Historisches: Es geschah Anno Domini 1983 – „Eine Gesellschaft“, die erste Kurzgeschichte von Ralf Boscher

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Eine Gesellschaft

1. Mit der ihm eigenen ruhigen Arroganz gab Hermann der Maior Domus einige letzte Anweisungen und sorgte dafür, dass alles nach den Wünschen seiner Herrin hergerichtet wurde. Unter seinem strengen Blick eilten zwischen den Säulen der in weißem Marmor gehaltenen Halle weißgekleidete Bedienstete geschäftig hin und her. Manche hielten in ihren behandschuhten Händen silberne Schüsseln angefüllt mit kulinarischen Delikatessen aus allen Teilen der Erde. Andere trugen in kleinen Gruppen die Blumendekoration an die vom Maior Domus dafür ausgesuchten Stellen. Wieder andere stellten begleitet von Gezwitscher eine Voliere mit Singvögeln auf. Instrumente wurden herumgetragen, der Violinist des Kammermusikensembles spielte sich ein. Endlich klatschte Hermann in die Hände. Stille trat ein. Einen kurzen Moment verstummten sogar die Vögel. Es war Zeit, dass jeder an seinen Platz ging. Das Fest konnte beginnen.

Limousinen fuhren vor. Portiers bemühten sich um die geschätzten Gäste: Würdevoll öffneten sie die Wagentüren und verhalfen den Damen der Gesellschaft zu einem angenehmen und angemessenen Ausstieg, geleiten sie und ihre Männer oder Begleiter in die Villa hinein. Kammermusik erklang dezent aus wohl gepflegten Instrumenten. Die Empfangshalle erstrahlte durch die vielen Lichtreflexe, die die Geschmeide der Damen zauberten. Champagner wurde gereicht. Leise unterhielt sich die wachsende Zahl Gäste. Der Umgang war würdevoll und dezent. Nur selten war ein leises Lachen zu hören, während alle auf das Erscheinen der Hausherrin und Gastgeberin warteten.

Dann erschien sie auf der großen Treppe und schritt langsam die Stufen hinunter. Die Dame des Hauses trug eine goldfarbene Komposition, winzige eingearbeitete Edelsteine funkelten im Schein der Lampen. Das enganliegende, tief dekolletierte Oberteil und der glockenförmige Rock untermalten vollendet ihre immer noch erstaunlich wohlgeformte Figur. Sie war beliebt. Niemand der Anwesenden würde angesichts ihrer Figur und ihres faltenfreien Gesichtes das Wort „erstaunlich“ verwenden und davon sprechen, dass nur ihre Hände ihr wahres Alter verraten würden, wenn sie denn nicht Handschuhe trüge.

Lange nahm sie am Fuß der Treppe Gratulationen, Komplimente und Geschenke entgegen, die ihr, sobald der jeweilige Gratulant weitergezogen und sich dem üppigen Buffet zugewendet hatte, Hermann, der neben ihr stand, aus den Händen nahm. Alsdann eilte ein Angestellter herbei, nahm das Geschenk von Hermann entgegen und trug es zu den anderen in einen Nebenraum.

„Charles!“
Endlich trat der Letzte in der langen Reihe Gratulanten zu ihr.
„Elvira, ich bitte dich mein spätes Auftreten zu entschuldigen!“
„Charles, das ist doch nicht von Belang. Es liegt mehr in meinem Interesse, dass du überhaupt den Weg zu mir gefunden hast.“
„Elvira, ich danke dir für deine Nachsicht, du weißt doch, zu dir finde ich immer einen Weg.“
Die Hausherrin kicherte wie ein kleines Kind, wobei ihre Augen ohne ein Zeichen von Vergnügen das Geschenk betrachteten, welches ihr Gast ihr entgegenhielt.
„Meine Liebe, ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Ich hoffe du freust Dich, es ist schwer etwas zu finden, das der Bedeutung deines Geburtstages angemessen ist.“
„Parfüm Charles, wie lieb. Aber es steht ja gar nichts auf dem Flakon?“
„Es ist etwas ganz Besonderes, Elvira. Ich habe es aus Istanbul mitgebracht!“
„Oh ja, sehr exotisch. Danke!“
Elvira nahm den Flakon entgegen, betrachtete ihn kurz und verabschiedete sich dann von ihrem Gast.
„Du verstehst! Ich muss mich auch um meine anderen Gäste kümmern…“
Charles nickte ergeben und entfernte sich.
Elvira reichte das Flakon mit spitzen Fingern an Hermann weiter.
„Kümmern sie sich um das Parfüm“
„Sehr wohl gnädige Frau. Gerne.“
Dann nahm sie ein Bad in der Menge.
„Herr Bürgermeister, fühlen Sie sich wohl? Kümmert man sich auch um sie?“
„Danke der Nachfrage, Ich kann mich nicht beklagen. Ihre Angestellten umsorgen uns ja wirklich sehr umsichtig. Übrigens, eine sehr hübsche Idee die Voliere aufzustellen. Ist es nicht wunderbar, wie beruhigend doch Vogelgezwitscher auf den Menschen zu wirken vermag?“
„Durchaus, Herr Bürgermeister, durchaus…“

