Herzlich willkommen auf Boschers Blog, dem Autoren-Blog von Ralf Boscher

Eine interessante kulinarische Erfahrung

Hier bloggt jemand, der einfach gerne erzählt, vom Besonderen im Alltäglichen, von Katzen, Krebs und Kaffee, von Liebe, Lust und natürlich Laubbläsern. Ein Schriftsteller-Blog. Ein
„Vom Höcksken aufs Stöcksken“-Tagebuch.

Auf Boschers Blog findet Ihr Leseproben aus Ralf Boschers Romanen, vollständige Kurzgeschichten, humorvolle Miniaturen aus dem Alltagsleben, Rezensionen, Interviews mit Autorinnen und Autoren (u.a. B.C. Schiller, Hanni Münzer, Béla Bolten, Nika Lubitsch) und allerlei Lesenswertes zu folgenden Themen:

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Musik und Literatur – eine Betrachtung

Musik_Literatur1
Oh Du Fröhliche, Take The Long Way Home, The End… Ich kannte es von Stephen King, viele seiner Bücher wurden und werden eingeleitet von Zitaten aus Musikstücken, immer wieder untermalen Musikzitate den Text, geben Zitate aus Songs den Ton vor. Thomas Mann beeindruckte mich mit seiner aus Wagners Schaffen entlehnten Leitmotiv-Technik. Nietzsche kam wieder und wieder auf dieses Thema zurück, dionysisch getrieben, in dem Versuch seine Gedankenfülle apollinisch zu bändigen.

Musik ist in Literatur allgegenwärtig. Als Strukturelement, als atmosphärischer Anklang, als Text gewordene Musik, als Dichtung, als Thema. Nur einige Beispiele aus meinem Bücherregal: Nick Hornby, „High Fidelity“, Benjamin v. Stuckrad-Barre „Soloalbum“, Thomas Mann „Doktor Faustus“, Jack Kerouac „Unterwegs“. Musikalische Anklänge finden sich auch in meinen Geschichten z.B. in der Horrorstory „Oh Du Fröhliche“ rund um einen in Andrea Jürgens vernarrten Fleischer. Oder in der Kurzgeschichte „Take The Long Way Home“. In meinem zweiten Roman (hier vor allem die Musik der Doors).

Umgekehrt ließen und lassen sich auch viele Musiker von literarischen Werken anregen. Z.B. (wenn ich mir meine LPs und CDs ansehe): Pink Floyd „Animals“ (George Orwells „Farm der Tiere“), Vanden Plas „Christ O“ (Alexandre Dumas „Der Graf von Monte Christo“), Kamelot „Epica“ und „Black Halo“ (Goethes „Faust“), die aus meiner Heimat am Niederrhein, in dem Fall aus Krefeld, stammenden Blind Guardian mit u.a. „Nightfall in Middle-Earth (beruhend auf J.R.R. Tolkien „Das Silmarillion“), „Symphony X „Paradise Lost“ (John Milton „Das verlorene Paradies“). Unter der Überschrift „Existierende Vorlagen“ findet Ihr bei Wikipedia eine umfangreiche Liste von Konzeptalben vor allem aus dem Rockmusik-Bereich zum Thema „Literarische Vorlagen für Musikwerke“.

Die einflussreichsten literarischen Werke unter Musikern scheinen mir zu sein: „Die Bibel“ und „Der Herr der Ringe“ (bzw. die Mittelerde-Geschichten Tolkiens, Infos z.B. hier auf TolkienWelt), letzteres auch daran zu erkennen, dass sich viele Bands einen Namen aus Tolkiens Werken ausgewählt haben, z.B. Marillion (eine Aufzählung aus dem Bereich „Metal“ findet Ihr auf Metal Hammer.de). Spannend finde ich auch eine Gruppe wie die ebenfalls aus meiner Heimat am Niederrhein stammenden Faelend, die sich als Mystery- und Tolkien-Rockband nicht nur inhaltlich von Tolkiens Phantasiewelt inspirieren lassen, sondern zum Teil auch die Texte in einer der Kunstsprachen, die Tolkien erfunden hat, schreiben (Sindarin-elbisch, der Bandname bedeutet in dieser Sprache „Seelenreise“). Ein Special zu „Tolkien im Metal“ bietet Metalglory.de.

