigungen von verunglückten Schulkameraden von unergründlichen Ratschlüssen Gottes reden hörte, die so unergründlich waren, dass ich sie als Kind nicht verstand. Der eine schöne Rede bei der Beerdigung meiner Oma sprach (wo ich schon älter war). Der – hier springe ich einige Jahre zurück – auf meine Bitte hin, mir Dreikäsehoch einige Sünden zu nennen, die ich beichten könnte, hilfreich beisprang („Eltern belogen“, „Geschwister geärgert“) und mich dann mit einigen Ave Maria und Vater Unser in eine der Bänke unserer schönen Pfarrkirche (und dank seiner Absolution) in eine Höllenfeuer freie Zukunft entließ. Der Pfarrer, der mich Pubertierenden bei meiner letzten Beichte fragte, ob ich denn schon einmal Hand an mich gelegt hätte (meine letzte Beichte, weil ich – der ich mich in meiner Intimsphäre verletzt fühlte – fortan nicht mehr um Absolution ersuchte).

Den Pfarrer der mich nun brieflich kontaktierenden Seelsorgeeinheit habe ich nie kennengelernt. Sicherlich meine „Schuld“, dass er mir unbekannter ist als einige Mitglieder der hiesigen Zeugen Jehovas-Gemeinde, die ich – aufgrund ihrer lächelnden Besuche an unserer Haustüre – wenigstens vom Sehen her kenne. Aber vielleicht bin ich auch nur zu früh ausgetreten? Sieht man sich die Tendenzen an, dann nähert sich die Katholische Kirche solchen Zahlen an, die Haustürbesuche vielleicht einmal notwendig machen.

Aber ich will nicht polemisch werden. Immerhin geht es um mein Seelenheil. Auch wenn dieser – wohl auch veraltete – Begriff nicht in dem besagten Brief benutzt wird. Warum eigentlich nicht? Warum wird hier nicht Tacheles geredet? Mir wird sogar angeboten, mich mit einer katholischen Seelsorgerin zwecks Gespräch zu verabreden. Meine Güte, wie modern. Und das sogar „meiner Wahl“. Da gehe ich vielleicht doch einmal in eine Veranstaltung der hiesigen Seelsorgeeinheit und schaue mir eine besonderes hübsche Seelsorgerin aus…

„…den Glauben zu bewahren…“

Nein, keine Polemik. Zudem bin ich ja auch fest liiert, quasi verheiratet. Wobei dies natürlich – das gehört zu den in aller Deutlichkeit dargelegten Konsequenzen –, wenn es passiert, ohne den Segen der katholischen Kirche passieren wird – es sei denn, der Bischof erteilt eine besondere Erlaubnis und ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“.

Ist das jetzt ein Hintertürchen für mich oder die Kirche? Und was soll dies ihn meinem Falle bedeuten, dass ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“? An welche Kinder? An die erwachsenen, fast erwachsenen Kinder meiner Liebsten? An die eigene Kinderschar, die ich mir mit 45 Jahren für meine zweite Lebenshälfte noch erträume? Und was heißt „bewahren“? Bewahren kann man nur etwas, das man hat. Und „den Glauben zu bewahren“ kann ja im Zusammenhang des Briefes nur bedeuten: den Glauben an die katholische Kirche bewahren… Aber hallo! Das ist doch gerade der Kasus Knacksus! Ich habe mit meinem Austritt erklärt, dass ich nicht mehr an die katholische Kirche glaube – dass es hier für mich – bezüglich des Glaubens – nichts mehr zu bewahren gibt.

Aber dieser Punkt kommt in dem Brief doch ein wenig zu kurz. Mir scheint, dass meine ehemalige Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass die Erklärung meines Austritts nur so eine Art störrische Geste war, eine pubertäre Reaktion auf spontane Unlustreize (etwa der Blick auf die Lohnabrechnung oder die neuesten Meldungen über einen Skandal oder Nachrichten darüber, dass Kirchensteuern nur in geringem Ausmaß zu befürwortenden Einrichtungen zu Gute kommen). Dass mir – so unbedacht ich den Austrittsschritt erklärt habe – nicht klar war, was die Kirche bietet, mir bietet.

Es geht im besagten Brief kaum um den Glauben, sondern mehr um die „Gemeinschaft“, darum, was diese Gemeinschaft bieten kann (und weniger bieten kann aufgrund des Verlustes von Kirchensteuern), es geht um „Serviceleistungen“, die mir nun nicht mehr geboten werden.

Und so meint man, mich mich an Selbstverständlichkeiten erinnern zu müssen. Dabei ist es doch klar: Trete ich aus einem Verein aus, dann kann ich das Serviceangebot des Vereins nicht mehr nutzen. Das ist im Turnverein so, das ist in der Kirche so. Mich daran zu erinnern, dass ich die Vorzüge des geistlichen Heiratsservice nicht mehr genießen darf, kann nur bedeuten, dass meine Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe.

Hallo! Ich habe der Kirche, mit der ich aufgewachsen bin, deren Glaubensgrundsätze von Kindesbeinen an meine Lebensumwelt (und auch mein Denken) beeinflusst haben, den Rücken zugekehrt. Nach 45 Jahren! Rund 30 Jahre, nachdem ich erstmals Zweifel gehabt habe. Rund 30 Jahre, in denen mich diese Zweifel immer begleitet haben. Bis ich zu dem Entschluss kam, endlich einen Schnitt zu setzen.

Aber nehmen wir einfach mal an: Dieses Hintertürchen ist einfach nur nett gemeint. Die Kirche kennt nach rund 2000 Jahren ihre Schäfchen und ihre gelegentlichen Launen, die einzelne Verirrte unter lautem Blöcken aus der Herde ausbrechen lassen, nur um umso leiser in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren…

Ja, nehmen wir einfach mal an, meine Liebste verspürt plötzlich den all ihre Fasern durchdringenden Wunsch, in imposanter Kirchenkulisse unter Glockengeläut und Engelsgesang das Ja-Wort zu geben, um von einem katholischen Priester den Segen zu erhalten und vor dem Altar der geistlichen Erlaubnis zu lauschen, dass ich sie nun küssen darf – ja, dann habe ich vielleicht sogar ein paar Trümpfe parat!

