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8400 Wörter für 7,50 Euro – ist das korrekt?

Umfrage_Preis
In den Heavy Metal-Postillen, die ich von Zeit zu Zeit lese, werden öfter die Laufzeiten von CDs thematisiert: „Tolle Platte – aber mit 35 Minuten doch etwas kurz“. „Kapazität einer CD nicht ausgereizt, da hätten noch mindestens zwei Songs Platz gehabt“. „Leider hat die Kreativität nur für knappe 40 Minuten gereicht“. Was hier natürlich immer auch mitschwingt: Ich habe den ganzen Preis für eine CD bezahlt, die für meinen Geschmack für das Geld zu kurz geraten ist.

Die Erwiderungen auf solcherlei Meinungen folgen meist dem Muster: „Schaut Euch mal die Klassiker unserer Musik an, die damals noch als LP erschienen. Knapp über 30 Minuten Musik, 40 Minuten – da hat keiner auf die Laufzeit geschielt, das war einfach nur eine geile Platte! Was zählt ist die Qualität, nicht die Quantität!“

Und wie sieht das bei Literatur aus?

In einer Besprechung zu meinem ersten Kurzgeschichten-eBook, das mit 23 Seiten verglichen mit meinen weiteren eBooks sehr kurz ist, steht: Der Preis ist perfekt. Das ebook kostet 99 Cent.

Ist der Preis perfekt?

Gerade als Indie-Autor macht man sich einige Gedanken über die Preisgestaltung.

99 Cent – eine Tasse Kaffee aus dem Automaten kostet 1.50 Euro. 23 Seiten hat keiner gelesen, solange ein Automatenkaffee noch heiß ist. Außerdem: Wie viele Kaffee trinkt ein Autor, bevor er 23 wirklich gute Seiten geschrieben hat?

Aber wie bemisst man den richtigen Preis für Literatur?

Wenn 99 Cent für 23 Seiten perfekt sind, müsste ein eBook mit 60 Seiten 2,58 Euro kosten. Ein Roman mit 200 Seiten etwa 8,60 Euro, mit 300 Seiten ca. 12,90 Euro.

Sind das Preise, die sich Indie-Autoren erlauben können?

Sind das Preise, die sich vielleicht auch Indie-Autoren erlauben sollten?

Die meisten als eBook veröffentlichten Romane von Indie-Autoren liegen weit unter diesen Preisen, selbst die gedruckten Taschenbücher liegen meist darunter.

Verkaufen wir uns unter Wert?

Der günstige Preis (manchmal sogar gratis) war für Indie-Autoren auf dem neu entstandenen eBook-Markt der Fuß, den sie in die Tür zu den Lesern bekamen. Amazons KDP-Programm hat hier Pionierarbeit geleistet, um bisher unbekannte Autoren, Autoren, die keinen Verlagsvertrag erhalten haben oder sich nie um einen solchen bemüht haben, bekannter zu machen.

Aber befinden wir uns heute immer noch in dieser Situation?

Sieht man sich die Amazon eBook-Charts von heute an, so stehen günstige Titel mit 99 Cent, Romane zu 1,49 Euro einträchtig neben Titeln zu 9,99, 8,99, 12,99 Euro.

Was zählt ist die Qualität nicht die Quantität, schrieb jemand in der Heavy Metal-Postille. Ja, gleichwohl gibt es beim Konsumenten eine Schwelle jenseits der er nicht mehr das Gefühl hat, hier Value for money zu erhalten – und er wird den Kauf unterlassen

Sind Leserinnen und Leser bereit für mehr Geld Indie-Qualität zu entdecken? Das sie offensichtlich bereit sind, mehr Geld für Verlagsautoren auszugeben, zeigen für mich die Charts. Wobei man nicht vergessen darf, dass hier sicherlich Qualität durch ein gerüttelt Maß an Werbe-Quantität gestützt wird, die Begehrlichkeiten weckt.

Ich habe zu Weihnachten ein Taschenbuch eines etablierten Verlages geschenkt bekommen: Charles Lewinsky, Der Teufel in der Weihnachtsnacht. Der Preis war nicht durchgestrichen. Kleines Format. Große Schrift. Erheblicher Zeilenabstand. 60 Seiten dick. Ich habe nachgezählt: Circa 8400 Wörter für 7,95 Euro. Das fand ich happig für eine mittels Formatierung und Buchformat gestreckte Kurzgeschichte – so nett ich sie auch fand. Verschenkt habe ich zu Weihnachten John Irvings Zirkuskind als Taschenbuch: 969 Seiten für 13,90 – also gemessen an der Seitenzahl ein Schnäppchen.

