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„Der Tod des Autors“

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Dies war eindeutig einer der aufregendsten Tage meines bisherigen Lebens. Selbst jetzt noch, nachdem endlich alles gut ist, treibt es mir, denke ich an jenen Tag, den Puls in die Höhe. Kein Wunder, schließlich war es nicht nur einer der aufregendsten Tage meines Lebens, es war auch mein Letzter. Denn dort in dieser Telefonzelle in Konstanz, auf dem mit Schmutz und kalten Pommes bedeckten Boden, bin ich gestorben.

Allerdings habe ich diese entscheidende Wende in meinem Leben nicht sogleich bemerkt. Es musste erst jemand kommen, mir die Augen öffnen und meinen gefesselten Geist befreien. Nicht unbedingt etwas, für das man sich rühmen könnte. Bin nicht gerade als leuchtender Stern zu Boden gestürzt. Aber es ist nicht einfach, ein Ende großen Stils zu finden. Doch was soll’s, letztlich hat Imperia, trotz allem, was mir zugestoßen ist, ja gerade wegen all dem, Recht behalten mit ihrer Bemerkung, dass Konstanz mir gut tun würde. Zwar musste ich erst sterben, um zu verstehen, bzw. musste verstehen, dass ich gestorben bin, um endlich einzusehen, wie ich mein Leben zu leben habe. Aber besser spät als nie. Der Autor ist tot, lang lebe der Autor!

Diese meine Aufzeichnungen kommen somit bald an ihr Ende. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt. Nun da Es dort wurde, wo zuvor Ich war, brauche ich die Leiter nicht mehr. Doch der Vollständigkeit halber hier also das Ende meines alten Egos, ein Ende, dem glücklicherweise der Zauber des Anfangs innewohnt.

Nachdem ich mich vom Boden der Telefonzelle erhoben hatte, war ich mit eingezogenem Kopf wie ein geschlagener Hund, begleitet von diesem Kichern, das von überall her zu kommen schien, durch die Gassen der Konstanzer Altstadt zu meiner Pension gehumpelt. Gezittert vor Angst hab’ ich. Schließlich rechnete ich jeden Augenblick damit, dass sich mir etwas in den Weg stellen würde. Was aber nicht geschah, obwohl ich in meinem Kopf eine Stimme hörte, die (was sonst!) This is the end, my friend! sang. Zwar wunderte ich mich, dass die sich nur mehr auf höhnisches Kichern beschränkten und dass selbst dies verstummte, als ich die Tür meines Pensionszimmer hinter mir verschloss, aber eigentlich war ich dermaßen erleichtert, den Kopf so gerade eben noch aus der Schlinge gezogen zu haben, dass mir das Wieso? Weshalb? Warum? ganz unphilosophisch egal war. Drinnen ist gut, draußen ist schlecht. So einfach ist das. Dachte ich.

Es war nicht so einfach. Ich war ängstlich. Ich war geräuschempfindlich. Ich hatte Rückenschmerzen. Ich fühlte mich eingesperrt. Und es wurde schlimmer von Stunde zu Stunde. Das Schreiben half schließlich nur noch bedingt. Ich versuchte mir einzureden, dass ich in meinem Zimmer sicher bin, dass ich nur ausharren muss, bis ich eine Lösung finde. Es half nichts. Der Eindruck, dass meine ganze Existenz an einem hauchdünnen Faden hängt, der mir zudem mehr und mehr aus den Händen gleitet, wurde immer stärker. Ich ahnte, dass ich meinen Zufluchtsort und die relative Sicherheit, die er mir bot, bald würde verlassen müssen und glaubte, dass es gelinde gesagt gut wäre, bis dahin eine Antwort auf die Frage zu haben: Wie werde ich die los?

Auf die Unscheinbare brauchte ich nicht mehr zu hoffen. Das Thema war endgültig durch. Schon allein deswegen, weil ich mein Zimmer nicht verlassen wollte, um mich in Wuppertal auf die Suche zu machen. Zudem hatte ich ja ihre Telefonnummer vergessen.

Ich war auf das Höchste angespannt. Zerbrach etliche Male, während ich meine Erlebnisse zu Papier brachte, unwillkürlich den Bleistift zwischen meinen Fingern. Ein paar Mal war ich sogar – wie ich zugeben muss – beinahe so weit, mich einfach in die Ecke zu kauern, den Rest meiner Schmerztabletten zu schlucken und bitterlich weinend dem Selbstmitleid freien Lauf zu lassen. Dann soll mich halt der Teufel holen!

Er hatte mich schon längst geholt. Es war wirklich die Hölle, in der ich mich quälte, meine ganz persönliche Hölle. Über ihrem Eingang hatten weder die Worte Der, der du hier eintrittst, lass’ alle Hoffnung fahren! gestanden, noch war sie ein geordnetes, geometrisches Gebilde, das strengen Regeln gehorchte, angefüllt mit unzähligen, sündigen Seelen. Nein, in meiner Hölle war ich allein, allein in einem Durcheinander von Gedanken, das ich durch ein Portal betreten hatte, auf welchem die Worte standen: Wieso? Weshalb? Warum? Nicht auszudenken, wenn meine Seele in dieser Finsternis verharrt hätte, wenn ich auf meinem Weg, den ich zugehen hatte, weiterhin auf halber Strecke stehen geblieben wäre…

Aber glücklicher- und überraschenderweise bekam ich einen Führer zur Seite gestellt, der mich ins Licht führte. Doch bevor mir die Erlösung zuteilwurde, wurde mein Nervenkostüm noch auf eine letzte Probe gestellt. Ich beschrieb gerade meinen Zusammenbruch in der Telefonzelle auf der Marktstätte, da klopfte es an meiner Tür. Mein Herzschlag setzte einige Male aus, der Stift glitt mir aus den Händen, ich sah ihn wie in Zeitlupe fallen. Ich weiß noch, dass ich erwartete, ihn mit einem riesigen Getöse aufprallen zu hören, aber er blieb, ohne ein Geräusch zu machen, auf dem Teppich liegen. Auch ich blieb leise. Öffnete zwar meinen Mund zu einem Aufschrei, aber kein Laut kam über meine Lippen. Allmählich drang wie durch Schleier die leise, freundliche Stimme meiner Zimmerwirtin, die meinen Namen rief, an mein Ohr. Und nachdem ich es geschafft hatte, mich halbwegs wieder zu beruhigen, nicht ohne misstrauisch ein Ohr an die Zimmertür gedrückt, diese Stimme auf ihre Echtheit hin abzuhorchen, öffnete ich vorsichtig meine Tür. Es dauerte keine zwei Minuten, und ich bereute diesen Schritt. Überbrachte meine Vermieterin mir doch nichts anderes als die Nachricht, dass ich mein Zimmer am nächsten Morgen um zehn Uhr geräumt haben müsste, da sie schon länger Reservierungen vorliegen habe.

Früher oder später hatte es passieren müssen. Und mit der Wahl meines Zimmers hatte ich Glück gehabt. Andere Zimmerwirte hätten mich wahrscheinlich schon längst auf die Straße gesetzt. Schon nach den ersten Schreien. Trotzdem war ich geschockt, als mir meine Vermieterin das Unvermeidliche mitteilte. Im ersten Impuls hätte ich die zierliche, ältere Dame beinahe an ihrer Strickjacke gepackt und hinausgeworfen, um mich anschließend in meinem Zimmer zu verbarrikadieren. Ich tat dies natürlich nicht. Vielmehr fügte ich mich in mein Schicksal. Ich legte mich ins Bett, schlang die Decke um mich, bis ich beinahe so eng eingepackt war wie zu Gipsbett-Zeiten, und atmete gegen meine Rückenschmerzen an. Kurz: Ich hoffte auf ein Wunder. Doch als es wirklich eintraf, hätte niemand überraschter und überwältigter sein können, als ich es war.

2.

Regen prasselte gegen die Jalousie vor dem Fenster. Es donnerte. Blitze drangen durch Ritzen der Jalousie, die ich seit Tagen heruntergelassen hatte. Der stürmische Wind wehte Kirchenglockengeläut herbei. Es klopfte an der Tür. Nein! schrie ich auf, wähnte ich doch schon den Moment gekommen, da ich meine Zuflucht verlassen musste.. Nein, murmelte ich, die Decke über den Kopf ziehend, beruhige dich, es war nur ein Donner! Aber da konnte ich noch so oft beschwörend Es donnert! Nur der Donner! murmeln, daran, dass da jemand (oder ein Etwas?!) an meine Tür klopfte, ja, hämmerte, führte kein Weg vorbei. Took! Took! TOOOOK! Es war unüberhörbar. TOOOOK! Und dann…?! Ja, und dann rief plötzlich diese Stimme: »Jung’, ich weiß, dass du da drin bist! Mach’ schon! (ich traute meinen Ohren nicht) Oder willst du mich hier draußen verschimmeln lassen? (konnte das sein?) Du musst mich schon reinlassen (seine Stimme?) Jung’! Sonst wird das nix!« Took! Took! (und was, wenn es ein Trick ist?) Doch da hatte ich mich bereits gegen alle Vorsicht von der Aussicht überwältigen lassen, dass es wahr sein könnte, und die Tür geöffnet.