Ich könnte einen Teil meines Bücherregals fotografieren und dem Bischof schicken. Den Teil, in dem Bücher wie „Wörterbuch des Christentums“, „Glauben der Millionen“, „Die Bibel“ und mein zur Erstkommunion erhaltenes Gebetbuch stehen (den angrenzenden Teil des Regals mit Titeln wie „Existiert Gott?“, „Hexenwahn“ „Angst im Abendland“ schneide ich aus dem Bild natürlich heraus). Ein – noch nicht einmal gefaktes – Bild von unserer Leseecke auf der Toilette könnte ich anfügen, in der das Buch „Who’s who in der Bibel?“ liegt (ich habe das Buch nach dem letzten Bibelfilm gekauft hatte, weil ich nicht mehr die genaue Reihenfolge der ganzen alttestamentarischen Recken parat hatte). Ich könnte jedes Mal, wenn ich eine Kirche besichtige und am Opferstock meinen Obolus zur Erhaltung dieser grandiosen Manifestation menschlicher Schöpferkraft entrichte, ein Handyfoto schießen. Und hier der Trumpf: Ich könnte von meinen kleinen Neffen, meinem Patenkind, eine selbst geschriebene Erklärung erbitten (mit den Worten und der Orthografie eines Viertklässlers), dass ich ihn mit einem selbst fabrizierten Bibelhörbuch gelangweilt hatte.

Ja, mein Patenkind. Ich bin Taufpate. Als mein Neffe in die Schule kam, habe ich begonnen, ihm die Bibel (eine Kinderbibel mit Bildern, deren Text er noch nicht lesen konnte) als eine Art Hörbuch aufzunehmen. Weil ich es wichtig fand, ihm er – der sich eigentlich nur für Technikkram interessierte – auch diese Seite unserer Kultur nahezubringen. Ich also mit Headset vor dem Computer. Stundenlang. Damit er eine vernünftige Aufnahme erhält. Cooler fand er dann mein Video, dass ich von mir auf meinem Roller gemacht habe. Einfach krachend von links nach rechts die Straße entlang brettern. Bibel ade.

Und – hier ist Schluss mit dem müßigen Gedankenspiel – ade auch mein Trumpf. „Sie dürfen z.B. nicht Tauf- und Firmpate werden“ steht in dem Brief meiner Seelsorgeeinheit. Ob das auch rückwirkend gilt? Muss mein Neffe noch einmal getauft werden, weil ich abtrünnig geworden bin? Wird er ohne meinen Beistand bei der Firmung den Heiligen Geist empfangen müssen?

„Dies ist die einzige Kirche Christi…“

Der eng beschriebene Computerbrief zitiert das II. Vaticanum – was ja hübsch ist, weil dies ja ein schöner Topos für eine Kirche ist, die um ihre Verantwortung den Menschen gegenüber weiß und sich modernisiert, die mit der Zeit geht: „… die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.“ (aus „Lumen Gentium“, Art. 8).

Zitate sind toll. Hier wird gleich eine vernünftige Vertrauensbasis geschaffen…

Zitat aus „DOGMATISCHE KONSTITUTION – LUMEN GENTIUM – ÜBER DIE KIRCHE“ [..] „Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen […] Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind […]“ (Quelle Archiv auf der Homepage des Vatikan).

Klingt doch fein, quasi fast tolerant. Die allumfassende Kirche weiß, dass es auch außer ihr Wahrheit, Heiligung, also Seelenheil gibt…

Aber Zitaten ist leider nicht zu trauen: „Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ So lautet das vollständige Zitat, entnommen dem Vatikan Archiv.

„Hindrängen“ … Also: Kein Heil außerhalb der Kirche. Jeder andere Glauben ist nur etwas wert, wenn er zu den Wahrheiten der katholischen Kirchen hindrängt…

Und hier sind wir endlich beim zentralen Punkt der ganzen Angelegenheit angelangt. Hier – auch wenn nicht von Seelenheil und Höllenfeuer die Rede ist – geht es ans Eingemachte. Meinen Tod.

Ich darf keine Sakramente mehr empfangen, also auch nicht mehr die Krankensalbung. Bedeutet: Ohne letzte Absolution trete ich vor meinen Schöpfer. Also per Definitionem als Sünder. Folglich habe ich am Tage des Jüngsten Gerichts ein großes Problem – gesetzt den Fall, die Kirche behält Recht. Und das heißt, allen kasuistischen Diskussionen zum Trotz, immer noch: Hölle. Verdammt. Wie auch immer man sich die Gottferne vorstellt. Und das jemand, der in unserem Kulturkreis aufgewachsen ist, hier gewisse düstere (gleichzeitig schmerzhaft feurige) Vorstellungen* hat, ist evident. Ob nun der Teufel eine Person ist oder eine Idee, eine bildhafte Ausschmückung der Abwesenheit von Heiligkeit, eine bedrückende Metapher für eine Ewigkeit in der Leere, für das Nichts, was nicht Nichts ist, sondern nur schmerzhaftes Abwesenheit von Etwas, für die immerwährende Dunkelheit, was auch immer – hier kann die Kirche, auch ohne ins Detail zu gehen, auf den ganzen Raum kultureller Erinnerungen zurückgreifen.

Aber schließlich ist die Kirche traditionell – man denke nur an solche Einrichtungen wie den Limbus oder das Fegerfeuer* – als barmherzig bekannt. Und so folgt in dem Brief eine gewisse Einschränkung: „Außer in Todesgefahr“. Puh. Glück gehabt. So knallhart ist die Kirche doch nicht. Sterbe ich, wird der in der Nähe weilende Pfarrer nicht seinen Segen verweigern…

Aber lesen wir doch weiter: „Es kann ihnen das kirchliche Begräbnis verweigert werden, wenn Sie vor dem Tod kein Zeichen der Umkehr und der Reue gezeigt haben“. Krankensalbung nur mit Reue zu haben.

Reue? Ich denke die Absätze des Briefes zurück, Ohne Reue auch keine Krankensalbung – Mea Culpa unter Todesgefahr. Und was soll bereut werden? Meine Sünden? Mein Zweifeln an Gott? Nein. Angesichts der Todesgefahr scheint es mir bei diesem Vereinsgehabe meiner Seelsorgeeinheit, weil es in den Brief nur am Rande um Glauben geht, um Profaneres zu gehen. Ich soll offensichtlich meine Erklärung bereuen, dass ich in einem Staat, zu dessen Grundpfeilern die Trennung von Staat und Kirche gehört, diese Trennung vollzogen habe. „Bereue, dass Du aus dem Verein ausgetreten bist…“

„Ich bitte sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe. … Es gibt aber immer auch die Möglichkeit einer Wiederannäherung an die Kirche und einen Weg zurück in die Gemeinschaft.“

Vielleicht sollte ich immer einen Scheck dabei haben, in dem ich – im Falle des Falles – so pi mal Daumen meinen Vereinsmitgliedsbeitrag, die Kirchensteuerschuld, eintragen und dann den ich im Falle meines Ablebens anwesenden Pfarrers überreichen kann.

Ein Problem könnte die Zuordnung meines Schecks sein. Der so dringliche Brief meiner Seelsorgeeinheit (in seiner Dringlichkeit noch verstärkt durch Hinweise auf den Bischof) ist adressiert an einen Herrn Böscher. Der Postbote wusste es besser, deswegen erreichte mich dieser Brief (Gott sei Dank). Aber wird der gute Petrus an der Himmelspforte (man bedenke die große Anzahl an Ankommenden) auch so firm sein? Scheck ausgestellt auf Boscher – bei Böscher kein Eintrag – aufgeschmissen – mein Ewigkeitsstatus wurde nicht korrekt in den Papieren notiert – abwärts geht es… Also: Verdammt! Hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen?