Manchmal arbeiten Schriftsteller und Musiker auch zusammen: Ein Klassiker der Zusammenarbeit von Musikern und Schriftstellern ist sicherlich das Zusammenwirken von Hawkwind und Michael Moorcock. Aktuellstes Beispiel in meinem CD-Player: Das neue Album von Vanden Plas „Chronicles of the Immortals“, das aus einer Zusammenarbeit mit Wolfgang Hohlbein entstand und auf Hohlbeins „Die Chronik der Unsterblichen“ basiert. Aus der Zusammenarbeit von Hohlbein mit Manowar ist bislang noch kein Album entstanden, aber mit „Thor“ ein Buch Hohlbeins (Teil einer Buch-Serie: „DIE ASGARD SAGA ist der neue große Epos von Wolfgang Hohlbein, entstanden aus der intensiven Zusammenarbeit mit MANOWAR“)

Natürlich gibt es auch Musiker, die schreiben: Viele schreiben ihre Biographie, manche wenden sich anderen Themen zu (z.B. Ted Nugent „Kill it & grill it“, ein Kochbuch, oder Neal Peart von Rush, der Reisebeschreibungen verfasste, z.B. „Ghost Rider: Travelling on the Healing Road: Travels on the Healing“).

Und es gibt Schriftsteller, die musizieren, z.B. die Allstarband amerikanischer Bestsellerautoren (u.a. Stephen King, Amy Tan).

Außerdem gibt es…

Musik und Literatur – „Ach, Luise, laß … das ist ein zu weites Feld.“ Und es kommen immer wieder spannende neue Alben dazu, aktuell (September 2022) die neue starke Platte „The God Machine“ von Blind Guardian (u.a. Bezüge zu American Gods von Neil Gaiman), die ich mir als 2 LP / Picture Disc besorgt habe, tolles Design (Foto weiter unten), oder „Seasons and Mysteries“ von Faelend, die nicht nur im Song „Heal Me“ (in diesem Song geht es um Heilkraut ,Athelas‘, Königskraut aus Mittelerde) wieder starke Bezüge zu Tolkien haben. Hier mein aktueller Favorit von Seasons and Mysteries:

PS: Gerade kam meine Liebste herein und hatte noch einen „Musik und Literatur“-Tipp, einen Song über einen Schriftsteller: Julia Holofernes‘ Song „John Irving“. Und da fiel mir noch ein weiteres Lied über einen Schriftsteller ein: „Goethe war gut“ von Rudi Carrell.

PS 2: Foto der Blind GuardianThe God Machine“ Limited Edition 2 LP / Picture Disk:

Foto der Blind Guardian „The God Machine“ Limited Edition 2 LP / Picture Disk

 

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Warum in die Ferne schweifen… Resturlaub oder der Tourist am eigenen Wohnort – Bodensee-Sightseeing

Die Imperia und das Zeppelin-Denkmal am Konstanzer Hafen

Die Imperia und das Zeppelin-Denkmal am Konstanzer Hafen

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen…“ – so heißt es. Und wir hatten vor, meine Resturlaubstage zu nutzen und gen Süden zu fliegen. Das mit dem Hinwegfliegen hat sich dann allerdings zerschlagen. So ist dies manchmal im Arbeitsleben. Aus dem „wir“, das zusammen in den Urlaub hätte fliegen wollen, wurde ein „ich“, das Urlaub nehmen musste. Resturlaub eben.

Aber schließlich sagt das Sprichwort: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nahe liegt!“ Zumal ich in einer ausgesprochen schönen Gegend wohne: am Bodensee.

„Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen.“, so steht es in Stellenanzeigen, wenn Fachkräfte angelockt werden sollen. Wobei ich diesen speziellen Spruch wenig gelungen finde. Klingt in meinen Ohren, als wenn eine Fastenklinik mit dem Spruch werben würde: „Darbe da, wo andere schlemmen!“ Oder wie wäre es mit einem neuen Spruch für die Stadt der Liebe: „Sei einsam dort, wo Paare sich romantisch lieben!“

Blick über den Bodensee, Einfahrt in den Fährhafen Konstanz Staad

Blick über den Bodensee, Einfahrt in den Fährhafen Konstanz Staad

Wie auch immer. Ich lebe jedenfalls dort, wo andere Urlaub machen, in einer sehr schönen Gegend. Die Ausblicke auf den See und die Berge, die sich mir manchmal auf meinem Arbeitsweg bieten, wenn ich auf der Bodenseefähre Konstanz-Meersburg unterwegs bin, sind atemberaubend. Für jemanden wir mich, der auf alte Gemäuer steht, ist Konstanz und Meersburg zum Beispiel ein sehr gutes Pflaster: Wenn ich nach der Arbeit auf dem Roller die Serpentine hinauffahre und dann um eine bestimmte Kurve biege, geht mir bei dem Anblick der Burg vor dem Panorama des Sees (egal bei welchem Wetter) das Herz auf.

Diese besondere Mischung zwischen schöner Landschaft und historischem Ambiente war es schließlich auch (neben der Liebe und einer Arbeitstelle) gewesen, die mich damals am See hatte bleiben lassen – diese ist es denn auch, die Jahr für Jahr Tausende Urlauber an den See zieht.