Und es war wahr. Mir war, als würde ein riesiger Stein von meinem Herzen gerollt. »Junge, Junge, Holland ist ganz schön in Not, was?!«, bemerkte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, dann rollte mein Opa in mein Zimmer hinein, »Aber wo viel Feind, da viel Ehr!« Opa rollte am Bett vorbei zum Fenster, »Also Jung’, jetzt heißt‘s den Arsch zusammengekniffen und durch!«

Er zog mit einem Ruck die Jalousie hoch. Als es in diesem Moment blitzte es, sank ich ehrfürchtig in die Knie. Das plötzlich aufflammende Licht ließ Opas Gestalt auf ein Vielfaches ihrer Größe anwachsen. Einen Moment lang schien er im Licht zu schweben. Dann forderte er mich auf, mich neben ihn auf den Boden zu setzen: »Jung’!«, sagte er mit Nachdruck, seine Hand auf meine Schulter legend, »was ich dir nun erzählen werde, wird dir nicht gefallen, jedenfalls anfangs nicht! Also hör’ gut zu! Unterbreche mich nicht, es sei denn, ich stelle dir eine Frage! Hast du verstanden?« Da ich kein Wort über die Lippen brachte, nickte ich nur. »Gut!«, meinte Opa zufrieden, »so soll es also sein!«

Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und sprach: »Ich bin hier, um dir die Augen zu öffnen. Du stehst an einem Scheideweg, und ich wurde geschickt, um dir die Wahl zu erleichtern. Wohlgemerkt nicht, um dir die Wahl abzunehmen. Denn der Herr legt Wert auf freie Willensentscheidungen. Der freie Wille ist geradezu das Fundament Seiner Herrschaft!«

Opa musste bemerkt haben, dass ich nach der Identität dieses Herrn fragen wollte, denn er schnitt mir mit einer unwirschen Handbewegung das noch nicht erhobene Wort ab.

»Ich muss nicht hier sein!«, sagte er dann, und er sagte es in einem ziemlich ruppigen Tonfall, »Du hast die Wahl! Kannst mich sagen lassen, was ich zu sagen habe! Oder (er packte die Räder seines Rollstuhls und machte mit ihm eine Bewegung hin zur Tür) es bleiben lassen!« Als Antwort klammerte ich mich am Rollstuhl fest und legte meinen Kopf ergeben an eine seiner Hände, die gelassen auf den Rädern ruhten. »Jung’, Jung’!«, meinte mein Opa dann, wieder mit sanfter Stimme, mir dabei eine Hand auf die Schulter legend, »keine Sorge, das kriegen wir schon hin! Lass’ das mal den Opa machen! Und jetzt lass’ los!«

Ich tat wie geheißen, und Opa rollte zum Tisch. Dort nahm er meine Aufzeichnungen zur Hand, er schien ihr Gewicht abzuschätzen. Dann klopfte er mit dem Handrücken auf den Stapel Papier: »Erstmal: Respekt, einen solchen Stapel zustande zubringen! Aber du redest bis zum bitteren Ende dermaßen um den heißen Brei herum, dass man dir am liebsten den ganzen Schinken um die Ohren hauen möchte! Und ich denk’ die ganze Zeit: Ist das mein eigen Blut? Anfangs ist dieses Rumlavieren noch witzig, aber irgendwann reicht es einem und man will, dass du die Hosen herunterlässt!«

Opa blätterte mit ernstem Gesicht in meinen Aufzeichnungen herum: «Ach Jung’, warum hast du es nicht wenigstens einmal ausgesprochen? Es tut mir in der Seele weh, dies sagen zu müssen, aber es sieht ganz danach aus, als seist du ein Schwätzer! Und einen Maulhelden hatte ich damals, als ich von den Dichtern und Denkern sprach, nun wirklich nicht im Sinn. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass alles erstunken und erlogen ist, die Kopfgeburt eines frustrierten Philosophiestudenten. Oder liegst du vielleicht noch immer in deinem Gipsbett? Bist ihm nie entronnen? Gefesselt von deinem schmerzenden, deformierten Rücken hast du dir ein anderes Leben zusammen gesponnen. Bist du ein Schwätzer? Ist Deine Schwester etwa noch springlebendig? Leben Deine Eltern vielleicht noch? Sucht Udo etwa immer noch seine Rockbitch? Und überhaupt die ganzen Mädchen und Frauen? Was ist zum Beispiel mit Carmen? Lässt sie sich immer noch von ihrem neuen Lover vernaschen? Hast du vielleicht nur das Tier im Rhetorikerpelz gespielt?«

Mir fiel zwar nichts zu meiner Verteidigung ein, aber unwidersprochen wollte ich die Worte auch nicht lassen. So sprang ich auf und sprach: »Aber…!« Doch Opa wischte meinen Widerstand mit einer Handbewegung weg: »Das waren keine Fragen, auf die du antworten sollst! Spitz’ die Ohren!« Er schlug auf meine Aufzeichnungen: »Unfälle! Ha! Selbstmorde!«, und schlug, »Zufälle! Nichts als Andeutungen und Zweideutigkeiten! Warum redest du kein Tacheles? Was glaubst du? Jetzt antworte!«

In meiner Verwirrung fiel mir aber nichts weiter als eine Gegenfrage ein: »Carmen? Lässt sie sich wirklich immer noch von diesem Typ vernaschen?« Kaum hatte ich das ausgesprochen, wusste ich auch schon, wie dumm dies von mir gewesen war, und zog, in Erwartung einer deftigen Rüge, den Kopf ein. Opa aber kicherte und rief theatralisch aus: »Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Vom Himmel!«, lachte er und rutschte ganz außer sich auf seinem Sitz herum, »Vom Himmel, ha! Das ist gut!« Schließlich beruhigte er sich wieder: »Spaß beiseite! Du weißt so gut wie ich, dass man in dem Bett, in dem dieses Weibsstück heute liegt, nur noch von Würmern vernascht wird! Um uns aber weitere Peinlichkeiten zu ersparen, will ich dir nun sagen, weswegen die Kacke am Dampfen ist, stärker am Dampfen, als es dir klar ist und lieb sein kann!«

Während Opa die letzten Worte aussprach, bekam seine Haut etwas Durchscheinendes, und einen schrecklichen Augenblick lang meinte ich, Würmer unter seiner Haut wimmeln zu sehen. Doch dieser grausige Eindruck verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, denn nun sprach Opa mit feierlichem Nachdruck in der Stimme:

»Um es in deiner Sprache auszudrücken: Es ist der Wurm des schlechten Gewissens, der an dir nagt! Der an dir nagt, seitdem du begonnen hast zu tun, was du tun musst! Du leidest an der Erbsünde des Bösen, von der man sich nur in einem reinen Akt der Bosheit befreien kann. Und zu dieser reinen, unverstellten Bösartigkeit warst du bislang nicht fähig. Das ist es, was dein Buch auf Schritt und Tritt offenbart. Es ist das schlechte Gewissen, das den Ton angibt, und deswegen – und jetzt setzt du dich besser wieder hin – bist du letztlich zerbrochen!

Ja, mein Junge, zerbrochen! Da kannst du noch so ungläubig gucken! Glaubst du wirklich, dein alter und vor allem toter Opa wäre hier, wenn nicht etwas wirklich Einschneidendes vorgefallen wäre?«

[…]

Cover_Abschied_Boscher_kleinEnde der Leseprobe aus Boschers Roman „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ (Neuntes Kapitel „Der Tod des Autors“, in der Taschenbuch-Ausgabe des Romans die Seiten 219-225).

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Eine Lebensgeschichte voller skurriler, ja grotesker Momente. Wir begegnen interessanten Charakteren (mit meist nur kurzer Lebenserwartung) und dämonischen Gestalten. Würzig abgeschmeckt wird das Ganze mit einem Hauch von Philosophie, einem satten Pfund Sex and Crime, einer guten Prise Wahnsinn und zwei Messerspitzen Horror.

„Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ – ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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Die Seite 99 aus „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“

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Die Idee bei einem unbekannten Roman die Seite 99 zu lesen, um sich von der Qualität zu überzeugen, geht auf den britischen Autor Ford Maddox Ford (u.a. „Keine Paraden mehr“) zurück. Gefällt einem diese Seite, will man erfahren, was auf den 98 Seiten zuvor geschah, wird man neugierig auf das, was noch folgen mag. Das erste Mal von dieser Idee von Maddox habe bei Béla Bolten gelesen. Auf der Internetplattform Seite 99 findet Ihr viele entsprechende Leseproben.