Ja, der Preis.

Wo liegt die goldene Mitte? Oder ist Indie-Autoren die goldene Mitte verwehrt, da sie – wenn sie schon über kein ordentliches Werbebudget verfügen – über den Preis punkten müssen? Um ihre qualitätsvolle Schreibe überhaupt an die Frau und den Mann zu bringen…

PS: Hier eine kleine Umfrage zum Thema:

Ein Verlagsroman und ein Roman eines Indie-Autors aus dem gleichen Genre bei vergleichbarem Umfang kosten beide als Taschenbuch 13,90 Euro, was denkt Ihr über den Preis?

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Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes… Erlebnis Bahnfahren

Wenn einer eine Reise unternimmt, dann kann er was erzählen… Nun, ich habe wieder einmal meinen Koffer gepackt und habe eine Bahnreise quer durch Deutschland unternommen. Ob ich etwas anderes zu erzählen habe, als nach meiner letzten Bahnfahrt vergangenen Sommer?

Lok Sept 76
Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes…

„Du fährst mit der Bahn? Auch noch ICE? Na dann viel Spaß ohne Klimaanlage!“ „Über Mainz? Ha, Mainz, wie es singt und alles über das Bahnchaos lacht!“ „Grüße die Merkel von mir, Bahn ist ja jetzt Chefsache, vielleicht stellt sie ja euch persönlich die Weichen!“

HA HA HA! Ich, das Kind eines Lokführers, schmiss mich weg vor Lachen. Hat man einmal als Dreikäsehoch im Führerstand einer mächtigen E-Lok auf dem Sitz des Lokführers sitzen dürfen (natürlich im Betriebswerk, mit nicht laufender Maschine), dann betrachtet man Deutschlands Eisenbahnen wohl nicht mehr wirklich objektiv – selbst wenn man den Kindheitstraum, Lokführer zu werden (und die Tausende PS mal zum Dröhnen zu bringen) nicht verwirklicht. HA HA HA! Also zückte ich unverdrossen meine Kreditkartennummer und buchte 1. Klasse. Ein Schnäppchen, knapp über der 2. Klasse. 700 Kilometer First-Class-Reisen – und dann ließ ich mir übers Internet die Staumeldungen und -prognosen heraus: A81 Unfall, 5 Kilometer Stau, A5 Stau, A8… A61 Prognose rot, Alternativen noch röter. Ha Ha, der Klügere fährt Bahn. Prognose: 6,5 Stunden Fahrtzeit, angenehme Buchlektüre nur unterbrochen durch 2x Umsteigen (mit hoffentlich nahe gelegener Raucherecke an den beiden Bahnhöfen), und sollte ich mir andere Lektüre wünschen: übers WLAN im ICE einlocken und einfach ein neues eBook auf mein Tablett laden. Und also trat ich meine Reise an.

Pünktlich ging es los. Der Zug wurde an meinem Startbahnhof eingesetzt, da kann man dies auch erwarten. Nicht erwartet hatte ich, dass der 1. Klasse Wagen, in dem ich reserviert hatte, nicht an den Zug angehängt worden war. Nun gut, man ist ja flexibel. Es gab genügend freie Plätze – in der 2. Klasse. Aber man ist ja kein Snob. Wobei mir bei der nicht gereinigten Toilette die Augenbraue hoch ging (ein frisch eingesetzter Zug…). Aber das ficht einen alten Bahner, jedenfalls einen männlichen, nicht an. Wenn ich da nur an die ersten Fahrten mit dem frisch eingeführten Wochenendticket denke… 20 Stunden im Regional-Zug, 5x so viele Passagiere wie Sitzplätze, eine halbe Stunde nach Fahrtbeginn waren die Toiletten unbenutzbar. Aber nun fahre ich ja ICE – wobei alles Sagrotan auf der Welt nicht gereicht hätte, mich zum Sitzen zu bewegen (It’s a man’s world).