Und jetzt hatte ich dort, wo andere Urlaub machen, ebenfalls Urlaub. Ich war fest entschlossen, wirklich ein paar Tage Urlaub zu machen (und nicht wie ein Jahr zuvor – „Yippiejaja-yippie-yippie-yeah“ – Farben im Baumarkt zu kaufen oder einen Hochdruckreiniger zu organisieren etc.).

Im Geiste verreisen, das wollte ich, so dass all das, was ich daheim machen könnte, ja wirklich mal erledigen müsste, weit, weit weg wäre, und nur das zu machen, was ich wollte. Tourist sein am eigenen Wohnort. Endlich die Sehenswürdigkeiten in der Nähe besuchen, die ich noch nicht gesehen hatte, bei denen „immer etwas dazwischen gekommen war“. Die mir an den Tagen, wenn ich sie hätte besuchen können, also an Wochenenden oder Feiertagen, immer zu überfüllt mit Touristen erschienen waren.

Die Meersburger Burg und der Bodensee

Die Meersburger Burg und der Bodensee

Die Meersburger Burg, das Neue Schloss, das Droste-Häuschen, die Bibelgalerie, das Meersburger Zeppelinmuseum (nicht zu verwechseln mit dem Zeppelinmuseum Friedrichshafen) – um einige Meersburger Sehenswürdigkeiten zu nennen. Dann der Affenberg in Salem. Das Ravensburger Spieleland. Der Rheinfall von Schaffhausen. Die Birnau. Mainau. Die Reichenau mit Klöstern. Dann die Konstanzer Sehenswürdigkeiten. Die Konstanzer Altstadt. Das Münster mit dem Heiligen Grab. Rosgartenmuseum. Archäologisches Landesmuseum. Jan Hus-Haus. Die Imperia. Sealife. Konzilsgebäude. Hier an meinem Wohnort gibt es viel zu entdecken und zu sehen. Viel schöne Gegend und historische Gebäude, Spuren der Geschichte.

Warum in die Ferne schweifen…

„Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nahe liegt!“ Und so wurde ich für einige Tage Tourist am eigenen Wohnort, eine Erfahrung, die mich aufstellte. Mir Erholung brachte und gleichzeitig meinen Geist anregte. Ich besuchte also Sehenswürdigkeiten, die ich bislang noch nicht gesehen hatte. Ich besuchte das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen, das Traktormuseum in Gebhardsweiler / Uhlingen-Mühlhofen, das Das Zeppelin Museum Friedrichshafen. Und hatte die Jahreszeit auf meiner Seite. Es war noch ruhig am See, die Saison hatte noch nicht begonnen. Ich würde Tourist sein können – ohne in einem Strom anderer Touristen mitschwimmen zu müssen: Wann erlebt man den Landungssteg in Unteruhldingen schon einmal menschenleer? Über 100.000 Besucher zählte das Traktormuseum im vergangenen Jahr – doch ich war bei meinem morgendlichen Besuch nahezu alleine.

  • Das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen. Ein Klassiker des Bodensee-Sightseeing (das Museum besteht seit 1922), den ich – im Gegensatz zu meiner Liebsten und den Kids, die alle hier am See geboren waren und somit das Museum bereits zu Schulzeiten mehrmals besucht hatten – bislang nur vom Vorüberfahren mit einem Bodenseeschiff kannte. Es gab an jenem Tag nur eine Führung je Tag (Vor-Saison), pünktlich um 14.30 Uhr fand ich mich ein, und mit mir noch 5 weitere Gäste. Es wurde ein sehr interessanter Ausflug in die Stein- und Bronzezeit. Und aufgrund der kleinen Besuchergruppe konnte ich auch alle Fragen stellen, die mir klärenswert erschienen. So lernte ich u.a.: die für die Ansicht des Pfahlbaumuseums so charakteristischen Holzstege zwischen den einzelnen Häusern hatte es damals nicht gegeben. Die waren nur für die Besucher errichtet worden. Ein weiteres Zugeständnis an uns Touristen: Die Höhe der Türen der Pfahlbauten war an moderne Durchschnittsgrößen angepasst worden, die originalen Türen wären wesentlich niedriger gewesen.

