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Mit viel Pommes weiß rot… eine Familiengeschichte: „An einem Sonntag im Hallenbad“

Ralf Boscher -Pommes
An einem Sonntag im Hallenbad

1. Der sechsjährige Jan rutschte vor Aufregung auf dem Rücksitz hin und her, der betagte, aber tüchtige VW-Käfer vibrierte unter seinem schmächtigen Hintern, als sie über den Hügel nach Rheurdt hineinfuhren. Hui, machte Jan, den Fahrtwind imitierend, als sein Vater den Käfer den Hügel hinabrollen ließ und dieser bergab Geschwindigkeit aufnahm. Jetzt nach rechts abbiegen. Jan kannte die Strecke mittlerweile genau. Seit einigen Wochen fuhren sie jeden Sonntagmorgen hier entlang. Dann noch durch ein paar schmale Straßen, und schließlich lag es am Ende einer langen Geraden vor ihnen: Das Rheurdter Hallenbad. Vater Hoen stellte den Käfer auf einem der letzten freien Plätze auf dem Parkplatz ab. Jan konnte es gar nicht erwarten und krabbelte auf den Beifahrersitz. Dann stiegen sie aus. In der kühlen Herbstluft lag bereits der typische Geruch von Chlor und einer satten Prise Desinfektionsmittel. Jan zog seinen Vater an der Hand zum Hallenbad. Komm! Schwimmen!

Den Sommer zuvor hatte sein Vater es ihm beigebracht, Jan hatte schnell gelernt und schon nach ein paar Wochen auf die Schwimmflügel verzichten können, und seitdem fieberte Jan den Sonntagen entgegen, um sein neu erworbenes Können unter Beweis zu stellen. Vielleicht dürfte er heute wieder ins Erwachsenenbecken? Die Woche zuvor war er neben seinem Vater einige Meter im tiefen Schwimmerbecken geschwommen. Es war zwar ein merkwürdiges Gefühl gewesen, keinen Boden zu fühlen, wenn er seine Füße ausstreckte. Er hatte den Boden noch nicht einmal richtig sehen können, so tief war das Becken. Er hatte ein wenig Schiss gehabt. Aber das hätte er nie zugegeben. Dafür hatte er sich viel zu erwachsen gefühlt, in dem großen Becken. Erwachsene haben schließlich keinen Schiss. Außer seine Mama. Die fürchtete sich vor Wasser. Die war aber auch ein Mädchen, das zählte also nicht. Jan war mutig ins tiefe Wasser gestiegen und geschwommen. Allerdings war er heilfroh gewesen, dass sein Vater neben ihm schwamm und aufpasste. Aber auch das hätte er nicht zugegeben. Schließlich war ein großer Junge, und die brauchten keinen Aufpasser. Außerdem war der Beckenrand nur eine Armlänge entfernt gewesen…

Sie betraten das Gebäude. Vater Hoen bezahlte, und sie gingen in die Umkleidekabine. Jan wollte einen eigenen Spind, denn dann würde er einen eigenen Schlüssel haben, den er sich um das Handgelenk binden konnte. Genauso wie es alle großen Jungs machten. Vater Hoen gab ihm lächelnd einen Euro für das Spindschloss. Jan war so aufgeregt, dass er seine Anziehsachen einfach in den Spind hineinwarf, ohne sie an die dafür vorgesehenen Haken zu hängen. Er schaffte es kaum, vernünftig in seine Badehose zu schlüpfen, denn in Gedanken war er schon im Wasser. Das Schlüsselband um sein dünnes Handgelenk zu schließen, war auch nicht so einfach. Natürlich lehnte er das Angebot seines Vaters, ihm dabei zu helfen, empört ab. Dann war es geschafft, sie stellten sich kurz unter die Dusche und betraten die Schwimmhalle.

2. Es war ganz schön etwas los. Die beiden Becken, das Schwimmer- und das Kinderbecken, wimmelten nur so von Köpfen und im Wasser rudernden Armen. Kindergeschrei übertönte die Musik, die aus den Lautsprechern in der Decke herabrieselte. Die Trillerpfeife des Bademeisters schrillte, als ein paar größere Jungs vom Beckenrand ins Wasser sprangen. Papa Hoen summte vor sich hin, als sie zu den orangefarbenen Sitzen über den Heizungsrohren gingen, die unterhalb der beschlagenen Glasfront der Halle angebracht waren, um ihre Handtücher abzulegen. Immer wieder Sonntags kommt die Erinnerung… Trotz der enormen Geräuschkulisse hatte er den Schlager erkannt, den der Radiosender in diesem Moment spielte. Dann standen Vater und Sohn, beide die Hände in die Hüften gestützt und ihre vom Umfang so unterschiedlichen Bäuche unbewusst vorgereckt, auf dem schmalen Gang, der Schwimmer- vom Kinderbecken trennte. Was meinste, sollen wir es wieder versuchen?, fragte Vater Hoen und nickte zum Schwimmerbecken hinunter. Klar!, antwortete Jan, aber ihm war doch ein wenig mulmig zumute. Im Becken tummelten sich die Schwimmer, das Wasser war aufgewühlt und nicht so ruhig wie beim ersten Mal, als er dort geschwommen war. Ob er überhaupt genug Platz haben würde? Würde ihn auch niemand übersehen und einfach über den Haufen schwimmen?

Aber seine Besorgnis war unbegründet. Während er langsam und mit größter Konzentration am Rand entlang schwamm, einatmen, ausatmen, die Hände zusammen und dann in langer Bewegung das Wasser nach hinten drücken, genauso wie es ihm sein Vater gezeigt hatte, schirmte der mit seinem Körper alle anderen Schwimmer von seinem Sohn ab. Vater Hoen trat neben Jan Wasser, sodass niemand seinen Versuch, sich im Brustschwimmen zu üben, stören konnte. Nur einmal sprangen zwei der größeren Jungs vom Beckenrand einfach über die beiden hinweg und eine größere Welle schwappte Jan ins Gesicht. Er erschrak und verschluckte sich so arg, dass er sich hustend am Beckenrand festhalten musste. Als aber der erste Schrecken vorbei war, ging es auch schon weiter. Einatmen, ausatmen… Toll machst Du das!, lobte Papa Hoen ihn, und Jan freute sich so über das Lob, dass er einen Augenblick unkonzentriert war und wieder Wasser schluckte. Gut, dass er Weißbrot gefrühstückt hatte, das saugte das ganze Wasser in seinem Magen auf und sorgte dafür, dass es nicht so rumgluckste.

3. Nach einer Weile aber waren Jans dünne Arme ein wenig schlapp, und er brauchte eine Pause. Er hätte dies nicht zugegeben. Aber er war froh, als sein Vater meinte, es sei genug für heute, Jan solle doch noch ein wenig im Kinderbecken rumplanschen und er würde ein paar Bahnen schwimmen. Jan kletterte die Leiter hinauf und setzte sich einen Moment auf einen der warmen Sitze über der Heizung. Er sah seinem Vater zu, wie jener durch das Becken kraulte. Das werd‘ ich auch bald können!, dachte er träumend und rieb sich seine chlorroten Augen. Du siehst ja aus wie ein Kaninchen!, sagte seine Mutter immer, wenn sie vom Schwimmen nach Hause kamen.

Jan setzte sich dann auf die Stufen, die auf ganzer Front in das Kinderbecken hineinführten. Das Wasser reichte ihm gerade bis zu den Hüften, und es war wärmer als das im Erwachsenenbecken. Das war angenehm, Jan erzeugte kleine Fontänen, indem er seine Hände wie zum Gebet verschränkte und dann mit einem Ruck ins Wasser drückte, sodass ein schmaler Strahl aus der Lücke zwischen Daumen der einen und Zeigefinger der anderen Hand hervorspritzte. Das Becken hatte sich mittlerweile beträchtlich geleert, die meisten Kinder waren mit ihren Eltern nach Hause gefahren, es war Mittagessenzeit. Jan beobachtete die zwei verbliebenen Kinder bei ihren Schwimmversuchen. Du wirst es doch wohl schaffen, den Kopf über Wasser zu halten!, brüllte der eine Vater seinen Sohn beinahe an, der jedes Mal, wenn sein Vater ihn losließ, prustend unterging. Vater Hoen hatte seinen Sohn nie angebrüllt. Jan war froh, er glaubte nicht, dass Schwimmen ihm Spaß machen würde, wenn er es so hätte lernen müssen. Das andere, wesentlich jüngere Kind planschte, getragen von Schwimmflügeln, im Wasser herum, während seine Mutter, gerade einmal bis zu den Knie im Wasser, kopfschüttelnd danebenstand und diesen ungeduldigen Vater beobachtete. Als dieser Junge wieder einmal mit hochrotem Kopf und Wasser spuckend an die Oberfläche kam – Jan musste grinsen, es sah doch ein wenig ulkig aus – stand Jan von den Stufen auf und ließ sich auf dem Rücken liegend zum tiefsten Punkt des Kinderbeckens treiben, der unterhalb jenes schmalen Ganges lag, an dem Kinder- und Schwimmerbecken zusammentrafen. Selbst hier reichte ihm das Wasser nur knapp bis über den Bauchnabel, wenn er sich hinstellte. Während die Mutter und ihr Kind das Becken verließen, hielt Jan sich auf dem Rücken liegend am Beckenrand fest und tauchte, während er mit seinen Beinen knapp unterhalb der Wasseroberfläche Fahrrad fuhr, bis zu seinen Ohren unter.