Aber pünktlich sind wir. Ich erreiche problemlos meinen Anschlusszug – allerdings reicht es nicht für einen Zug aus einer Zigarette. Aber was soll’s. Immerhin bin ich flott unterwegs – wieder in der 2. Klasse. Zwar haben sie dieses Mal den Wagen, in dem ich reserviert habe, nicht vergessen, an den Zug anzuhängen, aber HA HA, ja der Klassiker: „Na dann viel Spaß ohne Klimaanlage!“ Vor gefühlten 50 Grad an meinem reservierten Platz floh ich in die 2. Klasse. Man ist ja kein Snob. Wobei mir bei dem Hinweis des Service-Personals, dass sie in der 2. Klasse keinen Kaffee servieren dürften, die Augenbraue hoch ging. Immerhin war das Zugrestaurant im Wagen nebenan, also las ich bei einer Tasse fast heißen Kaffees in meinem eBook – und ehe ich mich versah: Ende. Ein Krimi. Ein guter Krimi aus einer Reihe. Und freundlicherweise hatte der Autor am Ende seines eBooks einen Link zum nächsten Band seiner Serie eingefügt. Also gleich angeklickt, WLAN im Zug sei Dank. Doch: WLAN im Zug nicht verfügbar. Also back to the roots. Bei kaltem Kaffee aus dem Fenster starren. Aber immerhin waren wir pünktlich unterwegs – Mainz ließen wir ohne Probleme links liegen. Und also stieg ich zur geplanten Zeit zum zweiten Mal um. Da die Raucherecke auf dem Bahnhof in ungefähr 5 Kilometer Entfernung hinter der Bahnhofsmission lag, biss ich die Zähne zusammen. Ein einfaches Unterfangen angesichts jetzt nur noch einer halbstündigen Fahrt.

Zwei Bahnhöfe vor meiner erwarteten Ankunft rief ich meinen Vater an, dass ich fahrplanmäßig unterwegs sei, er könne mich zur erwarteten Zeit am Zielbahnhof abholen. Vielleicht sollte man solche Anrufe unterlassen? Vielleicht gibt es ja einen rachsüchtigen Dämon des Bahnfahrens, der HA HA HA seinen Spaß an unvorhergesehenen Verzögerungen hat. Jedenfalls hieß es 5 Minuten später beim letzten Halt vor meiner Ankunft, dass auf der Strecke unmittelbar hinter dem Bahnhof ein Gleis unterspült worden sei (wobei es seit Tagen nicht geregnet hatte, es geschweige denn sintflutartige Güsse gegeben hatte). Jedenfalls mussten wir – da die Strecke nur noch eingleisig befahrbar sei – auf den Gegenzug warten. Ich rief meinen Vater an (Handys sei Dank), aber der war schon zum Bahnhof gefahren (wie ich von meiner Mutter erfuhr) und hatte sein Handy nicht dabei. Aber nun gut, er ist ein alter Bahner, also wirkte er nach dreiviertelstündiger Verspätung nicht allzu gestresst. Fazit: Etwas über 7 Stunden Fahrt – als ich mir bei einer Zigarette die Stauberichte übers WLAN bei meinen Eltern ansah, musste ich lächeln.

Und lächelnd ging es nach einer schönen Woche auf die Rückreise. Der Zug wurde an meinem Startbahnhof eingesetzt. Wobei er eine Viertelstunde später bereit gestellt wurde… Immerhin gab es kein Problem mit der Klimaanlage. Allerdings hatten sie den Zugteil, in dem sich der von mir reservierte Platz befand, nicht an den Zug gehängt. Statt einem ganzen ICE fuhr nur ein halber. Alle Reservierungen obsolet. Aber: Der frühe Vogel fängt den Wurm – alle später eingestiegenen Fahrgäste fanden keinen Sitzplatz mehr. Aber im Stehen 260 zu fahren hat ja auch was. Aber für die Sitzenden wie mich hatte es noch mehr. Immerhin, wir holten die Verspätung auf – und dann auf dem letzten Fahrtabschnitt fand ich den von mir reservierten Platz in einem klimatisierten Wagen. Der Kaffee war heiß – und auch wenn die WLAN nicht funktionierte, egal, ich hatte mir bei meinen Eltern genügend Lesestoff aufs Tablett geladen. 6,5 Stunden für 700 Kilometer. Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes. Nur gut, dass ich nicht auf die Toilette musste.