Apropos: Das Finanzamt hat meinen neuen Status noch nicht zur Kenntnis genommen. Vielleicht haben die ja einen Deal mit der Kirche? „Hey, wartet besser. Wir schreiben da noch einen Brief, und dann sieht die Sache erfahrungsgemäß anders aus…“

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Das sind so die Momente… Fähre voll und meine Romanidee ist auch futsch

Faehreschnellkurs

Ich hatte so ein paar Ideen für einen Vampirroman – mehr als ein paar Ideen, einzelne Kapitel sind bereits geschrieben. Ja, und dann…

Als ich damals an meinem ersten Roman schrieb, in dem ein wichtiges Thema „Abtreibung“ ist, habe ich mich geweigert, John Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ zu lesen, obwohl er damals mein Lieblingsautor war (und auch heute noch einer meiner Alltime-Faves ist). Einige Jahre zuvor hatte er dieses wirklich tolle Buch (wie ich heute weiß, da ich es schließlich glücklicherweise sofort nach Fertigstellung meines Romans doch gelesen habe) veröffentlicht, und nachdem ich die anderen greifbaren Bücher von ihm schon verschlungen hatte, schlich ich um „Gottes Werk“ herum wie der Teufel um eine sündige Seele. Aber ich riss mich zusammen. Kaufte zwar das Taschenbuch – aber ich las es nicht. Denn bei ihm wie bei mir war ein Thema „Abtreibung“, und ich hatte einen Höllenschiss, mich zum einen von meinem Lieblingsautor beeinflussen zu lassen (ich Narr damals, glaubte ganz naiv an so etwas wie „originäre Schöpfung“, an meinen eigenen gänzlich „unbeeinflussten“ Roman), zum anderen fürchtete ich, kein eigene Zeile mehr aufs Papier zu bekommen, wenn ich gelesen hätte, wie Irving das Thema anpackt.

Heute denke ich anders. Alles ist durchtränkt von Einflüssen. Kombination ist das Stichwort. Es gibt nichts Neues unter der Sonne – aber viele Möglichkeiten, Altbekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen. Schöpfung ist zugleich Mythos (logisch, will doch meine romantische Idee des Kreativen nicht aufgeben) und handwerkliches Geschick im Spiel mit Zitaten und all dem, was man erfahren hat. Ein eigener Stil ist ein überraschender Cocktail aus gut gewählten Zutaten, die man aus der Schatzkiste „Kultur“ zieht.

Also ganz easy… Ich lese in einem Roman – und lese „meine Ideen“. Warum aufregen, locker bleiben! Nun, an diesem Morgen war ich nicht locker. Ehrlich gesagt, war ich die Nacht zuvor auch schon nicht locker. Ich hatte also schlecht geschlafen. Soviel zu theoretischen Erwägungen über den „Autor“, über „Topik“ als der Grundlage schöpferischer Kreation.

Obwohl: Schuld ist die Fähre Meersburg-Konstanz. Beziehungsweise deren morgens zu Pendlerstosszeiten oft zu geringe Verfügbarkeit. Denn die Fähre war voll. Und so schlecht ich geschlafen hatte, schlug mir dies an diesem Morgen aufs Gemüt. Natürlich: Ich als Rollerfahrer hätte noch auf die Fähre rollen könne, für eine 50er ist meist immer noch Platz. Aber da ich mit meiner Liebsten zusammen zur Arbeit fahren wollte, musste ich warten – und das war beileibe nicht das erste Mal (Hintergrund: Meine Liebste fährt mit dem Auto. Ich roller. Das Ende unserer Arbeitszeiten ist nicht derart, dass wir planen könnten auch den Rückweg gemeinsam anzutreten.).

Also stand ich um 7 nach 7 auf dem Meersburger Fähreplatz. Wie ich an der auf dem See gen Konstanz fahrenden Fähre sehen konnte, hatte diese pünktlich voll belegt um 5 nach 7 abgelegt. Und obwohl die 20 nach 7 Fähre beinahe voll war, warteten bereits wieder 2 Reihen PKW und einige LKW darauf, einen Platz für die Überfahrt zu finden. Darunter meine Liebste in ihrem PKW, Reihe 2, keine Chance noch auf die Fähre zu kommen. Ich schaltete also die Zündung aus. Wartete. Noch vor dem ersten Kaffee. Der Einweiser winkte mir freundlich zu. Los fahr, Du hast noch Platz. Ich winkte ab. In diesem Moment, während die Sonne hinter der Meersburger Burg emporstieg, holte mich meine schlechte Nacht ein.

Ich hatte vor dem Schlafen noch ein wenig gelesen, das Buch gefiel mir. Chick-Lit? Vielleicht. Aber egal. Gut geschrieben. Amüsant. Spannend. Ja, und dann las ich… Las von den PR-Kampagnen der Schattenwesen – und: Puh. Auf die Idee war ich auch gekommen. Twilight, der ganze Vampir-Boom – ein Marketingtrick der Vampire (bzw. in diesem Roman der Vampire, der Werwölfe, der Elfen…). Wenn mir wenigstens nicht gefallen hätte, was ich las. Aber das Buch zog mich in sich hinein, und das obwohl mein Verstand eingeschaltet war. Ich dachte, fühlte: Meine Romanidee ist futsch. Obwohl mir aufs Ganze gesehen doch etwas anderes vorschwebte – vorschwebt?

Nachfrage
Nichts Neues unter der Sonne… Auch an diesem Morgen nicht. Wieder einmal ist das Angebot an Fährekapazität nicht an der Nachfrage der Pendler ausgerichtet. Dabei machen die Fährebetreiber deutlich, dass sie sich sehr wohl einer gewissen Nachfrage bewusst sind: Wobei (ab 9 Uhr wegen erhöhter Nachfrage Schnellkurs) es hier nicht um die Pendler geht, sonst würde der Schnellkurs früher gefahren werden. Meiner Einschätzung nach ist hier mit Nachfrage die Nachfrage durch die nun im Frühling mehr und mehr eintrudelnden Touristen gemeint – die aufs Jahr gesehen wohl mehr Geld in die Kassen spülen, als all die Pendler mit ihren Jahreskarten. Und somit stand ich also, weil ich auf meine Liebste im PKW wartete, auf dem Fährevorplatz. Und sann, während die Sonne höher über die Burg stieg, über Pendler, Touristen und Vampire nach. Auch das eine Idee von mir: Den Vampiren eine Evolution zuzusprechen, so dass sie z.B. heute unempfindlicher gegenüber Sonnenstrahlen sind. Aber wie heißt es so schön: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber was für Pendler richtig ist, muss für Romanautoren nicht wahr sein. Sonst würde sich niemand für einen Roman wie „Eine Odyssee“ interessieren, den ich ebenfalls zur Zeit lese und der in vielen Teilen den „Ulysses“ von James Joyce thematisiert, welcher wiederum nicht ohne Grund nach der Hauptfigur aus Homers „Odyssee“ benannt ist. Und das wäre wirklich schade.

