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Cyber-Angriffe – oder: Eigentlich wollte ich über Vampire schreiben…

Cyber-Angriff
Endlich brach die Sonne durch den Nebel über dem Bodensee, das nachmittägliche Licht fiel durch das Fenster auf meinen Schreibtisch, auf dem einige Notizen zu meinem neuen Roman auf mich warteten. Ich fuhr meinen Rechner hoch, startete meine Textverarbeitung, öffnete den Ordner „Roman_3_Midlife_Crises_Vampir_Roman“. Doch bevor ich am aktuellen Kapitel weiterarbeiten würde, wollte ich mich noch um meinen Blog kümmern und einen neuen, am Vortag geschriebenen Artikel posten – da alles vorbereitet war, eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Dachte ich.

Ich startete Firefox. Öffnete die Einlog-Seite zu meinem Blog – und eine Fehlermeldung erschien auf weißem Hintergrund: „Seite nicht erreichbar“. Ich versuchte es wieder, und erneut war die gewohnte Seite, um mich bei meinem Blog-Adminbereich einzuloggen, nicht erreichbar. Das war ärgerlich, aber beunruhigte mich in den ersten Minuten noch nicht. Hole ich mir erst einmal einen Kaffee. Nur ein kleines technisches Problem bei meinem Anbieter. Schnell behoben. Manchmal sind ja auch Internetseiten kurzzeitig nicht erreichbar. Zweimal in die Sonne zwinkern, Seite erneut aufrufen und es klappt. Es klappte nicht. „Seite nicht erreichbar“, auch nach einem weiteren Kaffee.

Jetzt war ich beunruhigt.

Ich versuchte einen anderen Browser. Das gleiche unbefriedigende Ergebnis. Ich loggte mich in mein Wordpress.com-Konto ein, versuchte auf diesem Weg, den Admin-Bereich meines Blogs zu erreichen. Zwecklos. In diesen Momenten war nicht daran zu denken, an meinem Roman weiterzuarbeiten, „Seite nicht erreichbar“ nahm meine Gedanken ganz ein – und eine unschöne Erfahrung begann sich in den Vordergrund zu drängen:

„Sehr geehrte(r) Besucher(in), leider kam es kürzlich zu einem gezielten Cyber-Angriff auf die Forensoftware der eBook-Gemeinde.

Dieses Forum wurde ehrenamtlich betrieben. Aus mangelnden zeitlichen und finanziellen Mitteln für die Wiederherstellung des Forums und Identifizierung vorhandener Sicherheitslücken muss das Forum leider geschlossen werden.

Das Team der eBook-Gemeinde bedankt sich für Ihr Verständnis.“

Diese Nachricht vom vergangenen Herbst hat mich geschockt. Weil ich mir nur im Ansatz vorstellen konnte, wie viel Arbeit es gekostet haben muss, dieses Forum aufzubauen – und diese Arbeit war nun zunichte gemacht worden. Weil der Schritt, das Forum komplett dicht zu machen, radikal war – und ich bis dato noch nie von so einem Schritt gehört hatte. Vor allem aber auch, weil mir mein liebstes Marketinginstrument nun genommen worden war.

Ich war sehr froh gewesen, dass ich im weltweiten Netz für mich mit der eBook-Gemeinde die ideale Anlaufstation für meine Social Media-Aktivitäten als Autor gefunden hatte. Ein gut besuchtes Forum (über 13.000 Besucher im Monat), einfach zu bedienen, übersichtlich – und ein Interesse meiner Arbeit gegenüber, das mich sehr glücklich machte. So konnte ich mich neben den hohen Anklickraten meiner geposteten Neuigkeiten, Blogeinträge, Aktionen, über schnell steigende Besucherzahlen auf meinem Profil freuen. Die Berücksichtigung meiner eBooks bei den Buchtipps, eine Interview-Anfrage taten ihr Übriges, dass ich mich bei der eBook-Gemeinde sehr wohl fühlte. Ich erreichte wesentlich mehr Leserinnen und Leser, ein Vielfaches mehr als auf allen anderen Kanälen.

