Architeuthis oder der verstrahlte 48 Meter Riesentintenfisch – Rezension: „Der Rote“ von Bernhard Kegel

Quelle: http://www.lightlybraisedturnip.com/giant-squid-in-california/

Quelle: The Lightly Braised Turnip

Millionenfach über Facebook geliket, von Zeitungen und Fernsehstationen aufgegriffen, etwa von „Der Welt“ unter der Überschrift: „Das Rätsel um den verstrahlten Riesen-Tintenfisch“ (vom 10. Januar 2014): Das zunächst vom Onlineportal „The Lightly Braised Turnip“ verbreitete Bild eines gigantischen, 48 Meter langen Riesentintenfischs an einem Strand von Santa Monica, Kalifornien. Vermutete Ursache der furchterregenden Größe: „radioaktiver Gigantismus“ und die Atomkatastrophe von Fukushima.

Und auch wenn dieses Foto ein Fake ist – dass es solche Giganten der Tiefsee tatsächlich gibt, wird mittlerweile als erwiesen angesehen: „Abdrücke mit etwa fünfzig Zentimeter Durchmesser an gefangenen Pottwalen lassen auf eine Größe der Krake von ungefähr fünfzig Meter schließen“ (Zitat: Ankündigung des Films „Riesenkraken – Monster der Meere“ von Jo Sarsby am 14. Januar 2014 auf Phoenix).

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Ein faszinierendes Thema. Die Tiefsee, von der wir weniger wissen als vom Weltraum, und die dort lebenden riesigen Kopffüßer. Eine Faszination, die mich zu Bernhard Kegels Roman „Der Rote“ greifen ließ.

Kennt Ihr den Schwarm? Ich bislang noch nicht (damit befinde ich mich wahrscheinlich in kleiner Gesellschaft, sagen wir mal, von der Größe eine Fußballmannschaft). Jedenfalls hatte das den Vorteil, dass ich Bernhard Kegels Roman „Der Rote“ (gerne beworben im Stil von „Sie fanden den Schwarm toll, dann lesen Sie…“) lesen und schätzen lernen konnte, ohne Schätzing im Kopf.

Nun gut, ganz unvoreingenommen war ich nicht. Aufgrund so mancher Kritik erwartete ich so eine Art Dinopark unter dem Meer gewürzt mit einem guten Schuss Katastrophendrama („Tsunami“), ich dachte (vgl. meine erwähnte Faszination), da lauert etwas Monströses zwischen den Buchdeckeln, ein Kampf der Giganten Riesenkrake (und zwar eine wirklich richtig riesige Riesenkrake, bzw. sogar viele davon) und Pottwalen (auch vielen davon), eine Art maritimer Showdown auf Endzeit-Niveau.

Nun, diese Erwartungshaltung (wahrscheinlich habe ich letzter Zeit auch einfach zu viele Emmerich-Filme gesehen) wurde enttäuscht, zum Glück. Denn „Der Rote“ ist ein wirklich feines Buch rund um die Leidenschaft für glitschige Tiere, die in einer Welt leben, die uns Menschen (noch) nicht offensteht (die Tiefsee), ein spannendes Buch über Wissenschaft und Verantwortung, eine fesselnde Reflexion über Forschung unter dem Zwang, sich auch wirtschaftlich auszahlen zu müssen.

Der Rote ist ein Roman über unser Verhältnis zu Wesen, die uns so fremd sind, dass wir sie nicht verstehen können, deren Andersartigkeit uns entweder Angst oder Respekt einflößt. Natürlich ist „Der Rote“ groß, monströs, natürlich taucht das Motiv des Kampfes zwischen dem größten säugenden Raubtier, dem Pottwal, und den mehrarmigen Giganten öfter auf. Es gibt auch einen Tsunami (wirklich eindrucksvoll erschreckend geschildert, finde ich). Aber gleichwohl bezieht das Buch seinen Reiz doch eher aus den leiseren Momenten. Zum Beispiel die Beschreibungen der Tauchgänge der Hauptfigur Herrman Pauli, ein deutscher Biologe, auf denen er seine Leidenschaft für vielarmigen Wesen der Tiefsee entdeckt. Oder die Momente Auge in Riesenauge mit dem Roten, in denen eine Intelligenz glänzt, die nicht menschlich, aber sehr respektabel ist.

Wie gesagt, ein sehr lesenswertes Buch (mit einem Schuss Liebesroman), spannend, faszinierend in seinem faktenreichen Detailreichtum (ohne referierend zu wirken, meist). Ach ja, eigentlich geht es auch gar nicht um Riesenkraken, sondern um Kalmare (Architeuthis und Kolosskalmar).

Homepage von Bernhard Kegel

Quellen:
The Lightly Braised Turnip
Die Welt
Phoenix

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