Nachtrag: Pünktlich, pünktlich, und noch einmal pünktlich – und dann, ja dann Philipp. So das Résumé meiner Zwischen-den-Feiertagen-Fahrt. „Philipp komm sofort her!“, gefühlte 1000x zwischen Radolfzell und Offenburg – aber der kleine Philipp war in Fahrt. Rannte im Großraumwagen von einem Ende zum anderen. Betrachtete interessiert Mitreisende bei ihrer Buch- oder eBook-Lektüre. Was niemanden störte. Lächeln hier und dort – und schon war Philipp wieder fort. Hin zu neuen Abenteuern. „Philipp komm sofort her!“ Weg von den Rufen seines Vaters. Und dann, in Hornberg, kam zu meiner Erbauung ein anderer Philippe – und zwar in Form eines gigantischen, haushohen Klos (hier zu begutachten…). Was für eine Ortseinfahrt! Hornberg war für mich bislang vor allem ein beschauliches Städtchen mit romantischer Burganlage auf einem Hügel. Doch nun ist der Schwarzwald nach einigen „world biggest cuckoo clocks“ um einen weiteren Superlativ reicher: Das vom französischen Stardesigner Philippe Starck als Aussichtsplattform entworfene Riesen-WC im Neubau von Duravit. Hornberg, Stadt of „the biggest WC of the Black Forrest“, ach was sage ich: „world biggest WC“. Eine interessante Aufgabe fürs Stadtmarketing hier die Kurve zur Romantik hinzubekommen: „Tradition und Innovation, Hornberg – Romantik im Zeichen der Burg, der Zukunft zugewandt im Schatten des Riesen-Klos“. Und meine Rückfahrt? Auch hier pünktlich, pünktlich – selbst nachdem wir eine halbe Stunde auf freier Strecke kurz vor Worms stehenbleiben mussten, weil ein Zug vor uns liegen geblieben war, so dass ich meinen Anschluss in Heidelberg nicht erreichte. Aber: Respekt! Das Zugbegleitpersonal war auf Zack, freundlich informierend. Hat mich in Mannheim in einen ICE gelotst, der dann die verlorene Zeit (und meinen IC nach Konstanz) mit Tempo 250 einholte, so dass ich in Offenburg in meinen ursprünglichen Zug einsteigen konnte. Ankunft nach Plan. Also kurz gesagt: Hier lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes.

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Wenn der Johanniter 5x klingelt – und was einem noch so beim Warten auf den Bus durch den Kopf geht

Sicherheitshinweise_Rollator_Bus
Fahrradfahren verlernt man nicht, heißt es. Und wenn mein geliebter 50ccm Roller weiter so oft muckt, dann werde ich mich wohl daran machen müssen, diese Binsenweisheit zu überprüfen, um die 7 Kilometer reine Fahrstrecke (die Strecke auf der Fähre Meersburg – Konstanz nicht gerechnet) zur Arbeit hinter mich zu bringen.

Aber etwas, das man nach gewisser Zeit wohl verlernt, ist den ÖPNV entspannt zu benutzen. 20 Minuten auf den Bus warten. Früher eine Übung in Gleichmut. Heute… In den Bus steigen, riechen. Früher reflexhaftes Abschalten relevanter Gehirnareale, heute… Teenager am Handy. Früher eine Gelegenheit neue Wörter zu lernen, heute… Körpernähe zu Fremden, früher… und heute…

Und das nach pi mal Daumen 33 Jahren nahezu täglichen Benutzens des ÖPNV, den Zügen und Bussen zum Gymnasium am Niederrhein, der Schwebebahn in Wuppertal auf dem Weg zur Uni oder sonst wohin, den Bussen in Konstanz, der Fähre über den Bodensee (mit anschließender Busfahrt). Da sollte man doch auch nach 5 Jahren des motorisierten Individualverkehrs nicht so empfindlich reagieren…

Mittlerweile hatte ich in diesem Herbst einige Male aufgrund technischer Animositäten meines Rollers die Chance, zur alten Gelassenheit zurückzufinden. Die ersten Male schaffte ich es nicht diese Chance am Schopfe zu packen. Mich dem Fluss der Gegebenheiten zu überlassen. Dabei: Noch nie erreichte ein Bus schneller die Haltestelle, an der man in der Kälte wartete, wenn man öfter auf die Uhr blickt. Kein Fleischkäsbrötle roch im Bus angenehmer, da man mit einer gewissen perversen Fasziniertheit den Fetttropfen mit Blicken folgt, die dem Esser aus den Mundwinkeln laufen. Eine gute Übung in Nietzsches „Fröhlichem Fatalismus“, die ich zunächst nicht meisterte.

Doch heute. Kein Blick auf die Uhr, während ich wartete. Keine Augenbraue, die hoch ging, als die ersten Regentropfen dort an der Haltestelle ohne Unterstand fielen, die ich, nachdem ich meinen Roller zur Reparatur gebracht hatte, aufgesucht hatte. Plötzlich hatte ich sie – die vertraute Gelassenheit. Und gleich stellte sich ein vertrautes Phänomen ein: Meine Gedanken begannen zu wandern – eine Art Gedankenflipper, stieß doch jede Beobachtung, die ich dort an der Haltestelle machte, eine neue Gedankenkette an.