Dann eines Abends, ich wollte mich in mein Profil einloggen, die schockierende Nachricht: „Leider gibt es die eBook-Gemeinde nicht mehr…“ Also gab es auch meine Postings nicht mehr, meine Antworten auf andere Beiträge, meine Leseproben, Buchtipps, das Interview mit mir – alles weg. Mein bis dato bestes Marketinginstrument – weg.

Weg. Und aufgrund dieser Erfahrung war ich, während mittlerweile die spätnachmittägliche Sonne durchs Fenster schien, bei der Mitteilung „Seite nicht erreichbar“ schließlich sehr beunruhigt. Deswegen gab ich in die Suchzeile von Google den Namen meines Providers und die Wörter „Wordpress“ und „Cyberangriff“ ein – und „Holla die Waldfee!“: Mehrere Angriffswellen auf die Server allein im Jahr 2013, nicht nur bei meinem Anbieter, sondern vielen großen Providern. Das war mir nicht bewusst gewesen.

Und lag da der Hase im Pfeffer? Ja, es war ein aktueller Cyber-Angriff auf die Server meines Providers, wie ich dann am Telefon erfuhr. Aufgrund der sofort eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen seien alle Admin-Oberflächen von Wordpress, Joomla, etc. vorübergehend nicht erreichbar. Das Problem sei aber bald gelöst. Das empfand ich als beruhigend: Denn dafür ist ja ein Provider mit seinem ganzen Know-How da, dass er auch solche Probleme löst. Zudem würde ich meinen Blog bald wieder erreichen können. Das empfand ich als beunruhigend: So viele Möglichkeiten das Internet für Autoren, gerade auch für Indie-Autoren, bietet, so viele Gefahren lauern auch. Gefahren, gegen die Spam-Kommentare und illegal zum Download angebotene eBooks ein Klacks sind. Gefahren, die einen vom Schreiben abhalten. Das Internet ist voll von Blutsaugern. Und so hat man sich um solche Dinge wie die Impressumspflicht zu kümmern. Man muss sich mit solchen Sachen wie Double-Opt-In beschäftigen. Beschäftigt sich viele Stunden mit Sicherheit im Internet und lernt so schöne Sachen wie .htaccess etc. kennen.

Und so postete ich, nachdem die Einlog-Seite meines Blogs wieder erreichbar war, erst einmal nicht meinen neuen Beitrag, schrieb auch nicht weiter an meinem Roman, sondern änderte zum zweiten Mal (zum ersten Mal bei Einrichtung meines Blogs) meinen User-Namen und mein Passwort. Überprüfte noch einmal anhand von einschlägigen Tipps einer der unzähligen Seiten zu diesem Thema meine Sicherheitsstandards.

Also schrieb ich die ersten Zeilen dieses Tages erst lange nachdem die Sonne über dem Bodensee untergegangen war. Was zur Hölle? Die Fensterscheibe unseres Schlafzimmers explodierte förmlich, ein Riesenradau. Und nur einen Wimpernschlag später schwang er sich bereits durch das zerbrochene Fenster hinein. Ein ausgewachsener Vampir in all seiner nackten, unverstellten Grässlichkeit.

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8400 Wörter für 7,50 Euro – ist das korrekt?

Umfrage_Preis
In den Heavy Metal-Postillen, die ich von Zeit zu Zeit lese, werden öfter die Laufzeiten von CDs thematisiert: „Tolle Platte – aber mit 35 Minuten doch etwas kurz“. „Kapazität einer CD nicht ausgereizt, da hätten noch mindestens zwei Songs Platz gehabt“. „Leider hat die Kreativität nur für knappe 40 Minuten gereicht“. Was hier natürlich immer auch mitschwingt: Ich habe den ganzen Preis für eine CD bezahlt, die für meinen Geschmack für das Geld zu kurz geraten ist.

