Vom Höcksken aufs Stöcksken… Von LPs zu YouTube, von „Balls To The Wall“ bis „Darm mit Charme“…

Youtube_Topik
Ich bin ein echter Fan von Musik-Assoziationsabenden. War ich immer schon, schon zu Schallplatten-Zeiten. Nette Menschen zu Besuch, man plaudert bei einem Getränk über dies, über das. Lächeln hier, Lächeln dort. Einer sagt etwas, das nach „Hoooh ho hoooo!“ klingt (vielleicht war es auch nur der etwas unartikulierte Hinweis, aufs Klo zu müssen). Jedenfalls sagt ein anderer: „Das erinnert mich jetzt aber an Balls To The Wall.“ „An was?“ „Sag bloß, Du kennst Accept nicht?“

Ja, und schon geht er los, der Streifzug durch die Musikgeschichte, durch die Plattensammlung. Die einen headbangend zu „Balls To The Wall“ („Sign of Victoryyyyyyyyyyyyyyyy!“), die anderen kopfschüttelnd ob einer generellen Abneigung gegenüber grandiosem Heavy Metal. „Ist ja schon irgendwie stumpf!“ Pah. Die nächste LP wird aus dem Regal gezogen. „Stumpf, pah! Die bauen sogar Beethoven ein! Hört euch das mal an…“ Und schon wandert „Metal Heart“ auf den Plattenteller. Was das Kopfschütteln nur bedingt eindämmt, aber zu noch mehr Headbangen führt. „Apropos Beethoven…“ – wird dann der nächste Ball ins Spiel geworfen – „Kennt jemand Difficult to Cure?“ „Kennen?“, so der Herr über die umfangreiche Plattensammlung, in dessen Bude wir gesellig zusammensitzen. „Ich hab die Live-Aufnahme mit Orchester da, Tokyo Budokan 1984!“

Also löst Rainbow Accept ab – und los geht es mit der Ritchie Blackmore Version des letzten Satzes aus Beethoven 9. „Bin mit Rainbow nie warmgeworden.“, wirft einer nach ein paar Minuten ein. „Aber bei Deep Purple fand ich den Blackmore toll.“ „Smoke on the waaaaaaaaater!“ – hier konnte auch einer der zuvor Kopfschüttelnden glänzen. „Ja, die waren schon geil. Mark II. Aber auch die älteren Sachen haben was….“, meint unser Gastgeber und zieht eine LP mit einem Hieronymus Bosch-Cover aus dem Regal (nach Alphabet geordnet und innerhalb der einzelnen Gruppen nach Erscheinungsjahr). „Hier, hört euch mal April an – gefällt mir vom Orchestralen besser als Difficult to Cure oder das Concerto“.

Als nach den ersten Minuten seine Begeisterung nicht überspringt, greift er wieder zu D. „Dann eben das, auch Mark I., und den Song kennt ihr bestimmt“. Er reicht das Cover herum, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Zeichnungen aus einem Monty Python Film hat. „Auch Orchestral. Geil oder! Also sprach Zarathustra. Aber das meine ich nicht, was ihr kennt, wartet ab, jetzt gleich geht es los!“ Und noch circa 4 Minuten gibt es ein Aha. „Das ist doch?“, „Das kenne ich doch?“ Richtig. Und schon wird eine andere LP aus dem Regal gezogen. M. Ein Motown-Sampler, auf dem sich die bekannte Version von „River Deep, Mountain High“ von Ike & Tina Turner findet. Von den Turners geht es zu den Jackson 5, die auch auf dieser LP vertreten sind. Von dort zu Michael Jackson. Von „Beat it“ zu Van Halen, da Eddie Van Halen ja das Gitarrensolo beigesteuert hat. „Meine erste Single.“, meint einer, „Jump!“ „Meine erste Single war Hard To Say I’m Sorry von Chicago“, wirft ein anderer ein – nicht ohne mit den Schultern zu zucken, was soviel heißen sollt, wie: Jugendsünde. Aber da sind die Dämme auch der Heavys schon gebrochen. Das ist ja das Schöne an so innigen Runden. Irgendwann sinkt die Peinlichkeitsschwelle. „Famous Last Words von Supertramp war meine erste LP. Don’t Leave Me Now halte ich heute noch für einen der besten Songs überhaupt“, „Words von F.R. David – meine erste Single.“ „Gloria Gaynor – I Will Survive“ „Moonlight Shadow, Mike Oldfield“, „BAP, Verdammt lang her“.

Ja, so war das damals – unschwer an den Titeln zu erkennen. Die goldenen Zeiten, als Musik noch knisterte. Als das nächste Musikstück nicht nur ein paar Klicks entfernt war, sondern wohldosierte Handgriffe mit einem empfindlichen Gut, dem Vinyl. Da man sich die Köpfe über das Thema „Trocken oder nass abspielen?“ heißreden konnte.

Vermisst jemand das Knistern? Bestimmt. Vermisst jemand die großformatigen Albumcover? Ganz bestimmt.