Wäre es auch schade, wenn ich meine ursprüngliche Romanidee nicht weiter verfolge? So etwas weiß man als Autor erst dann, wenn man durch die Idee hindurchgegangen ist und der Roman in Gänze vorliegt. Und das erfordert Zeit und Mut. Man läuft immer Gefahr zu spät zu kommen. Oder völlig unzeitgemäß zu sein. Und nicht jeder hat Nietzsches Mut, sich dieses Unzeitgemäße auf die Fahnen zu schreiben (wenn es denn Mut war und nicht nur ein Symptom der beginnenden Paralyse).

Als ich mit einer Schoki für sie und einem Kaffee für mich (endlich, die erste „Tasse“ des Tages) zu meiner Liebsten ins Auto stieg, die es endlich auf die Fähre geschafft hatte, waren weniger meine Autorengedanken als Überlegungen zu „Touristen und Pendlern“ das Thema. Klar, in einer Touristengegend sind diese immer ein Thema. Auch außerhalb der Saison. Ihre Anwesenheit wirkt sich genauso wie ihre Abwesenheit auf die Einheimischen aus: Versuchen Sie mal hier im Winter Abends in einem Restaurant fein essen zu gehen… Sind keine Touristen da, dann nehmen die Betreiber von Gaststätten, Restaurants, Geschäften ihren Jahresurlaub: In Meersburg zum Teil den ganzen Winter über.

Ralf_Boscher_Burg
Im Winter ist Meersburg genau das beschauliche, romantische Städtchen mit Neuem Schloss und Burg und Altstadt und See, das die Touristen so sehr anzieht, dass es ab Frühling mit der Beschaulichkeit vorbei ist. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen – ein immer wieder in neuen Variationen beliebter Spruch in Stellenanzeigen. Was soll das überhaupt heißen? Hebt es meine Lebensqualität als Arbeitnehmer am Bodensee, aus dem Fenster zu sehen und draußen die Urlauber urlauben zu sehen? Freue ich mich als pendelnder Arbeitnehmer, dass ich mich nach der Arbeit eine Stunde und länger an der Fähre in die Warteschleife stellen muss, um über den See heim zu kommen (und das trotz Schnellkurs), vielleicht weil ich denke: Ist doch toll, wie beliebt der Bodensee ist?

Erlebnis
Ach, ich bin ungerecht. Selbst jetzt noch in der Rückschau. Natürlich ist es schön, am Bodensee zu leben. Und der Weg zur Arbeit ist immer wieder ein Erlebnis. Es gibt nichts Neues unter der Sonne… Ja. Dennoch. Wenn ich die ewig gleiche Sonne morgens über Meersburg aufsteigen sehe, dann packt mich das doch immer wieder und auch jetzt noch nach Jahren. Wie oft habe ich dieses Bild schon gesehen (und fotografiert) und dennoch hat es immer wieder den Hauch des faszinierend Neuen. Und sollte ich an dem Vampirroman weiterschreiben, hoffe ich, dass ich selbst bekannten Ideen den faszinierenden Hauch des Neuen werde verpassen können.

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Vom Höcksken aufs Stöcksken… Von LPs zu YouTube, von „Balls To The Wall“ bis „Darm mit Charme“…

Youtube_Topik
Ich bin ein echter Fan von Musik-Assoziationsabenden. War ich immer schon, schon zu Schallplatten-Zeiten. Nette Menschen zu Besuch, man plaudert bei einem Getränk über dies, über das. Lächeln hier, Lächeln dort. Einer sagt etwas, das nach „Hoooh ho hoooo!“ klingt (vielleicht war es auch nur der etwas unartikulierte Hinweis, aufs Klo zu müssen). Jedenfalls sagt ein anderer: „Das erinnert mich jetzt aber an Balls To The Wall.“ „An was?“ „Sag bloß, Du kennst Accept nicht?“

Ja, und schon geht er los, der Streifzug durch die Musikgeschichte, durch die Plattensammlung. Die einen headbangend zu „Balls To The Wall“ („Sign of Victoryyyyyyyyyyyyyyyy!“), die anderen kopfschüttelnd ob einer generellen Abneigung gegenüber grandiosem Heavy Metal. „Ist ja schon irgendwie stumpf!“ Pah. Die nächste LP wird aus dem Regal gezogen. „Stumpf, pah! Die bauen sogar Beethoven ein! Hört euch das mal an…“ Und schon wandert „Metal Heart“ auf den Plattenteller. Was das Kopfschütteln nur bedingt eindämmt, aber zu noch mehr Headbangen führt. „Apropos Beethoven…“ – wird dann der nächste Ball ins Spiel geworfen – „Kennt jemand Difficult to Cure?“ „Kennen?“, so der Herr über die umfangreiche Plattensammlung, in dessen Bude wir gesellig zusammensitzen. „Ich hab die Live-Aufnahme mit Orchester da, Tokyo Budokan 1984!“

Also löst Rainbow Accept ab – und los geht es mit der Ritchie Blackmore Version des letzten Satzes aus Beethoven 9. „Bin mit Rainbow nie warmgeworden.“, wirft einer nach ein paar Minuten ein. „Aber bei Deep Purple fand ich den Blackmore toll.“ „Smoke on the waaaaaaaaater!“ – hier konnte auch einer der zuvor Kopfschüttelnden glänzen. „Ja, die waren schon geil. Mark II. Aber auch die älteren Sachen haben was….“, meint unser Gastgeber und zieht eine LP mit einem Hieronymus Bosch-Cover aus dem Regal (nach Alphabet geordnet und innerhalb der einzelnen Gruppen nach Erscheinungsjahr). „Hier, hört euch mal April an – gefällt mir vom Orchestralen besser als Difficult to Cure oder das Concerto“.