Die Erwiderungen auf solcherlei Meinungen folgen meist dem Muster: „Schaut Euch mal die Klassiker unserer Musik an, die damals noch als LP erschienen. Knapp über 30 Minuten Musik, 40 Minuten – da hat keiner auf die Laufzeit geschielt, das war einfach nur eine geile Platte! Was zählt ist die Qualität, nicht die Quantität!“

Und wie sieht das bei Literatur aus?

In einer Besprechung zu meinem ersten Kurzgeschichten-eBook, das mit 23 Seiten verglichen mit meinen weiteren eBooks sehr kurz ist, steht: Der Preis ist perfekt. Das ebook kostet 99 Cent.

Ist der Preis perfekt?

Gerade als Indie-Autor macht man sich einige Gedanken über die Preisgestaltung.

99 Cent – eine Tasse Kaffee aus dem Automaten kostet 1.50 Euro. 23 Seiten hat keiner gelesen, solange ein Automatenkaffee noch heiß ist. Außerdem: Wie viele Kaffee trinkt ein Autor, bevor er 23 wirklich gute Seiten geschrieben hat?

Aber wie bemisst man den richtigen Preis für Literatur?

Wenn 99 Cent für 23 Seiten perfekt sind, müsste ein eBook mit 60 Seiten 2,58 Euro kosten. Ein Roman mit 200 Seiten etwa 8,60 Euro, mit 300 Seiten ca. 12,90 Euro.

Sind das Preise, die sich Indie-Autoren erlauben können?

Sind das Preise, die sich vielleicht auch Indie-Autoren erlauben sollten?

Die meisten als eBook veröffentlichten Romane von Indie-Autoren liegen weit unter diesen Preisen, selbst die gedruckten Taschenbücher liegen meist darunter.

Verkaufen wir uns unter Wert?

Der günstige Preis (manchmal sogar gratis) war für Indie-Autoren auf dem neu entstandenen eBook-Markt der Fuß, den sie in die Tür zu den Lesern bekamen. Amazons KDP-Programm hat hier Pionierarbeit geleistet, um bisher unbekannte Autoren, Autoren, die keinen Verlagsvertrag erhalten haben oder sich nie um einen solchen bemüht haben, bekannter zu machen.

Aber befinden wir uns heute immer noch in dieser Situation?

Sieht man sich die Amazon eBook-Charts von heute an, so stehen günstige Titel mit 99 Cent, Romane zu 1,49 Euro einträchtig neben Titeln zu 9,99, 8,99, 12,99 Euro.

Was zählt ist die Qualität nicht die Quantität, schrieb jemand in der Heavy Metal-Postille. Ja, gleichwohl gibt es beim Konsumenten eine Schwelle jenseits der er nicht mehr das Gefühl hat, hier Value for money zu erhalten – und er wird den Kauf unterlassen

Sind Leserinnen und Leser bereit für mehr Geld Indie-Qualität zu entdecken? Das sie offensichtlich bereit sind, mehr Geld für Verlagsautoren auszugeben, zeigen für mich die Charts. Wobei man nicht vergessen darf, dass hier sicherlich Qualität durch ein gerüttelt Maß an Werbe-Quantität gestützt wird, die Begehrlichkeiten weckt.

Ich habe zu Weihnachten ein Taschenbuch eines etablierten Verlages geschenkt bekommen: Charles Lewinsky, Der Teufel in der Weihnachtsnacht. Der Preis war nicht durchgestrichen. Kleines Format. Große Schrift. Erheblicher Zeilenabstand. 60 Seiten dick. Ich habe nachgezählt: Circa 8400 Wörter für 7,95 Euro. Das fand ich happig für eine mittels Formatierung und Buchformat gestreckte Kurzgeschichte – so nett ich sie auch fand. Verschenkt habe ich zu Weihnachten John Irvings Zirkuskind als Taschenbuch: 969 Seiten für 13,90 – also gemessen an der Seitenzahl ein Schnäppchen.

Ja, der Preis.