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  • Das Traktormuseum in Gebhardsweiler / Uhlingen-Mühlhofen. Eine neue Attraktion hier am See, eröffnet 2013 (Quelle). Als mein (damals noch kleiner) Neffe mit seiner Technikbegeisterung hier am See war, da gab es das Museum noch nicht. Leider. Ein Eldorado für Technikbegeisterte. Wie ich fand riesig in seinen Ausmaßen, wobei dieser Eindruck vielleicht nur entstand, weil es solche Menge zu entdecken gab. Ich war schwer beeindruckt. Traktoren (Trecker, wie es bei uns daheim hieß), über Traktoren. Vom ersten Traktor von 1906 bis hin zu moderneren Schleppern. Dazwischen verschiedenste Werkstätten, welche die Entwicklung der Techniken der Landwirtschaft greifbar machten. Alles viel Liebe zum Detail aufgebaut. „Die Ausstellung zeigt nicht nur Traktoren in historischem Ambiente, sondern auch all das Drumherum einer Dorfgemeinschaft: Viele alte Handwerkstätten wie Holzschuhmacher, Schmied oder Küfer, eine Schule, einen Spielwarenladen und viele technische Geräte, die im Lauf der Jahrzehnte für Erleichterung im täglichen Leben sorgten.“ (Quelle). Mir hat es sehr gut gefallen und ich werde bestimmt noch einmal das Museum besuchen (und dabei auch sehen, wie mein Hinweis bezüglich Exponat Nr. 261 behandelt wurde).

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  • Das Zeppelin Museum Friedrichshafen. Noch so ein Klassiker, den alle Schulkinder hier am See zu sehen bekommen. Und den nun auch ich endlich besuchte. Anreise mit dem Bus, der direkt am Museum hielt. Abreise mit dem Katamaran nach Konstanz (noch eine Premiere für mich). Dazwischen: Einige Exponante, die ich interessant fand, in einem imposanten Gebäude. Aber insgesamt war ich ein wenig enttäuscht. Ich hatte mir „mehr“ vorgestellt. Mehr Exponante. Mehr Stimmung. Das Zeppelinmuseum in Meersburg (eher kunterbunte Ansammlung eines Fans zum Thema als wissenschaftliche Sammlung) fand ich interessanter. Und ehrlich gesagt: Wenn ich Kunst sehen will, dann gehe ich in ein Kunstmuseum…. Viel Fläche des Gebäudes war Kunstwerken vorbehalten. Wenn diese sich wenigstens um Zeppeline gedreht hätten… So aber nahm ich die Kunst kurz zur Kenntnis (ein wenig länger verweilte ich nur bei den Werken von Otto Dix), stattete dem schönen Café einen Besuch auf Kaffee und lecker Apfelkuchen ab und stieg zum Abschluss meines Besuches noch einmal die Stiegen in den Hindenburg-Nachbau, der wirklich eindrucksvoll war, empor.

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Nützliche Links Bodensee-Sightseeing:

Stadt Meersburg Sehenswürdigkeiten
Wikipedia Sehenswertes in Konstanz
Bodensee.de Ausflugsziele
Pfahlbauten – offizielle Seite der UNESCO Welterbestätte
Traktormuseum Bodensee und Restaurant Jägerhof – offizielle Homepage
Besuch im Traktormuseum Uhldingen-Mühlhofen am Bodensee“ von Erich Hirsch
Zeppelin Museum Friedrichshafen Homepage

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Und täglich grüßt der Laubbläser

Laubblaeser
Unglaublich: Ich höre Phil Collins. Über den Kopfhörer. Weil seine Stimme so beruhigend dahin plätschert, weil die Stücke so harmonisch sind. Und wer mich kennt, weiß: PHIL COLLINS! PUH! Obwohl: Und …Then there were three hat mir damals sogar gefallen. Vielleicht aus einem ähnlichen Grund, vielleicht weil ich mich damals auch nach Ruhe sehnte – und diese nur mit Musik zu haben war.

Lärm. Kennt jemand Rilkes Episode aus dem „Malte Laurids Brigge“, von diesem Wesen, das einem in die Gehörgänge kriecht, einen nicht mehr loslässt, schleicht es sich doch durch die Mauern des Hauses in das eigene Leben ein, ohne dass man sich dagegen wehren könnte?

Dieses Wesen ist der Nachbar. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben… wenn es bei Aldi, Lidl, Norma etc. wieder einmal Laubbläser im Angebot hat.

Meine Nerven vibrieren wohl noch immer nach. Dabei liegt das Wochenende noch nicht lange zurück. Ach, Wochenende. Luft holen. Durchatmen. Den Stress der Arbeitswoche hinter sich lassen. Ja, vielleicht sogar einmal ausschlafen… Ach, die lieben Nachbarn. Liegt Samstagmorgens um 9 Uhr das Laub vielleicht besonders günstig? Ist es die Romantik des sich lichtenden Herbstnebels, die den feschen Gartenfreund, sein von der Morgenfeuchte lockiges Haar zurückstreifend, nach seinem Laubbläser greifen lässt? Das kernige Epos des zupackenden Kerls, welches nur unter einer gewissen Geräuschentwicklung gedeihen kann? Da ein paar Äste am Busch, die nicht wie gewollt wachsen: Heraus aus dem Fundus die Elektrobaumschere! Hier am Rasenrand einige Büschel, welche die Harmonie stören: Der Elektrorasentrimmer wird es richten!