Als nach den ersten Minuten seine Begeisterung nicht überspringt, greift er wieder zu D. „Dann eben das, auch Mark I., und den Song kennt ihr bestimmt“. Er reicht das Cover herum, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Zeichnungen aus einem Monty Python Film hat. „Auch Orchestral. Geil oder! Also sprach Zarathustra. Aber das meine ich nicht, was ihr kennt, wartet ab, jetzt gleich geht es los!“ Und noch circa 4 Minuten gibt es ein Aha. „Das ist doch?“, „Das kenne ich doch?“ Richtig. Und schon wird eine andere LP aus dem Regal gezogen. M. Ein Motown-Sampler, auf dem sich die bekannte Version von „River Deep, Mountain High“ von Ike & Tina Turner findet. Von den Turners geht es zu den Jackson 5, die auch auf dieser LP vertreten sind. Von dort zu Michael Jackson. Von „Beat it“ zu Van Halen, da Eddie Van Halen ja das Gitarrensolo beigesteuert hat. „Meine erste Single.“, meint einer, „Jump!“ „Meine erste Single war Hard To Say I’m Sorry von Chicago“, wirft ein anderer ein – nicht ohne mit den Schultern zu zucken, was soviel heißen sollt, wie: Jugendsünde. Aber da sind die Dämme auch der Heavys schon gebrochen. Das ist ja das Schöne an so innigen Runden. Irgendwann sinkt die Peinlichkeitsschwelle. „Famous Last Words von Supertramp war meine erste LP. Don’t Leave Me Now halte ich heute noch für einen der besten Songs überhaupt“, „Words von F.R. David – meine erste Single.“ „Gloria Gaynor – I Will Survive“ „Moonlight Shadow, Mike Oldfield“, „BAP, Verdammt lang her“.

Ja, so war das damals – unschwer an den Titeln zu erkennen. Die goldenen Zeiten, als Musik noch knisterte. Als das nächste Musikstück nicht nur ein paar Klicks entfernt war, sondern wohldosierte Handgriffe mit einem empfindlichen Gut, dem Vinyl. Da man sich die Köpfe über das Thema „Trocken oder nass abspielen?“ heißreden konnte.

Vermisst jemand das Knistern? Bestimmt. Vermisst jemand die großformatigen Albumcover? Ganz bestimmt.

Ich habe lange gebraucht, um mich auf das neue Medium CD einzulassen, habe mir anfangs nur neue CDs gekauft, also frisch auf den Markt gekommene Aufnahmen, die zuerst auf CD veröffentlicht wurden. Und zum Teil war das wirklich ein Aha-Effekt. Wie sauber, wie voluminös. So empfand ich das. Wobei entschiedene Vinyl-Liebhaber gerade der CD dieses Voluminöse absprachen. Wie gesagt, zuerst kam nur Neues in meinen CD-Player – ich habe lange gebraucht, um mir eine meiner Lieblingsplatten auch auf CD zuzulegen. Und noch länger, um bei einer bestimmten Stelle, wo bei meiner oft gehörten LP immer ein Knistern war, nicht die Luft anzuhalten – nur um dieses Knistern nicht zu hören und ein Gefühl von Fremdheit zu empfinden. Aber nun gut, bei den meisten CD-Überspielungen hat mich der Klang doch überzeugt – oder bin ich einfach nur in die Jahre gekommen? Bequemer geworden? Ist ja auch einfacher eine CD als eine Platte zu wechseln…

Wie auch immer. Für meine Ohren hat der Klang gewonnen (bis auf die „Loudness-War“-Opfer). Und vielleicht ist der reine Klang auch gar nicht das Wichtigste an der Musik? Als ich Musik für mich entdeckte, hatte ich nur ein kleines Radio („Mal Sondocks Hitparade“ im WDR) und dann einen Mono-Kassettenrekorder. Und es war toll. Klar war die erste, mühsam ersparte Anlage auch toll. Und toller Klang ist ja auch einfach toll. Aber wie auch immer – schon zu Zeiten von Mono-Kassettenrekordern gewann Musik einen besonderen Reiz dadurch, dass man sie so schön teilen kann.

Teilen war immer schon ein wichtiger Bestandteil, wie sich Musik verbreitet hat. Kassetten tauschen, LPs ausleihen (allerdings in meinem Fall nur an Trockenabspieler) – und vor allem ganz persönliche Mixe herstellen (viele Jahre auf Kassette, dann auf CD). Wenn ich überlege, wie viele interessante Musik ich schon über solche Mixe kennengelernt habe.

Und hier sind wir bei YouTube angekommen. Die Globalplayer gewordene Inkarnation der Lust am Teilen. Ich finde Youtube toll. Wie viele Bands ich dort schon entdeckt hab (mein CD-Dealer dankt es mir). Zudem ist YouTube ein Hilfsmittel erster Güte für Musik-Assoziationsabende, es macht einfach Spaß, auf Youtube vom Höcksken aufs Stöcksken zu kommen.

Kommt das Gespräch auf Michael Jackson, dann wird nicht nur die Musik abgespielt, dann ist auch gleich das Thriller-Video zur Hand. Wie etwa gestern mit meiner Liebsten: Nostalgisch hörte ich über Youtube „Hard To Say I’m Sorry“, da kam sie dazu. „Meine erste Single.“, meinte ich. „Meine Erste war Thriller.“ Also lief dann das Video. „Die Tanzen so cool!“, meinte meine Liebste, „Schau mal hier, das ist auch cool!“ – und schon lief „Happy“ von Pharrell Williams. Nach ungefähr 10 Minuten fiel mir ein anderes cooles Tankstellen-Video ein: „Gimme All Your Lovin“ von ZZ Top. Angesichts der Bärte hatte dann meine Liebste einen Poetry Slam-Videotipp parat: Patrick Salmen „rostrotkupferbraunfastbronze“ bei der Poesieschlacht Düsseldorf („Auf Bart reimt sich hart – sonst nichts… Und wir singen Manowar… “). Also lief als nächstes Video „Die For Metal“. Von Manowar kamen wir auf Man o’ War (das berühmte Rennpferd) und von dort war es nicht weit bis zum Video-Trailer von „Seabiscuit“, denn Seabiscuit war immerhin ein Enkel von Man o’ War gewesen. Dann Black Beauty. Keine Folge habe ich als Kind verpasst, was weniger an dem Pferd und den spannenden Geschichten lag, als an der Hauptdarstellerin Judit Bowker, in dich ich mich verknallt hatte. Meine Liebste erzählte, sie hätte damals für David Cassidy von der Partridge Family geschwärmt. Ein Name mit dem ich auch so meine Erinnerungen verband, schließlich hatte eine damalige Freundin, während sie auf ihrem alten Plattenspieler die frisch erworbene Single von „Last Kiss“ spielte, mit mir Schluss gemacht (was ich erzählte, während Cassidy auf Youtube schmachtete). Mit ihr hätte mal ein Freund zu „I Want To Break Free“ Schluss gemacht, erzählte meine Liebste. Na immerhin hatte er einen guten Musikgeschmack. Also hörten wir Queen, während wir darüber sprachen, wie wir damals die Nachricht von Freddie Mercurys Tod aufgenommen haben. Über die posthum herausgekommene CD „Made In Heaven“, von der wir „Too Much Love Will Kill You“ hörten (die CD war in Montreux am Genfer See aufgenommen worden, ihr Cover zeigt eine Statue von Freddie vor dem Genfer See), kamen wir auf „Smoke On The Water“. Schließlich singt hier Ian Gillan über einen Brand im Casino von Montreux während eines Zappa-Konzertes. Apropos Texte von Deep Purple. Ich erzählte, dass ich eine Weile gebraucht hätte, um zu verstehen, dass es bei „Knocking At Your Backdoor“ nicht um jemanden geht, der an die Hintertür eines Hauses klopft. Woraufhin wir dann zu Julia Enders Auftritt „Darm mit Charme“ bei einem Science Slam kamen…

Ja, ich finde Youtube toll. Und weil es Millionen Menschen weltweit so geht, hat die Nutzung von Youtube mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass man hier von einem „Kulturellen Gedächtnis“ sprechen kann, einem „Archiv für Medieninhalte“. Was die Nationalbibliotheken für Texte sind, ist Youtube für Musik und multimediale Inhalte. Schade nur, dass das wichtige Thema „Honorierung der Urheber“ immer noch nicht befriedigend geklärt ist.