Wo liegt die goldene Mitte? Oder ist Indie-Autoren die goldene Mitte verwehrt, da sie – wenn sie schon über kein ordentliches Werbebudget verfügen – über den Preis punkten müssen? Um ihre qualitätsvolle Schreibe überhaupt an die Frau und den Mann zu bringen…

PS: Hier eine kleine Umfrage zum Thema:

Ein Verlagsroman und ein Roman eines Indie-Autors aus dem gleichen Genre bei vergleichbarem Umfang kosten beide als Taschenbuch 13,90 Euro, was denkt Ihr über den Preis?

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Wie es beginnt: Die ersten Sätze… Buchanfänge

Buchanfänge
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne… so Hermann Hesse. Jedem Anfang? Der Anfang eines Buches kann in der Tat etwas Zauberhaftes sein – wenn er denn gelingt. Denn dann legt der Leser das Buch nicht zur Seite, sondern blättert neugierig geworden um. Gelingt er besonders gut, zieht er den Leser gleich ins Buch hinein – in eine andere Welt. Der Zauber der Literatur beginnt zu wirken.

Hier einige erste Sätze aus Büchern, die ich vor kurzem gelesen habe bzw. im Moment lese:

Die aufrührerischen Engel fielen, in Girlanden aus Feuer gehüllt. Und als sie niederfuhren und durch die Leere stürzten, waren sie verflucht, wie die frisch Erblindeten verflucht sind, denn so wie die Dunkelheit für diejenigen umso schrecklicher ist, die das Licht gekannt haben, wird der Verlust der Gnade von jenen viel schmerzhafter wahrgenommen, die sich einst in ihrem Glanze sonnten. (Der brennende Engel, John Connolly).

„Verdammt!“ Bettina Berg riss die Augen auf. Sie durfte nicht einschlafen. Noch nicht. Mit zu Fäusten geballten Händen rieb sie sich die Augen, was aussah, als hielte sie sich ein imaginäres Fernglas vors Gesicht. Wo war Auer? (Sünders Fall (Berg und Thal Krimi), Béla Bolten).

Am zweiten Tag der Dunkelheit hatte man sie alle erwischt. Die Besten, die Klügsten. Die Mächtigen, die Reichen, die Bedeutenden. Abgeordnete und Minister, Wirtschaftsbosse und Intellektuelle, Oppositionsführer und andere Berühmtheiten. Aber sie wurden nicht verwandelt. Sie wurden getötet. (Die Nacht, Guillermo del Toro / Chuck Hogan).

Nie war mir der Applaus so zuwider gewesen. Auch bei unserer einzigen Fernsehaufzeichnung nicht, als ein überflüssiger Animateur dem Studiopublikum signalisierte, wann und wie es reagieren sollte. Der Applaus im Flugzeug schmerzte. Dabei war die Boeing 737 bestenfalls zur Hälfte besetzt, aber es klang, als wollten das die Rentner mit maßlos übertriebenem Beifall ausgleichen. (Chiliherzen, Jürgen Schmidt / Sandra Wagner).

„Du dämliche Sau!“ Leif war traurig, aber noch viel zorniger, als sein Benz-Cabrio nach einer weiteren sinnlos vervögelten Nacht über die Autobahn in Richtung Hamburg rauschte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz räkelte sich der Cowboy zufrieden im Ledersitz. „Mach mal halblang, Alter, war doch gar kein übler Fick.“ (Midleifcrisis: Als meine Frau mich hinauswarf und ich mit 117 anderen schlief, Leif Lasse Andersson).

Die Polizei von Niceville brauchte nicht einmal eine Stunde, um die Person zu finden, die den Jungen zuletzt gesehen hatte: Alf Pennington. Sein Antiquariat lag an der North Gwinnett, nicht weit von der Kreuzung Kingsbane Walk, auf dem normalen Schulweg des Jungen, der Rainey Teague hieß. (Niceville, Carsten Stroud)

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Hier noch die ersten Sätze aus Lieblingsbüchern von mir:

Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann in einem Kino verletzt hatte. Es war kurz nachdem die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten, und die Leute waren tolerant gegen Soldaten, weil plötzlich jeder Soldat war, aber Jenny Fields blieb fest in ihrer Intoleranz gegen das Benehmen von Männern im allgemeinen und Soldaten im besonderen. (Garp und wie er die Welt sah, John Irving).

