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8400 Wörter für 7,50 Euro – ist das korrekt?

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In den Heavy Metal-Postillen, die ich von Zeit zu Zeit lese, werden öfter die Laufzeiten von CDs thematisiert: „Tolle Platte – aber mit 35 Minuten doch etwas kurz“. „Kapazität einer CD nicht ausgereizt, da hätten noch mindestens zwei Songs Platz gehabt“. „Leider hat die Kreativität nur für knappe 40 Minuten gereicht“. Was hier natürlich immer auch mitschwingt: Ich habe den ganzen Preis für eine CD bezahlt, die für meinen Geschmack für das Geld zu kurz geraten ist.

Die Erwiderungen auf solcherlei Meinungen folgen meist dem Muster: „Schaut Euch mal die Klassiker unserer Musik an, die damals noch als LP erschienen. Knapp über 30 Minuten Musik, 40 Minuten – da hat keiner auf die Laufzeit geschielt, das war einfach nur eine geile Platte! Was zählt ist die Qualität, nicht die Quantität!“

Und wie sieht das bei Literatur aus?

In einer Besprechung zu meinem ersten Kurzgeschichten-eBook, das mit 23 Seiten verglichen mit meinen weiteren eBooks sehr kurz ist, steht: Der Preis ist perfekt. Das ebook kostet 99 Cent.

Ist der Preis perfekt?

Gerade als Indie-Autor macht man sich einige Gedanken über die Preisgestaltung.

99 Cent – eine Tasse Kaffee aus dem Automaten kostet 1.50 Euro. 23 Seiten hat keiner gelesen, solange ein Automatenkaffee noch heiß ist. Außerdem: Wie viele Kaffee trinkt ein Autor, bevor er 23 wirklich gute Seiten geschrieben hat?

Aber wie bemisst man den richtigen Preis für Literatur?

Wenn 99 Cent für 23 Seiten perfekt sind, müsste ein eBook mit 60 Seiten 2,58 Euro kosten. Ein Roman mit 200 Seiten etwa 8,60 Euro, mit 300 Seiten ca. 12,90 Euro.

Sind das Preise, die sich Indie-Autoren erlauben können?

Sind das Preise, die sich vielleicht auch Indie-Autoren erlauben sollten?

Die meisten als eBook veröffentlichten Romane von Indie-Autoren liegen weit unter diesen Preisen, selbst die gedruckten Taschenbücher liegen meist darunter.

Verkaufen wir uns unter Wert?

Der günstige Preis (manchmal sogar gratis) war für Indie-Autoren auf dem neu entstandenen eBook-Markt der Fuß, den sie in die Tür zu den Lesern bekamen. Amazons KDP-Programm hat hier Pionierarbeit geleistet, um bisher unbekannte Autoren, Autoren, die keinen Verlagsvertrag erhalten haben oder sich nie um einen solchen bemüht haben, bekannter zu machen.

Aber befinden wir uns heute immer noch in dieser Situation?

Sieht man sich die Amazon eBook-Charts von heute an, so stehen günstige Titel mit 99 Cent, Romane zu 1,49 Euro einträchtig neben Titeln zu 9,99, 8,99, 12,99 Euro.

Was zählt ist die Qualität nicht die Quantität, schrieb jemand in der Heavy Metal-Postille. Ja, gleichwohl gibt es beim Konsumenten eine Schwelle jenseits der er nicht mehr das Gefühl hat, hier Value for money zu erhalten – und er wird den Kauf unterlassen

Sind Leserinnen und Leser bereit für mehr Geld Indie-Qualität zu entdecken? Das sie offensichtlich bereit sind, mehr Geld für Verlagsautoren auszugeben, zeigen für mich die Charts. Wobei man nicht vergessen darf, dass hier sicherlich Qualität durch ein gerüttelt Maß an Werbe-Quantität gestützt wird, die Begehrlichkeiten weckt.

Ich habe zu Weihnachten ein Taschenbuch eines etablierten Verlages geschenkt bekommen: Charles Lewinsky, Der Teufel in der Weihnachtsnacht. Der Preis war nicht durchgestrichen. Kleines Format. Große Schrift. Erheblicher Zeilenabstand. 60 Seiten dick. Ich habe nachgezählt: Circa 8400 Wörter für 7,95 Euro. Das fand ich happig für eine mittels Formatierung und Buchformat gestreckte Kurzgeschichte – so nett ich sie auch fand. Verschenkt habe ich zu Weihnachten John Irvings Zirkuskind als Taschenbuch: 969 Seiten für 13,90 – also gemessen an der Seitenzahl ein Schnäppchen.