Vor mir auf der Straße bildete sich ein kleiner Stau. Beim neuen PKW vis-à-vis schaltete die Start-Stopp-Automatik den Motor aus. Flipp… Ich dachte an den Tag zuvor in der Mittagspause: Auf dem nahen Parkplatz wie jeden Tag ein Kommen und Gehen der Zulieferer, der Paketdienste. Klar, die haben es immer eilig, Also laufen die Motoren, während Pakete zugestellt werden. Anscheinend erzeugt dieses den Motor nicht ausschalten ein Gefühl von: Ich bin schnell. Auch wenn es oft 5, 10, 15 Minuten dauert, bis der Fahrer zurückkehrt. Mein Blick wandert umher an der Haltestelle. Zigaretten im Rinnstein. Flipp… Ich denke an die Zigaretten auf dem Boden in der Ruhezone dort an meiner Arbeitsstelle. Hier an der Haltestelle gibt es keinen Aschenbecher. Aber in der erwähnten Ruhezone im Umkreis von 5 Metern drei. Und dennoch: Kippen auf dem Boden…

Anscheinend flippte mein Hirn in Umweltproblem-Gedanken. Vielleicht kein Wunder, weil mein Roller deswegen in der Reparatur war, weil er Öl verlor. Öl verloren hatte auch der alte Opel einer Kollegin. Seit einigen Wochen hat sie einen neuen PKW. Skoda Kombi. „Ist ja schon ein praktisches Auto“ hatte sie sich von einem anderen Kollegen anhören müssen, bevor der in sein Mini Cabriolet stiegt. Klar. Er meinte: „Kein schönes Auto, kein Auto mit Stil“. Und sie hörte genau dies, wie sie erzählte, als sie mich vor zwei Wochen zur Werkstatt mitnahm, wo ich meinen Roller abholen wollte (in jener Woche war es nicht Öl, das ich verlor, sondern eine Hinterradbremse, die nicht mehr funktionierte). „Wenn ich mir ein schönes Auto, vielleicht so einen kleinen Flitzer leisten kann, dann gibt es bei uns Tempolimit!“, meinte sie.

An diesem Morgen an der Haltestelle dachte ich: Aber vielleicht gibt es dann ja auch so eine Art „Schnellfahrer-Gutschein-System“. Warum nicht? Tempolimit ist gut für die Umwelt. Also 130 generell als Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen. Wer schneller fahren will, kauft Schnellfahrer-Gutscheine. 30plus, 50plus, 80plus… Und wenn man in eine Geschwindigkeitskontrolle rauscht, zeigt man nur seine Gutscheinkarte vor und alles ist gut.

Dann kam der Bus. Ich zahlte. Der freundlich lächelnde Busfahrer flippte meine Gedanken einen Abend zurück – zu einem Spendensammler, der sein Lächeln wohl auf seiner Tour, bevor er bei uns Sturm klingelte, verloren hatte. Aber als ich dieses Bild von dem jungen Johanniter (hoffentlich wirklich einer und kein „Drücker“ wie vor einigen Jahren in der Presse berichtet) im Kopf mir einen Platz suchte, blieb mein Blick auf einem anderen Bild haften:

Ein älterer Herr. Unterschenkel und Kopf waren abgeschnitten durch den Rand des Fotos. Der Torso im Anzug befand sich auf einem Rollator. Sein Foto mit einem dicken roten Kreuz durchgestrichen. Keine Alten erlaubt, dachte ich erst, als ich das Plakat an der Scheibe des Busses sah. Dann las ich den Text. Aus aktuellem Anlass. Sicherheitshinweis. Sitzen im Rollator unzulässig. Sitzplätze benutzen. Vor allem in Verbindung mit dem Foto: Das hätte man auch netter sagen können.

Apropos netter: Der junge Herr der Johanniter könnte sich wirklich eine Scheibe von den Zeugen Jehovas abschneiden. Denn die sind nett – auch wenn man ihnen freundlich mitteilt, dass kein Interesse besteht. Und ihr „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag!“, scheint von Herzen zu kommen. Der junge Johanniter klingelte am Abend zuvor schon nicht nett. Will man das an einem dunklen Abend im Herbst? Den Daumen auf die Klingel? Dann kein „Guten Abend!“, kein Lächeln, sondern nur ein herunter geleierter Text. Und dann der Blick und das ins aggressive Umschlagen der Stimme, als ich sagte: „Nein, danke!“ „Dann wünsche ich Ihnen noch die Pest auf den Hals!“, so klang er – und leider bestätigte dies meine Erfahrungen mit Hilfsorganisationen an der Tür. Gerade zur Vorweihnachtszeit. Nun gut, der Druck wird auch nicht ohne sein: Vom Spendenkuchen etwas abzukommen. Dennoch: Das hätte man auch netter sagen können.