Wie auch immer: Samstags um 9 Uhr habe ich keinen Sinn für derlei Anwandlungen kerniger Elektro-Egomanie. Vielleicht wäre ich gnädiger, wenn nicht Donnerstag und Freitag die Gartenanlagenprofis rund um das Bürogebäude, in dem ich arbeite, bereits ihre Laubbläser angeworfen hätten (die, wie ich anhand der durch Dezibel dokumentieren Power erkenne, nicht aus dem Discounter stammen). Ist der Besen eigentlich ausgestorben? Kaum befinden sich 2 Blätter auf dem Boden wird die Krachpuste angeworfen.

Lärm. Huhn oder Ei? Was bedingt was? Würde ich unempfindlicher in die Woche gehen, wenn das Wochenende weniger geräuschhaft gewesen wäre? Oder würde ich das Wochenende weniger lärmig empfinden, wenn meine Wochentage ruhiger wären?

Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit: Kaum hat die Fähre über den Bodensee in Meersburg ablegt und ein leises Rütteln das beschleunigende Schiff erfasst, beginnt die Alarmanlage des Audi neben mir zu kreischen. Vielleicht ist der Fahrer auf der Toilette im Schiffsrumpf und hört den Ruf seines Autos nicht, jedenfalls es piepst, fiept, kreischt die Alarmanlage, aktiviert durch das sanfte Schaukeln der Fähre. Wie empfindlich doch die Technik heute ist. Und wie ich empfindlich ich doch heute bin. Huhn oder Ei? Einerlei. Wenn die Telefone auf der Arbeit ständig klingeln, treten solch philosophische Fragestellungen in den Hintergrund. Habe ich schon erwähnt, dass ich in einem Großraumbüro arbeite? Irgendeiner hat immer was zu melden. Irgendein Telefon klingelt immer. Kein Wunder, dass sich so mancher Kollege unter Kopfhörer flüchtet. Nur… Muss diese Flucht begleitet sein mit rhythmischem Treten im Takt der Musik gegen den Tisch? Bumms bumms bumms. Da kommen einem schon einmal Gedanken, den Kopf desjenigen zu packen und rhythmisch auf den Tisch zu hämmern.

Gott sei Dank ist Montag. Montags kommen normalerweise nicht die Gartenanlagenprofis mit ihren Laubbläsern. So gelingt es, sich zusammenzureißen. Aber wo kommt jetzt dieses Hämmern her? Es ist ein großes Gebäude, in dem wir arbeiten, irgendwo wird immer etwas gerichtet. Kein Wunder, dass sich meine Kollegen unter Kopfhörer flüchten. Bumms Bumms Bumms. Ach die Gnade der Ignoranz. Dass es gelingt, das klingende Telefon zu ignorieren, weil man sich in den selbstgeschaffenen Lärm flüchtet. Eigentlich beneidenswert. Ich empfinde diese Gnade nicht. Huhn oder Ei? Vielleicht war auch bei dem Kollegen am Samstag ein kerniger Nachbar mit dem Laubbläser unterwegs? Vielleicht erschafft sich auch jeder Laubbläser seine eigene kleine Welt? Eine Oase des selbstgeschaffenen Lärm inmitten von fremdbestimmten Geräuschen…

Täglich grüßt der Laubbläser… vielleicht ist es einfach die ewige Wiederkehr des auditiven Kampfes um die eigene Ruhe. Huhn oder Ei? Einerlei. Ich lärme also bin ich….

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Verdammt! Hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen?

Verdammt_Kirchenaustritt„…in aller Deutlichkeit…“

Sie sind flott, nicht flotter als die Feuerwehr, auch wenn es darum geht, ein Feuer zu löschen. Aber immerhin flotter als das Finanzamt… Das hatte beinahe einen Monat Zeit, meinen neuen Ewigkeitszustand auf der Steuerkarte zu vermerken – aber vielleicht warten sie ja noch? Doch mit Datum drei Tage nach meiner förmlichen Erklärung „Nein, ich möchte das nicht mehr!“ erreichte mich ein eng beschriebener (also eng formatierter) Brief der seit meinem Umzug zuständigen Kirchengemeinde. Bzw., denn Kirchengemeinde scheint ein veralteter Ausdruck zu sein, der „Seelsorgeeinheit“.

Apropos veraltet, apropos „Feuer löschen“: In dem Brief der Seelsorgeeinheit wird nicht der schöne, weil so viele Bilder transportierende Ausdruck des „Höllenfeuers“ verwendet, vielleicht weil er – eben – veraltet ist. Aber gleichwohl – immerhin richtet sich der Brief an jemanden, der fast ein halbes Jahrhundert zur allumfassenden Seelsorgeeinheit dazu gehört hat – schwingt er im Duktus mit.