Mit den Ohren unter Wasser fühlte sich Jan, als wäre er in einer anderen Welt. Ein angenehmes Rauschen dämpfte die Ermahnungen dieses unangenehmen Vaters, die Trillerpfeife des Bademeisters hörte sich an, als puste jemand durch Watte. Jan glaubte die Maschinen zu hören, die das Wasser der Schwimmbecken umwälzten. Aber vielleicht war dieses leise Pochen auch nur sein eigener Puls, der in seinen Ohren wiederklang. Er blickte zur Decke empor, die – so hellblau wie sie war – ihm das Gefühl gab, unter Wasser zu sein. Ich kann unter Wasser atmen!, dachte Jan grinsend, Ich bin der Aqua-man! In diesem Augenblick sprangen zwei der älteren Jungen über ihn hinweg ins Kinderbecken hinein, vor Schreck ließ Jan die Kante des Beckens los und sein Kopf sank unter Wasser. Dieses Mal schaffte er es, die Luft anzuhalten und kein Wasser zu schlucken. Ein paar Mal ruderte er mit seinen Armen, um zu schwimmen und aufzutauchen, dann fiel ihm ein, wo er sich befand und setzte seine Füße auf den Boden und stellte sich hin. Einen ordentlichen Schwung Wasser schluckte er, als er sich aufrichtete und Luft holen wollte, denn einer der beiden Jungen spritzte ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht. Treffer!, rief der Junge lachend und schlug noch einmal mit der flachen Hand so auf die Wasseroberfläche, dass ein breiter Strahl sich über Jan ergoss. Der drehte sich dieses Mal aber rechtzeitig zur Seite, sodass das Wasser nicht sein Gesicht traf. Dieses traf dann aber der andere Junge, der ihm von der anderen Seite mit beiden Händen Wasser ins Gesicht schaufelte. Jan rieb sich seine Augen, die vom Chlor im Wasser ein wenig brannten und tränten. Oh, muss der Kleine weinen!, spottete der eine Junge, der andere sagte: Wohl ein wenig wasserscheu! Nein!, gab Jan trotzig zurück, bin nicht wasser… Wasserscheu hatte er sagen wollen, aber dieses Mal bekam er von beiden Jungs eine Ladung Wasser ab und verschluckte sich. Er musste husten und rang nach Luft. Dass der eine Junge meinte: Das wollen wir doch mal sehen!, bekam er nur am Rande mit. Plötzlich verlor Jan den Boden unter den Füßen, der Junge hatte ihm die Beine weggezogen, und ging unter Wasser. Das ging so schnell, dass Jan gleich noch einmal Wasser schluckte. Er versuchte sich aufzurichten und den Kopf aus dem Wasser zu bekommen, aber da waren auch schon beide Jungen über ihm und drückten ihn unter Wasser.

Jan schlug und trat um sich, versuchte von den Jungs weg- und seinen Kopf aus dem Wasser herauszubekommen, aber die waren viel stärker als er und außerdem zu zweit. Jan hatte keine Angst, noch nicht, er war wütend. Er hörte sie lachen. Zwei gegen einen, die feigen Schweine! Dann konnte er sich für einen Moment losmachen und kam japsend an die Oberfläche. Als er Luft holte, sah er, dass das Gesicht des einen Jungen vor Schmerz verzehrt war. Jan hatte es gar nicht mitbekommen, aber bei seinem Versuch, sich zu befreien, hatte er den Jungen dorthin getreten, wo es richtig wehtut. Kaum dass er ein wenig Atem geschöpft hatte, stürzte sich auch schon der andere Junge wieder auf ihn. Er sprang aus dem Wasser heraus und auf Jan, drückte ihn mit dem ganzen Gewicht seines zehnjährigen Körpers unter Wasser. Dieses Mal hielt Jan die Luft an und schaffte es, seitlich von dem Jungen wegzugleiten und wieder an die Oberfläche zu kommen. Genau vor dem Jungen, den er getreten hatte, kam er hoch. Der Schmerz auf dessen Gesicht war Wut gewichen, und mit dieser Wut im Bauch krallte er seine Hände in Jans Haar und drückte seinen Kopf unter Wasser. Jan zappelte wie ein Fisch an der Angel, und in diesen Momenten gesellte sich Angst zu seiner Wut. Was ihn ängstigte, war weniger, dass die Luft in seinen Lungen knapp wurde, sondern mehr der wütende Gesichtsausdruck des Jungen. Für einen kurzen Moment des Atemholens kam Jan hoch. Er hörte diesen Vater zu seinem Sohn sagen: Siehst du, das kommt davon, wenn Du den Kopf nicht über Wasser hältst! Plötzlich wurden seine Beine festgehalten. Der eine Junge klemmte sie sich lachend unter den Arm. Jan hatte nun keine Möglichkeit mehr, sich hinzustellen. Er versuchte, den Griff zu lösen, drehte und wendete sich. Zwecklos. Lachend presste der Junge Jans Beine an sich und hielt sie knapp über der Wasseroberfläche. Der andere Junge drückte Jans Kopf unter Wasser, und der lachte nicht. Dieses kleine Detail war es, mit dem die Panik in Jan hochzusteigen begann. Er ruderte mit seinen Armen, versuchte, den Jungen zu packen und von sich wegzudrücken. Jan drehte seinen Kopf hin und her, aber der Junge ließ nicht los. Die Luft wurde knapp. Die Panik war da. Das Rauschen des Wassers hatte nun nichts Angenehmes mehr an sich, das Pochen seines Herzschlages in seinem Ohren wurde immer lauter. Plötzlich wusste Jan, dass er ertrinken würde, wenn es ihm nicht gelang, sich zu befreien. Verzweifelt stemmte sich Jan gegen die Hände, die ihn unter Wasser drückten. Und für einen kurzen Augenblick schaffte Jan es tatsächlich, den Kopf aus dem Wasser zu bekommen, für einen kurzen, brennenden Atemzug, den er dafür nutzte, um Hilfe zu rufen. Papa!, vier helle Buchstaben, die sich nach Unterstützung flehend in die Luft erhoben. Jan schluckte erneut Wasser, als der eine Junge kräftig an seinen Beinen zog und er wieder unter Wasser ging. In diesem Moment erreichte sein Hilferuf das Ohr des Bademeisters, der aus seiner Kabine, mit der großen Glasfront zum Schwimmbad hin, trat. Jan unterdessen wurde schwarz vor Augen, er hatte das Wasser in die Luftröhre bekommen und hustete unter Wasser, schnappte in Todesangst nach Luft, aber da war nur Wasser. Von weit her hörte er den einen Jungen lachen, von noch weiter her schrillte die Trillerpfeife des Bademeisters, kaum zu hören, weil sein Herzschlag in seinen Ohren pochte, und immer lauter und schneller pochte, wie Trommeln schließlich dröhnte.

4. In diesem Moment kam Vater Hoen von der Toilette. Er war ein paar Bahnen geschwommen, hatte dann nach seinem Sohn im Kinderbecken geschaut, der auf dem Rücken liegend am Beckenrand Fahrrad fuhr und lächelnd zur Decke starrte, und war dann kurz auf die Toilette gegangen. Als er ins Schwimmbad zurückkam, schrillte die Pfeife des Bademeisters, der zum Kinderbecken hinübersah. Sofort schrillten bei Vater Hoen die Alarmglocken. Über den gute zwanzig Meter entfernten Rand des Kinderbeckens hinweg konnte er die Köpfe zweier älterer Jungen, nicht aber Jan sehen. Er machte einen, dann einen zweiten Schritt, dann schrie er entsetzt auf und begann zu rennen.