Apropos netter. Wie es der Zufall wollte, war an diesem Morgen tatsächlich ein älterer Herr mit Rollator im Bus. Er hatte sich an den Sicherheitshinweis gehalten und auf dem herunterklappbaren Sitz neben seinem Rollator Platz gefunden. Eine Haltestelle vor mir wollte er den Bus verlassen. Mühsam stemmte er sich aus dem Sitz hoch, während der Busfahrer wirklich ganz sanft den Bus zum Halten brachte. Vielleicht wusste er, wo der alte Herr für gewöhnlich aussteigt. Ein Mann mit dem Fleischkäsbrötle tupfte sich das Fett aus den Mundwinkeln. Das junge Mädchen, das zuvor nur Augen für ihr Handy hatte, steckte dies in ihre Tasche. Der Busfahrer senkte den Bus herab, öffnete die Tür verließ seinen Fahrersitz, und half zusammen mit dem Handymädchen und dem Fleischkäsmann dem älteren Herrn aus dem Bus.

Dann hatte ich meine Zielhaltestelle erreicht. Der Himmel klarte sich auf, die Morgensonne blickte durch die Morgenwolken. Vielleicht sollte ich, wenn mein Roller nun wirklich einmal den Geist aufgibt, doch nicht aufs Fahrrad, sondern wieder voll auf ÖPNV umsteigen.

Nachtrag 10. Dezember

Mich hatte bereits eine Leserin darauf hingewiesen: Die Stadtwerke haben ihren Sicherheitshinweis, vor allem auch visuell, netter gestaltet. Und ja, dies finde ich auch: Gestern (ja, mein Roller hatte wieder Allüren), sah ich diesen neuen, ebenso durchsichtigen wie einsichtigen Hinweis („Bitte nicht auf den Rollator setzen“) mit eigenen Augen:

Sicherer Umgang mit den Rollator im Bus
Bus_Rollator_neuer_Hinweis

Sehr geehrte Fahrgäste, bitte sichern Sie den Rollator mit der Feststellbreme und stellen sie ihn sicher vor oder neben sich ab.

Der Rollator ist nicht als Sitzplatz im Bus geeignet. Bitte nutzen Sie als Sitzmöglichkeit die Klappsitze im mittleren Busbereich.“

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Autor? Keine Ahnung. Buchtitel? Irgendwas mit 100 und Fenster… Kindle und die Folgen

Kindle und die Folgen... Das Ende des Buches?

Kindle und die Folgen… Das Ende des Buches?


Welches Buch liest Du gerade? Dies fragte ich eine Arbeitskollegin, die mit ihrem Kindle in der Mittagssonne saß und die Pause genoss. Oh, weiß gar nicht. Aber es gefällt mir. Ich bohrte nach. Autor? Keine Ahnung. Der Titel ist irgendwas mit 100 und Fenster. War eine Empfehlung bei Amazon. Kurz angelesen, Leseprobe gefallen, heruntergeladen. Sie, die ihre Brötchen als Grafikerin verdient, konnte sich noch nicht einmal an das Cover erinnern.

Das war bei gedruckten Büchern anders, wie ich mich erinnere und sie bestätigt dies. Früher hätte sie immer gewusst, aus wessen Feder das Buch mit dem Titel „So und so“ stammt – und an die Cover hätte sie sich natürlich auch erinnern können. Aber da hätte sie ja auch immer, wenn sie das Buch zugeklappt oder zur Hand genommen hat, den Titel vor Augen gehabt. Aber seitdem sie fast alles auf dem Kindle liest, verschwinden Autor und Titel schnell hinter den vorwärts gescrollten Seiten.

Was bedeutet das, so frage ich mich, für das Buch, für den Autor? Habe ich hier vielleicht in der Mittagspause auf meiner Arbeitsstelle das viel beschworene Ende des Buches erlebt?

Ich bohrte weiter. Meine Kollegin konnte mir lebhaft von dem Text erzählen, den sie bereits gelesen hatte. Auch das zuvor gelesene eBook hatte sie präsent. Nur eben nicht den Autor, nicht den Titel, nicht das Cover.