Und hier nun die Seite 99 meines zweiten Romans „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“:

„Sie hätte mich ja auch wirklich sehr gern. Richtig verliebt hätte sie sich in mich. Doch dann sagte sie, in einem Tonfall, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt, ja, gerade als sie ihre liegende Haltung verlassen hatte und auf mir sitzend ihre Arme und Beine um mich schlang, da meinte sie mir ins Gesicht lächelnd: »Ich habe meinem Freund die letzten Tage so viel von dir erzählt, er ist schon ganz gespannt, dich kennenzulernen!«

Hier hatten wir also den wahren Grund für Magdalenas Zurückhaltung, ihr Noch nicht! usw., ihr Jetzt bin ich soweit! Sie erklärte mir, dass sie ihrem Freund treu sei, deswegen hätte sie mit mir auch erst was angefangen, als er von einer Reise zurückkehrte und sie ihm von mir erzählen konnte. Tja, so kann man sich also täuschen. Ich hätte sie am liebsten… Auf der Stelle. Während Magdalena versuchte, mich über die nicht ausgeschöpften, nur von unserer Erziehung verschütteten Möglichkeiten des Konzeptes Liebe aufzuklären…

Aber ich bin ganz ruhig geblieben, sah nicht rot. Denn mittlerweile war ja mein Mörder in mein Leben getreten, und während Magdalena versuchte, mich über die Chancen der Liebe aufzuklären, wenn man sie nur endlich aus den Zwängen der Normalität befreien könnte und sie als etwas Offenes begriff, das in einer klassischen Zweierbeziehung – diesem Mythos, wie Magdalena es nannte, der allein selig machenden Zweierkiste – zugrunde gehen würde, da spann ich schon an meinem Roman weiter, verwob Magdalena ins Netz meiner Geschichte, genauso wie ich es mit Johanna und Raphaela und all den anderen tat, die ich aus meiner Brust heraus aufs Papier riss.

You can’t always get what you want, but sometimes you get what you need! heißt es doch so schön. Ja, da es endlich mit meinem Roman zügig voranging – und wie es voranging, wie im Rausch, Seite um Seite, in etwa einem halben Jahr schrieb ich ihn nieder – trat alles andere, also vor allem meine Hoffnung auf Liebesglück, in den Hintergrund. Ich stellte meine ganze Kraft, meine Gedanken, meine Gefühle, meine Phantasien, in den Dienst meines Mörders und ließ den roten Faden selbst im Schlaf, wo ich im Traum seine Geschichte weiterspann, nicht mehr aus der Hand. Was für ein Gefühl der Befriedigung und Erfülltheit, und wie ruhig ich doch, trotz allen Schaffensfuror, war, ein Gefühl, als wäre ich nach endloser Odyssee endlich zu Hause angekommen.“

 

Zum Roman:
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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ – ein Buch, das in vielen Genres wildert.

Der Roman ist als eBook und Taschenbuch erhältlich.

 

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Zwischen Nietzsche und viel zu kurzem Bademantel: Ein Diskurs über Serienmörder

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Ein Diskurs über Serienmörder, aus: „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“

Magdalena studierte Literaturwissenschaft und Philosophie, wobei ihre Lektürevorlieben nicht ganz dem Bild einer Geisteswissenschaftlerin entsprachen: »Ich les’ furchtbar gerne Krimis, Psychothriller und Horrorromane. Wenn mir beim Lesen das Blut gefriert, wie man so sagt, dann bin ich in meinem Element. Hauptsache heftig packend! Möglichst abgedreht! Denn mit der Normalität, da hab’ ich es nicht so!«, wie sie mir sagte, als wir in der Cafeteria der Universität aufgrund des Buches, das ich las, Die Seele des Mörders von John Douglas, jenem FBI-Agenten, der als Vorbild für die Ermittler in Der Rote Drache und Das Schweigen der Lämmer gedient hat, ins Gespräch gekommen waren.

»Na!«, hatte sie lächelnd gemeint, »ein bisschen gruseln?«, als sie sich mir gegenüber an den Tisch gesetzt und meinen Tabak zur Hand genommen hatte, um sich eine Zigarette zu drehen. »Das ist aber keine Lektüre, die uns im Nietzsche-Seminar empfohlen wurde«, meinte sie noch, »Obwohl, wenn man Douglas’ Analyse der Serienmörder-Motive folgt (offensichtlich hatte Magdalena das Buch gelesen), gibt es schon gewisse Berührungspunkte, man braucht ja nur an Nietzsches Satz von der Geschlechtlichkeit zu denken, die bis in die höchsten Äußerungen des Geistes reiche.« Da wusste ich auch, woher ich ihr Gesicht und dieses knappe Kleid kannte, das ihre barocken Formen geradezu aufklärerisch mehr ent- als bedeckte.

»Nein!«, antwortete ich ihr, »nicht gruseln, Recherche.« »Recherche?«, fragte sie, sich lächelnd dergestalt über den Tisch beugend, um das Feuerzeug zur Hand zu nehmen, dass ich mich kaum auf ihre Worte konzentrieren konnte, »So nach dem Motto: serialkilling for runaways?«

»Recherche für einen Roman, an dem ich arbeitete!«, gab ich zurück, mich dabei bemühend, ihr in die Augen und nicht in den Ausschnitt zu schauen. Man weiß ja schließlich, was sich gehört. »Schöne dunkle Augen hast du!«, meinte ich also zu ihr, woraufhin sie mir mit einem so speziellen Lächeln antwortete, dass ich nicht sicher war, ob meine Bemühungen, mich auf ihre Augen zu konzentrieren wirklich erfolgreich gewesen waren, und ich ihr vor lauter Schamhaftigkeit schnell einen kurzen, improvisierten Monolog hielt, der sich darum drehte, dass das Verfahren der Tätersuche wie sie in Die Seele des Mörders beschrieben wird Ähnlichkeiten mit gängigen Textinterpretationstechniken aufweisen würde.

Ich glaub’ nicht, so sagte ich in etwa zu Magdalena, dass es ein bloßer Zufall sei, dass es sich bei beiden Verfahren um Stilanalysen handle. Vielmehr sei von einer Strukturhomologie zwischen dem, was ein Schriftsteller tue, und dem, was ein Serienmörder mache, auszugehen, die sich in der Interpretationsmethode niederschlage: »Manipulation. Dominanz. Kontrolle sind die drei Gesichtspunkte, unter denen sich die Eigenheiten der Stoffbehandlung sowohl bei Mördern wie bei Schriftstellern fassen lassen, hier die Behandlung von Menschen, dort die Behandlung der Sprache. Und so ist es okay, wenn man – wie Douglas es ja tut – in Analogie zu hermeneutischen Textinterpretationsverfahren davon spricht, dass es bei der Täterprofilerstellung darauf ankomme, eine Handschrift, einen Stil zu entziffern. Geht es bei der einen Methode darum, die Eigenheiten eines Sprachstils herauszuheben, die Besonderheiten der Behandlung der Sprache durch den Dichter, um Aufklärung über sein Schreibverfahren, seine Handschrift zu erhalten, so bei der anderen eben um den spezifischen Stil eines Mörders, in dem er die Opfer behandelt hat, um ihm auf die Spur zu kommen!«

Ich hatte mich so richtig in Fahrt geredet. Kam mir unheimlich klug und begehrenswert vor. Wie Magdalena da auf der anderen Seite des Tisches saß, ihr Kinn auf eine Hand gestützt, zwischenzeitlich an der Zigarette ziehend, mich mit ihrem Lächeln dabei aber nie aus dem Blick lassend, war das aber auch ein anregender Anblick. Also sprach ich einfach weiter, meinte, man könne mit Douglas berechtigterweise von den Taten eines Mörders als seinem Werk sprechen. Denn genauso wie man sich das Werk eines Künstlers anschauen müsse, um zu verstehen, was er damit meine, müsse man das Werk des Mörders betrachten, um seine Handschrift zu entziffern und so den Sinn, den er seiner Tat zu geben versucht. Denn wie bei einem Künstler stehe auch am Beginn der Tat eines Mörders die Phantasie. Schon lange bevor das Werk in die Tat umgesetzt würde, sei diese in der Phantasie schon vorhanden.