Jan unterdessen hörte auf, sich zu wehren. Er war in einer Woge dunklen Dröhnens gefangen und rührte sich nicht mehr. Dann begann sich sein Herzschlag aus seinen Ohren zurückzuziehen, das Dröhnen wurde leiser, und es wurde langsamer. Die gesamte Welt erschien Jan langsamer zu werden, das Lachen des einen Jungen, der immer noch seine Beine festhielt, wurde zu einer dumpfen Folge lang gezogener Vokale, herabgestimmt auch das Schrillen der Trillerpfeife, für Jan klang es wie das langsame Entweichen von Luft aus einem Reifen. Jan fühlte sich plötzlich sehr schwer, sein ganzer Körper schien sich mit Blei anzufüllen, und dieses Gefühl war noch nicht einmal unangenehm. Jan spürte, wie mit zunehmender Schwere seine Angst weniger wurde. J-A-N! Einzeln kämpften sich die Buchstaben seines Namens durch die Wand aus Blei, die sich zwischen Jan und die Welt senkte. Er verstand kaum noch ihren Sinn, und doch klangen sie vertraut, und so streckte er ihnen mit letzter Kraft eine Hand entgegen. Die Finger seiner schmalen Hand streckten und schlossen sich. Streckten und schlossen sich.

In diesem Moment sprang Vater Hoen ins Wasser. Er hielt sich nicht lange mit Reden auf, sondern fegte den Jungen, der blöde lachend die Beine seines Sohnes festhielt, mit einer Armbewegung zur Seite. Der andere Junge bekam eine solche Ohrfeige, dass es ihn seitwärts ins Wasser schmiss. Zügig, aber behutsam hob er dann seinen Sohn aus dem Wasser.

Plötzlich fiel alles Schwere von Jan ab, er fühlte sich federleicht, und einen Moment lang glaubte er, zu fliegen. Den blauen Himmel sah er über sich, so nah, als könne er ihn berühren.

JAN!, Vater Hoen hielt seinen reglosen Sohn im Arm und rief nach ihm, einen grauenhaften Augenblick lang hielt er Jan für tot, Ich bin zu spät gekommen!, explodierte der Gedanke in seinem Herzen. Einen grauenhaften Augenblick lang fühlte er sich vollkommen hilflos, eine schreckliche, ewige Sekunde lang. Doch bereits einen Herzschlag später organisierte sich der Widerstand in ihm. Niemals!, schrie jede seiner Fasern, Das lasse ich nicht zu! Gerade in dem Moment, als Papa Hoen seinen Mund auf die Lippen seines Sohnes pressen wollte, um ihm seinen Atem zu geben, bewegte sich Jan. Sein dünner Arm zuckte empor, seine Finger streckten und schlossen sich, verkrallten sich im Bart seines Vaters, gleichzeitig hustete er und spuckte seinem Vater einen Schwall Wasser auf die behaarte Brust. Vater Hoen traten Tränen in die Augen. Papa, Du weinst ja! Dies waren Jans erste Worte. Vater Hoen schniefte einmal und drückte seinen Sohn erleichtert an sich. Das liegt daran, sagte er, dass Du noch immer an meinem Bart ziehst! Das ziept ganz schön!

Jan ließ den Bart seines Papas los und schlang seine Arme um seines Vaters Hals. Nun war wieder alles gut. Er füllte seine Lungen mit Luft. Da hast Du uns aber einen mächtigen Schrecken eingejagt!, ließ sich der Bademeister vernehmen, der verlegen und scheinbar um Jahre gealtert danebenstand, war er sich doch bewusst, viel zu spät reagiert zu haben. Jan war zwar noch ein wenig wacklig auf den Beinen, aber dennoch wollte er wieder auf eigenen Füßen stehen. Sein Vater setzte ihn ab. Nur Flausen im Kopf, die Blagen von heute!, mischte sich dieser Vater ein, der die ganze Zeit tatenlos zugesehen hatte, Wenn das meine wären, denen würde ich aber den Hosenboden strammziehen!

Vater Hoen verließ wortlos Hand in Hand mit seinem Sohn das Becken und ging, während der Bademeister den beiden Jungen die Leviten las, denen jetzt erst klar wurde, was sie getan und beinahe verschuldet hatten, mit Jan zu den Handtüchern, die auf den orangefarbenen Sitzen lagen. Setz Dich für einen Moment hin und wärm‘ Dich ´was auf!, sagte er zu Jan und strich ihm lächelnd über den Kopf, dann wurde er ernst: Und trockne Dich schon mal ab! Ich hab‘ noch ´was zu erledigen.

Während Jan sich mit seinem Handtuch die Haare trocken rubbelte, ging sein Papa zu diesem bereits wieder mit seinem Sohn schimpfenden Vater hinüber. Vater Hoen machte nicht viele Worte. Mein Junge geht fast ´drauf, und sie stehen dumm wie Schifferscheiße daneben! Dümmlich grinsend zuckte der Mann mit den Schultern, dann klappte er stöhnend um seine Körpermitte zusammen.

Etwas später ließen Vater und Sohn das Rheurdter Hallenbad hinter sich. Bis nächste Woche!, rief Jan zu dem Gebäude hinüber. Das hatten sie bereits in der Umkleidekabine abgemacht. Zeigst Du mir nächste Woche, wie man krault?, hatte Jan beim Ankleiden gefragt, Brustschwimmen und tauchen kann ich ja schon. Dann hatten sie gelacht. Ich hab‘ Hunger!, meinte Jan, als sie in den Käfer einstiegen. Mal schauen, was Mama uns heute zaubert!, antwortete Vater Hoen und rieb sich schnell über die Augen. Er war unsagbar glücklich, dass alles so gut ausgegangen war. Dieses Mal sah Jan nicht die Tränen in den Augen seines Vaters, er malte etwas auf das beschlagene Seitenfenster, dass ein halbes Hähnchen darstellen sollte. Ein halbes Hähnchen hätte ich am liebsten!, meinte er verträumt. An das schlimme Erlebnis dachte er schon nicht mehr. Mit viel Pommes weiß rot! Vater Hoen lachte. Ja, mit einem ganzen Berg Pommes rot weiß!

Ungekürzte Kurzgeschichte „An einem Sonntag im Hallenbad“ aus meinem Buch „Pommes weiß rot, Papagei und Tod. Familiengeschichten.

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Winzkriecher – Deleted Scene aus „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“

Winzkriecher - eine Urlaubsgeschichte
Winzkriecher

Nackt setzte er sich auf die kalte Klobrille, stützte seine Hände auf seine Oberschenkel und betrachtete sich in dieser Pose lange in dem Spiegel, den er vor geraumer Zeit direkt davor an die Wand geschraubt hatte. Stolz tastete er mit den Augen seinen flachen, muskulösen Bauch ab, dem man das gerade verzehrte üppige Mahl nicht ansah. Dann spannte er seine Brustmuskulatur ein wenig an, und darüber vergaß er fast seinen Stuhlgang. Aber auch nur fast. Schließlich ließ er von seinen Betrachtungen ab und konzentrierte sich auf die Kontraktion der Enddarmmuskulatur und die Erschlaffung seines Schließmuskels bei gleichzeitiger Betätigung der Bauchpresse: neben schweißtreibendem Training und gutem Essen gehörte eben auch ausgiebiger, gesunder Stuhlgang zu einem gelungenen Tag.

Mit Grausen dachte er an die Erlebnisse seiner bisher einzigen Urlaubsreise zurück. Dabei hatte er sich damals noch nicht einmal weit von der Heimat entfernt: Frankreich. Aber wenn diese wenigen hundert Kilometer schon genügten, ihm eine seiner Lebensgrundlagen quasi unter dem Hintern wegzuziehen, dann war dieses eine Mal bereits viel zu weit gewesen.

Die erste französische Toilette hatte er zunächst erleichtert registriert, war sie doch an der Nationalstraße, auf der er fuhr, überhaupt vorhanden. Dann jedoch ‑ er hatte mit vorsorglich mitgebrachtem Toilettenpapier in der Hand die Klotür geöffnet ‑ hatte ihn der Ekel angefasst. Aber schließlich, da seinem Körper die bloße Ausscheidung seiner Abfallprodukte wichtiger gewesen war als zivilisierter Stuhlgang, hatte er vor diesem Hock‑ und Plumpsklo resigniert. Bück’ dich und scheiß’ dir auf die Hacken! hatte er zu sich selbst gemeint, geradeso als wäre nicht er es, der sich hier bücken und auf die Hacken scheißen würde.

