Sie sind flott, nicht flotter als die Feuerwehr, auch wenn es darum geht, ein Feuer zu löschen. Aber immerhin flotter als das Finanzamt… Das hatte beinahe einen Monat Zeit, meinen neuen Ewigkeitszustand auf der Steuerkarte zu vermerken – aber vielleicht warten sie ja noch? Doch mit Datum drei Tage nach meiner förmlichen Erklärung „Nein, ich möchte das nicht mehr!“ erreichte mich ein eng beschriebener (also eng formatierter) Brief der seit meinem Umzug zuständigen Kirchengemeinde. Bzw., denn Kirchengemeinde scheint ein veralteter Ausdruck zu sein, der „Seelsorgeeinheit“.
Apropos veraltet, apropos „Feuer löschen“: In dem Brief der Seelsorgeeinheit wird nicht der schöne, weil so viele Bilder transportierende Ausdruck des „Höllenfeuers“ verwendet, vielleicht weil er – eben – veraltet ist. Aber gleichwohl – immerhin richtet sich der Brief an jemanden, der fast ein halbes Jahrhundert zur allumfassenden Seelsorgeeinheit dazu gehört hat – schwingt er im Duktus mit.
Für die Eingeweihten muss nicht alles ausgesprochen werden.
„Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe…“
„Mein Pfarrer…“
Ihr Pfarrer – so ist unterschrieben. Wobei ich unter „Mein Pfarrer“ immer noch den Pfarrer meiner Kindheit und Jugend verstehe. Den Pfarrer, der mich getauft hat (woran ich mich nicht erinnere), den Pfarrer, in dessen Nähe ich, die Fahne für unsere Bruderschaft haltend, in der Mitglied war, vor lauter Weihrauchgeruch zusammenklappte. Den ich bei Beerdigungen von verunglückten Schulkameraden von unergründlichen Ratschlüssen Gottes reden hörte, die so unergründlich waren, dass ich sie als Kind nicht verstand. Der eine schöne Rede bei der Beerdigung meiner Oma sprach (wo ich schon älter war). Der – hier springe ich einige Jahre zurück – auf meine Bitte hin, mir Dreikäsehoch einige Sünden zu nennen, die ich beichten könnte, hilfreich beisprang („Eltern belogen“, „Geschwister geärgert“) und mich dann mit einigen Ave Maria und Vater Unser in eine der Bänke unserer schönen Pfarrkirche (und dank seiner Absolution) in eine Höllenfeuer freie Zukunft entließ. Der Pfarrer, der mich Pubertierenden bei meiner letzten Beichte fragte, ob ich denn schon einmal Hand an mich gelegt hätte (meine letzte Beichte, weil ich – der ich mich in meiner Intimsphäre verletzt fühlte – fortan nicht mehr um Absolution ersuchte).
Den Pfarrer der mich nun brieflich kontaktierenden Seelsorgeeinheit habe ich nie kennengelernt. Sicherlich meine „Schuld“, dass er mir unbekannter ist als einige Mitglieder der hiesigen Zeugen Jehovas-Gemeinde, die ich – aufgrund ihrer lächelnden Besuche an unserer Haustüre – wenigstens vom Sehen her kenne. Aber vielleicht bin ich auch nur zu früh ausgetreten? Sieht man sich die Tendenzen an, dann nähert sich die Katholische Kirche solchen Zahlen an, die Haustürbesuche vielleicht einmal notwendig machen.
Aber ich will nicht polemisch werden. Immerhin geht es um mein Seelenheil. Auch wenn dieser – wohl auch veraltete – Begriff nicht in dem besagten Brief benutzt wird. Warum eigentlich nicht? Warum wird hier nicht Tacheles geredet? Mir wird sogar angeboten, mich mit einer katholischen Seelsorgerin zwecks Gespräch zu verabreden. Meine Güte, wie modern. Und das sogar „meiner Wahl“. Da gehe ich vielleicht doch einmal in eine Veranstaltung der hiesigen Seelsorgeeinheit und schaue mir eine besonderes hübsche Seelsorgerin aus…
„…den Glauben zu bewahren…“
Nein, keine Polemik. Zudem bin ich ja auch fest liiert, quasi verheiratet. Wobei dies natürlich – das gehört zu den in aller Deutlichkeit dargelegten Konsequenzen –, wenn es passiert, ohne den Segen der katholischen Kirche passieren wird – es sei denn, der Bischof erteilt eine besondere Erlaubnis und ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“.