Mit dem – wie ich fand, sehr gelungenen – Satz »Und hat er erst einmal mit der Verwirklichung begonnen, dann gibt es kein Halten mehr, den Serienmörder drängt es genauso wie den Künstler zur Vollendung!« beendete ich meinen Monolog und drehte mir nun meinerseits eine Zigarette, nervös auf eine Reaktion von Magdalena wartend. Sie setzte sich betont aufrecht hin und streckte sich ausgiebig. Das war – wie ich fand – schon mal eine sehr angenehme Reaktion. Als sie mich dann aber wieder ansah – mir gelang es erneut kaum, meinen Blick auf ihre Augen zu zentrieren –, widersprach sie mir allerdings. Lächelnd griff sie über den Tisch, drückte kurz meine Hand, dann wieder meinen Tabak nehmend, und sagte:

»Vollendung! Du bist ja ein richtiger Romantiker!« Und dann meinte sie noch, dass das Böse – ihrer Meinung nach – nichts Romantisches an sich habe, überwiegend banal sei es, so banal, dass es im eigentlichen Sinne nicht mal böse zu nennen sei, sondern einfach nur krankhaft. Dass im kollektiven Gedächtnis vor allem Mörder mit – wie ich gesagt hätte – Stil, mit einer unverwechselbaren Handschrift gespeichert seien, ginge – so Magdalena – auf deren überwiegende Präsenz in den Medien zurück. Es sei ein Effekt der medialen Vermittlung in Kunstfiguren wie dem Todsündenmörder aus dem Film Sieben oder Hannibal Lecter die Prototypen des Serienmörders zu sehen. Solche Monster in Szene zu setzen, sei halt in. Bräuchte mir doch nur mal die Programme der Privaten ansehen, da käme fast jede Woche irgendwas mit einem Serialkiller drin, und je abstruser dessen Konzept (»immer wieder gerne aus der Bibel genommen«), umso besser. Vielleicht, so mutmaßte Magdalena, fänden diese Figuren ja deswegen ihr Publikum (»Mich ja schließlich auch!«, sagte sie), da sie an einen Nerv der heutigen Zeit rühren, vielleicht das Bedürfnis, das Böse nicht einfach als banal hinzunehmen.

So kamen wir also über besagtes Buch, und alles, was uns an Romanen und Filmen, in denen Serienmörder eine Rolle spielen, einfiel – natürlich auch meinen Roman und meine noch nichtexistente Hauptfigur –, gut ins Plaudern. So gut, dass Magdalena mir anbot, dieses Gespräch doch an selbem Abend bei einem Glas Wein fortzusetzen, was ich leider ablehnen musste, weil ich an jenem Abend Dienst in der Kneipe hatte, und ich mir sicher war, so kurzfristig keinen Ersatz für mich zu finden.

»Macht nichts!«, sagte Magdalena da, ohne lange zu überlegen, »Komm doch einfach nach der Arbeit bei mir vorbei, ich bin ein Nachtmensch!«, und ich nahm ihr Angebot natürlich begeistert an.

Was mich begeisterte, war natürlich nicht nur die Aussicht, dieses sehr anregende Gespräch in anregenderer Umgebung fortsetzen zu können, sondern auch jener Gedanke, der sich aufgrund von Magdalenas Verhalten in mir herausgebildet hatte: nämlich, dass sie keinen Freund hatte, haben konnte. Warum sollte sie sich auch so aufreizend kleiden, wenn sie einen Freund gehabt hätte? Wenn sie dem Markt nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte? Allein aus dem Reiz heraus, anders als normal zu sein? Nein, wenn sie einen Freund gehabt hätte, dann hätte sie sich nicht – ohne zu überlegen, ohne dies mit ihm abzuklären – nachts mit einem Mann zum Wein verabredet. In ihrer Wohnung. Mit einem fremden Mann. Zum Wein.

Ich fand mich nach meiner Arbeit bei Magdalena ein. Und sie ging, als ich in ihrem Wohnzimmer auf einem Sessel Platz genommen hatte, gleich in medias res:

»Ich hab’ mir das noch mal durch den Kopf gehen lassen. Was du da heute Mittag gesagt hast, hat mit der schmutzigen Realität wirklich nichts zu tun!«

Mir gegenüber auf dem Sofa sitzend, äußerst schnuckelig anzuschauen in ihrem viel zu engen, viel zu kurzen, alten, verwaschenen rosa Frotteebademantel, öffnete sie eine Flasche Rotwein.

»Es mag ja sein«, so gab sie zu, »dass es auf manche Mörder zutrifft, bei ihnen von Stil und Handschrift zu sprechen, und da führt die hermeneutische Methode der Täterprofilerstellung ja anscheinend auch zu Erfolgen…«, wobei ihr ein guter Schluck aus der Flasche über eines ihrer vom Bademantel nicht bedeckten Knie und einen ihrer ebenfalls nackten Oberschenkel schwappte –
»Aber denk doch nur mal an die Zahlen! Einer Minderheit von aufgeklärten Fällen steht eine Masse an nicht gelösten Taten von Serienmördern gegenüber.«
– was es mir ein wenig schwer machte, mich auf ihre Worte zu konzentrieren, vor allem, da sie den Wein einfach über ihre Haut und auf den Teppich laufen ließ, während sie weiter redete –
»Und nicht deswegen«, betonte sie, »weil nicht genügend Personal zur Verfügung steht, welches sich durch interpretatorisches Geschick auszeichnet, sondern schlicht und einfach aus dem Grund, dass die nicht gefassten Serienmörder unsystematisch, konzeptlos sind, und ihnen mit Methoden, die mit Kategorien wie Werk und Handschrift und Stil arbeiten, nicht beizukommen ist!«

Mir fiel daraufhin nichts Kluges als Erwiderung ein. War zu abgelenkt. Sah nur den Rotwein rinnen und rinnen, was sich recht negativ auf meinen Gedankenfluss ausübte, derweil Magdalena von Gedanken nur so überzufließen schien: Sie gab zu, dass es auf der Ebene der Methoden Ähnlichkeiten geben mag zwischen der Aufklärung von Gewaltverbrechen und der von Kunst, man brauche ja nur an Foucaults Gedanken der Epistéme zu erinnern, um solche strukturellen Gleichförmigkeiten nicht verwunderlich zu finden. Aber von dieser Ähnlichkeit auf der Metaebene auf eine ebensolche auf der Objektebene zu schließen, sei schlicht unzulässig.

»Serienmörder sind in der Regel keine Künstler!«, stellte Magdalena kategorisch fest, während vor meinem inneren Auge der Satz: Leck ihr den Rotwein vom Bein! Leck ihr…! blinkte und –
»Nicht künstlerisches Kalkül, so pervers und abstrus es auch sein mag, zeichnet ihre Taten aus«, sagte Magdalena, »sondern grauenhafte Belanglosigkeit…«
– blinkte –
»Es mag ja sein, dass es da Phantasien gibt, die hat schließlich jeder, auch wenn sie zumeist nicht von dieser Art sind, aber normalerweise, wenn ich in diesem Falle überhaupt von normal reden kann,…«
– blinkte –
»…werden sie nicht zum Werk. Da wird ein mörderischer Trieb ausgelebt, ausgestaltet wird da nichts!«
– und blinkte, bis Magdalena sich endlich mit einem Tempo säuberte, so dass ich dergestalt aus meiner erotischen Abgelenktheit wieder auf den Teppich gebracht, den Magdalena mit einem anderen Tempo trocken tupfte, ihren weiteren Ausführungen wieder konzentrierter folgen konnte:
»Diese Mörder sind einfach Tiere! Auch wenn diese Metapher schon beinahe einer Beleidigung der Tiere gleichkommt«, meinte sie, »Wenn sie der Trieb packt, schlagen sie willkürlich und zufällig das Opfer, was sich ihnen gerade anbietet. Das hat aber rein gar nichts mit Kunst zu tun, das ist nun wirklich eine naive Romantisierung von Mordlust!«

Ich wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber Magdalena kam meinem Einspruch mit einem Positionswechsel auf dem Sofa zuvor. Hatte sie zuvor gesessen, so legte sie sich nun auf die Seite und stütze ihren Kopf auf eine Hand, was Magdalenas ausgeprägte Kurven noch betonte, vor allem da sie sich mit ihrem Bademantel vollständiger nur hätte bedecken können, wenn sie sich größere Mühe damit gegeben hätte. Jedenfalls veranlasste mich mein Rückenmark, den Mund zu halten, stattdessen hinzugucken und Magdalena – genüsslich an meinem Wein nippend – einfach nur zuzuhören:

»Verbrechen, bei denen zwischen Täter und Opfer eine Verbindung besteht, sind bekanntermaßen leichter aufzuklären«, sagte sie, »weil allein schon diese persönliche Verbindung eine gewisse Einzigartigkeit stiftet, die Hinweise auf den Täter liefert!«

Weiterhin meinte sie: »Und deswegen sind diese Mörder, die du hier mit Künstlern auf eine Stufe stellst, auch einfacher zu fassen als die viel zu vielen, die ohne erkennbares Konzept, ohne weitergehendes Motiv als der puren Mordlust zur Tat schreiten. Diese fassbare Verbindung zwischen Täter und Opfer – und da mag das Opfer auch nur reines Objekt sein – ist schließlich auch dann vorhanden, wenn einer deiner stilvollen Mörder zur Sache geht!«