Natürlich war es ein Vorurteil in Bezug auf diese spezielle Art einer Toilette gewesen. Schnell hatte er die richtige Technik herausgefunden. Und es dauerte nicht lange, bis er sich nach diesen Hockklos zurücksehnen sollte. Es war in der Bretagne. Er hatte sich von der kleinen, sauberen Pension, in der er ein Zimmer bezogen hatte, entfernt, um die Küste entlang zu fahren. Mitten in so einem Touristen‑Ort ließ sich dann das Bedürfnis nicht mehr weiter zurückhalten. So nahm das Geschehen seinen Lauf, denn das einzige Klo weit und breit war kein Scheiß‑dir‑auf‑die‑Hacken‑Klo, sondern einer jener Orte, an denen Winzkriecher, Bakterien, Mikroteilchen, Fäkalienfresser in Erwartung eines Menschen auf der Kloschüssel Amok liefen.

Diese Toilette war eine Telefonzelle zum Scheißhaus umgebaut, eine ehemalige in zwei Scheißzellen unterteilte Litfasssäule, eine chemische Toilette, und es war noch nicht einmal genug Platz vorhanden, sich vorzubeugen und gebückt stehen zu bleiben ‑ man konnte gar nicht anders, als sich hinzusetzen.

Ein Vorteil der Hock‑ und Plumpsklos war der, dass man quasi in einen Trichter sein Geschäft verrichtete, der in ein kleines Loch mündet. Und wenn die Spülung betätigt war, blieb nur dieses Loch in der weißen Emaille übrig. So klein, so tief unter einem gelegen, dass es die Phantasie kalt ließ. Aber an diesem Tag hatte er ein Loch fast so groß wie sein Hintern unter sich, und darunter war nicht ein Nirwana der Entsorgung. Keinen halben Meter darunter war eine feucht schimmernde, höllisch auch nach Chemie stinkende Masse, ein Hades der menschlichen Ausscheidung. Der Teufel wusste, was für Wesen am Grunde dieser Kloake lebten. Es war ja bekannt, dass man sich vor Angst in die Hosen machen konnte. Ihm aber verkrampfte sich alles. Er saß über der Hölle und konnte sich einfach nicht erleichtern.

Da fiel ihm der Klowandevergreen ein: Ich bin der Geist, der jedem, der zu lange scheißt, von unten in die Eier beißt! Aber in diesen Augenblicken angestrengten Drückens: Bauchpresse! Streng deine Bauchpresse an! fand er diesen alten Witz eigentlich weniger lustig. Warum hatte er sich überhaupt da hingesetzt? Kein Ausweg, das einzige Klo weit und breit. Eine Scheißtouristenfalle ist das, dachte er, und plötzlich in diesen bangen Momenten fielen ihm alle möglichen Gründe für eine Scheißtouristenfalle ein. War das nicht wahr, dass die Franzosen keine Deutschen mochten? Das einzige Klo weit und breit, und er war darauf hereingefallen.

Ich bin der Geist, der Dir in die Eier beißt! Als ob man Klosprüche ernst nehmen konnte. Geist! Du siehst Gespenster, ‑ etwas platschte, platschte unter ihm in die Masse. Er zuckte zusammen. Nur dein eigener Stuhl! beruhigte er sich, nur dein eigener Stuhlgang und kein Geist. Nicht der Geist! redete er sich gut zu und lächelte über seine Überempfindlichkeit: Du siehst Gespenster! Er lachte erleichtert über die endlich erfolgende Ausscheidung und belustigt über seine Unruhe. Ich scheiß‘ Dich tot!, lachte er und dachte doch im selben Atemzug, dass Gespenster unsichtbar sein können, unsichtbar und auch Bakterien sind unsichtbar! und…‑ Ich scheiß‘ dich tot! – tot scheißen lassen sie sich auch nicht…

Mit dem Klopapier, das er dann in diese Hölle hinein warf, ließ er alle Hoffnungen fahren, sich nicht mit irgendwas angesteckt zu haben. Er wusste zwar noch nicht welcher Art der Höllenhund war, welcher ihn an diesem Ort angesprungen hatte, aber als er das Klopapier auf dem Dreck liegen sah, da erschien ihm dies wie ein Grabstein: Weiß der Stein, braun die Inschrift Hier liegt begraben ‑ Mein Frankreichurlaub.

Er hatte sich damals nicht infiziert, was allerdings an seinem Eindruck nichts änderte: zu Hause ist es doch am Besten. Und in diesem Sinn erfreute er sich des gepflegten Stuhlgangs an diesem Abend.

Ende

Ralf Boscher - Engel
Obwohl die Winzkriecher-Szene auf Lesungen mit ihrem speziellen Humor immer sehr gut ankam, habe ich sie nicht in die veröffentlichte Fassung meines Romans „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“ übernommen. „Killing the darlings“, sagte mir damals ein Lektor in Bezug auf die Bearbeitung eines Manuskriptes, löse dich vom Liebgewonnenen und übernehme nur, was für die Geschichte wirklich notwendig ist, und dieses Darling hier sprang aus dramaturgischen Gründen über die Klinge.

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Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes… Erlebnis Bahnfahren

Wenn einer eine Reise unternimmt, dann kann er was erzählen… Nun, ich habe wieder einmal meinen Koffer gepackt und habe eine Bahnreise quer durch Deutschland unternommen. Ob ich etwas anderes zu erzählen habe, als nach meiner letzten Bahnfahrt vergangenen Sommer?

Lok Sept 76
Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes…

„Du fährst mit der Bahn? Auch noch ICE? Na dann viel Spaß ohne Klimaanlage!“ „Über Mainz? Ha, Mainz, wie es singt und alles über das Bahnchaos lacht!“ „Grüße die Merkel von mir, Bahn ist ja jetzt Chefsache, vielleicht stellt sie ja euch persönlich die Weichen!“

HA HA HA! Ich, das Kind eines Lokführers, schmiss mich weg vor Lachen. Hat man einmal als Dreikäsehoch im Führerstand einer mächtigen E-Lok auf dem Sitz des Lokführers sitzen dürfen (natürlich im Betriebswerk, mit nicht laufender Maschine), dann betrachtet man Deutschlands Eisenbahnen wohl nicht mehr wirklich objektiv – selbst wenn man den Kindheitstraum, Lokführer zu werden (und die Tausende PS mal zum Dröhnen zu bringen) nicht verwirklicht. HA HA HA! Also zückte ich unverdrossen meine Kreditkartennummer und buchte 1. Klasse. Ein Schnäppchen, knapp über der 2. Klasse. 700 Kilometer First-Class-Reisen – und dann ließ ich mir übers Internet die Staumeldungen und -prognosen heraus: A81 Unfall, 5 Kilometer Stau, A5 Stau, A8… A61 Prognose rot, Alternativen noch röter. Ha Ha, der Klügere fährt Bahn. Prognose: 6,5 Stunden Fahrtzeit, angenehme Buchlektüre nur unterbrochen durch 2x Umsteigen (mit hoffentlich nahe gelegener Raucherecke an den beiden Bahnhöfen), und sollte ich mir andere Lektüre wünschen: übers WLAN im ICE einlocken und einfach ein neues eBook auf mein Tablett laden. Und also trat ich meine Reise an.

Pünktlich ging es los. Der Zug wurde an meinem Startbahnhof eingesetzt, da kann man dies auch erwarten. Nicht erwartet hatte ich, dass der 1. Klasse Wagen, in dem ich reserviert hatte, nicht an den Zug angehängt worden war. Nun gut, man ist ja flexibel. Es gab genügend freie Plätze – in der 2. Klasse. Aber man ist ja kein Snob. Wobei mir bei der nicht gereinigten Toilette die Augenbraue hoch ging (ein frisch eingesetzter Zug…). Aber das ficht einen alten Bahner, jedenfalls einen männlichen, nicht an. Wenn ich da nur an die ersten Fahrten mit dem frisch eingeführten Wochenendticket denke… 20 Stunden im Regional-Zug, 5x so viele Passagiere wie Sitzplätze, eine halbe Stunde nach Fahrtbeginn waren die Toiletten unbenutzbar. Aber nun fahre ich ja ICE – wobei alles Sagrotan auf der Welt nicht gereicht hätte, mich zum Sitzen zu bewegen (It’s a man’s world).