Ist das jetzt ein Hintertürchen für mich oder die Kirche? Und was soll dies ihn meinem Falle bedeuten, dass ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“? An welche Kinder? An die erwachsenen, fast erwachsenen Kinder meiner Liebsten? An die eigene Kinderschar, die ich mir mit 45 Jahren für meine zweite Lebenshälfte noch erträume? Und was heißt „bewahren“? Bewahren kann man nur etwas, das man hat. Und „den Glauben zu bewahren“ kann ja im Zusammenhang des Briefes nur bedeuten: den Glauben an die katholische Kirche bewahren… Aber hallo! Das ist doch gerade der Kasus Knacksus! Ich habe mit meinem Austritt erklärt, dass ich nicht mehr an die katholische Kirche glaube – dass es hier für mich – bezüglich des Glaubens – nichts mehr zu bewahren gibt.
Aber dieser Punkt kommt in dem Brief doch ein wenig zu kurz. Mir scheint, dass meine ehemalige Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass die Erklärung meines Austritts nur so eine Art störrische Geste war, eine pubertäre Reaktion auf spontane Unlustreize (etwa der Blick auf die Lohnabrechnung oder die neuesten Meldungen über einen Skandal oder Nachrichten darüber, dass Kirchensteuern nur in geringem Ausmaß zu befürwortenden Einrichtungen zu Gute kommen). Dass mir – so unbedacht ich den Austrittsschritt erklärt habe – nicht klar war, was die Kirche bietet, mir bietet.
Es geht im besagten Brief kaum um den Glauben, sondern mehr um die „Gemeinschaft“, darum, was diese Gemeinschaft bieten kann (und weniger bieten kann aufgrund des Verlustes von Kirchensteuern), es geht um „Serviceleistungen“, die mir nun nicht mehr geboten werden.
Und so meint man, mich mich an Selbstverständlichkeiten erinnern zu müssen. Dabei ist es doch klar: Trete ich aus einem Verein aus, dann kann ich das Serviceangebot des Vereins nicht mehr nutzen. Das ist im Turnverein so, das ist in der Kirche so. Mich daran zu erinnern, dass ich die Vorzüge des geistlichen Heiratsservice nicht mehr genießen darf, kann nur bedeuten, dass meine Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe.
Hallo! Ich habe der Kirche, mit der ich aufgewachsen bin, deren Glaubensgrundsätze von Kindesbeinen an meine Lebensumwelt (und auch mein Denken) beeinflusst haben, den Rücken zugekehrt. Nach 45 Jahren! Rund 30 Jahre, nachdem ich erstmals Zweifel gehabt habe. Rund 30 Jahre, in denen mich diese Zweifel immer begleitet haben. Bis ich zu dem Entschluss kam, endlich einen Schnitt zu setzen.
Aber nehmen wir einfach mal an: Dieses Hintertürchen ist einfach nur nett gemeint. Die Kirche kennt nach rund 2000 Jahren ihre Schäfchen und ihre gelegentlichen Launen, die einzelne Verirrte unter lautem Blöcken aus der Herde ausbrechen lassen, nur um umso leiser in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren…
Ja, nehmen wir einfach mal an, meine Liebste verspürt plötzlich den all ihre Fasern durchdringenden Wunsch, in imposanter Kirchenkulisse unter Glockengeläut und Engelsgesang das Ja-Wort zu geben, um von einem katholischen Priester den Segen zu erhalten und vor dem Altar der geistlichen Erlaubnis zu lauschen, dass ich sie nun küssen darf – ja, dann habe ich vielleicht sogar ein paar Trümpfe parat!