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Nicht mehr in die Röhre gucken – wieder über Sex schreiben können…

Endlich kann ich wieder über Sex schreiben oder, wenn ich denn je auf diese Idee komme, über Xavier Naidoo.

Gebraucht_Neu
Gebraucht – ein Wort, dass mich seit dem Auszug bei meinen Eltern begleitet. Was habe ich nicht alles mitgenommen. Einen gebrauchten Herd, einen Kühlschrank, die Kaffeemühle… Und nicht zu vergessen, die schönen alten Küchenutensilien meiner Oma, die ich in einem alten Schrank ausgegraben hatte. Der Quirl, das Besteck, der Suppenschöpflöffel, alles mit Holzgriff. Fein – und auch heute noch in Gebrauch. Gebraucht – ein Gedanke, der altmodisch ist und dennoch in seiner Nachhaltigkeit topaktuell.

Altmodisch: Weil doch heutzutage alles neu sein muss. Denn Neu!, das heißt doch: Gut!
Nachhaltig: Weil vieles auf dem Müll landen würde, wenn ein anderer es nicht im gebrauchten Zustand in Gebrauch nehmen würde.

Jemand, wie ich zum Beispiel. Blicke ich in meinem Arbeitszimmer herum, dann sehe ich viele gebrauchte Gegenstände. Der Tisch, an dem ich gerade sitze. Das Regal zu meiner Linken, bestehend als alten Brettern und Weinkisten. Alles erzählt eine Geschichte. Dort und dort besorgt. Von dem oder der geschenkt bekommen. Mitgenommen aus meiner ersten Wohnung, meiner zweiten, mit mir von Wuppertal an den Bodensee umgezogen… Der Schrank in meinem Rücken zum Beispiel. Der stammt aus der Auflösung eines Büros in Wuppertal. Wie viele Möbel haben wir nicht damals, als ich mir am Wochenende einen Teil meiner Miete als Möbelpacker verdiente, diverse Treppen hinunter geschleppt, sie in den 7,5 Tonner gewuchtet, nur um sie, weil sich kein Abnehmer fand, zur Müllverbrennungsanlage zu karren. Aber nicht diesen schönen, alten Dokumentenschrank mit variabler Fächereinteilung. Ein schweres Teil, dass mich schon einige Umzüge begleitet hat. Ideal, um meine CDs aufzunehmen.

Nun gut, die CDs. Die sind nicht gebraucht. Auch nicht die Tastatur, auf der ich gerade tippe. Oder der Computerbildschirm, auf den ich gerade sehe. Der Stuhl, auf dem ich sitze… Manchmal ist neu! eben doch gut! Weil neu bei CDs zum Beispiel bedeutet, die CD in einer Verpackung zu erhalten und es ein Teil des Ritual ist, diese Verpackung abzureißen, diesen speziellen Geruch neuer CDs wahrzunehmen, bevor die CD in den Player geschoben wird, das Booklet in die Hand genommen wird, dessen Seiten, weil frisch aus der Druckerei, manchmal noch aneinander haften. Erinnert sich noch jemand an diesen ganz eigenen Geruch der alten Drei??? Bücher? Was habe ich als Kind doch dem neuesten Band entgegen gefiebert. Und dann, wenn ich genug gespart hatte, bin ich in den Buchladen – und habe mir die Neuerscheinung gekauft. Sie nach Hause getragen, aus ihrer Plastikhülle befreit – und dann begleitet von diesem ganz eigenen Geruch bin ich in der Welt von Justus, Peter und Bob verschwunden.

Ja, manchmal ist neu eben doch gut. Weil eben manches, auch wenn es viele Geschichten zu erzählen gäbe, eben doch so sehr gebraucht war, dass es unbrauchbar wurde. Und diese Erfahrung mache ich schweren Herzen – auch wenn man sein Herz ja eigentlich nicht an Dinge hängen soll. Aber gleichwohl. Ich finde es falsch, nicht um die Dinge, die einen begleitet haben, zu kämpfen. Sie bei den ersten Anzeichen von Gebrauchsspuren aufzugeben. Zu schnell nach etwas Neuem Aussicht zu halten…

Mein alter Laptop zum Beispiel. Gebraucht gekauft. Weil: Das Geld. Weil: Ich schon schon lange einen Thinkpad haben wollte. Mit rotem TrackPoint. Weil ich Wert auf eine gute Tastatur lege. Und so habe ich mir vor Jahren meinen T42 zugelegt. Ein treuer Gefährte. Daheim. Unterwegs. Bis sich an der Tastatur Verschleißerscheinungen bemerkbar machten: Die X-Taste funktionierte nicht mehr. Und die x-Taste brauchte ich. Schrieb ich doch an einer Geschichte, in der es nicht nur häufiger um Sex ging, sondern in der dieses Wort auch öfter auftauchte, auftauchen sollte, weil die Dialoge keine Umschreibung zuließen. Also habe ich eine Office-Datei angelegt, in die ich ein x und ein X hineinkopiert habe, um den kleinen und den großen Buchstaben bei Bedarf aus der Datei herauszukopieren – also vor allem das kleine x. Das war natürlich auf Dauer zu umständlich. Also recherchiert und die Tastaturbelegung geändert. Wer braucht schon ein Y? Nun auch das braucht man manchmal. Und so habe ich mich dazu durchgerungen eine neue Tastatur für meinen alten Laptop zu erwerben, den Schraubenzieher in die Hand zu nehmen (was bei meinem technischen Geschick einiges heißt) und die Tastatur auszutauschen. Und siehe da, es funktionierte. Was war ich froh und stolz: Ich hatte es gerichtet und endlich konnte ich wieder ohne umständliche Umwege über Sex schreiben oder, wenn ich denn gewollte hätte, über Xavier Naidoo. Endlich waren wieder ohne Mühe so schöne Sätze wie „Das war ein Satz mit X“ möglich…

Nur leider war dies „ein Satz mit x“, denn die Freude währte nicht lange. Manchmal ist lange gebraucht eben doch unbrauchbar. Plötzlich machte mein Thinkpad Geräusche, die er nicht machen sollte. Der Lüfter, die Festplatte. Dann gab der Monitor seinen Geist auf – glücklicherweise erst nachdem ich ein komplettes Backup gemacht hatte. Und so schreibe ich die Zeilen auf einer neuen Tastatur, verbunden mit einem neuen PC, der seine Daten auf einen neuen Bildschirm ausgibt – und ich genieße es. Manchmal ist neu eben doch gut!