Aber pünktlich sind wir. Ich erreiche problemlos meinen Anschlusszug – allerdings reicht es nicht für einen Zug aus einer Zigarette. Aber was soll’s. Immerhin bin ich flott unterwegs – wieder in der 2. Klasse. Zwar haben sie dieses Mal den Wagen, in dem ich reserviert habe, nicht vergessen, an den Zug anzuhängen, aber HA HA, ja der Klassiker: „Na dann viel Spaß ohne Klimaanlage!“ Vor gefühlten 50 Grad an meinem reservierten Platz floh ich in die 2. Klasse. Man ist ja kein Snob. Wobei mir bei dem Hinweis des Service-Personals, dass sie in der 2. Klasse keinen Kaffee servieren dürften, die Augenbraue hoch ging. Immerhin war das Zugrestaurant im Wagen nebenan, also las ich bei einer Tasse fast heißen Kaffees in meinem eBook – und ehe ich mich versah: Ende. Ein Krimi. Ein guter Krimi aus einer Reihe. Und freundlicherweise hatte der Autor am Ende seines eBooks einen Link zum nächsten Band seiner Serie eingefügt. Also gleich angeklickt, WLAN im Zug sei Dank. Doch: WLAN im Zug nicht verfügbar. Also back to the roots. Bei kaltem Kaffee aus dem Fenster starren. Aber immerhin waren wir pünktlich unterwegs – Mainz ließen wir ohne Probleme links liegen. Und also stieg ich zur geplanten Zeit zum zweiten Mal um. Da die Raucherecke auf dem Bahnhof in ungefähr 5 Kilometer Entfernung hinter der Bahnhofsmission lag, biss ich die Zähne zusammen. Ein einfaches Unterfangen angesichts jetzt nur noch einer halbstündigen Fahrt.

Zwei Bahnhöfe vor meiner erwarteten Ankunft rief ich meinen Vater an, dass ich fahrplanmäßig unterwegs sei, er könne mich zur erwarteten Zeit am Zielbahnhof abholen. Vielleicht sollte man solche Anrufe unterlassen? Vielleicht gibt es ja einen rachsüchtigen Dämon des Bahnfahrens, der HA HA HA seinen Spaß an unvorhergesehenen Verzögerungen hat. Jedenfalls hieß es 5 Minuten später beim letzten Halt vor meiner Ankunft, dass auf der Strecke unmittelbar hinter dem Bahnhof ein Gleis unterspült worden sei (wobei es seit Tagen nicht geregnet hatte, es geschweige denn sintflutartige Güsse gegeben hatte). Jedenfalls mussten wir – da die Strecke nur noch eingleisig befahrbar sei – auf den Gegenzug warten. Ich rief meinen Vater an (Handys sei Dank), aber der war schon zum Bahnhof gefahren (wie ich von meiner Mutter erfuhr) und hatte sein Handy nicht dabei. Aber nun gut, er ist ein alter Bahner, also wirkte er nach dreiviertelstündiger Verspätung nicht allzu gestresst. Fazit: Etwas über 7 Stunden Fahrt – als ich mir bei einer Zigarette die Stauberichte übers WLAN bei meinen Eltern ansah, musste ich lächeln.

Und lächelnd ging es nach einer schönen Woche auf die Rückreise. Der Zug wurde an meinem Startbahnhof eingesetzt. Wobei er eine Viertelstunde später bereit gestellt wurde… Immerhin gab es kein Problem mit der Klimaanlage. Allerdings hatten sie den Zugteil, in dem sich der von mir reservierte Platz befand, nicht an den Zug gehängt. Statt einem ganzen ICE fuhr nur ein halber. Alle Reservierungen obsolet. Aber: Der frühe Vogel fängt den Wurm – alle später eingestiegenen Fahrgäste fanden keinen Sitzplatz mehr. Aber im Stehen 260 zu fahren hat ja auch was. Aber für die Sitzenden wie mich hatte es noch mehr. Immerhin, wir holten die Verspätung auf – und dann auf dem letzten Fahrtabschnitt fand ich den von mir reservierten Platz in einem klimatisierten Wagen. Der Kaffee war heiß – und auch wenn die WLAN nicht funktionierte, egal, ich hatte mir bei meinen Eltern genügend Lesestoff aufs Tablett geladen. 6,5 Stunden für 700 Kilometer. Da lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes. Nur gut, dass ich nicht auf die Toilette musste.

Nachtrag: Pünktlich, pünktlich, und noch einmal pünktlich – und dann, ja dann Philipp. So das Résumé meiner Zwischen-den-Feiertagen-Fahrt. „Philipp komm sofort her!“, gefühlte 1000x zwischen Radolfzell und Offenburg – aber der kleine Philipp war in Fahrt. Rannte im Großraumwagen von einem Ende zum anderen. Betrachtete interessiert Mitreisende bei ihrer Buch- oder eBook-Lektüre. Was niemanden störte. Lächeln hier und dort – und schon war Philipp wieder fort. Hin zu neuen Abenteuern. „Philipp komm sofort her!“ Weg von den Rufen seines Vaters. Und dann, in Hornberg, kam zu meiner Erbauung ein anderer Philippe – und zwar in Form eines gigantischen, haushohen Klos (hier zu begutachten…). Was für eine Ortseinfahrt! Hornberg war für mich bislang vor allem ein beschauliches Städtchen mit romantischer Burganlage auf einem Hügel. Doch nun ist der Schwarzwald nach einigen „world biggest cuckoo clocks“ um einen weiteren Superlativ reicher: Das vom französischen Stardesigner Philippe Starck als Aussichtsplattform entworfene Riesen-WC im Neubau von Duravit. Hornberg, Stadt of „the biggest WC of the Black Forrest“, ach was sage ich: „world biggest WC“. Eine interessante Aufgabe fürs Stadtmarketing hier die Kurve zur Romantik hinzubekommen: „Tradition und Innovation, Hornberg – Romantik im Zeichen der Burg, der Zukunft zugewandt im Schatten des Riesen-Klos“. Und meine Rückfahrt? Auch hier pünktlich, pünktlich – selbst nachdem wir eine halbe Stunde auf freier Strecke kurz vor Worms stehenbleiben mussten, weil ein Zug vor uns liegen geblieben war, so dass ich meinen Anschluss in Heidelberg nicht erreichte. Aber: Respekt! Das Zugbegleitpersonal war auf Zack, freundlich informierend. Hat mich in Mannheim in einen ICE gelotst, der dann die verlorene Zeit (und meinen IC nach Konstanz) mit Tempo 250 einholte, so dass ich in Offenburg in meinen ursprünglichen Zug einsteigen konnte. Ankunft nach Plan. Also kurz gesagt: Hier lachte das Herz des Eisenbahner-Kindes.

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Historisches: Multimediale Gehversuche… Erste Literaturvideos…

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Als Autor, gerade als Indie-Autor, sollte man keinen der Social Media-Kanäle ungenutzt lassen, so heißt es. Also wohlan. Dachte ich. Youtube – ich komme. Und so versuchte ich mich, weil ich eh sehr visuell orientiert schreibe, sprich immer auch in filmischen Dimensionen denke, an Videos zu meinen Texten…

Meine neuesten Versuche in diese Richtung sind hier anzusehen, die Buchtrailer zu meinem zweiten Roman „Abschied“ und zu meiner Kurzgeschichte-Sammlung „Tiefer“.

Aber es gab schon lange vorher Versuche… Mein Equipment: Headset, Gitarre und Mundharmonika für die musikalische Untermalung (bei meinen neueren Versuchen habe ich auf Profis zurückgegriffen, siehe Credits der Buchtrailer), diverse selbst geschossene Fotos oder mit großem Aufwand an Requisiten und Personal erstellte Videosequenzen, und dann: Der Videoschnitt. Windows Movie Maker sei Dank (oder Undank, je nachdem wie das Urteil über meine Versuche ausfällt).

Wie auch immer: Es macht einfach Spaß, sich auch in dieser Richtung auszutoben, etwa an einem Abend, wenn der Kursor mitten in der tollen Textidee blinkt und blinkt, weil ich mit dieser tollen Textidee nicht weiterkomme, da sie dann doch nicht so toll war… Den Geist mit etwas anderem beschäftigen, ein probates Mittel, um Schreibblockaden aufzubrechen.

Zumeist habe ich mich dann an der „Verfilmung“ eines meiner Gedichte versucht. Viel Spaß beim Durchschauen meines „Videoarchivs“.