Ich könnte einen Teil meines Bücherregals fotografieren und dem Bischof schicken. Den Teil, in dem Bücher wie „Wörterbuch des Christentums“, „Glauben der Millionen“, „Die Bibel“ und mein zur Erstkommunion erhaltenes Gebetbuch stehen (den angrenzenden Teil des Regals mit Titeln wie „Existiert Gott?“, „Hexenwahn“ „Angst im Abendland“ schneide ich aus dem Bild natürlich heraus). Ein – noch nicht einmal gefaktes – Bild von unserer Leseecke auf der Toilette könnte ich anfügen, in der das Buch „Who’s who in der Bibel?“ liegt (ich habe das Buch nach dem letzten Bibelfilm gekauft hatte, weil ich nicht mehr die genaue Reihenfolge der ganzen alttestamentarischen Recken parat hatte). Ich könnte jedes Mal, wenn ich eine Kirche besichtige und am Opferstock meinen Obolus zur Erhaltung dieser grandiosen Manifestation menschlicher Schöpferkraft entrichte, ein Handyfoto schießen. Und hier der Trumpf: Ich könnte von meinen kleinen Neffen, meinem Patenkind, eine selbst geschriebene Erklärung erbitten (mit den Worten und der Orthografie eines Viertklässlers), dass ich ihn mit einem selbst fabrizierten Bibelhörbuch gelangweilt hatte.
Ja, mein Patenkind. Ich bin Taufpate. Als mein Neffe in die Schule kam, habe ich begonnen, ihm die Bibel (eine Kinderbibel mit Bildern, deren Text er noch nicht lesen konnte) als eine Art Hörbuch aufzunehmen. Weil ich es wichtig fand, ihm er – der sich eigentlich nur für Technikkram interessierte – auch diese Seite unserer Kultur nahezubringen. Ich also mit Headset vor dem Computer. Stundenlang. Damit er eine vernünftige Aufnahme erhält. Cooler fand er dann mein Video, dass ich von mir auf meinem Roller gemacht habe. Einfach krachend von links nach rechts die Straße entlang brettern. Bibel ade.
Und – hier ist Schluss mit dem müßigen Gedankenspiel – ade auch mein Trumpf. „Sie dürfen z.B. nicht Tauf- und Firmpate werden“ steht in dem Brief meiner Seelsorgeeinheit. Ob das auch rückwirkend gilt? Muss mein Neffe noch einmal getauft werden, weil ich abtrünnig geworden bin? Wird er ohne meinen Beistand bei der Firmung den Heiligen Geist empfangen müssen?
„Dies ist die einzige Kirche Christi…“
Der eng beschriebene Computerbrief zitiert das II. Vaticanum – was ja hübsch ist, weil dies ja ein schöner Topos für eine Kirche ist, die um ihre Verantwortung den Menschen gegenüber weiß und sich modernisiert, die mit der Zeit geht: „… die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.“ (aus „Lumen Gentium“, Art. 8).
Zitate sind toll. Hier wird gleich eine vernünftige Vertrauensbasis geschaffen…
Zitat aus „DOGMATISCHE KONSTITUTION – LUMEN GENTIUM – ÜBER DIE KIRCHE“ [..] „Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen […] Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind […]“ (Quelle Archiv auf der Homepage des Vatikan).
Klingt doch fein, quasi fast tolerant. Die allumfassende Kirche weiß, dass es auch außer ihr Wahrheit, Heiligung, also Seelenheil gibt…
Aber Zitaten ist leider nicht zu trauen: „Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ So lautet das vollständige Zitat, entnommen dem Vatikan Archiv.
„Hindrängen“ … Also: Kein Heil außerhalb der Kirche. Jeder andere Glauben ist nur etwas wert, wenn er zu den Wahrheiten der katholischen Kirchen hindrängt…
Und hier sind wir endlich beim zentralen Punkt der ganzen Angelegenheit angelangt. Hier – auch wenn nicht von Seelenheil und Höllenfeuer die Rede ist – geht es ans Eingemachte. Meinen Tod.