Und sie sagte auch noch: »Auch wenn er sein Opfer nicht persönlich kennt, so ist es dennoch nicht willkürlich ausgewählt. Es mag zwar Zufall sein, dass es gerade diesen besonderen Menschen trifft, aber die Auswahl des Typus, den dieser Mensch verkörpert, ist nicht dem Zufall überlassen. Die Wahl des Opfers ist notwendiger Teil der Inszenierung, und so stellt er durch seine Handschrift, seinen Stil eine Verbindung zum Opfer her. Und diese inszenierte Verbindung zwischen Täter und Opfer stellt jene Einzigartigkeit dar, die es leichter macht, solchen Mördern auf die Spur zu kommen, hier hilft wirklich Einfühlung. Denn die Interpretation seiner speziellen Objektivierung von Menschen lässt Rückschlüsse auf den Urheber zu«

Dies seien aber, wie Magdalena erneut betonte, nur die Ausnahmen, und während sie weitersprach, setzte sie sich wieder hin und wickelte sich, da ihr anscheinend kalt geworden war, von ihren Knien bis zum Hals in eine Decke ein. Die große Masse an Serienmördern sei stillos, sagte sie also, bei ihnen fehle (leider müsse man sagen, sagte sie) diese Verbindung, sie seien konturlose, zutiefst gestörte Persönlichkeiten, die nichts an Einzigartigkeit an sich hätten, und deswegen liefen die meisten von ihnen auch noch frei herum.

Nun nicht mehr stumm gemacht durch ihr dahingeräkelte Pose, hatte ich bereits den Mund geöffnet, um ihr zu erwidern, dass ich die von ihr kritisierten Überlegungen ja gar nicht im Hinblick auf das, was in der Welt wirklich passiere, geäußert hätte, sondern in Gedanken an die zu schaffende Romanfigur, aber da lenkte Magdalena ihren Redefluss schon von selbst in diese Richtung:

»Aber klar«, gab Magdalena zu, »dass dir als Schriftsteller so konturlose Mördergestalten nicht zusagen. Mir als Leserin übrigens auch nicht. Solche Typen – fiktionalisiert – sind wohl einfach zu nah an der Realität dran, als dass man sie genussvoll rezipieren könnte. Nein, nein, literarische Mörder müssen zwar so realistisch sein, dass es sie geben könnte, aber nicht so real, dass man das Gefühl hat, sie bei nächster Gelegenheit zu treffen. Da gibt es eine schmale Grenze, die uns erlaubt, Spaß bei Lektüre oder beim Schauen von Filmen zu haben, zumindest für mich, denn bei Aktenzeichen XY hatte ich nie Spaß, wenn meine Eltern wollten, dass ich mir das anschaue, um mich auf die Gefahren vorzubereiten, die draußen in der Welt auf Mädchen wie mich warten. Das war mir einfach zu real, weil es da um Menschen ging, die es wirklich gab oder gegeben hatte!«

Den Rezipienten interessiere nicht die Einszueins-Übertragung der Wirklichkeit, meinte Magdalena, die einfach nicht zu stoppen schien, was mir allerdings auch fernlag, denn während ihres ausschweifenden Monologes rutschte ihr die Decke von den Schultern, so dass ich wieder in den Genuss ihres, aus dem Bademantel quellenden Oberkörpers kam. Selbst beim sogenannten Reality-TV, meinte sie, sei klar, dass es – obwohl gefilmte Wirklichkeit – Fiktion sei, denn die mediale Vermittlung ermögliche die erforderliche Distanz. Mediale Vermittlung, also Kameraausschnitte, Schnitttechnik, Kommentare oder auch nur Stimmen aus dem Off etc. seien im Bewusstsein des Zuschauers nie die Wirklichkeit selbst, sondern eine ihm mundgerecht servierte, das hieße übertriebene Darstellung derselben.

»Ist es auch dasselbe Blut, das fließt, ob man nun direkt dabei steht oder es im Fernseher sieht, so ist es doch nicht das Gleiche…«
– Ein Gedanke, den ich sehr einleuchtend fand, wobei ich allerdings nicht an Blut, sondern an den entscheidenden Unterschied zwischen wohlgeformten Frauenkörpern im Fernsehen und an Magdalenas Körper hier vor mir auf dem Sofa dachte: Letzterer ist einfach zum Greifen nah –
»Im Fernsehen ist alles einen Tick roter, knalliger, dramatischer als im wirklichen Leben.«
– ja, praller, sonnengebräunter, williger, aber nicht so verdammt nah! –
»Und dieser Tick mehr ermöglicht den Genuss. Übertreibung ist Pflicht. Natürlich muss die Übertreibung im Rahmen des Wahrscheinlichen bleiben, wie ja schon Aristoteles gefordert hat, die Fiktion darf nicht so unwahrscheinlich und Zufällen ausgeliefert sein wie die Wirklichkeit. Aber eine gewisse Übertreibung…«
– übertreib’ es, schlag den Bademantel doch ganz auseinander! –
»…ist wohl konstitutiv für den Genuss an der medialen Vermittlung von Grusel, Spannung oder Horror. Durch die Übertreibung entsteht in unserer Phantasie eine Als ob…-Situation, wir tun so, als ob es dies und das geben könnte, und innerhalb dieses Als ob… können wir genießen.«
– genau, als ob du die Decke fallen lässt und dich auf den Rücken und verlangst, dass ich dich wärme –
»Da kann die Wirklichkeit noch solche Monster von Mensch hervorbringen, wenn sie durch die mediale Vermittlung nicht noch monströser gemacht werden, haben wir keinen Spaß an ihnen. Selbst deine Künstlermörder werden aus diesem Grunde noch übertrieben dargestellt, so dass sie nicht einfach mehr als pathologische Abweichung von der Norm angesehen werden, sondern als das Böse selbst. Gleichzeitig getrieben und kühl kalkulierend an der Vollendung ihres perversen Werkes arbeitend, können sie einfach nicht mehr menschlich sein. Sie sind Teufel in Menschengestalt, und da den meisten von uns diese theologische Anschauung noch vertraut ist, ohne dass wir wirklich noch daran glauben, eignet sich diese Übertreibung vom Kranken hin zum Dämonischen natürlich sehr gut, um die erforderliche Distanz entstehen zu lassen. Ihre Monstrosität stellt sicher, dass ihr Auftreten in den Medien als Ausnahmen von der Regel mit einem gewissen Genuss rezipiert werden kann. Sie sind einfach zu anormal, als dass der Leser oder Zuschauer das Gefühl haben müsste, ihnen um die nächste Ecke zu begegnen!«

Ein Erschaudern ging durch ihren Körper.

»Ist dir kalt?«, fragte ich und rückte sprungbereit auf die Kante des Sessels vor.

»Nein, nein!«, entgegnete Magdalena, »Ich dachte nur daran, wie ich mich damals an jedem Samstag, der auf das freitagabendliche XY folgte, gefürchtet habe, wenn ich aus dem Haus ging.« Dann zog sie sich die Decke sorgfältig über die Schulter, und ich dachte: Und ihr ist doch kalt! Vielleicht sollte ich forscher sein und sie einfach in den Arm nehmen? Doch bevor ich mich zu einer Tat entschließen konnte, trank sie ihr Glas in einem Zug leer und schickte mich nach Hause. Im ersten Moment war ich enttäuscht, hatte ich doch das Gefühl, den richtigen Augenblick verpasst zu haben, mich ihr zu nähern. Vielleicht denkt sie, ich hätte kein Interesse an ihr?, dachte ich. Doch im Wohnungsflur fragte sie mich, was ich denn morgen vorhabe. Sie würde mich gern wiedersehen. Und so ging ich beschwipst vom Wein und all den sinnlichen Eindrücken und beseelt von dem Gefühl, dass dies doch ein sehr vielversprechender Anfang gewesen war, durch das nächtliche Wuppertal nach Hause. Wie sagte Hesse: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und einen Zauber spürte ich sehr deutlich. Allerdings ahnte ich nicht, dass es nicht die Vorboten einer glücklichen Liebesbeziehung waren, die mich erfüllten. Es war die Magie der Inspiration, die ich zu spüren bekam. Die Ankunft meines Mörders rückte näher.

Ende der Leseprobe aus Boschers Roman „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“. Der Roman ist bei Amazon als eBook und als Taschenbuch erhältlich.

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Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Eine Lebensgeschichte voller skurriler, ja grotesker Momente. Wir begegnen interessanten Charakteren (mit meist nur kurzer Lebenserwartung) und dämonischen Gestalten. Würzig abgeschmeckt wird das Ganze mit einem Hauch von Philosophie, einem satten Pfund Sex and Crime, einer guten Prise Wahnsinn und zwei Messerspitzen Horror.

„Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“ – ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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Ruhe im Kartong oder: WG-Leben kann so grausam sein

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Ja, ich muss zugegeben, dass ich mir zu dieser Zeit ein wenig Sorgen um mein sonniges Wesen machte. Die Tabletten, welche ich gegen meine Rückschmerzen schluckte, machten es wahrscheinlich auch nicht besser. Zu allem Überfluss erhielt ich zwei meiner Manuskripte von Verlagen dankend zurück, womit ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte, war ich doch davon ausgegangen, dass ich mir den Verlag würde aussuchen können. Und Udo, ja Udo trieb es in diesen Tagen, da ich bei den Frauen kein Glück hatte, wie ein Wahnsinniger bei uns in der WG. Ausgerechnet Udo, um den doch die Frauen sonst immer einen solchen Bogen machen, wie er mit seiner Matte um den Friseur. Und wenn ich in der WG schreibe, dann meine ich auch in der WG.

Es musste doch wirklich nicht der Kühlschrank sein, und gerade zu der Zeit, da ich zumeist – wie Udo es doch mittlerweile wissen müsste – von der Arbeit nach Hause komme und gerne noch ein letztes Bier in der Küche trinke. Also, das Letzte, was ich in einer solchen Nacht noch sehen möchte, ist Udos Arsch, eingerahmt von zwei Beinen, die in der Luft hängen, untermalt von einem geradezu obszönen, so lauten Klatschen, dass ich dies eigentlich schon – wenn ich nicht so müde gewesen wäre – im Flur hätte hören müssen. Mal ganz abgesehen von Udos angestrengtem Keuchen, dem Geklirre und Geschepper im Kühlschrank und der hörbaren Freude von Udos Bekanntschaft an dieser ganzen Aktion. Als hätte dies noch nicht gereicht, schäumte mein Bier zudem über, das ich mir dann – als die Küche wieder frei war – genehmigen wollte.

Als ich Udo am nächsten Tag darauf ansprach, zuckte er nur mit den Achseln. War ihm wohl zu Kopf gestiegen, auch mal was mit einer Frau zu haben. Zugegeben, diese Frau nahm ihn ganz schön ran, der Küchenszene folgte schon bald heftigstes Treiben in der Dusche, aber muss man sich denn gleich seinen ganzen Anstand aus dem Hirn ficken? Schließlich hatte ich mein Zimmer direkt neben dem Bad, und dieses Gekicher, lauthalse Lachen, dieses ganze Geplätscher, und schließlich dieses beständige Rumsen gegen die Wand, mal schneller, mal langsamer, in solch einem unberechenbaren Rhythmus, dass es einfach nicht zu ignorieren war, zumal diese Frau irgendwann begann, Udo lautstark anzufeuern: Ja ja, pack mich, tiefer, schneller, höher, weiter, weiter, meine Muschi, mein Arsch, meine Titten! Fehlte nur noch, dass Udo auch noch anfing: Mein Schwanz, mein Arsch, meine Eier. Ich kann Ihnen sagen, Udos Ausdauer ging mir ganz schön an die Nieren, man will ja auch mal schlafen. Aber das interessierte ihn, wie gesagt, nicht die Bohne, er zuckte nur mit den Achseln, meinte, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, griff sich zwei Tassen Kaffee, und wie ich dann am steigenden Geräuschpegel aus seinem Zimmer hören konnte, ließ es sich seine Bekannte schon wieder gefallen, feste gefeiert zu werden. Tja, so sah es aus, und dergestalt ging das Tage weiter. Zwischenzeitlich tauchte Gerd wieder auf, der einige Zeit unterwegs gewesen war, und selbst ihm, der gerne beobachtend an den Vergnügungen anderer Menschen teilnimmt, reichte es bald. »Als ich gestern nach Hause kam, ließ sich die Wohnungstür einfach nicht öffnen«, meinte er eines Morgens, sichtbar genervt und übermüdet zu mir, »nur einen Spalt bekam ich sie auf, und dann hörte ich sie auch schon wieder, ich hörte es schmatzen und leise stöhnen, sie standen direkt an der Tür, ich spürte es, als ich gegen sie drückte, und meinst du, sie hätten aufgehört, ‘Moment noch!’ meinte Udo nur. Ich dachte, ich spinn’. Der hat überhaupt keine Hemmungen mehr, ‘Schneller!’ sagte er dann noch zu ihr. Eine geschlagene Zigarettenlänge stand ich da wie ein Depp vor der Tür, bis Udo mich mit so einem blöden Grinsen reinließ.«

Wahrlich die Stimmung bei uns in der WG kochte hoch. Um das Fass vollzumachen, hatte Gerd, als er unterwegs gewesen war, auch eine Frau kennengelernt, und da sie mehrere Hundert Kilometer entfernt in Konstanz am Bodensee lebte, blockierte er ständig das Telefon. Außerdem bewies er das Fingerspitzengefühl eines Bulldozers: »Wie geht’s denn so mit dir und Carmen?«, fragte er mich, »Siehst du sie hier irgendwo?«, gab ich kurz angebunden zurück und dachte, damit hätte ich Ruhe. Er aber sah sich wirklich um, zuckte dann mit den Schultern: »Nein! Und was ist mit deinem Roman?« Ich ließ ihn stehen, mit ihm darüber zu reden, das von den Manuskripten, die ich kurz nach der Vollendung meines Werkes an Verlage gesandt hatte, nahezu jeden Tag eines zu mir zurückkehrte, hatte ich nun wirklich nicht das geringste Bedürfnis.

Kurz gesagt also: Es war wirklich Zeit, sich mal wieder zusammenzusetzen und ein bisschen etwas für ein besseres Klima bei uns in der WG zu tun: am besten Skatspielen (für eine Runde Doppelkopf waren wir, seit Diana nicht mehr unter uns weilte, zu wenig Spieler), denn das hatte bislang bei Unstimmigkeiten immer geholfen. Und so zockten wir dann ein paar Tage später, als ich einen freien Abend hatte, Gerd nicht dringend telefonieren musste und Udo, da seine Freundin mal etwas anderes unternahm, seinen Schwanz in der Hose lassen konnte, eine Partie Skat.

Zunächst ging alles gut. Wir spielten Runde um Runde, arbeiteten uns an dem Kasten Bier, den ich besorgt hatte, ordentlich ab und qualmten die Bude voll. Abgesehen davon, dass keiner von uns das heikle Thema Frauen ansprach, ein ganz normaler Abend unter Männern. Doch dann schwankte Gerd auf die Toilette, und Udo hatte plötzlich diese Anwandlung, unbedingt doch einmal in diesen Topf hineinschauen zu müssen, der schon des längeren unberührt auf unserem Herd gestanden hatte.

Mir hätte ja sein Gesicht, als er den Deckel hob, vollends gereicht, hätte mir den Inhalt gar nicht zeigen brauchen. Was immer es mal gewesen sein mag, es stank nicht nur, es bewegte sich auch. Vielleicht sogar schneller als Gerd. Denn als Udo ihm – kaum dass er von der Toilette kam – den Topf wortlos unter die Nase hielt (es war einfach klar, dass diese Sauerei von Gerd stammte), da schien es zwar so, als würden Gerds Hände den Topf umfassen, ja, zumindest fassten sie, als Udo ihn losließ, zum Topf, aber eben nicht schnell genug. Vielleicht hatte er sich auf Toilette ja auch einfach nur nicht gründlich genug die nassen Hände abgetrocknet, so dass er noch Seife an den Fingern hatte, jedenfalls sauste ihm der Topf durch die Finger und schlug geradezu spektakulär auf dem Boden auf. Erst schepperte es, dann spratzte es auch mächtig. Was immer es mal gewesen sein mag, jetzt bedeckte es großflächig unseren Küchenboden oder versuchte in den Ritzen der Fliesen zu verduften. Und dann ging alles sehr schnell.

Udo musste lachen, und ich konnte endlich mal wieder lachen, hatte ja schon fast geglaubt, ich wäre der Einzige unter Gottes weitem Himmel, dem Missgeschicke geschehen würden. Gerd lachte nicht. Dafür ging er hoch wie eine Rakete, von langsamen Bewegungen plötzlich keine Spur mehr: »Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich das wegmache!« schrie er. Blitzschnell hatte er kombiniert, denn natürlich glaubten wir dies. Statt einer, oder wie er es wohl aufnahm, als Antwort mussten wir noch mehr lachen, woraufhin er äußerst behende einen Stuhl nahm und vor die Wand warf, was uns dazu brachte, wenigstens zu versuchen, unseren Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken, weil es jetzt offensichtlich Ernst wurde. Ich schaffte es sogar ganz gut – der ganze Frust der letzten Zeit war ein ordentliches Gegengewicht gegen Heiterkeit –, stand auf und sagte recht ruhig zu Gerd: »Natürlich machst du das weg, es ist dein Scheiß!« Dann aber musste ich doch kichern, was meine Autorität beträchtlich untergrub, und noch mehr untergrub diese mein auf Gerds Worte: »Ich hab den Scheiß aber nicht hingeworfen!« folgendes Lachen, was jenen dazu brachte, sich den Besen zu greifen und mit diesem drohend auf mich loszugehen: »Hör auf zu lachen, du Arsch!«, schrie Gerd, »Ich mach mich doch hier nicht vor euch zum Affen!« schrie er und hob den Besen über seinen Kopf.