Ja, der Preis.

Wo liegt die goldene Mitte? Oder ist Indie-Autoren die goldene Mitte verwehrt, da sie – wenn sie schon über kein ordentliches Werbebudget verfügen – über den Preis punkten müssen? Um ihre qualitätsvolle Schreibe überhaupt an die Frau und den Mann zu bringen…

PS: Hier eine kleine Umfrage zum Thema:

Ein Verlagsroman und ein Roman eines Indie-Autors aus dem gleichen Genre bei vergleichbarem Umfang kosten beide als Taschenbuch 13,90 Euro, was denkt Ihr über den Preis?

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Wie es beginnt: Die ersten Sätze… Buchanfänge

Buchanfänge
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne… so Hermann Hesse. Jedem Anfang? Der Anfang eines Buches kann in der Tat etwas Zauberhaftes sein – wenn er denn gelingt. Denn dann legt der Leser das Buch nicht zur Seite, sondern blättert neugierig geworden um. Gelingt er besonders gut, zieht er den Leser gleich ins Buch hinein – in eine andere Welt. Der Zauber der Literatur beginnt zu wirken.

Hier einige erste Sätze aus Büchern, die ich vor kurzem gelesen habe bzw. im Moment lese:

Die aufrührerischen Engel fielen, in Girlanden aus Feuer gehüllt. Und als sie niederfuhren und durch die Leere stürzten, waren sie verflucht, wie die frisch Erblindeten verflucht sind, denn so wie die Dunkelheit für diejenigen umso schrecklicher ist, die das Licht gekannt haben, wird der Verlust der Gnade von jenen viel schmerzhafter wahrgenommen, die sich einst in ihrem Glanze sonnten. (Der brennende Engel, John Connolly).

„Verdammt!“ Bettina Berg riss die Augen auf. Sie durfte nicht einschlafen. Noch nicht. Mit zu Fäusten geballten Händen rieb sie sich die Augen, was aussah, als hielte sie sich ein imaginäres Fernglas vors Gesicht. Wo war Auer? (Sünders Fall (Berg und Thal Krimi), Béla Bolten).

Am zweiten Tag der Dunkelheit hatte man sie alle erwischt. Die Besten, die Klügsten. Die Mächtigen, die Reichen, die Bedeutenden. Abgeordnete und Minister, Wirtschaftsbosse und Intellektuelle, Oppositionsführer und andere Berühmtheiten. Aber sie wurden nicht verwandelt. Sie wurden getötet. (Die Nacht, Guillermo del Toro / Chuck Hogan).

Nie war mir der Applaus so zuwider gewesen. Auch bei unserer einzigen Fernsehaufzeichnung nicht, als ein überflüssiger Animateur dem Studiopublikum signalisierte, wann und wie es reagieren sollte. Der Applaus im Flugzeug schmerzte. Dabei war die Boeing 737 bestenfalls zur Hälfte besetzt, aber es klang, als wollten das die Rentner mit maßlos übertriebenem Beifall ausgleichen. (Chiliherzen, Jürgen Schmidt / Sandra Wagner).

„Du dämliche Sau!“ Leif war traurig, aber noch viel zorniger, als sein Benz-Cabrio nach einer weiteren sinnlos vervögelten Nacht über die Autobahn in Richtung Hamburg rauschte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz räkelte sich der Cowboy zufrieden im Ledersitz. „Mach mal halblang, Alter, war doch gar kein übler Fick.“ (Midleifcrisis: Als meine Frau mich hinauswarf und ich mit 117 anderen schlief, Leif Lasse Andersson).

Die Polizei von Niceville brauchte nicht einmal eine Stunde, um die Person zu finden, die den Jungen zuletzt gesehen hatte: Alf Pennington. Sein Antiquariat lag an der North Gwinnett, nicht weit von der Kreuzung Kingsbane Walk, auf dem normalen Schulweg des Jungen, der Rainey Teague hieß. (Niceville, Carsten Stroud)

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Hier noch die ersten Sätze aus Lieblingsbüchern von mir:

Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann in einem Kino verletzt hatte. Es war kurz nachdem die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten, und die Leute waren tolerant gegen Soldaten, weil plötzlich jeder Soldat war, aber Jenny Fields blieb fest in ihrer Intoleranz gegen das Benehmen von Männern im allgemeinen und Soldaten im besonderen. (Garp und wie er die Welt sah, John Irving).