Für die Eingeweihten muss nicht alles ausgesprochen werden.

„Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe…“

„Mein Pfarrer…“

Ihr Pfarrer – so ist unterschrieben. Wobei ich unter „Mein Pfarrer“ immer noch den Pfarrer meiner Kindheit und Jugend verstehe. Den Pfarrer, der mich getauft hat (woran ich mich nicht erinnere), den Pfarrer, in dessen Nähe ich, die Fahne für unsere Bruderschaft haltend, in der Mitglied war, vor lauter Weihrauchgeruch zusammenklappte. Den ich bei Beerdigungen von verunglückten Schulkameraden von unergründlichen Ratschlüssen Gottes reden hörte, die so unergründlich waren, dass ich sie als Kind nicht verstand. Der eine schöne Rede bei der Beerdigung meiner Oma sprach (wo ich schon älter war). Der – hier springe ich einige Jahre zurück – auf meine Bitte hin, mir Dreikäsehoch einige Sünden zu nennen, die ich beichten könnte, hilfreich beisprang („Eltern belogen“, „Geschwister geärgert“) und mich dann mit einigen Ave Maria und Vater Unser in eine der Bänke unserer schönen Pfarrkirche (und dank seiner Absolution) in eine Höllenfeuer freie Zukunft entließ. Der Pfarrer, der mich Pubertierenden bei meiner letzten Beichte fragte, ob ich denn schon einmal Hand an mich gelegt hätte (meine letzte Beichte, weil ich – der ich mich in meiner Intimsphäre verletzt fühlte – fortan nicht mehr um Absolution ersuchte).

Den Pfarrer der mich nun brieflich kontaktierenden Seelsorgeeinheit habe ich nie kennengelernt. Sicherlich meine „Schuld“, dass er mir unbekannter ist als einige Mitglieder der hiesigen Zeugen Jehovas-Gemeinde, die ich – aufgrund ihrer lächelnden Besuche an unserer Haustüre – wenigstens vom Sehen her kenne. Aber vielleicht bin ich auch nur zu früh ausgetreten? Sieht man sich die Tendenzen an, dann nähert sich die Katholische Kirche solchen Zahlen an, die Haustürbesuche vielleicht einmal notwendig machen.

Aber ich will nicht polemisch werden. Immerhin geht es um mein Seelenheil. Auch wenn dieser – wohl auch veraltete – Begriff nicht in dem besagten Brief benutzt wird. Warum eigentlich nicht? Warum wird hier nicht Tacheles geredet? Mir wird sogar angeboten, mich mit einer katholischen Seelsorgerin zwecks Gespräch zu verabreden. Meine Güte, wie modern. Und das sogar „meiner Wahl“. Da gehe ich vielleicht doch einmal in eine Veranstaltung der hiesigen Seelsorgeeinheit und schaue mir eine besonderes hübsche Seelsorgerin aus…

„…den Glauben zu bewahren…“

Nein, keine Polemik. Zudem bin ich ja auch fest liiert, quasi verheiratet. Wobei dies natürlich – das gehört zu den in aller Deutlichkeit dargelegten Konsequenzen –, wenn es passiert, ohne den Segen der katholischen Kirche passieren wird – es sei denn, der Bischof erteilt eine besondere Erlaubnis und ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“.

Ist das jetzt ein Hintertürchen für mich oder die Kirche? Und was soll dies ihn meinem Falle bedeuten, dass ich verspreche, „den Glauben zu bewahren und an die Kinder weiterzugeben“? An welche Kinder? An die erwachsenen, fast erwachsenen Kinder meiner Liebsten? An die eigene Kinderschar, die ich mir mit 45 Jahren für meine zweite Lebenshälfte noch erträume? Und was heißt „bewahren“? Bewahren kann man nur etwas, das man hat. Und „den Glauben zu bewahren“ kann ja im Zusammenhang des Briefes nur bedeuten: den Glauben an die katholische Kirche bewahren… Aber hallo! Das ist doch gerade der Kasus Knacksus! Ich habe mit meinem Austritt erklärt, dass ich nicht mehr an die katholische Kirche glaube – dass es hier für mich – bezüglich des Glaubens – nichts mehr zu bewahren gibt.