Ist das eine persönliche Eigenart von ihr oder ist dies symptomatisch für die Leseerfahrungen mit einem eBook? Gesetzt es wäre Letzteres, so scheint das, was vom Buch übrig bleibt, jenes Gebilde zu sein, das in der in der guten alten Zeit zwischen den Buchdeckeln lag: der Text. Oder genauer: es bleibt der Text ohne Titelei und ohne Impressum.

Es bleibt also die Geschichte, die erzählt wird.

Was fehlt, ist der Rahmen: Im materiellen Sinne die Buchdeckel, bei einem gebundenen Buch der Umschlag. Die vorangestellten Papierseiten mit Autor, bibliographischen Angaben, dem Verlagsnamen… Im ideellen Sinne der Interpretationsrahmen, den Cover mit Titel, gegebenenfalls Untertitel, der Autorennamen, der Verlag vorgeben: Denn ein Cover schürt Erwartungen, gibt eine Leserichtung vor, genauso wie ein Autorenname, ein Verlag, dies können: Steht Stephen King oder Walser auf dem Cover? Ist Bastei Lübbe oder Surkamp der Verlag?

Namen lenken Leser.

Wenn also der Rahmen fehlt, haben wir kein Buch mehr vor uns? Liest der Leser den reinen Text, liest er dann keine Bücher mehr? Oder anders gefragt: Braucht der Leser diesen Rahmen, um richtig lesen zu können? Oder noch anders gefragt: Reagieren viele etablierte Autoren und Verlage deswegen so allergisch auf eBooks, weil sich der Leser von den vorgegebenen Interpretationsrahmen emanzipiert? Das Ende des Buches…

Das Ende des Buches?

Was macht ein Buch zum Buch?

Ich würde sagen: Erstens jemand, der einen Text in der Absicht schreibt, diesen Text über einen intimen Rahmen hinaus zu veröffentlichen. Zweitens ein Leser, der diesen Text nicht aus intimen Gründen nach Veröffentlichung liest. Gehört noch mehr dazu? Seitenanzahl? Anspruch? Rechtschreibung? Genre? Eine Instanz, die sagt: Ja, dieses Buch ist wert veröffentlicht zu werden? Eine Instanz, die sagt: Ja, dieses Buch ist es wert, gelesen zu werden? Braucht ein Buch einen Rahmen? Einen Autornamen, einen Buchdeckel, einen Umschlag, ein Cover, einen Verlag?

Ich würde sagen nein. Ist der formlose Ausdruck eines Manuskriptes, das von Hand zu Hand gereicht wird, kein Buch, weil es nicht gebunden ist? Sind Texte, die aus Furcht vor Verfolgung anonym an Leser weitergegeben werden, keine Bücher?

Es sind also drei Elemente, die ein Buch ausmachen: Ein Verfasser, eine Veröffentlichung, ein Leser.

Ein Buch brauchte, um veröffentlicht zu werden, noch nie einen Verlag – nur den Ehrgeiz des Verfassers, gelesen zu werden. Ein Buch braucht keinen Autorennamen, dies beweisen anonym verfasste Bücher. Ein Buch ist eine Geschichte, die jemand erzählenswert fand, eine Geschichte, die öffentlich verfügbar ist, und ein Leser, der diese Geschichte lesen möchte. Ja, ein Buch ist sogar ein Buch, wenn reale Leser fehlen – selbst ein imaginärer Leser, für den ein Text geschaffen wird, lässt ein Buch entstehen.

Zerstören eBooks diese Trinität und bedeuten das Ende des Buches?

EBooks haben einen Verfasser. Liegen die Dateien zum Herunterladen vor, so sind sie veröffentlicht. Und wurden diese Dateien zum Download bereit gestellt, so gibt es zumindest den imaginären Leser. Folglich ein Buch.

Warum also „Ende des Buches?“ Warum also zerstören Kindle und Co. unsere Lesekultur?

Weil es nicht um das Ende des Buches geht, sondern um das Ende des guten Buches. Oder genauer: Um die Frage, wer die Macht hat, zu bestimmen, was ein gutes Buch ist. Kurz: es geht wieder einmal um nichts anderes als um den Kanon.

Aber warum redet niemand über Kanon, die Macht über die Leser, oder über die Sorge, dass Leser nicht das Richtige lesen?