Louis Creed, der als Dreijähriger seinen Vater verloren und seinen Großvater nie gekannt hatte, wäre niemals auf den Gedanken gekommen, in seinen mittleren Jahren einen Vater zu finden; aber genau das geschah – auch wenn er diesen Mann seinen Freund nannte, was ein Erwachsener im allgemeinen tun muß, wenn er den Mann, der eigentlich sein Vater sein sollte, relativ spät im Leben trifft. (Friedhof der Kuscheltiere, Stephen King).

Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf“ nannten. (Der Steppenwolf, Hermann Hesse).

Eines Abends, ungefähr fünf Jahre nach Bettys Tod, da dachte ich, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Und darauf war ich nun weiß Gott nicht gefaßt. (Verraten und verkauft, Philippe Dijan).

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Und hier noch die ersten Sätze aus meinen Romanen:

Der Eingriff war ohne Komplikationen verlaufen. Als Tanja aus der Narkose erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Um sie herum war Dunkelheit. Sie versuchte, sich aufzusetzen. Den Schmerz, den diese langsame Bewegung auslöste, nahm sie im ersten Moment nur undeutlich wahr, fast so, als wäre dies nicht ihr Schmerz. (Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe Tod und Teufel, Ralf Boscher).

Den ersten Brief, den ich erhielt, empfand ich nicht als beunruhigend. Er war an die Anschrift meiner Eltern adressiert. Kein Absender. Nur die Adresse, darüber mein Name in dicken, schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Briefumschlag. (Abschied ist ein scharfes Schwert. Mordsroman, Ralf Boscher)

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Autor? Keine Ahnung. Buchtitel? Irgendwas mit 100 und Fenster… Kindle und die Folgen

Kindle und die Folgen... Das Ende des Buches?

Kindle und die Folgen… Das Ende des Buches?


Welches Buch liest Du gerade? Dies fragte ich eine Arbeitskollegin, die mit ihrem Kindle in der Mittagssonne saß und die Pause genoss. Oh, weiß gar nicht. Aber es gefällt mir. Ich bohrte nach. Autor? Keine Ahnung. Der Titel ist irgendwas mit 100 und Fenster. War eine Empfehlung bei Amazon. Kurz angelesen, Leseprobe gefallen, heruntergeladen. Sie, die ihre Brötchen als Grafikerin verdient, konnte sich noch nicht einmal an das Cover erinnern.

Das war bei gedruckten Büchern anders, wie ich mich erinnere und sie bestätigt dies. Früher hätte sie immer gewusst, aus wessen Feder das Buch mit dem Titel „So und so“ stammt – und an die Cover hätte sie sich natürlich auch erinnern können. Aber da hätte sie ja auch immer, wenn sie das Buch zugeklappt oder zur Hand genommen hat, den Titel vor Augen gehabt. Aber seitdem sie fast alles auf dem Kindle liest, verschwinden Autor und Titel schnell hinter den vorwärts gescrollten Seiten.

Was bedeutet das, so frage ich mich, für das Buch, für den Autor? Habe ich hier vielleicht in der Mittagspause auf meiner Arbeitsstelle das viel beschworene Ende des Buches erlebt?

Ich bohrte weiter. Meine Kollegin konnte mir lebhaft von dem Text erzählen, den sie bereits gelesen hatte. Auch das zuvor gelesene eBook hatte sie präsent. Nur eben nicht den Autor, nicht den Titel, nicht das Cover.

Ist das eine persönliche Eigenart von ihr oder ist dies symptomatisch für die Leseerfahrungen mit einem eBook? Gesetzt es wäre Letzteres, so scheint das, was vom Buch übrig bleibt, jenes Gebilde zu sein, das in der in der guten alten Zeit zwischen den Buchdeckeln lag: der Text. Oder genauer: es bleibt der Text ohne Titelei und ohne Impressum.

Es bleibt also die Geschichte, die erzählt wird.