Aber dieser Punkt kommt in dem Brief doch ein wenig zu kurz. Mir scheint, dass meine ehemalige Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass die Erklärung meines Austritts nur so eine Art störrische Geste war, eine pubertäre Reaktion auf spontane Unlustreize (etwa der Blick auf die Lohnabrechnung oder die neuesten Meldungen über einen Skandal oder Nachrichten darüber, dass Kirchensteuern nur in geringem Ausmaß zu befürwortenden Einrichtungen zu Gute kommen). Dass mir – so unbedacht ich den Austrittsschritt erklärt habe – nicht klar war, was die Kirche bietet, mir bietet.

Es geht im besagten Brief kaum um den Glauben, sondern mehr um die „Gemeinschaft“, darum, was diese Gemeinschaft bieten kann (und weniger bieten kann aufgrund des Verlustes von Kirchensteuern), es geht um „Serviceleistungen“, die mir nun nicht mehr geboten werden.

Und so meint man, mich mich an Selbstverständlichkeiten erinnern zu müssen. Dabei ist es doch klar: Trete ich aus einem Verein aus, dann kann ich das Serviceangebot des Vereins nicht mehr nutzen. Das ist im Turnverein so, das ist in der Kirche so. Mich daran zu erinnern, dass ich die Vorzüge des geistlichen Heiratsservice nicht mehr genießen darf, kann nur bedeuten, dass meine Seelsorgeeinheit davon ausgeht, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe.

Hallo! Ich habe der Kirche, mit der ich aufgewachsen bin, deren Glaubensgrundsätze von Kindesbeinen an meine Lebensumwelt (und auch mein Denken) beeinflusst haben, den Rücken zugekehrt. Nach 45 Jahren! Rund 30 Jahre, nachdem ich erstmals Zweifel gehabt habe. Rund 30 Jahre, in denen mich diese Zweifel immer begleitet haben. Bis ich zu dem Entschluss kam, endlich einen Schnitt zu setzen.

Aber nehmen wir einfach mal an: Dieses Hintertürchen ist einfach nur nett gemeint. Die Kirche kennt nach rund 2000 Jahren ihre Schäfchen und ihre gelegentlichen Launen, die einzelne Verirrte unter lautem Blöcken aus der Herde ausbrechen lassen, nur um umso leiser in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren…

Ja, nehmen wir einfach mal an, meine Liebste verspürt plötzlich den all ihre Fasern durchdringenden Wunsch, in imposanter Kirchenkulisse unter Glockengeläut und Engelsgesang das Ja-Wort zu geben, um von einem katholischen Priester den Segen zu erhalten und vor dem Altar der geistlichen Erlaubnis zu lauschen, dass ich sie nun küssen darf – ja, dann habe ich vielleicht sogar ein paar Trümpfe parat!

Ich könnte einen Teil meines Bücherregals fotografieren und dem Bischof schicken. Den Teil, in dem Bücher wie „Wörterbuch des Christentums“, „Glauben der Millionen“, „Die Bibel“ und mein zur Erstkommunion erhaltenes Gebetbuch stehen (den angrenzenden Teil des Regals mit Titeln wie „Existiert Gott?“, „Hexenwahn“ „Angst im Abendland“ schneide ich aus dem Bild natürlich heraus). Ein – noch nicht einmal gefaktes – Bild von unserer Leseecke auf der Toilette könnte ich anfügen, in der das Buch „Who’s who in der Bibel?“ liegt (ich habe das Buch nach dem letzten Bibelfilm gekauft hatte, weil ich nicht mehr die genaue Reihenfolge der ganzen alttestamentarischen Recken parat hatte). Ich könnte jedes Mal, wenn ich eine Kirche besichtige und am Opferstock meinen Obolus zur Erhaltung dieser grandiosen Manifestation menschlicher Schöpferkraft entrichte, ein Handyfoto schießen. Und hier der Trumpf: Ich könnte von meinen kleinen Neffen, meinem Patenkind, eine selbst geschriebene Erklärung erbitten (mit den Worten und der Orthografie eines Viertklässlers), dass ich ihn mit einem selbst fabrizierten Bibelhörbuch gelangweilt hatte.

Ja, mein Patenkind. Ich bin Taufpate. Als mein Neffe in die Schule kam, habe ich begonnen, ihm die Bibel (eine Kinderbibel mit Bildern, deren Text er noch nicht lesen konnte) als eine Art Hörbuch aufzunehmen. Weil ich es wichtig fand, ihm er – der sich eigentlich nur für Technikkram interessierte – auch diese Seite unserer Kultur nahezubringen. Ich also mit Headset vor dem Computer. Stundenlang. Damit er eine vernünftige Aufnahme erhält. Cooler fand er dann mein Video, dass ich von mir auf meinem Roller gemacht habe. Einfach krachend von links nach rechts die Straße entlang brettern. Bibel ade.