Verlorene Zeit

 

Es bleibt ein Lächeln

 

Epilog

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Historisches: Lesungen – Literatur ist geil oder Futter für die Bestie im Secondhand

Lesungen… das heißt Lampenfieber, die spannende Frage, ob ich das Publikum packe, die Freude, wenn ich spüre, ja, jetzt habe ich die Anwesenden gepackt. Was für ein Gefühl, wenn diese unglaubliche Verbindung zwischen Lesendem und Hörenden hergestellt ist, eine ganze eigene Art von Kribbeln, auch ein Gefühl der Macht, wenn man spürt, wie sie mit dem Text mitgehen, wenn man die Reaktionen der Zuhörer voraussagen kann „Gleich lachen sie, gleich stöhnen sie auf, gleich gefriert ihn das Lächeln im Gesicht, nun werden sie aufatmen…“ Wie wichtig dabei auch Humor ist, ein gewisses Augenzwinkern, vermitteln einige der Bilder, und mein Video zu meinem Gedicht „Epilog“. Denn dies ist ja bei einer Lesung unter anderem das Schöne: Hier ist der Dichter nicht alleine, hier gibt es ganz direkt Feedback. Ich denke: Ich sollte wirklich wieder einmal lesen.

Ein Rückblick:

Literatur_ist_geil_qlt_Artikel
„Unter anderem gibt es ein Wiedersehen mit der Krähe des Todes, Tante Marthas Hintern, dem in Weihnachtslieder vernarrten Metzger und einem liebeslüsternen Briefeschreiber. Achtung: auch dieses Mal wird gesungen. “ (so lautete ein Teil der Ankündigung der letzten „Literatur ist geil“-Lesung im Lebensart, dem Weinfachgeschäft der Spitalkellerei, welches es in dieser Form leider nicht mehr gibt).

Schwaebische_gross
“Sie mögen es lustvoll? Genießen es den Atem anzuhalten, wenn es gruselig wird? Dann kommen Sie in die SEEROSE, den Secondhand-Laden in Meersburg. Geboten werden spannende, erotische und gruselige Kurzgeschichten von und mit dem Schriftsteller Ralf Boscher. Bitte beachten: die Lesung ist für Kinder nicht geeignet.“ (Auszug aus der Pressemitteilung zu der „Futter für die Bestie“-Lesung in der Seerose, damals der schönste Secondhand-Laden am Bodensee, den es leider auch nicht mehr gibt).

25 Jahre… Ja, vor 25 Jahren hatte ich meine erste Lesung. Die Vorstellung meines ersten Romans „Engel spucken nicht in Büsche“. Ein Freund hatte das Plakat entworfen. 16:30 im Cafe Zweistein in Wuppertal. An meinem 25. Geburtstag. Rund 70 Zuhörer. Für mich unvergesslich. Seitdem gab es u.a. Lesungen in der Uni, organisiert vom AstA, im Konstanzer Neuwerk (auch eine interessante Erfahrung mit meinen Geschichten an einem Slam Poetry Abend mitzumachen).
Literatur_ist_geil_Weihnachten_anzeiger Dann zwischen November 2004 und April 2005 alle vier Wochen die Literatur ist geil-Lesungen im Lebensart (gemeinsam mit Katharina Heyartz, damals Geschäftsführerin Lebensart, heute Bloggerin und Mitinhaberin einer Kreativagentur).
Seerose_Meersburg_Lesungen
Von Dezember 2006 bis Dezember 2007 veranstaltete ich zusammen mit Esther Shepherd (damals Inhaberin Seerose Secondhand und mehr…, Meersburg) vierteljährlich Lesungen.

 

 

Weitere Lesungen von Ralf Boscher:

12. September 2009, Karlsruhe Prinz-Max-Palais

„13 Vortragskünstler: Erste „Karlsruher Lesenacht“ am Samstag

Karlsruhe (ps/pat) – Lange Nacht für Literaturfreunde: Im Karlsruher Literaturhaus im Prinz-Max-Palais findet am Samstag, 12. September, erstmals eine Lesenacht statt. Abwechslung ist Trumpf; die Veranstaltung zeigt die ganze Vielfalt der Literatur – von Lyrik über kurze Prosatexte bis hin zur szenischen Lesung ist für Liebhaber des geschriebenen Wortes alles dabei.

Die 13 Autoren sind Vortragskünstler, die bislang noch wenig Gelegenheit hatten, ihre Texte in einem größeren Forum zu präsentieren. In lockerer Folge lesen Simone Adams, Andrea Bayer, Inka Kleinke-Bialy, Ralf Boscher (liest die Kurzgeschichte „Grenze des guten Geschmacks“), Hartmut Brie, Birgit Jennerjahn-Hakenes (stellt preisgekrönte Geschichten vor, unter anderem das in der „Allmende“ erschienene „Bett 29“), Gesine Heinrich, Oliver Koch, Kajo Lang, Maurice Meijer (aus der Slampoetry-Szene), Paula Menzel, Nora Noe (liest aus ihrem zweiten Roman „Mitten im Jungbusch“ und dem neuen dritten „Zwischen Jungbusch und Filsbach“) sowie Jasmin Hambsch, die mit feiner Prosa die erste Karlsruher Lesenacht“ beschließt.

Es moderieren Hansgeorg Schmidt-Bergmann und Matthias Walz.“ (Quelle: ka-news.de)

Pressemitteilung des AStA zur Lesung (18. Mai 2005):

Ralf Boscher liest aus „Vom Höcksen aufs Stöcksken“
Konstanzer Autor trägt im Rahmen der AStA-Literaturreihe am 23. Juni an der Universität vor

Der Konstanzer Autor Ralf Boscher wird am 23. Juni um 20 Uhr an der Universität Konstanz aus seiner Textsammlung „Vom Höcksken aufs Stöcksken“ lesen. Die Veranstaltung findet im Internationalen Besucherzentrum der Universität Konstanz statt. Mit Ralf Boscher ist es dem AStA gelungen, einen vielsprechenden jungen Autor aus der Region für eine Lesung zu gewinnen.
Boscher, der 1968 in Aldekerk am Niederrhein geboren wurde und sein Studium an der Universität Konstanz abgeschlossen hat, legt mit „Vom Höcksken aufs Stöcksken“ nicht seine erste Veröffentlichung vor. Viele Texte Boschers sind bereits in Literaturanthologien erschienen. Mit Spannung darf sein Romandebüt erwartet werden.“Vom Höcksken aufs Stöcksken“ ist beleibe nicht das das literarische Motto der Texte Boschers, denn erzählerisch begibt sicher der Konstanzer sicherlich nicht vom Hundersten ins Tausendste. Eher geradlinig ist die literarische Produktion des Konstanzer angelegt, sie kommt ohne prätentiöse Abschweifungen aus. Aussagekräftiger ist der Untertitel von Boschers Buch: „Hartes und Zartes in Geschichten und Gedichten“.

K9 Konstanz … Am 3. März 2005 trat Boscher im Rahmen der Splitternacht im Kulturzentrum K9 in Konstanz auf. Er las das Gedicht ‚Ungesagt‘ und die Kurzgeschichte ‚Der Bierdeckel und das Warten‘.

Neuwerk Konstanz … „Kalter Kaffee“, „Ruhe im Kartong“ und „Winzkriecher“ waren die Geschichten, die Boscher auf der vom AStA der Universität Konstanz veranstalteten Kulturnacht am 15.12.2004 im Neuwerk aus seinem Buch Vom Höcksken aufs Stöcksken gelesen hat.

Schnappschüsse aus Boschers Lesungen:

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Zu einem kurzen Clip umgearbeitete Lesungspremiere meines Gedichts „Epilog“

Der Text zum Video:

Epilog

Einsam und traurig ist des Dichters Herz,
Denn zu wahrer Dichtung gerinnt nur Schmerz.
Und wenn er einmal glücklich ist,
Er den Schmerz schon bald vermisst.

Auf Glück, da kennt er keinen Reim,
Im Unglück liegt der Dichtung Keim.
Und ist er wirklich einmal froh,
Kneift er sich in den eigenen Po,

Das tut weh und so ist’s fein,
Denn nur auf Schmerz fallen Reime ihm ein.
Und reicht der Schmerz am Arsch nicht aus
Springt er einfach aus dem Fenster raus.

Der Weg ist weit und so ist’s recht
Bei kurzem Wege reimt sich’s schlecht.
Er fällt und fällt, und das ist’s fein,
Den Abgrund vor Augen, so soll es sein,

Des Wahren Dichters Dichterleben.
Im freien Fall nach Höherem Streben
Als Glück und Lust und Lachen viel.
Der Dichter lebt und stirbt mit Stil.