Sieht man sich die neueren Äußerungen zum Kulturverfall aufgrund von eBooks (und hier steht vor allem Amazon und seine KDP Praxis am Pranger) an, so geht es interessanter Weise vor allem um eines: die verloren gegangene Haptik. Der Geruch der Bücher, der fehlt. Die Gebrauchsspuren der gelesenen Bücher. Im Text verankerte Argumente, wie jenes, dass durch das Lesen von eBooks liebgewordene Figuren aus den Geschichten verloren gehen, sind sicherlich nicht ernst gemeint: Den ob als gebundenes Buch, Originalmanuskript des Autors auf Schmierpapier, Taschenbuch oder eBook – die Figur in der Geschichte bleibt sich gleich. Und warum sollte ich einen Charakter, der mittels Buchstaben zum Leben erweckt wird, weniger eindrucksvoll finden, wenn die Buchstaben auf einem Bildschirm zu sehen sind und nicht auf Papier? Ein Buch kann ich auf einem Kindle (oder Tolino oder oder…) genauso gut unter der Bettdecke, auf dem Sofa, auf dem Lieblingssessel lesen wie ein Taschenbuch. Wenn wenigstens in der Diskussion das Argument der Badewanne Erwähnung finden würde… etwa der Gedanke, die Sorge, dass das elektrische Gerät durch das Wasser, vielleicht nur den Wasserdampf, geschädigt wird, hält einen vom genussvollen, intensiven Lesen ab…

Also Haptik. Ein Buch ist ein Buch, wenn es sich nach einem Buch anfühlt. Wurde es öfter gelesen, muss es riechen. Lag es in der Sonne, muss es vergilbt sein. Las ich es am Küchentisch, so dokumentieren die Kaffeeflecken sein Buchsein.

Das kann ein eBook-Reader natürlich nicht bieten. Gleichwohl wage ich zu behaupten: Es ist nicht die Haptik, die aufgrund der neuen Lesegerättechnik verloren geht. Diese Veränderung der Haptik gab es schon immer. Ein von Mönchen abgeschriebener Foliant hatte eine andere Haptik als ein Buch, das durch Gutenbergs Druckmaschine entstand. Ein in Leder gebundenes Buch eine andere Haptik als ein in Pappe eingebundenes Hardcover, dieses eine andere als ein Taschenbuch. Auch Kindle oder ein Tolino haben ihre Haptik.

Es ist nicht die Haptik, auch wenn es gerne als Hauptargument herangezogen wird, die das eBook manchen Autoren und Verlagen so bekämpfenswert erscheinen lässt. Es ist auch nicht die Marktmacht von Amazon, der Monopolkapitalismus, welche den wirklichen Angriffspunkt bilden.

Kindle und die Folgen?

Es ist der Verlust des Rahmens, der beunruhigt.

In eBooks fehlt der physische Buchdeckel, der jedes Buch vom anderen abgegrenzt hat: Das kleine schwarze Gerät mit Bildschirm löst den Buchdeckel ab. Da beim Wiederaufruf des gerade gelesenen Buches nicht der Titel erscheint, sondern die zuletzt gelesene Seite, verlieren Autorenname und Verlagsname, die Titelei, an Bedeutung. Und damit schwindet die Macht der hergebrachten Instanzen zu sagen, was lesenswert ist.

Die erzählte Geschichte steht also wesentlich mehr für sich selbst als zuvor. Was manche Autoren und Verlage beunruhigt, ist: Die Beziehung zwischen Verfasser und Leser wird enger, ohne dass eine kritische Instanz vermittelt. Oder genauer: Die Beziehung zwischen Text und Leser wird enger, ohne dass die vermittelnde Hand zur Seite steht.

Brauchen Leser diese kritische Instanz? Brauchen Leser eine Hand, die sie leitet und zu der richtigen Literatur führt?

Eine Geschichte gefällt oder nicht. Eine Geschichte gefällt nicht, regt aber zum Nachdenken an. Ein Text beeindruckt – und der Leser befasst sich mehr mit ihm. Ein Text lässt mich kalt.

Kann es sein, dass Autoren und Verlage, die gegen eBooks wettern, ihren Geschichten nicht trauen? Den Lesern nicht trauen?

Kanon versus Kindle? Elite versus eBook?

Wie auch immer. Was zählt ist die Geschichte, die fesselt. Die Figuren, die im Gedächtnis bleiben. Und was im Gedächtnis von vielen Lesern bleibt, dies wird den Kanon bestimmen. Egal ob auf einem eBook Reader gelesen oder als Taschenbuch oder gebundenes Buch. Egal ob Verlagsprodukt oder Indie-Gewächs. Was bleibt, ist was den Leser das Lesegerät vergessen lässt, was ihn ganz in die Geschichte eintauchen lässt. Was mit dem Ende der Geschichte kein Ende findet.

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