Ich habe lange gebraucht, um mich auf das neue Medium CD einzulassen, habe mir anfangs nur neue CDs gekauft, also frisch auf den Markt gekommene Aufnahmen, die zuerst auf CD veröffentlicht wurden. Und zum Teil war das wirklich ein Aha-Effekt. Wie sauber, wie voluminös. So empfand ich das. Wobei entschiedene Vinyl-Liebhaber gerade der CD dieses Voluminöse absprachen. Wie gesagt, zuerst kam nur Neues in meinen CD-Player – ich habe lange gebraucht, um mir eine meiner Lieblingsplatten auch auf CD zuzulegen. Und noch länger, um bei einer bestimmten Stelle, wo bei meiner oft gehörten LP immer ein Knistern war, nicht die Luft anzuhalten – nur um dieses Knistern nicht zu hören und ein Gefühl von Fremdheit zu empfinden. Aber nun gut, bei den meisten CD-Überspielungen hat mich der Klang doch überzeugt – oder bin ich einfach nur in die Jahre gekommen? Bequemer geworden? Ist ja auch einfacher eine CD als eine Platte zu wechseln…

Wie auch immer. Für meine Ohren hat der Klang gewonnen (bis auf die „Loudness-War“-Opfer). Und vielleicht ist der reine Klang auch gar nicht das Wichtigste an der Musik? Als ich Musik für mich entdeckte, hatte ich nur ein kleines Radio („Mal Sondocks Hitparade“ im WDR) und dann einen Mono-Kassettenrekorder. Und es war toll. Klar war die erste, mühsam ersparte Anlage auch toll. Und toller Klang ist ja auch einfach toll. Aber wie auch immer – schon zu Zeiten von Mono-Kassettenrekordern gewann Musik einen besonderen Reiz dadurch, dass man sie so schön teilen kann.

Teilen war immer schon ein wichtiger Bestandteil, wie sich Musik verbreitet hat. Kassetten tauschen, LPs ausleihen (allerdings in meinem Fall nur an Trockenabspieler) – und vor allem ganz persönliche Mixe herstellen (viele Jahre auf Kassette, dann auf CD). Wenn ich überlege, wie viele interessante Musik ich schon über solche Mixe kennengelernt habe.

Und hier sind wir bei YouTube angekommen. Die Globalplayer gewordene Inkarnation der Lust am Teilen. Ich finde Youtube toll. Wie viele Bands ich dort schon entdeckt hab (mein CD-Dealer dankt es mir). Zudem ist YouTube ein Hilfsmittel erster Güte für Musik-Assoziationsabende, es macht einfach Spaß, auf Youtube vom Höcksken aufs Stöcksken zu kommen.

Kommt das Gespräch auf Michael Jackson, dann wird nicht nur die Musik abgespielt, dann ist auch gleich das Thriller-Video zur Hand. Wie etwa gestern mit meiner Liebsten: Nostalgisch hörte ich über Youtube „Hard To Say I’m Sorry“, da kam sie dazu. „Meine erste Single.“, meinte ich. „Meine Erste war Thriller.“ Also lief dann das Video. „Die Tanzen so cool!“, meinte meine Liebste, „Schau mal hier, das ist auch cool!“ – und schon lief „Happy“ von Pharrell Williams. Nach ungefähr 10 Minuten fiel mir ein anderes cooles Tankstellen-Video ein: „Gimme All Your Lovin“ von ZZ Top. Angesichts der Bärte hatte dann meine Liebste einen Poetry Slam-Videotipp parat: Patrick Salmen „rostrotkupferbraunfastbronze“ bei der Poesieschlacht Düsseldorf („Auf Bart reimt sich hart – sonst nichts… Und wir singen Manowar… “). Also lief als nächstes Video „Die For Metal“. Von Manowar kamen wir auf Man o’ War (das berühmte Rennpferd) und von dort war es nicht weit bis zum Video-Trailer von „Seabiscuit“, denn Seabiscuit war immerhin ein Enkel von Man o’ War gewesen. Dann Black Beauty. Keine Folge habe ich als Kind verpasst, was weniger an dem Pferd und den spannenden Geschichten lag, als an der Hauptdarstellerin Judit Bowker, in dich ich mich verknallt hatte. Meine Liebste erzählte, sie hätte damals für David Cassidy von der Partridge Family geschwärmt. Ein Name mit dem ich auch so meine Erinnerungen verband, schließlich hatte eine damalige Freundin, während sie auf ihrem alten Plattenspieler die frisch erworbene Single von „Last Kiss“ spielte, mit mir Schluss gemacht (was ich erzählte, während Cassidy auf Youtube schmachtete). Mit ihr hätte mal ein Freund zu „I Want To Break Free“ Schluss gemacht, erzählte meine Liebste. Na immerhin hatte er einen guten Musikgeschmack. Also hörten wir Queen, während wir darüber sprachen, wie wir damals die Nachricht von Freddie Mercurys Tod aufgenommen haben. Über die posthum herausgekommene CD „Made In Heaven“, von der wir „Too Much Love Will Kill You“ hörten (die CD war in Montreux am Genfer See aufgenommen worden, ihr Cover zeigt eine Statue von Freddie vor dem Genfer See), kamen wir auf „Smoke On The Water“. Schließlich singt hier Ian Gillan über einen Brand im Casino von Montreux während eines Zappa-Konzertes. Apropos Texte von Deep Purple. Ich erzählte, dass ich eine Weile gebraucht hätte, um zu verstehen, dass es bei „Knocking At Your Backdoor“ nicht um jemanden geht, der an die Hintertür eines Hauses klopft. Woraufhin wir dann zu Julia Enders Auftritt „Darm mit Charme“ bei einem Science Slam kamen…

Ja, ich finde Youtube toll. Und weil es Millionen Menschen weltweit so geht, hat die Nutzung von Youtube mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass man hier von einem „Kulturellen Gedächtnis“ sprechen kann, einem „Archiv für Medieninhalte“. Was die Nationalbibliotheken für Texte sind, ist Youtube für Musik und multimediale Inhalte. Schade nur, dass das wichtige Thema „Honorierung der Urheber“ immer noch nicht befriedigend geklärt ist.

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