Was fehlt, ist der Rahmen: Im materiellen Sinne die Buchdeckel, bei einem gebundenen Buch der Umschlag. Die vorangestellten Papierseiten mit Autor, bibliographischen Angaben, dem Verlagsnamen… Im ideellen Sinne der Interpretationsrahmen, den Cover mit Titel, gegebenenfalls Untertitel, der Autorennamen, der Verlag vorgeben: Denn ein Cover schürt Erwartungen, gibt eine Leserichtung vor, genauso wie ein Autorenname, ein Verlag, dies können: Steht Stephen King oder Walser auf dem Cover? Ist Bastei Lübbe oder Surkamp der Verlag?

Namen lenken Leser.

Wenn also der Rahmen fehlt, haben wir kein Buch mehr vor uns? Liest der Leser den reinen Text, liest er dann keine Bücher mehr? Oder anders gefragt: Braucht der Leser diesen Rahmen, um richtig lesen zu können? Oder noch anders gefragt: Reagieren viele etablierte Autoren und Verlage deswegen so allergisch auf eBooks, weil sich der Leser von den vorgegebenen Interpretationsrahmen emanzipiert? Das Ende des Buches…

Das Ende des Buches?

Was macht ein Buch zum Buch?

Ich würde sagen: Erstens jemand, der einen Text in der Absicht schreibt, diesen Text über einen intimen Rahmen hinaus zu veröffentlichen. Zweitens ein Leser, der diesen Text nicht aus intimen Gründen nach Veröffentlichung liest. Gehört noch mehr dazu? Seitenanzahl? Anspruch? Rechtschreibung? Genre? Eine Instanz, die sagt: Ja, dieses Buch ist wert veröffentlicht zu werden? Eine Instanz, die sagt: Ja, dieses Buch ist es wert, gelesen zu werden? Braucht ein Buch einen Rahmen? Einen Autornamen, einen Buchdeckel, einen Umschlag, ein Cover, einen Verlag?

Ich würde sagen nein. Ist der formlose Ausdruck eines Manuskriptes, das von Hand zu Hand gereicht wird, kein Buch, weil es nicht gebunden ist? Sind Texte, die aus Furcht vor Verfolgung anonym an Leser weitergegeben werden, keine Bücher?

Es sind also drei Elemente, die ein Buch ausmachen: Ein Verfasser, eine Veröffentlichung, ein Leser.

Ein Buch brauchte, um veröffentlicht zu werden, noch nie einen Verlag – nur den Ehrgeiz des Verfassers, gelesen zu werden. Ein Buch braucht keinen Autorennamen, dies beweisen anonym verfasste Bücher. Ein Buch ist eine Geschichte, die jemand erzählenswert fand, eine Geschichte, die öffentlich verfügbar ist, und ein Leser, der diese Geschichte lesen möchte. Ja, ein Buch ist sogar ein Buch, wenn reale Leser fehlen – selbst ein imaginärer Leser, für den ein Text geschaffen wird, lässt ein Buch entstehen.

Zerstören eBooks diese Trinität und bedeuten das Ende des Buches?

EBooks haben einen Verfasser. Liegen die Dateien zum Herunterladen vor, so sind sie veröffentlicht. Und wurden diese Dateien zum Download bereit gestellt, so gibt es zumindest den imaginären Leser. Folglich ein Buch.

Warum also „Ende des Buches?“ Warum also zerstören Kindle und Co. unsere Lesekultur?

Weil es nicht um das Ende des Buches geht, sondern um das Ende des guten Buches. Oder genauer: Um die Frage, wer die Macht hat, zu bestimmen, was ein gutes Buch ist. Kurz: es geht wieder einmal um nichts anderes als um den Kanon.

Aber warum redet niemand über Kanon, die Macht über die Leser, oder über die Sorge, dass Leser nicht das Richtige lesen?