Louis Creed, der als Dreijähriger seinen Vater verloren und seinen Großvater nie gekannt hatte, wäre niemals auf den Gedanken gekommen, in seinen mittleren Jahren einen Vater zu finden; aber genau das geschah – auch wenn er diesen Mann seinen Freund nannte, was ein Erwachsener im allgemeinen tun muß, wenn er den Mann, der eigentlich sein Vater sein sollte, relativ spät im Leben trifft. (Friedhof der Kuscheltiere, Stephen King).

Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf“ nannten. (Der Steppenwolf, Hermann Hesse).

Eines Abends, ungefähr fünf Jahre nach Bettys Tod, da dachte ich, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Und darauf war ich nun weiß Gott nicht gefaßt. (Verraten und verkauft, Philippe Dijan).

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Und hier noch die ersten Sätze aus meinen Romanen:

Der Eingriff war ohne Komplikationen verlaufen. Als Tanja aus der Narkose erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Um sie herum war Dunkelheit. Sie versuchte, sich aufzusetzen. Den Schmerz, den diese langsame Bewegung auslöste, nahm sie im ersten Moment nur undeutlich wahr, fast so, als wäre dies nicht ihr Schmerz. (Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe Tod und Teufel, Ralf Boscher).

Den ersten Brief, den ich erhielt, empfand ich nicht als beunruhigend. Er war an die Anschrift meiner Eltern adressiert. Kein Absender. Nur die Adresse, darüber mein Name in dicken, schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Briefumschlag. (Abschied ist ein scharfes Schwert. Mordsroman, Ralf Boscher)

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Erotik und Schreiben… Heute auf der Tagesordnung: eine erotische Szene für den neuen Roman

Erotik und Schreiben

Erotik und Schreiben


Heute Abend soll geschehen, was die Woche über nicht geschah. Die Arbeit des Tages, die einen einnimmt – und von der man viel zu viel mit nach Hause nimmt. Der Alltag, der einen beschäftigt. Was ist nicht alles zu tun, zu bedenken. Die Wäsche, die aufzuhängen ist. Die Böden, die gesaugt werden müssen. Und was nicht alles an einem Tag geschieht, das besprochen werden sollte, besprochen wird… Alles wichtig, aber heute, jetzt, alles nichtig, denn nun sollte es gelingen, einfach mal loszulassen. Nicht zu denken. Nichts zu tun. Jedenfalls nichts anderes, als das Eine. Und so soll es heute geschehen.

Wichtig ist, denke ich, die richtige Musik. Ein anregendes Ambiente. Vielleicht ein Glas Rotwein, der dann im Schein der Kerzen warm schimmert. Wichtig ist es, den Tag hinter sich zu lassen. Früher war dies vielleicht anders. Da geschah vieles spontan. Kopf und Herz waren nicht so angefüllt mit Dingen, die erledigt werden müssen. Da ließ man sich einfach mitreißen. Plötzlich war die richtige Stimmung da. Nichts schob sich zwischen dieses spontane Vibrieren und das es tun. Doch heute hängt man erst einmal die Wäsche auf. Erledigt wichtige Anrufe. Erledigt Dinge. Um sich den Freiraum zu schaffen, der sich schwerer nur spontan einstellt.

Doch heute. Nichts mehr zu erledigen. Alle Anrufe getätigt. Der Wein schimmert warmrot im Kerzenschein. Jetzt noch die richtige Musik auswählen. Sade ist sehr passend. Ein Mix aus ihren Stücken und Stücken von Massive Attack. Teardrop und Angel. Ja, das ist gut. Jetzt geht es los. Ich nippe an meinem Glas, der Rotwein wärmt mich. No Ordinary Love hüllt mich ein.