Wobei dieses Neue eben auch eine Geschichte hat. Zum Beispiel die gerade erzählte. Dies scheint mir wichtig zu sein. Gerade in Zeiten, in denen wir leben, und an dem Ort, an dem wir leben und uns soviel mehr leisten können, als andere Menschen in anderen Umständen. Denn was liegt einem schon am Herzen, wenn es keine Geschichte zu erzählen hat? Wenn in einem Gegenstand, den man gebraucht oder neu erworben hat, nicht eine Erinnerung mitschwingt, die diesen Gegenstand mit unserem Leben verbindet?

Man soll sein Herz ja nicht an Dinge hängen, heißt es. Aber Erinnerungen an Dinge hängen, ist etwas anderes, finde ich. Das haben schon die alten Griechen gewusst mit ihrer Gedächtnistechnik, der Topik. Topos heißt „Ort“, „Stelle“, und die Gedächtnislehre beruht auf der Erfahrung, dass wir uns Dinge besser merken können, wenn wir sie in Gedanken mit Stellen verbinden, die uns vertraut sind. Kurz: Wir erzählen uns eine Geschichte, um uns etwas zu merken. Etwa eine Geschichte der abendlichen Heimkehr nach dem Arbeiten. Ich parke vor dem Haus mein Auto (Stelle 1) und sehe in dem Moment, da ich die Scheinwerfer ausschalte einen Pinguin über die Straße hüpfen. Ich wundere mich, steige aus, gehe zur Haustür, an die (Stelle 2) jemand einen weißen Schleier genagelt hat. Ich schließe auf und trete beinahe im Hausflur (Stelle 3) in eine Bratpfanne voller Bratfett. Und um sicher zu gehen, falls mir bis hierher noch nicht eingefallen ist, was ich mir merken wollte, sind auf der Treppe zur Wohnungstür Rosenblätter verstreut. Und Heureka! Ich trete dieses Mal nicht ins Fettnäpfchen, ich erinnere mich daran, dass ich mich damals über die Nonne lustig gemacht habe, die dem Pfarrer assistierte, und wie wenig dies meiner Frau gefallen hat… Und so kehre ich um, fahre schnell zur Tanke, um, wenn es sie denn zu kaufen gibt, Rosen zu besorgen. Denn heute ist Hochzeitstag!

Nun, die alten Griechen habe diese Technik natürlich wesentlich ausgefeilter ausgeübt. Aber im Kern sollte klar geworden sein, um was es geht. Was uns täglich umgibt, jedes Ding in unserer Nähe, sorgt dafür, dass wir uns in einer Welt bewegen, die voll mit Erinnerungen ist. Und Dinge, die wir länger im Gebrauch haben, haben mehr zu erzählen.

Nachhaltigkeit hat also für mich etwas mit der Lust, dem Bedürfnis zu tun, aus seinem Leben eine kohärente Geschichte zu machen. Keine pure Aneinanderreihung von willkürlichen Akten. So gedacht ist Nachhaltigkeit in ihrer Aktualität ein sehr altmodischer Gedanke: Denn am Anfang war das Wort – und das war bei dem, der mit der ersten großen Geschichte begann. Und so schuf er etwas Neues, die Welt. Und er schuf den Menschen, um durch dessen Gebrauch der Welt selbst zur Geschichte zu werden.

Apropos Anfang… Jetzt gegen Ende meiner Überlegungen möchte ich doch noch einmal auf den Titel meines Beitrags zurückkommen: Wir gucken nicht mehr in die Röhre.

Jahrelang haben wir über ein betagtes, höllenschweres Röhrengerät ferngesehen. Auch wenn der Fernseher mittlerweile gewisse Ermüdungserscheinungen zeigte, so dauerte es manchmal ein paar Minuten, bis aus der schwarzen Röhre allmählich ein Bild entstand, tat er im Großen und Ganzen, was er tun sollte. Also war ein neuer Fernseher nötig?

Nein, er war nicht nötig. Wir brauchten nicht unbedingt einen Neuen – aber wir hatten Lust darauf. Und es gehört zu meiner Geschichte, mich darüber freuen zu können, in einem gewissen wohl dosierten Rahmen dieser Lust auf etwas Neues auch nachkommen zu können. Also: LED. Flach. Viel größerer Bildschirm. Und ich kann doch tatsächlich vom Sofa aus die Schrift im Videotext lesen. Manchmal ist neu eben doch gut. Wie wir den gebrauchten, höllenschweren Röhrenfernseher auf den Dachboden geschleppt haben – nun, das ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte, die vielleicht eines Tages jemand anderer erzählen wird.

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Alter Wein in neuen Schläuchen? Was interessiert uns heute an einer uralten Denkmethode?

Bornscheuer Gemaelde_SonnenblumenMehr Material von meiner „wissenschaftlichen Baustelle“…

Topik. Warum Topik? Was interessiert uns heute an einer Denkmethode, die weit über 2000 Jahre auf dem Buckel hat? Schnee von gestern? Ist, was heute zu diesem Thema geschrieben wird, nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Schließlich gibt es nichts Neues unter der Sonne. Also warum Topik?

Vielleicht weil uns hier ein sehr nützliches Werkzeug an die Hand gegeben wurde, um herrschende Meinungen, sowohl in der alltäglichen wie auch in der wissenschaftlichen Kommunikation, zu untersuchen. Ein Werkzeug, das in einem gut sortierten Analysewerkzeugkoffer neben Kuhns Paradigmen, Bourdieus Habitus und Foucaults Epistemen nicht fehlen sollte.

Foucault dachte darüber nach, wie das-was-ist nicht länger das-was-ist zu sein braucht. Vielleicht gibt es ja doch etwas Neues unter der Sonne? Und Topik hilft dem Denken, die Stelle zu finden, an der dieses Neue entstehen kann.

Eine „Stelle“, die mich immer fasziniert hat, war Lothar Bornscheuers Buch zur Topik – eben weil das Denken, das sich in diesem Buch zeigte, mir half, meine Leseerfahrungen mit Foucault und den anderen oben genannten Autoren „zu verbinden“.

Es ist ein Denken, welches Vorurteils-Struktur und Freiheit nicht als Gegensatz vorstellt:

Alle Produktivität, alles Nachdenken, alles Überzeugen, jede Lebensgestaltung, jedes Werk (ob nun Kunstwerk oder wissenschaftliches Werk) findet auf dem Boden der herrschenden Topik statt. Hier auf diesem Boden der Topik ergeben sich für den Menschen und Künstler aber auch Möglichkeiten der Freiheit.

