Selbst unter Tage – also sogar in der alten Wohnung einer guten Freundin, die im Keller eines Mehrfamilienhauses lag (blickte ich aus einem der Fenster, dann waren meine Augen auf Grasnaben-Niveau. Blickte sie aus dem Fenster, dann sah sie gewissermaßen das Gras von unten wachsen). – Also selbst an einem solchen Ort, an dem es nur selten einen Handyempfang gab, an dem das Sonnenlicht nur für Minuten durch die Kellerfenster schien und Radiosender, die auch schon einmal gute Musik spielten, wie SWR3 oder Antenne Bayern, nur ein Rauschen und Knistern von weit weit weg waren – ja, selbst dort war der regionale Radiosender zu empfangen. Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Und auf Schlager festgelegt.
Als noch eine 19 vorne stand
Radio Seefunk, so sage ich mal, war ein Sender der seine Zielgruppe in den über 50jährigen sah. Gerne auch noch älter. Und viel älter. In der Zeit, von der ich jetzt spreche, schreiben wir noch eine 19 vorne. Die Generation, die der Sender ansprach, hatte den Blauen Bock, Ernst Mosch, Dieter Thomas Hecks Hitparade in den 70igern bei vollem Bewusstsein, freiwillig als Erwachsene erlebt (und nicht wie ich als hilfloses Kind, das, um überhaupt ein wenig fernzusehen, einfach mit noch unfertigem Hirn dabei saß und hilflos Melodien ausgeliefert war, die es nie mehr vergessen sollte).
Der Sender war also, um es klar zu sagen, in meiner damaligen Perspektive was für alte Säcke. Ein Faktotum, weil er selbst Six feed under zu empfangen war. Aber ein No go. War ich bei einem meiner Studentenjobs damals unterwegs und wurde das Radio aufgestellt – und es gab nichts anderes als Radio Seefunk –, dann ließen wir das Radio aus. Ja, so war das damals. Als noch eine 19 vorne stand. Und heute?
Der Mainstream meiner Generation
Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Selbst unter der Tage – ja, das gilt noch heute für den Sender, aber er spielt keinen Schlager mehr. Er hat sich ein „Neu“ vor seinen Namen gesetzt. Und was er spielt, ist so ziemlich die Setlist, die läuft, wenn wir Party feiern. Eine Mischung aus „Kennen alle“ und „Tut keinem weh“ (meine Metal-Platten und dramatischen Prog-Alben und Trällerelsen-Metall-Opern spiele ich da lieber nicht): Es läuft also Queen, die Best of, rauf und runter, 80iger Jahre Rock von Journey bis Blondie, dazu jede Menge 80iger Pop (Visage und so ein Zeug, ja Spandau Balllet Goooooolddd , puh), 70iger Jahre Perlen wie Earth Wind & Fire, Led Zeppelin, The Doors und Supertramp. Und immer wieder Michael Jackson. Kurz: Es läuft der Mainstream meiner Generation. Der Generation, die in den 70igern Kind war – und jetzt in die Zielgruppe des Senders hineingewachsen, hineingealtert ist. Ich bin zu einem der alten Säcke geworden. Heute, da schon eine Weile die 20 vorne steht.
Der Soundtrack eines alten Sacks
Und ich alter Sack habe das Neue Radio Seefunk oft gehört. Beim Pendeln im Auto zur Arbeit, auch daheim, „Alexa, spiel das Neue Radio Seefunk“. Queen geht immer. Und vielleicht bin ich auch ruhiger geworden und der Mainstream läuft mir deswegen gut rein (wobei: bei Journey erinnere ich mich an meine Hochzeit, und die war nicht Mainstream, und beim Nordic Walking läuft schon eher Metal und Drama und Prog …) – jedenfalls: Radio Seefunk gehörte zum Soundtrack meines Alltags. Ich alter Sack. Selbst wenn wir Besuch hatten, ließ ich den Sender manchmal laufen – obwohl wir keine Kellerwohnung haben, jeder Radiosender über DAB klar reinkommt und Alexa alles spielt, was wir wollen.
Und dann kurz vor der Landtagswahl 2021 in BaWü sendete Radio Seefunk einen Wahlwerbespot der AfD. Vielleicht weil gedacht wird, dass so ein alter Sack wie ich zur Zielgruppe gehöre. Aber das fand ich wirklich unterirdisch. Seitdem habe ich den Sender nicht mehr gehört. Habe ihn für mich begraben. Six feed under. Und dort ist für mich kein Empfang. Manchmal muss einfach ausgeschaltet werden. Gerade von einem alten Sack, der in diesem Punkt hofft, zum Mainstream zu gehören.