Dann starre ich auf die letzten Zeilen, die ich für meinen neuen Roman geschrieben habe: „Alle Erregung, die sie bis zu diesem Abend erlebt hatte, war gegen die nun ihr Haupt erhebende Gier nur ein handzahmes Schoßhündchen gewesen. Fütter mich, fütter mich! Die Lust tobte wie ein hungriges, wildes Tier zwischen ihren Schenkel. …“

Und nun? Der Kursor blinkt. Fütter mich, fütter mich.

Ich weiß, was ich schreiben möchte. Welche Stimmung ich in dieser Szene erzeugen möchte. Ja, ich sehe die Szene sogar vor mir. Er. Sie. Viele Menschen in der Nähe. Ein Fest. Doch das stört sie nicht, sie lassen sich hinreißen von ihrer Lust aufeinander.

Ich füttere den Kursor mit explizierter Gier. Es reißt mich an der Tastatur hin. Wie feucht sie ist und er hart. Wie sie sich die Jeans herunterzieht und sich beugt und spreizt und er sie nimmt und nimmt und sie sich ihm hingibt. 600 Wörter für 6 Minuten Quickie. Wow. Darauf noch ein Glas Wein.

Doch als der frisch eingeschenkte Wein warm in meinem Glas schimmert, kommen mir, während Massive Attack die dunklen, eindringlichen Klänge von Angel durch meine Boxen jagt, Zweifel. Ist es das, was ich wollte? Sah ich das wirklich vor mir? Charakterisiert diese Sexszene die beiden Hauptfiguren in meinem Roman? Nein.

Gier, ja. Aber explizit?

Ich sollte jedes sechste Wort weglassen, mindestens. Und der Ton trifft es auch nicht. Also lösche ich den Abschnitt und beginne von vorne.

„Die Lust tobte wie ein hungriges, wildes Tier zwischen ihren Schenkel. …“

Und jetzt bitte mehr Sinnlichkeit. Mitreißend. Ein ganz und gar außergewöhnliches erotisches Erlebnis. Nicht per se. Also nicht im Sinne von außergewöhnlichem Sex. Sondern ein tiefgreifendes, die beiden für alle Zeiten verbindendes Erlebnis.

Ich starre auf den Bildschirm. Versuche dieses Bild von den Beiden, dieses Gefühl, dass etwas ganz Besonderes in diesem Moment geschieht, zu fassen – die Worte zu finden, die es fassbar machen. In Gedanken wandert mein Blick zum Fenster, durch welches das helle Licht der Straßenlaterne fällt. Dann wende ich den Blick von Fenster ab und schreibe:

„Sie zog ihn weg vom Licht der Straßenlaterne hinter den erstbesten Busch. Sie…“

Das Fenster sollte auch mal wieder geputzt werden, geht es mir plötzlich durch den Kopf. Ich stehe von meinem Schreibtisch auf und öffne das Fenster. Aber nicht heute. Ich zünde mir eine Zigarette an und blicke auf die Straße hinaus. Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen hatte. Am Straßenrand stehen die blauen Papiertonnen. Morgen ist der Abfuhrtermin. Und ich habe unsere Tonne noch nicht gerichtet…

Eine Viertelstunde später kehre ich an meinen Schreibtisch zurück. Die Tonne steht nun an der Straße, ich habe noch schnell einige Kartons eines Versandhauses zerrissen und hineingestopft, dann auf dem Rückweg die Katze gefüttert. Ich lösche den zuletzt geschriebenen Satz, versuche einen Neuen:

„Sie zog ihn weg vom Licht der Straßenlaterne hinein in die Dunkelheit hinter einen Altpapiercontainer. Schnell öffnete sie die Knöpfe ihrer Jeans, nahm seine Hand und führte sie zwischen ihre Schenkel…“

Und nun? Der Kursor blinkt. Fütter mich, fütter mich. 10 Minuten lang schaffe ich kein weiteres Wort.