Kurz gesagt: Mit Bornscheuer Topik zu betreiben, bedeutet nahe an Foucaults Auffassung von Philosophie zu sein als einer Denkhandlung, deren eigentlicher Sinn in der Veränderung eingeübter Denk-, Sprach- und Erfahrungsweisen besteht

Topik, so wie sie Bornscheuer analysiert hat, ist, um es Foucault zu sagen: „[…] eine Analyse der Zivilisationstatsachen, die unsere Kultur charakterisieren, definieren […] eine Ethnologie der Kultur, der wir angehören“ (Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, hrsg. u. aus d. Franz. u. Italien. übers. von Walter Seitter, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1974 (Ullstein, S. 13).

Und so fand – und finde ich – es sehr lohnenswert, sich mit dieser Art des Denkens zu beschäftigen. Und wer hier neugierig ist, der mag vielleicht ein wenig mehr in diesen Gedankengängen stöbern…

„Das Wahrnehmen seiner Selbst“, eine Auseinandersetzung mit Foucaults Gedanken über Ästhetik und Ethik, wie er sie vor allem in den – kurz vor seinem Tode – 1984 veröffentlichten Bänden von “Sexualität und Wahrheit” äußerte – und zwar anhand meiner Lektüre von Bornscheuers Topik-Auffassung.

Also etwas Material von meiner „wissenschaftlichen Baustelle“ (Link auf meine Homepage zu einem pdf)… Eine alte Liebe, die mir immer wieder begegnet – und mir sagt, es gibt etwas Neues unter der Sonne.

 

Eine Zusammenfassung als eBook für Kindle (und Kindle Lese-Apps) findet Ihr hier

 

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Mehr als Klischees… meine wissenschaftliche Baustelle: Topik. Eine Rezension

Lothar_Bornscheuer_Topik
Es gibt Menschen, über welche man auch im Zeitalter von Google und weltweiter Vernetzung nur wenig erfährt. Was von ihnen als Person bleibt, bleibt im Privaten. Wertvolle Erinnerungen, nur den Vertrauten anvertraut. Was von ihrem Denken bleibt, ist manchmal ein Werk.

Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt/Main 1976 (Suhrkamp) von Lothar Bornscheuer

Lothar Bornscheuer war ein deutscher Literaturwissenschaftler, Hochschullehrer und Buchautor. Topik war eines seiner Hauptthemen, sein Buch von 1976 ist sein umfassendster und spannendster Beitrag zur Thematik „Topik“.

Was ist Topik?
Topik beschäftigt sich mit Topoi. Laut Wikipedia versteht man unter „einem Topos (Plural Topoi; altgr. τόπος topos „Ort“, „Gemeinplatz“; lat. locus communis) … einen Ort im übertragenen Sinn, aber auch eine Formkategorie. Im modernen Verständnis bedeutet Topos Gemeinplatz, stereotype Redewendung, vorgeprägtes Bild, Beispiel oder Motiv (z. B. navigatio vitae, das „Lebensschiff“)“.

Topik als die Lehre von den Topoi beschäftigt sich demnach mit dem Auftreten dieser Gemeinplätze, Motive, kurz Klischees, vor allem in Literatur und Kunst. Das ist richtig, aber auch falsch. Denn Topik, so wie sie Bornscheuer analysiert, geht es nicht allein um Klischees, sondern vielmehr um die Vorurteils-Struktur menschlicher Wahrnehmung und Produktivität (als Mensch, Künstler, Wissenschaftler). Topik ist diese Vorurteils-Struktur – und gleichzeitig ihre Kritik.

“Alle theoretischen und praktischen Produktivitäten unterliegen jeweils einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Charakteritik, der Bewegungsspielraum schöpferischer Ideen und ihrer Realisierungsmöglichkeiten in allen Bereichen einer bestimmten Kulturepoche (in ihrem Bildungssystem, ihren Wissenschaften, ihrer Technologie sowie in ihren ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Organisationsformen) ist durch eine jeweils epochencharakteristische Tiefenstruktur bestimmt. Diese Tiefenstruktur eines je bestimmten gesellschaftsgeschichtlichen Bildungshabitus könnte als eine der Bedeutungsschichten des Begriffs >Topik< verstanden werden” (Bornscheuer, Topik, S. 19-20). Bornscheuers Nachdenken über diese Tiefenstruktur trifft sich mit dem Denken von u.a. Michel Foucault. Es ist ein Denken, welches Vorurteils-Struktur und Freiheit nicht als Gegensatz vorstellt: Alle Produktivität, alles Nachdenken, alles Überzeugen, jede Lebensgestaltung, jedes Werk (ob nun Kunstwerk oder wissenschaftliches Werk) findet auf dem Boden der herrschenden Topik statt. Hier auf diesem Boden der Topik ergeben sich für den Menschen und Künstler aber auch Möglichkeiten der Freiheit. Kurz gesagt: Mit Bornscheuer Topik zu betreiben, bedeutet, nahe an Foucaults Auffassung von Philosophie zu sein als einer Denkhandlung, deren eigentlicher Sinn in der Veränderung eingeübter Denk-, Sprach- und Erfahrungsweisen besteht, „um damit ein freies und souveränes Selbstverhältnis zu ermöglichen [...]“ (Kögler, Hans Herbert: Michel Foucault, Stuttgart, Weimar 1994 (Sammlung Metzler), S. 4). Topik, so wie sie Bornscheuer analysiert hat, ist, um es Foucault zu sagen: „[...] eine Analyse der Zivilisationstatsachen, die unsere Kultur charakterisieren, definieren [...] eine Ethnologie der Kultur, der wir angehören“ (Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, hrsg. u. aus d. Franz. u. Italien. übers. von Walter Seitter, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1974 (Ullstein, S. 13). Noch heute ein wichtiges Buch, vielleicht gerade heute ein wichtiges Buch. PS: Im Jahr 2004 wurde mir der wissenschaftliche Nachlass von Lothar Bornscheuer anvertraut. Die Universität Konstanz bot sich an, den Nachlass in Obhut zu nehmen und der wissenschaftlichen Arbeit zugänglich zu machen. Somit befindet sich der wissenschaftlicher Nachlass seitdem in der Universitätsbibliothek Konstanz. Er wurde im Rahmen des von Frau Prof. Almut Todorow betreuten Forschungsprojektes 52/97 gesichtet und für die Archivierung vorbereitet. Archiviert ist er in den Rara-Beständen der Universitätsbibliothek. Leider waren auch die Rara-Bestände der Konstanzer Universitätsbibliothek von der Asbestverseuchung betroffen, die im Herbst 2010 zur Schließung der Universitätsbibliothek Konstanz führten. Mittlerweile sind die Rara-Bestände und auch Bornscheuers Nachlass von Asbest gereinigt und können wieder wissenschaftlich genutzt werden. Facebook-Seite zu Bornscheuer

Cover_Topik_Boscher
Meine Zusammenfassung des Themas

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