Ich darf keine Sakramente mehr empfangen, also auch nicht mehr die Krankensalbung. Bedeutet: Ohne letzte Absolution trete ich vor meinen Schöpfer. Also per Definitionem als Sünder. Folglich habe ich am Tage des Jüngsten Gerichts ein großes Problem – gesetzt den Fall, die Kirche behält Recht. Und das heißt, allen kasuistischen Diskussionen zum Trotz, immer noch: Hölle. Verdammt. Wie auch immer man sich die Gottferne vorstellt. Und das jemand, der in unserem Kulturkreis aufgewachsen ist, hier gewisse düstere (gleichzeitig schmerzhaft feurige) Vorstellungen* hat, ist evident. Ob nun der Teufel eine Person ist oder eine Idee, eine bildhafte Ausschmückung der Abwesenheit von Heiligkeit, eine bedrückende Metapher für eine Ewigkeit in der Leere, für das Nichts, was nicht Nichts ist, sondern nur schmerzhaftes Abwesenheit von Etwas, für die immerwährende Dunkelheit, was auch immer – hier kann die Kirche, auch ohne ins Detail zu gehen, auf den ganzen Raum kultureller Erinnerungen zurückgreifen.
Aber schließlich ist die Kirche traditionell – man denke nur an solche Einrichtungen wie den Limbus oder das Fegerfeuer* – als barmherzig bekannt. Und so folgt in dem Brief eine gewisse Einschränkung: „Außer in Todesgefahr“. Puh. Glück gehabt. So knallhart ist die Kirche doch nicht. Sterbe ich, wird der in der Nähe weilende Pfarrer nicht seinen Segen verweigern…
Aber lesen wir doch weiter: „Es kann ihnen das kirchliche Begräbnis verweigert werden, wenn Sie vor dem Tod kein Zeichen der Umkehr und der Reue gezeigt haben“. Krankensalbung nur mit Reue zu haben.
Reue? Ich denke die Absätze des Briefes zurück, Ohne Reue auch keine Krankensalbung – Mea Culpa unter Todesgefahr. Und was soll bereut werden? Meine Sünden? Mein Zweifeln an Gott? Nein. Angesichts der Todesgefahr scheint es mir bei diesem Vereinsgehabe meiner Seelsorgeeinheit, weil es in den Brief nur am Rande um Glauben geht, um Profaneres zu gehen. Ich soll offensichtlich meine Erklärung bereuen, dass ich in einem Staat, zu dessen Grundpfeilern die Trennung von Staat und Kirche gehört, diese Trennung vollzogen habe. „Bereue, dass Du aus dem Verein ausgetreten bist…“
„Ich bitte sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe. … Es gibt aber immer auch die Möglichkeit einer Wiederannäherung an die Kirche und einen Weg zurück in die Gemeinschaft.“
Vielleicht sollte ich immer einen Scheck dabei haben, in dem ich – im Falle des Falles – so pi mal Daumen meinen Vereinsmitgliedsbeitrag, die Kirchensteuerschuld, eintragen und dann den ich im Falle meines Ablebens anwesenden Pfarrers überreichen kann.
Ein Problem könnte die Zuordnung meines Schecks sein. Der so dringliche Brief meiner Seelsorgeeinheit (in seiner Dringlichkeit noch verstärkt durch Hinweise auf den Bischof) ist adressiert an einen Herrn Böscher. Der Postbote wusste es besser, deswegen erreichte mich dieser Brief (Gott sei Dank). Aber wird der gute Petrus an der Himmelspforte (man bedenke die große Anzahl an Ankommenden) auch so firm sein? Scheck ausgestellt auf Boscher – bei Böscher kein Eintrag – aufgeschmissen – mein Ewigkeitsstatus wurde nicht korrekt in den Papieren notiert – abwärts geht es… Also: Verdammt! Hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen?
Apropos: Das Finanzamt hat meinen neuen Status noch nicht zur Kenntnis genommen. Vielleicht haben die ja einen Deal mit der Kirche? „Hey, wartet besser. Wir schreiben da noch einen Brief, und dann sieht die Sache erfahrungsgemäß anders aus…“
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