Sieht man sich die neueren Äußerungen zum Kulturverfall aufgrund von eBooks (und hier steht vor allem Amazon und seine KDP Praxis am Pranger) an, so geht es interessanter Weise vor allem um eines: die verloren gegangene Haptik. Der Geruch der Bücher, der fehlt. Die Gebrauchsspuren der gelesenen Bücher. Im Text verankerte Argumente, wie jenes, dass durch das Lesen von eBooks liebgewordene Figuren aus den Geschichten verloren gehen, sind sicherlich nicht ernst gemeint: Den ob als gebundenes Buch, Originalmanuskript des Autors auf Schmierpapier, Taschenbuch oder eBook – die Figur in der Geschichte bleibt sich gleich. Und warum sollte ich einen Charakter, der mittels Buchstaben zum Leben erweckt wird, weniger eindrucksvoll finden, wenn die Buchstaben auf einem Bildschirm zu sehen sind und nicht auf Papier? Ein Buch kann ich auf einem Kindle (oder Tolino oder oder…) genauso gut unter der Bettdecke, auf dem Sofa, auf dem Lieblingssessel lesen wie ein Taschenbuch. Wenn wenigstens in der Diskussion das Argument der Badewanne Erwähnung finden würde… etwa der Gedanke, die Sorge, dass das elektrische Gerät durch das Wasser, vielleicht nur den Wasserdampf, geschädigt wird, hält einen vom genussvollen, intensiven Lesen ab…

Also Haptik. Ein Buch ist ein Buch, wenn es sich nach einem Buch anfühlt. Wurde es öfter gelesen, muss es riechen. Lag es in der Sonne, muss es vergilbt sein. Las ich es am Küchentisch, so dokumentieren die Kaffeeflecken sein Buchsein.

Das kann ein eBook-Reader natürlich nicht bieten. Gleichwohl wage ich zu behaupten: Es ist nicht die Haptik, die aufgrund der neuen Lesegerättechnik verloren geht. Diese Veränderung der Haptik gab es schon immer. Ein von Mönchen abgeschriebener Foliant hatte eine andere Haptik als ein Buch, das durch Gutenbergs Druckmaschine entstand. Ein in Leder gebundenes Buch eine andere Haptik als ein in Pappe eingebundenes Hardcover, dieses eine andere als ein Taschenbuch. Auch Kindle oder ein Tolino haben ihre Haptik.

Es ist nicht die Haptik, auch wenn es gerne als Hauptargument herangezogen wird, die das eBook manchen Autoren und Verlagen so bekämpfenswert erscheinen lässt. Es ist auch nicht die Marktmacht von Amazon, der Monopolkapitalismus, welche den wirklichen Angriffspunkt bilden.

Kindle und die Folgen?

Es ist der Verlust des Rahmens, der beunruhigt.

In eBooks fehlt der physische Buchdeckel, der jedes Buch vom anderen abgegrenzt hat: Das kleine schwarze Gerät mit Bildschirm löst den Buchdeckel ab. Da beim Wiederaufruf des gerade gelesenen Buches nicht der Titel erscheint, sondern die zuletzt gelesene Seite, verlieren Autorenname und Verlagsname, die Titelei, an Bedeutung. Und damit schwindet die Macht der hergebrachten Instanzen zu sagen, was lesenswert ist.

Die erzählte Geschichte steht also wesentlich mehr für sich selbst als zuvor. Was manche Autoren und Verlage beunruhigt, ist: Die Beziehung zwischen Verfasser und Leser wird enger, ohne dass eine kritische Instanz vermittelt. Oder genauer: Die Beziehung zwischen Text und Leser wird enger, ohne dass die vermittelnde Hand zur Seite steht.

Brauchen Leser diese kritische Instanz? Brauchen Leser eine Hand, die sie leitet und zu der richtigen Literatur führt?

Eine Geschichte gefällt oder nicht. Eine Geschichte gefällt nicht, regt aber zum Nachdenken an. Ein Text beeindruckt – und der Leser befasst sich mehr mit ihm. Ein Text lässt mich kalt.

Kann es sein, dass Autoren und Verlage, die gegen eBooks wettern, ihren Geschichten nicht trauen? Den Lesern nicht trauen?

Kanon versus Kindle? Elite versus eBook?

Wie auch immer. Was zählt ist die Geschichte, die fesselt. Die Figuren, die im Gedächtnis bleiben. Und was im Gedächtnis von vielen Lesern bleibt, dies wird den Kanon bestimmen. Egal ob auf einem eBook Reader gelesen oder als Taschenbuch oder gebundenes Buch. Egal ob Verlagsprodukt oder Indie-Gewächs. Was bleibt, ist was den Leser das Lesegerät vergessen lässt, was ihn ganz in die Geschichte eintauchen lässt. Was mit dem Ende der Geschichte kein Ende findet.

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