Hallo Schatz, ich bin wieder da! Meine Liebste ist von ihrem Mädelsabend in Konstanz zurück. Ich lasse den Kursor blinken und begrüße sie. Natürlich hat sie einiges zu erzählen. Immerhin haben wir uns seit unserem Abschied heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit nicht gesehen. Also hole ich meinen Wein vom Schreibtisch, schenke ihr ein Glas ein und wir setzen uns an den Küchentisch. Eine Stunde später bin ich und ist sie halbwegs auf dem Laufenden, was sich Neues ereignet hat. Auf der Arbeit, bei ihr nach der Arbeit beim monatlichen Shoppen mit ihren Freundinnen und anschließendem Absacker. Und wie hat es mit dem Schreiben geklappt?, fragt sie mich, der ich mich seit einigen Minuten im Geiste vom Küchentisch langsam wieder zum Schreibtisch bewege. Diese Szene in meinem neuen Roman liegt mir schließlich schon seit Tagen auf dem Herzen.

Doch bevor ich antworten oder mich Richtung Schreibtisch verabschieden kann, fällt ihr noch etwas ein: Ich habe mir doch ein Kleid gekauft!, strahlt sie mich an, Das muss ich dir doch zeigen! Und da sage ich natürlich nicht nein. Ich liebe Kleider an ihr. Und das neue Kleid – und sie im neuen Kleid – ist wirklich eine weibliche Wucht.

Kleider… ob sie im Roman nicht Jeans, sondern ein Kleid tragen sollte? Einen Moment bin ich hin- und hergerissen zwischen dem Anblick vor mir und dem inneren Bild der Szene aus meinem Roman. Sie nimmt ihn an der Hand, lässt ihn dann los – lehnt sich an den Altpapiercontainer, hebt den Saum ihres Kleides über ihre Knie, höher und höher… Einen Moment. Dann lächelt mich meine Liebste an – auf diese ganz spezielle Weise. Dreht sich um ihre eigene Achse. Gefalle ich Dir in diesem Kleid?, fragt sie. Und: Oh ja!, antworte ich. Denke ich. Fühle ich. Tue ich. Während nebenan der Kursor blinkt. Plötzlich ist vergessen, was am heutigen Freitagabend geschehen sollte. Es zählt nur noch, was geschieht.

„Die Lust tobte wie ein hungriges, wildes Tier zwischen meinen Schenkel. …“

An jenem Abend kehre ich nicht mehr zu meinem Roman zurück. Später in der Nacht, meine Liebste schläft schon, lösche ich die zuletzt geschriebenen Worte und schließe die Datei, fahre den Rechner herunter. Dann gehe ich zu Bett. Warm strahlt unter der Decke zwischen uns die Zärtlichkeit der besonderen Nähe. Lächelnd schlafe ich ein.

Und am nächsten Morgen geschieht es. Früh erwache ich. Wochenende. Das Lächeln beim Aufwachen war ein Echo der Küsse meiner Liebsten. Leise stehe ich auf. Während das Wasser für den ersten Kaffee zu kochen beginnt, spült ich noch schnell die Gläser vom Vorabend. Dann füttere ich die Katze. Leise, um meine Frau nicht wecken, gehe ich mit der Tasse Kaffee in der Hand in mein Arbeitszimmer, fahre den Rechner hoch und öffne meine Romandatei – und dann geschieht es. Keine Musik spielt. Keine Kerzen lassen warm den Wein schimmern. Der heiße Kaffee dampft in der Tasse.

Sie trägt kein Kleid. Ich brauche keine 600 Wörter.

„Sie konnte nicht mehr warten, zog ihn weg vom Licht der Straßenlaterne, zog ihn aus der Menge in die Dunkelheit eines Hinterhofes hinein. Es war eine Offenbarung im Stehen, mit bis zu den Knien heruntergelassenen Jeans. Er gab der Bestie Futter, bis sie sich fürs Erste wohlig gesättigt auf den Rücken drehte, um sich sanft den Bauch kraulen zu lassen.“

Ein guter Anfang für das, was noch kommen soll. Dann gehe ich Frühstück für meine Liebste und mich richten.

Und hier eine Leseprobe, wie es aktuell mit dem hier in der Entstehung beschriebenen Kapitel steht…

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