„Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Schillers Tell – eine Rezension

Schiller_Tell
Ich musste wieder einmal mit dem Bus fahren, als Lektüre hatte ich mir etwas Leichtes auf den Weg mitgenommen: Also leicht an Gewicht – mein altes Reclam-Büchlein mit dem „Tell“. Und ich muss sagen, der Tell war angesichts meines Arbeitstages gut gewählt, wie ich dann, an der Bushaltestelle lesend, dachte. Eines Arbeitstages, der wieder einmal alles aufbot, um meine Stressresistenz zu testen: von den allseits beliebten Laubbläsern bis hin zu einem Kollegen, der zur Ankurbelung seiner kreativen Schübe einen Baseballschläger in die Firma gebracht hatte (seinen, wie er das Teil nennt „Denkschläger“), den er – wenn ihm nichts einfällt – in seine flache Hand schlug. Klatsch. Klatsch. Ein Geräusch, das meinen Puls schneller schlagen ließ. Der Gedanke, dass er seinen Denkschläger verkehrt anwendet und ich ihm gerne die richtige Anwendung gezeigt hätte, kam schnell. Heißt es doch, leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen… Ach ja, wie steht es im Tell: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Wahr, wie wahr. Auch wenn ich froh bin, friedlich geblieben zu sein. Meine vielen Kneipenjobs während des Studiums zahlen sich in punkto Stressresistenz aus. Ja: „Früh übt sich, was ein Meister werden will.“

Apropos: Unser Staubsauger ist kaputt. Also der Stecker. Gebrochen. Getreu dem Motto „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ fuhr ich mit dem Bus zum Baumarkt, um ein entsprechendes Ersatzteil zu besorgen, welches ich dann würde mit dem Kabelende verbinden können. Elektriker war keine meiner studentischen Beschäftigungen gewesen, aber das Internet weiß ja Rat. Und so wusste ich zumindest: Ein Eurostecker kann es wegen der Spannung, die bei einem Staubsauger anliegt, nicht werden. Ich also dem freundlichen Herrn mein Problem geschildert – und wurde von ihm zielsicher zum Eurostecker geführt. „Aber die sind nicht die Richtigen bei höherer Spannung“, sagte ich. Und er nahm die Verpackung in die Hand und las nach: „Stimmt!“ Dann führte er mich zu einem Regal mit vielen, sehr vielen unterschiedlichen Steckern – und begann jeden einzelnen herauszunehmen, um die Beschriftung zu studieren. Ich verließ den Baumarkt ohne Stecker, angesichts elektrischer Gefahren wollte ich durch diese hohle Gasse nicht kommen…. „Mach deine Rechnung mit dem Himmel…“ – lieber nicht.

Ja, vieles an Schillers Tell ist sprichwörtlich geworden, und die zentrale Frage „Wie weit darf im Namen der Freiheit gegangen werden?“ ist heute noch so aktuell wie vor 200 Jahren (wobei sich bei uns die Frage der Rechtfertigung des Tyrannenmordes hoffentlich nicht mehr stellen wird).

Kurz: Mir hat es Spaß gemacht, den Tell nochmals zu lesen, wegen seiner kraftvollen Sprache, weil er zum Nachdenken anregt – und die Wartezeit auf und die Fahrt im Bus somit enorm verkürzt.

Der Tell war Schillers letztes beendetes Drama (1804 beendet, er starb 1805). Längst war er zu etwas geworden, das man heute Großschriftsteller nennt, und doch hatte er sich, wie der Tell nochmals zeigt, viel von seiner politischen Bissigkeit bewahrt, die seine dramatischen Anfangszeiten auszeichnete (so brachte ihm sein erstes, 1781 anonym veröffentlichtes Drama „Die Räuber“ gleich eine Menge Ärger mit seinem Landesherren ein: 14 Tage Arrest, da Schiller ohne Erlaubnis zur Uraufführung gereist war, es ward ihm verboten Stücke zu schreiben, Schiller floh aus dem Land).

Auch darin, in seinem Lebenslauf, ist er aktuell, wie die Nachrichten von verfemten, verbotenen, verfolgten Schriftstellern aus anderen Winkeln der Welt leider zeigen. Wie steht es im Tell: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

 

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