Das hätte er wohl besser nicht getan, immerhin hatte Gerd einen Mann vor sich, dem in der letzten Zeit einiges aus dem Ruder gelaufen war. Aber um des lieben Friedens willen verzog ich mich – immer noch lachend – Richtung Tür. Hatte mir wirklich vorgenommen, jedem Streit aus dem Weg zu gehen, schließlich ging es um die gute Stimmung in der WG. Aber irgendwas in der Art wie Na, dann mach mal schön! habe ich mir dann doch wohl, den Türgriff schon in der Hand, nicht verkneifen können.

Ich hätte die Tür garantiert nicht mehr auf- und vor allem hinter mir zubekommen, so schnell stürzte Gerd brüllend wie ein kompletter Wikingerhaufen beim Angriff auf mich zu. Er hob den Besen, »AaaaaaHHHH!« schrie er, machte einen letzten, langen Schritt: »Aaahhh!« und rutschte auf all dem Scheiß, der den Boden bedeckte, aus. Der Besen flog, seine Arme flogen, seine Beine, und s p r a t z landete Gerd auf dem Rücken mitten im Was immer es gewesen sein mag. So nahmen die Dinge, die nun wahrlich nicht mehr in ihrem rechten Verhältnis zueinanderstanden, ihren Lauf.

Udo konnte sich vor Lachen kaum mehr auf dem Stuhl halten, war richtiggehend am Headbangen vor Schadenfreude. Gerd rappelte sich mit vor wilder Wut verzerrtem Gesicht wieder auf. Ich verließ derweil getreu meiner einmal gefassten Maxime Kein Streit! die Küche. Kaum dass ich im Flur war, hörte ich schon den nächsten Stuhl poltern, Gerd schrie: »Hör bloß auf zu lachen!«, aber Udo lachte weiter, lachte gar noch lauter, dann erneutes Poltern, Gläser splitterten, das war dann wohl der Tisch gewesen, und dann Udos Stimme – nun ohne Lachen: »Wag‘ es nicht!« In diesem Augenblick schwang die Wohnungstür auf und zu allem Überfluss betrat Udos Freundin den Flur, und nun konnte auch ich nicht mehr an mich halten, hatte Udo ihr doch offenbar einen Schlüssel gegeben, ohne es abzusprechen: »Heut’ wird nicht gefickt!« warf ich ihr also, meinen guten Vorsatz über Bord werfend, an den hübschen Kopf (Geschmack hatte er ja, der Udo). Doch da krachte plötzlich Udo mitsamt der Küchentür, die aus den Angeln gerissen wurde, in den Flur hinein. »Oh Gottogott!«, stöhnte nun seine Freundin (das kannte ich schon aus einem in anderen Zusammenhang), doch Gerd, der augenscheinlich in seiner Wut Wahnsinnskräfte entwickelt hatte, schrie sie aus der Küche heraus nieder: »Du gehst mir nicht mehr auf den Sack!« Währenddessen versuchte Udo, unterstützt von seiner Freundin und vielen »Ohgottogott!«, sich aufzurappeln, doch da kam auch schon Gerd wie eine der sieben Plagen über sie: »Ah, das trifft sich gut!« meinte er nur und hieb mit dem Besen auf sie beide ein. Schließlich aber bekam Udo eines von Gerds Beinen zu fassen und riss ihn um, was dann damit endete, dass Udo, seine Freundin und Gerd unter einigem Gebrüll und vielen »Ohgottogott!« in wildem Herumgeringe aufeinander einprügelten, bis ich von all dem Theater genug hatte, den lieben Frieden endgültig lieben Frieden sein ließ, mich – nachdem ich kurz noch einen Blick in die demolierte Küche geworfen hatte – einmischte und die Streithälse trennte. Und nun endlich war – wie man am Niederrhein so sagt – Ruhe im Kartong.

Dachte ich. Denn am Morgen nach dem einschneidenden Skatabend kehrte Carmen mit Macht zurück. […]

Ende

Dies war eine Leseprobe (eine Szene des sechsten Kapitels „Das Ende vom Lied“) aus: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher. Erhältlich als Taschenbuch und eBook (das eBook noch für kurze Zeit für 2,99 Euro).

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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Eine Menage á trois, weißes Pulver und The Doors – neue Leseprobe aus „Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman“

Ralf_Boscher_Krimi_Mordsroman_Abschied„Johanna war Erstsemester Philosophie, hatte aber zuvor schon einige Semester Wirtschaftswissenschaften studiert. Ich lernte sie in der Cafeteria kennen, wo sie bei einer Zigarette über dem kommentierten Vorlesungsverzeichnis Philosophie saß, und sich, wie sie es ausdrückte, ansah und anstrich, was sie sich dann doch nicht ansehen würde. Sie machte einen etwas verlorenen Eindruck auf mich. Das Einzige, was sie sicher wusste, schien zu sein, dass sie Zeit bräuchte, um sich zu entscheiden, was sie denn jetzt aus ihrem Leben machen wollte (deswegen auch Philosophie als Fach, nicht da die Philosophen sich mit Lebenszielen auskennen würden, sondern da das Fach so strukturiert war, dass es einem die Zeit ließ, diese Frage wenn schon nicht zu beantworten, dann doch zu stellen). Und was sie noch sicher wusste, war, dass sie eine feste Liebesbeziehung wollte. »Bin halt hoffnungslos romantisch«, meinte sie, »Glaube halt daran, dass es jemanden da draußen gibt, einen mir vorbestimmten Jemand, mit dem ich mein Leben teilen und alt werden will.« Ob mit Männlein oder Weiblein, war dann schon wieder unsicheres, den gängigen romantischen Vorstellungen nicht entsprechendes Terrain. Als ich meinte, na, wenn bei mir auch manchmal alles zu schwimmen scheint, das wenigstens sei mir klar, schaute sie mich fragend an: »Du sagst das so sicher. Noch nie einen Typen getroffen, der dich anzog? Noch nie dieses Kribbeln gespürt, wenn die Grenzen, die einem so mühsam anerzogen wurden, zu zerfließen scheinen?« Nein, sagte ich, ich könne mir halt nicht vorstellen, einen Mann zu küssen, und dann vielleicht noch einen mit Bart. »Aber das jemand dich küsst, dich Mann mit Dreitagebart, das kannst du dir schon vorstellen?«, meinte sie schnippisch. Und dann meinte sie noch: »Stell’ dir doch nur mal vor, wie viele neue Möglichkeiten sich da für dich ergeben würden. So rein quantitativ!« Typisch Wirtschaftswissenschaftler, erwiderte ich, immer den Mehrwert im Kopf, vor lauter Quantitäten völlig die Qualität aus den Augen verlierend.

Aber auch wenn Johanna mir dann mit geradezu missionarischem Eifer von einer menage á trois erzählte und die Zahlenverhältnisse nun wirklich, was die Möglichkeiten intimer Zwischenmenschlichkeit anging, auf ihrer Seite waren, schien sie mir trotzdem keinen sonderlich erfüllten Eindruck zu machen. Was ich ihr dann auch sagte. »Ja, an manchen Tagen«, seufzte sie übertrieben theatralisch, »da liegt’s einem einfach auf der Seele. Da macht’s keinen Unterschied, ob der Heuhaufen nun zwei Meter oder vier Meter hoch ist, die Sehnsucht, die Nadel zu finden, ist die Gleiche.«

Eine Zeit lang trafen wir uns oft in der Cafeteria, zufällig, wobei ich dem Zufall ein wenig auf die Sprünge half, indem ich mehrmals am Tag der Cafeteria einen Besuch abstattete und nach Johanna Ausschau hielt. Und dann endlich fragte sie mich, ob ich vielleicht am Abend mit ihr ausgehen wolle. Sie würde mich abholen.