Und Stil ist Schmerz, das ist doch klar,
Denn auf Schmerz reimt sich Herz, wie wunderbar.
Ein steter Fall so’n Dichter Leben,
So ist das eben.

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Da gehst Du dahin alter Freund

2
Deine Ankunft war in Lichterglitzern gehüllt, als ein dunkler, mächtiger Schatten kamst Du zu mir inmitten von Freude und Strahlenglanz. Gänzlich unerwartet wurdest Du nun zu einem Teil meines Lebens, ein Geschenk, ein treuer Freund mit gewissen Allüren, der mich dann 5 Jahre begleiten sollte.

Das Scheiden fällt schwer. Was haben wir nicht zusammen durchgestanden, hart uns Forderndes von Hagelunwettern bis zu Schneegestöbern, dann Sonniges es uns gut gehen lassen unter blauem Bodenseehimmel. Ausflüge zum See, wo Du dann treulichst ausgeharrt hast, bis ich aus den Fluten wieder auftauchte, gar zu den Affen hast Du mich begleitet. Vor allem aber: Alltag. Arbeitsjoch, Tag für Wochentag. Tagaus, tagein. In der Früh bei jedem Wetter raus. Das schweißt zusammen. Auch wenn Du ja gerade da so manchmal Deine Allüren hattest, vor allem in unserem letzten gemeinsamen Jahr. Ich gestehe: Allüren, die sich gegen Ende so sehr häuften, dass eine Entscheidung immer drängender wurde.
3
Eine Entscheidung, die Du mir dann abnahmst, alter Freund. Manches ist einfach nicht mehr zu kitten. Du hast so manchen Sturz überstanden, ohne sonderlich Schaden zu nehmen. Nun gut, Dein Lack… Aber hier zeigte sich nur Dein Charakter. Und den werde ich vermissen. Deine Stimme, unter Volllast oder einfach nur gediegen lässig im Stand vor Dich hinbrummend. Aber sobald ich Dich von der Leine ließ, da hast Du sie alle stehen lassen. Die Neuen, die Schicken, selbst die Aufgemotzten. Wie ein dunkler, mächtiger Schatten trugst Du mich über die Berge an allen vorbei.
1
Das Alter. Ja, wem sage ich das. Du weißt es ja am Besten, warst ja dabei, als ich diesen Sommer sturzhaft daran erinnert wurde, nicht unsterblich zu sein. Oft gelingt es einem ja, über die eigene Verletzlichkeit hinwegzublicken, vor allem wenn man mit Verletzungen schon so lange lebt, dass man sie als solche nicht mehr wahrnimmt. Ihre Folgen gehören halt dazu, sie schaffen es nicht mehr, einen an die eigene Sterblichkeit zu gemahnen. Man hat damals überlebt, lebt damit. Aber dann gelingt es einem jähen Ruck, begleitet von einem herzhaften Knacken, dann doch, sich seines Alters, seiner mit den Jahren wachsenden Verletzlichkeit bewusst zu werden. Nun gut, ich bin noch zu kitten. Noch. Im Gegensatz zu Dir.
5
Es tut mir leid alter Freund, Deine Tage waren abgelaufen. Ich habe es versucht, wahrlich, Du weißt es, ich habe es versucht. Jeden Morgen früher aufgestanden bin ich, um Dich noch wenigstens über den kommenden Tag zu retten. Gehegt habe ich Dich. Wenn es nicht anders ging, sogar Kilometer weit geschoben, um für Dich eine Lösung zu finden. Aber es war vorbei. So leid es mir tut, schon allein deswegen, weil Du mir als Geschenk so viel Freude bereitest hast. Ich werde es nie vergessen, wie wir uns zusammen durch überschwemmte Straßen gekämpft haben, während das Wasser mir von oben in die Stiefel lief. Wie wir dem Schnee, dem Eis trotzten. Jeden Regen an uns abprallen ließen. Wie wir zusammen oder auch zusammen mit meiner Liebsten die Sonnentage am See genossen. Erinnerungswürdige Zeiten. Nun Vergangenheit. Lebe wohl. Ich muss weiterziehen, Dich zurücklassen. Es ist nun leider so, Du bist dahingegangen, alter Freund.

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Boscher liest… „Ein Liebesbrief“ aus „Tiefer in die Dunkelheit. Erotik, Thrill, Horror“

Ralf Boscher liest seine Kurzgeschichte „Ein Liebesbrief“ aus dem eBook / Taschenbuch „Tiefer in die Dunkelheit. Erotik, Thrill, Horror“.

Ralf Boscher - Tiefer
Es ist dunkel geworden, ein Glas Rotwein steht neben mir, und ich bin müde. Es ist ein wohliges Müde-Sein, weiß ich doch genau, warum ich es bin, habe ich doch wegen Dir nur so wenig Schlaf bekommen. Du. Ich denke an Dich. Gerade habe ich erneut versucht, Dich anzurufen, Deine Stimme zu hören. Aber ich konnte Dich nicht erreichen, und so schreibe ich Dir wieder einmal, von Dir, von uns, horche Deiner Stimme in mir nach, lausche auf Deine Worte, Deinen Tonfall, der nach mir greifenden Händen klingt, nach Deinen Lippen auf den meinen, Deinem Körper ganz nah …, und versuche, Dich mit meinen Worten zu berühren. …

 

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Der Exorzist ist wieder da – Gott sei Dank

Lenalee
24 – tick tack tick tack – was bisher geschah: 24 Stunden zwischen Bangen und Hoffen. Die Zeit, als alles begann: circa 13.30. Unsere Jüngste kommt nach der Schule nach Hause. Haarbüschel im Bad auf dem Boden, Kampfspuren – und die Katze ist nirgendwo zu finden. Einziges Lebenszeichen: eine tote Maus in der Ecke. Ich habe es ja schon einmal an anderer Stelle erwähnt: Unsere Katze, benannt nach einer Figur aus einem Manga, Lenalee, einem sympathischen Exorzisten, ist äußerst rege, was das Anbringen von Mäusen aller Arten angeht. Aber jetzt – tick tack tick – nur eine tote Maus. Keine Katze, die schnurrend verlangt, dass man ihre Tat genügend bewundert. Die Stunden vergehen. Lenalee bleibt aus.

Nun gut, sie ist zäh, hat ihren eigenen Kopf, und ist auch gerne mal einen halben Tag, eine Nacht auf Tour. Dennoch: Die Kampfspuren, die Haarbüschel auf dem Boden, beunruhigen. Eigentlich ist Fütterzeit. tick tack tick tack. Vorbei. Was wohl geschehen ist? Es gibt ein paar Häuser weiter einen schwarzen Kater. Der ist frech. Kam auch schon einige Male durch die Katzenklappe und versuchte, sein Revier auch bei uns zu beanspruchen. Katzenkämpfe in der Nacht. Am Morgen. Am Tag. Ganz normal. Aber nun: Haarbüschel. Und auch am Abend noch keine heimkehrende Lenalee. Keine Lenalee in der Nacht.

Tick tack tick tack. Der Morgen brach an. Das Futter unberührt. Fotos wurden ausgedruckt, Fotokopien beschriftet. „Wer hat unsere Katze gesehen?“ Dann das Tingeln von Haus zu Haus. „Ja, die kennen wir. Die ist so lieb. Hockt ab und zu unter den Büschen. Oh ja, eine Glückskatze!“ Und dann der Schwarze. Schleich schleich. Ist die Narbe über seiner Nase neu? Anrufe bei den Tierheimen in der Gegend. Beim Bürgerbüro. Bei der Polizei („Oh, dreifarbig, eine Glückskatze, ich halte meine Augen offen, wenn ich Runde fahre“). Anruf beim Tierarzt. „Wir suchen unsere Glückskatze. Falls jemand anruft, bitte bei uns melden.“ Tick Tack Tick Tack.

