Und täglich grüßt der Laubbläser

Laubblaeser
Unglaublich: Ich höre Phil Collins. Über den Kopfhörer. Weil seine Stimme so beruhigend dahin plätschert, weil die Stücke so harmonisch sind. Und wer mich kennt, weiß: PHIL COLLINS! PUH! Obwohl: Und …Then there were three hat mir damals sogar gefallen. Vielleicht aus einem ähnlichen Grund, vielleicht weil ich mich damals auch nach Ruhe sehnte – und diese nur mit Musik zu haben war.

Lärm. Kennt jemand Rilkes Episode aus dem „Malte Laurids Brigge“, von diesem Wesen, das einem in die Gehörgänge kriecht, einen nicht mehr loslässt, schleicht es sich doch durch die Mauern des Hauses in das eigene Leben ein, ohne dass man sich dagegen wehren könnte?

Dieses Wesen ist der Nachbar. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben… wenn es bei Aldi, Lidl, Norma etc. wieder einmal Laubbläser im Angebot hat.

Meine Nerven vibrieren wohl noch immer nach. Dabei liegt das Wochenende noch nicht lange zurück. Ach, Wochenende. Luft holen. Durchatmen. Den Stress der Arbeitswoche hinter sich lassen. Ja, vielleicht sogar einmal ausschlafen… Ach, die lieben Nachbarn. Liegt Samstagmorgens um 9 Uhr das Laub vielleicht besonders günstig? Ist es die Romantik des sich lichtenden Herbstnebels, die den feschen Gartenfreund, sein von der Morgenfeuchte lockiges Haar zurückstreifend, nach seinem Laubbläser greifen lässt? Das kernige Epos des zupackenden Kerls, welches nur unter einer gewissen Geräuschentwicklung gedeihen kann? Da ein paar Äste am Busch, die nicht wie gewollt wachsen: Heraus aus dem Fundus die Elektrobaumschere! Hier am Rasenrand einige Büschel, welche die Harmonie stören: Der Elektrorasentrimmer wird es richten!

Wie auch immer: Samstags um 9 Uhr habe ich keinen Sinn für derlei Anwandlungen kerniger Elektro-Egomanie. Vielleicht wäre ich gnädiger, wenn nicht Donnerstag und Freitag die Gartenanlagenprofis rund um das Bürogebäude, in dem ich arbeite, bereits ihre Laubbläser angeworfen hätten (die, wie ich anhand der durch Dezibel dokumentieren Power erkenne, nicht aus dem Discounter stammen). Ist der Besen eigentlich ausgestorben? Kaum befinden sich 2 Blätter auf dem Boden wird die Krachpuste angeworfen.

Lärm. Huhn oder Ei? Was bedingt was? Würde ich unempfindlicher in die Woche gehen, wenn das Wochenende weniger geräuschhaft gewesen wäre? Oder würde ich das Wochenende weniger lärmig empfinden, wenn meine Wochentage ruhiger wären?

Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit: Kaum hat die Fähre über den Bodensee in Meersburg ablegt und ein leises Rütteln das beschleunigende Schiff erfasst, beginnt die Alarmanlage des Audi neben mir zu kreischen. Vielleicht ist der Fahrer auf der Toilette im Schiffsrumpf und hört den Ruf seines Autos nicht, jedenfalls es piepst, fiept, kreischt die Alarmanlage, aktiviert durch das sanfte Schaukeln der Fähre. Wie empfindlich doch die Technik heute ist. Und wie ich empfindlich ich doch heute bin. Huhn oder Ei? Einerlei. Wenn die Telefone auf der Arbeit ständig klingeln, treten solch philosophische Fragestellungen in den Hintergrund. Habe ich schon erwähnt, dass ich in einem Großraumbüro arbeite? Irgendeiner hat immer was zu melden. Irgendein Telefon klingelt immer. Kein Wunder, dass sich so mancher Kollege unter Kopfhörer flüchtet. Nur… Muss diese Flucht begleitet sein mit rhythmischem Treten im Takt der Musik gegen den Tisch? Bumms bumms bumms. Da kommen einem schon einmal Gedanken, den Kopf desjenigen zu packen und rhythmisch auf den Tisch zu hämmern.

Gott sei Dank ist Montag. Montags kommen normalerweise nicht die Gartenanlagenprofis mit ihren Laubbläsern. So gelingt es, sich zusammenzureißen. Aber wo kommt jetzt dieses Hämmern her? Es ist ein großes Gebäude, in dem wir arbeiten, irgendwo wird immer etwas gerichtet. Kein Wunder, dass sich meine Kollegen unter Kopfhörer flüchten. Bumms Bumms Bumms. Ach die Gnade der Ignoranz. Dass es gelingt, das klingende Telefon zu ignorieren, weil man sich in den selbstgeschaffenen Lärm flüchtet. Eigentlich beneidenswert. Ich empfinde diese Gnade nicht. Huhn oder Ei? Vielleicht war auch bei dem Kollegen am Samstag ein kerniger Nachbar mit dem Laubbläser unterwegs? Vielleicht erschafft sich auch jeder Laubbläser seine eigene kleine Welt? Eine Oase des selbstgeschaffenen Lärm inmitten von fremdbestimmten Geräuschen…

Täglich grüßt der Laubbläser… vielleicht ist es einfach die ewige Wiederkehr des auditiven Kampfes um die eigene Ruhe. Huhn oder Ei? Einerlei. Ich lärme also bin ich….

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2 Antworten zu Und täglich grüßt der Laubbläser

  1. Tanja sagt:

    Ach ja… mein Mitgefühl ist mit Dir 🙂 Obwohl, ich habe es ja gut. Hier scheinen keine Blasinstrumente im Angebot gewesen zu sein…
    Dafür wird im Winter auch mal gerne Nachts um 2.00Uhr Schnee geschaufelt, und im Sommer brummt der Rasenmäher schon um Punkt 7.00Uhr. Aber nicht alle auf einmal – nein, nein. Alle schön abwechselnd, über den Tag/die Nacht und die Woche verteilt. Wäre ja sonst auch langweilig.
    Ich habe zum Glück einen (meist) gesegneten Schlaf und mein Mann Oropax, nur so geht´s 🙂

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