Zur verabredeten Zeit saß ich an meinem Schreibtisch über meinem Manuskript, ein Glas Rotwein neben mir und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Und was kam, war nicht nur Johanna, sondern ebenfalls eine Freundin von ihr. Wie sich herausstellen sollte, eine sehr gute Freundin von ihr. Ich hatte das Klingeln absichtlich überhört, war so vertieft in mein Manuskript, dass Udo ihnen aufmachen musste. Als die beiden Hand in Hand mein Zimmer betraten, geschah dies genau in dem Augenblick, da ich die Seite aus meiner Schreibmaschine riss, zerknüddelte und in Richtung der Bücher warf, die ich als vorbereitende Lektüre für meine Hauptfigur benutzte und die ich dekorativ um mein Sofa herum drapiert hatte. Johannas Freundin meinte gleich: »Der Künstler am Werk!«, und als ich aufstand, ihnen entgegenkam und sagte: »Na, ein Werk soll es noch werden, jetzt ist es vielleicht nur ein Werkchen!«, war das Eis gleich gebrochen.

Wir fuhren dann zum RPL, dem Rockpommels Land. Raphaela saß am Steuer und Johanna neben ihr auf dem Beifahrersitz. Eine Flasche Rotwein kreiste, geht ja fast immer nur gerade aus auf der B7 Richtung Gevelsberg, aus dem Kassettenrekorder dröhnte, uns auf die erwartete Musik einstimmend, Led Zeppelin, Johannas Kassette, am Vortag aufgenommen. Since i’ve been loving you, dreimal hintereinander, dann viermal Babe i’m gonna leave you. »Heuhaufen-Stimmung?!«, schrie ich nach vorne und stupste ihr mit einem Finger in die Seite (was so viel bedeuten sollte, wie: Schau her, hier bin ich doch, die Nadel!), woraufhin Johanna mich, sich mit ihrem Oberkörper zwischen den Sitzen nach hinten zwängend (sie fuhr ohne Gurt), am Nacken packte, mich doch wahrhaftig auf den Mund küsste, dabei sogar mit ihrer Zunge meine Lippen berührte, und ebenfalls schrie: »Ja, und Grenzenverwisch-Stimmung!«. Na, dachte ich, das kann ja was geben.

Und es gab etwas. Etwas, was es, bei aller Liebe für Johanna, bestimmt nicht gegeben hätte, wenn sie mich nicht so betrunken gemacht hätten. Ich sage es mal so. Johanna war mit ihrer Mission, meine Möglichkeiten quantitativ (und wie ich es empfand, vor allem qualitativ) zu erweitern, in dieser Nacht erfolgreich. Denn die Nacht, die wir zu dritt begonnen hatten, endete in Raphaelas Altbauwohnung zu viert.

Raphaela war erstaunlich. Wenn ich nicht schon ein Auge auf Johanna geworfen gehabt hätte, dann wäre es gut möglich gewesen, dass ich mich in sie verguckt hätte. Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die bei den ruhigen Parts eines Rockstücks so aus den Hüften heraustanzte, um dann bei den härteren Stellen förmlich zu explodieren. Ich und Johanna standen an der Tanzfläche, mit dem Rücken zur Theke (wo sie einen Gin-Tonic nach dem nächsten orderte und bezahlte) und beobachteten sie, beziehungsweise, ich beobachte vor allem Johanna, wie sie Raphaela beobachtete, und wenn ich ein Blitzen in ihren Augen sah, dann sah ich auf die Tanzfläche, wo ihre Freundin umringt von lauter gestandenen Rockern und rockbegeisterten Studenten ihre Hüften schwang. Zwischendurch tanzten auch wir, ich und Johanna, wobei es mir sehr angenehm den Rücken herunter kribbelte, dass sie mich dabei fortwährend ansah, mich manchmal in ihre Arme nahm, ihren Unterleib gegen meinen schwingen ließ, und mir ins Ohr sang, wobei sie ein ums andere Mal mit ihrer Zunge meine Ohrmuschel liebkoste.

Das tat sie auch später in dieser Nacht noch einmal, da alles gelaufen war und wir auf Raphaelas breitem Bett lagen, rauchten und ich mühsam versuchte, mir darüber klar zu werden, was denn da eigentlich geschehen war. »Und war es so schlimm? Jetzt hast du jedenfalls Stoff für deinen Roman!«, meinte sie leise, um die beiden anderen nicht zu wecken, und das Lächeln in ihrer Stimme war nicht zu überhören, als sie dann noch sagte: »Ich habe Raphaela extra gebeten, uns einen Kerl auszusuchen, der glatt rasiert ist!«

»Ja!«, meinte ich, nur mühsam meine Beherrschung behaltend, da mir bei ihren Worten schlagartig klar wurde, dass ich nicht die von ihr gesuchte Nadel im Heuhaufen war, sondern nur jemand, mit dem man sich nett die Zeit im Heu vertreiben konnte, bis man irgendwann auf eben jene Nadel stieß, »Ja, Haare auf den Zähnen hat er jedenfalls keine gehabt!« Gleichwohl dachte ich, dass ich diesen Typ so ganz spontan doch gerne um einiges gründlicher rasieren würde, als es einem Mann lieb sein kann…

Nun gut, er konnte nichts dafür, dass ich auf Johannas linkes Spiel hereingefallen war. Gezwungen mitzuspielen hat mich ja schließlich auch keiner. Es sei denn, man wollte diesen unwiderstehlichen Drang, den ich verspürte, nicht lange, nachdem wir zu viert Raphaelas Wohnzimmer betreten und uns über eine Flasche Jack Daniels hergemacht hatten, und Johanna begann, zu tanzen und sich dabei ihrer Wäsche zu entledigen… Also, es sei denn man wollte diesen Drang, den ich spürte, als ich ihre großen Brüste in weichem Kerzenlicht zur lauten Musik von Guns N’ Roses (Welcome to the jungle) wippen sah und neben mir auf dem Sofa Raphaela sich über den Schoß ihres neuen Bekannten gebeugt daran machte, jenem zu zeigen, dass sie nicht nur die richtige Bewegung der Hüften drauf hat… Ja, es sei denn, man interpretiert dieses Gefühl, das mich aufstehen ließ, als Johanna sich – mich anlachend – Whiskey über ihre Brüste goss, bis sie golden schimmerten, ja, das mich aufstehen und schließlich an Johannas Brüsten lecken und saugen ließ, während ich aus den Augenwinkeln sah, dass es nun an dem Kerl war, der auf dem Sofa ausgestreckten Raphaela zu zeigen, dass auch er die richtigen Bewegungen kannte… Ja, es sei, man nimmt an, dass dieser Drang, der Spur des Whiskeys zu Johannas nacktem Bauch hinab zu folgen, etwas so Zwanghaftes an sich gehabt hätte, dass ich nicht anders konnte, als Johanna Folge zu leisten, da sie mir bedeutete, dieses weiße Pulver, das sie sich selbst unter die Zunge massierte, von ihren feuchten Brustwarzen zu lecken.

Nein, gezwungen hat mich niemand, mich ebenfalls auszuziehen und stillstehen zu bleiben, als dann Raphaela – zugegeben, berückend unberockt – zu Johanna und mir trat, während dieser Kerl, die Hose um die Knie baumelnd, zur Anlage stolperte, um neue Musik aufzulegen. Lächelnd hielt ich still, als Raphaela ihre Finger in die Haare der mittlerweile vor mir knienden Johanna grub und sie mit sanfter Gewalt zu sich hochzog. Raphaela schlang ihr Arme um Johannas nackte Hüften und die beiden küssten sich leidenschaftlich, während aus den Boxen jetzt die Live-Version von Light my fire schallte, was ebenso abgeschmackt wie passend war, und mir eine Hand, nein, zwei Hände das Gefühl gaben, ein Teil dieses Kusses zu sein. Dieses Kusses, an dem dann auch meine Lippen und meine Zunge Anteil nahmen, bis es an Johanna war, nun ihrer Freundin in die Haare zu fassen und jener die Richtung zu zeigen, in die sie nun zu gehen hatte, den Weg, den bereits eine ihrer Hände vorangegangen war, und an dessen Ende ich in lächelnder, stiller Erwartung wartend stand. Ich hätte Nein! sagen können, als Johanna das weiße Pulver nahm, mich damit betupfte, und Raphaela die Anweisung gab, es abzulecken. Selbst wenn ich es vielleicht nicht sofort gesehen und gespürt hätte, was Johanna mit mir und an mir und durch mich tat, hätte ich immer noch Nein! sagen können, als auch Johanna sich vor mich hinkniete und sich mit Raphaela beim Tupfen und Lecken abwechselte, als plötzlich dieser Kerl neben mir stand, und sich das Betupfen und Lecken auf ihn ausdehnte, als The End begann, und sie zu dritt vor mir knieten, als…

Nun, Schwamm drüber, ein paar Tage danach war all das nicht mehr wichtig, denn ich lernte Magdalena kennen, und dann hatte ich ihn endlich, meinen Mörder, und Johanna und Raphaela und der Kerl waren nur noch Futter für meine Bestie.“

Ende der Leseprobe aus: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher. Der Roman ist als eBook und als Taschenbuch bei Amazon erhältlich.

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Ein Buch, das in vielen Genres wildert.

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