Die Stunden vergehen. Die sehr freundlichen Herrschaften bei den Tierheimen haben geraten: Suchen. Falls sie verletzt ist, hat unsere Katze sich vielleicht irgendwo versteckt. Also wird gesucht. In den Gärten. In den Schuppen der Gegend. Unter Büschen. Hinter Hecken. Und immer wieder der Schwarze. Schleich. Schleich. Wir hoffen, dass die Narbe über seiner Nase von unserem Exorzisten stammt. Hat sie ihm wenigstens ordentlich einen mitgegeben. 12 Uhr. Immer noch keine heimkehrende Katze. Nirgends eine Spur. Und schon längst ist die Beunruhigung zur Besorgnis geworden. Sagen uns: Sie ist zäh. Kein zartes Hauskätzchen. Sondern eine Wald- und Wiesenkatze, fit wie ein Turnschuh. Aber dennoch. So lange war sie noch nie unterwegs. Und das Futter nicht angerührt. Die Kampfspuren… Gestern morgen, als ich zur Arbeit fuhr, habe ich sie das letzte Mal gesehen, unterwegs in den Garten der Nachbarn. Alles normal. Ungewöhnlich nur das sie nicht daheim war, als unsere Jüngste von der Schule kam. Ungewöhnlich, dass sie nicht gleich auftauchte, um sie daheim zu begrüßen – und ihr die Maus zu zeigen. Und so langsam kommen Gedanken an das Äußerste auf. Wie reagieren, wenn sie nicht wieder auftaucht? Wenn wir sie tot finden?

13.20 Uhr. Beinahe 24 Stunden sind vergangen, seitdem wir die ausgerissenen Büschel auf dem Badboden entdeckten. Es ist kalt draußen. Und wenn sie irgendwo hilflos liegt? Noch einmal einen Rundgang. Die Jacken an. Aus den Augenwinkeln ein Blick auf den Futternapf. Das Herz schlägt schneller. Das Futter ist angerührt. Ein schneller Blick in die Küche. Keine Katze. Ins Wohnzimmer. Keine Katze. 13.30. 24 Stunden. Und da, ja da hockt sie. Unsere Katze Unser Mäuseexorzist. Im Bad. Auf der Toilettenschüssel. Streckt uns ihren Hintern entgegen, auf dessen Flanke einige Haarbüschel fehlen. Und trinkt aus der Kloschüssel. Tick tack tick tack. Der Exorzist ist wieder da. Gott sei Dank!

Mehr von unserem Exorzisten

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Nicht mehr Herr der Fliegen – über unsere Katze

Lenalee
Da komme ich nach Hause, alles ruhig, ich bin der Erste daheim, ich bin allein. Ein kurzer Durchgang durchs Haus, alles in Ordnung, was letzter Zeit vor allem heißt: Es liegen keine toten Mäuse in unterschiedlichsten Zerstörungsgraden im Flur, neben dem Kleiderschrank, vor der Badewanne oder oder. Ich habe es ja schon einmal erwähnt. Wir haben eine Katze. Nomen est omen. Benannt wurde sie nach einer Figur aus einem Manga, einem sympathischen Exorzisten, also eigentlich dem Helden der Geschichte. Und der Held unserer Haustiergeschichte, Lenalee, exorziert im Schnitt eine Maus am Tag (also kurz gerechnet, wir haben unsere Katze seit etwas 2 Jahren…) – und pi mal Daumen eine zunächst einmal nicht, die lässt sie laufen. Man will ja schließlich seinen Spaß haben und noch ein wenig jagen. Nicht im Garten, nicht auf den Wiesen in der Nähe, sondern bei uns im Haus. Doch als ich heimkam, da sah es nicht nach einem Jagdtag aus. Keine Blutspritzer auf dem Boden, keine Mäuseköpfe in der Ecke. Alles ruhig.

Später dann am Abend, in der Nacht, alle sind schon zu Bett gegangen. Ich mache noch einen kurzen Durchgang durchs Haus. Gehe die Treppe hinunter. Öffne eine Tür – und da höre ich dieses Summen, Brummen. Es klingt beinahe elektrisch. Jedenfalls stellen sich mir, als ich die Ursache des Geräusches sehe, meine Nackenhaare auf. Ich öffne noch eine Tür, stehe in einem Gang, an der Wand ein Schrank, in dem wir Bettwäsche aufbewahren – und überall Fliegen. Dicke, fette, schwarze Schmeißfliegen. Wenige Stunden zuvor war noch alles ruhig. Aber nun: Ein Summen, Brummen, Wuseln an den Wänden, unter der Decke. Und mittendrin unser Exorzist. Mauzt um den Schrank herum, ein kurzer Blick aus dunklen Katzenaugen, „wie lieb ich doch bin, kann kein Wässerchen trüben“, mauz mauz. Summ brumm. Ein erster Anflug von Ekel macht sich breit. Weniger wegen dem, was ich entdeckt habe, als wegen dem, was ich vielleicht noch entdecken werde.

Ich öffne den Schrank, wappne mich gegen einen satten Aufschwung von noch mehr dicken, fetten, schwarzen Schmeißfliegen, die aus dem Schrank aufsteigen. Aber nichts. Ich greife nach dem ersten Stoß gefalteter Bettwäsche, schüttele ihn aus. Mäuseköttel fallen zu Boden. Ich packe mir den nächsten Stoß. Schüttele. Und eine Maus springt heraus, springt mir gegen das Bein, rutscht an meiner Hose zu Boden. Direkt vor Lenalees Schnauze. Sie lässt die Maus laufen, die durch die Tür entwischt und die Treppe hinunterhuscht. Man will ja schließlich seinen Spaß haben. Schaut mich aus dunklen Katzenaugen an. Mauz. Und beginnt in der Bettwäsche, die noch im Schrank liegt, zu wühlen.

Hausmaus, Zwergmaus, Brandmaus, Feldmaus, Gelbhalsmaus, Hausspitzmaus, Waldmaus, Waldspitzmaus, Zwergmaus, Hausratte, Wanderratte… Die heimische Nagetierfauna ist vielfältig – und alle hat unser Exorzist ins Heim gebracht, teils in Teilen, teils ganz. Das kleinste Exemplar hatte die Größe meines Daumens, das größte Exemplar füllte die ganze Breite eines Kehrblechs aus – und der Schwanz hing sogar noch über die Kante hinaus. Was mir am Bein heruntergerutscht war, war eine Hausmaus gewesen. Was ich im Schrank schließlich finde, ist ein wenig größeres Kaliber.

Ich denke der Schrank muss die Tage zuvor offen gestanden sein. Durch die Ritzen konnte sich diese kapitale Wühlmaus nicht gequetscht haben, vor allem nicht mit diesen Verletzungen. Aufgrund ihrer Größe kann ich mir ein recht genaues Bild machen, wo unsere Katze zugebissen, ihre Krallen in ihr Opfer geschlagen hat. Mauz. Jetzt schnüffelt sie nur friedlich an dem Kadaver, der die Bettwäsche, zwischen die sich die Wühlmaus, um zu sterben, verkrochen hatte, durchnässt hat. Mauz. Als eine einzelne Fliege hinter dem Kadaver hervorkriecht und zu ihren Kameraden an der Wand fliegt. Mauz. Als ich die Maus mit einer dreifachen Lage Küchentücher packte. Mauz. Als ich, nachdem ich die tote Maus aus dem Haus gebracht hatte, den Staubsauger packe – egal wie spät es schon ist – und versuche, der Fliegen Herr zu werden, sie einzusaugen.

Nun, an dem Abend werde ich der Fliegen nicht mehr Herr. Schließlich gebe ich auf. Ziehe noch alle Bettwäsche aus dem Schrank, bringe sie in die Waschküche. Im gleichen Gang steht ein Kleiderschrank, in welchem wir unsere Mäntel und Jacken aufbewahren. Ich komme aus der Waschküche. Mauz. Lenalee kratzt am Kleiderschrank – und in diesem Moment spüre ich, wie ich müde werde. Sehr müde. Dennoch öffne ich den Schrank. Lenalee springt hinein und packt sich die Hausmaus. Schaut mich an. Öffnet ihre Fänge. Die Maus fällt zu Boden. Bevor sie wegspringen kann, beißt unsere Katze einmal zu, in den Hinterlauf der Maus. Dann eine Tatze, beinahe zart, Lenalee stupst die Maus nur an. Beobachtet neugierig, wie die sich schwer verletzt ein wenig zur Seite schleppt. Mauz. Lenalee sieht mich aus dunklen Augen an. Will ja nur spielen. Und in diesem Moment entkommt die Maus unter den Schrank, dorthin, wo Lenalee sie nicht erreicht. Auch wenn sie mit ihren Krallen in den Spalt langt. Mauz. Was bin ich müde. Ich gehe die Treppe hinauf, ignoriere das Summen und Brummen. Gehe zu Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, um nach Mäusen, toten oder lebendigen, zu suchen. Um der Fliegen Herr zu werden. Mauz

Mehr von unserem Exorzisten hier

 

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