2. Hermann öffnete unterdessen im Keller der Villa eine Stahltüre, die mit Sicherheitsschlössern verriegelt war. Er schaltete das Neonlicht ein und betrat das hellgrün eingerichtete Labor. Hier hielt er sich gerne auf, denn er liebte die Ruhe hier unten. Hermann stellte das Parfüm-Flakon auf dem Labortisch ab und ging zu den ebenfalls hellgrünen Kästen, welche an der Wand angeordnet waren. Im Gehen zog er sich sterile Handschuhe an, dann öffnete er einen der Kästen und nahm eine junge Katze heraus.
„Komm, du darfst heute der gnädigen Frau dienen!“
Er ging, das Kätzchen, welches zitterte, mit seinen Handschuhen streichelnd, zu dem Labortisch und freute sich:
„Wie wenig Ärger ihr doch macht, wenn euch Krallen und Zähne fehlen.“
Auf dem Tisch stand eine glänzende, stählerne Vorrichtung, und in diese hob er jetzt die Katze hinein. Klammern schlossen sich sorgfältig um ihre zitternden Gliedmaßen und ihren Kopf. Hermann markierte dann einen Ausschnitt bestimmter Größe auf dem Rücken der Katze. Diesen schnitt er sorgfältig mit einem Skalpell aus.
Hermann genoss, während er mit geübten Handgriffen zu Werke ging, die Stille, die nur unterbrochen wurde, wenn er mit einem Tuch die Klinge freimachte von Blut, Haut und Haaren. Da der Katze die Stimmbänder durchtrennt worden waren, störte sie die Ruhe nicht. Nachdem Hermann die Fläche freigelegt hatte, setzte er kleine Klammern an den Augenlidern der Katze an, um die aufgerissenen Augen sicher offenzuhalten. Dann öffnete er den Flakon, zog mit einer Pipette eine genau abgemessene Menge des Parfüms auf und tröpfelte diese in die offene Wunde und in die blauen Augen. Anschließend verschloss Hermann den Flakon, jetzt musste er warten und beobachten. Dazu setzte er sich auf einen Stuhl, von dem aus er die Katze im Blick hatte. Aber er ließ sich nicht nieder, ohne sein Jackett abzulegen.

3. „Finden Sie das nicht schrecklich?“
„Aber sicherlich, und er soll auch seine Kinder geschlagen haben?“
„Aber ja, ich weiß es von ihr!“
„Ich finde es erschreckend, wie sehr in unserer Welt die Brutalität zugenommen hat. Ja, Hermann? Treten Sie heran!“
„Gnädige Frau, ich habe mir erlaubt, das Geschenk in der gnädigen Frau Schlafzimmer bringen zu lassen!“
„Danke Hermann. Sie können gehen. Wo waren wir noch verblieben? Ach es kommt mir wieder in den Sinn. Glauben Sie nicht auch, dass unsere Welt immer grausamer wird? Also neulich, da haben Sie das Auto meiner Schwester…“

4. Früher Morgen, der angefallene Abfall der Gesellschaft wird aus dem Haus entfernt und in einen großen Müllcontainer, der hinter einem Wirtschaftsgebäude abseits der herrschaftlichen Villa steht, hineingeworfen. Viele Angestellte gehen oft zum Container, aber niemand bemerkt das sich ab und zu leicht bewegende Etwas in einer der Abfalltüten.

Ende

Lange ist es her, dass ich meine erste Kurzgeschichte schrieb. Hier das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. „Eine Gesellschaft“, geschrieben 1983.

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