Und – hier ist Schluss mit dem müßigen Gedankenspiel – ade auch mein Trumpf. „Sie dürfen z.B. nicht Tauf- und Firmpate werden“ steht in dem Brief meiner Seelsorgeeinheit. Ob das auch rückwirkend gilt? Muss mein Neffe noch einmal getauft werden, weil ich abtrünnig geworden bin? Wird er ohne meinen Beistand bei der Firmung den Heiligen Geist empfangen müssen?

„Dies ist die einzige Kirche Christi…“

Der eng beschriebene Computerbrief zitiert das II. Vaticanum – was ja hübsch ist, weil dies ja ein schöner Topos für eine Kirche ist, die um ihre Verantwortung den Menschen gegenüber weiß und sich modernisiert, die mit der Zeit geht: „… die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.“ (aus „Lumen Gentium“, Art. 8).

Zitate sind toll. Hier wird gleich eine vernünftige Vertrauensbasis geschaffen…

Zitat aus „DOGMATISCHE KONSTITUTION – LUMEN GENTIUM – ÜBER DIE KIRCHE“ [..] „Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen […] Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind […]“ (Quelle Archiv auf der Homepage des Vatikan).

Klingt doch fein, quasi fast tolerant. Die allumfassende Kirche weiß, dass es auch außer ihr Wahrheit, Heiligung, also Seelenheil gibt…

Aber Zitaten ist leider nicht zu trauen: „Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ So lautet das vollständige Zitat, entnommen dem Vatikan Archiv.

„Hindrängen“ … Also: Kein Heil außerhalb der Kirche. Jeder andere Glauben ist nur etwas wert, wenn er zu den Wahrheiten der katholischen Kirchen hindrängt…

Und hier sind wir endlich beim zentralen Punkt der ganzen Angelegenheit angelangt. Hier – auch wenn nicht von Seelenheil und Höllenfeuer die Rede ist – geht es ans Eingemachte. Meinen Tod.

Ich darf keine Sakramente mehr empfangen, also auch nicht mehr die Krankensalbung. Bedeutet: Ohne letzte Absolution trete ich vor meinen Schöpfer. Also per Definitionem als Sünder. Folglich habe ich am Tage des Jüngsten Gerichts ein großes Problem – gesetzt den Fall, die Kirche behält Recht. Und das heißt, allen kasuistischen Diskussionen zum Trotz, immer noch: Hölle. Verdammt. Wie auch immer man sich die Gottferne vorstellt. Und das jemand, der in unserem Kulturkreis aufgewachsen ist, hier gewisse düstere (gleichzeitig schmerzhaft feurige) Vorstellungen* hat, ist evident. Ob nun der Teufel eine Person ist oder eine Idee, eine bildhafte Ausschmückung der Abwesenheit von Heiligkeit, eine bedrückende Metapher für eine Ewigkeit in der Leere, für das Nichts, was nicht Nichts ist, sondern nur schmerzhaftes Abwesenheit von Etwas, für die immerwährende Dunkelheit, was auch immer – hier kann die Kirche, auch ohne ins Detail zu gehen, auf den ganzen Raum kultureller Erinnerungen zurückgreifen.

Aber schließlich ist die Kirche traditionell – man denke nur an solche Einrichtungen wie den Limbus oder das Fegerfeuer* – als barmherzig bekannt. Und so folgt in dem Brief eine gewisse Einschränkung: „Außer in Todesgefahr“. Puh. Glück gehabt. So knallhart ist die Kirche doch nicht. Sterbe ich, wird der in der Nähe weilende Pfarrer nicht seinen Segen verweigern…

Aber lesen wir doch weiter: „Es kann ihnen das kirchliche Begräbnis verweigert werden, wenn Sie vor dem Tod kein Zeichen der Umkehr und der Reue gezeigt haben“. Krankensalbung nur mit Reue zu haben.

Reue? Ich denke die Absätze des Briefes zurück, Ohne Reue auch keine Krankensalbung – Mea Culpa unter Todesgefahr. Und was soll bereut werden? Meine Sünden? Mein Zweifeln an Gott? Nein. Angesichts der Todesgefahr scheint es mir bei diesem Vereinsgehabe meiner Seelsorgeeinheit, weil es in den Brief nur am Rande um Glauben geht, um Profaneres zu gehen. Ich soll offensichtlich meine Erklärung bereuen, dass ich in einem Staat, zu dessen Grundpfeilern die Trennung von Staat und Kirche gehört, diese Trennung vollzogen habe. „Bereue, dass Du aus dem Verein ausgetreten bist…“

„Ich bitte sie um Verständnis, wenn ich Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erklärung des Kirchenaustritts in aller Deutlichkeit dargelegt habe. … Es gibt aber immer auch die Möglichkeit einer Wiederannäherung an die Kirche und einen Weg zurück in die Gemeinschaft.“

Vielleicht sollte ich immer einen Scheck dabei haben, in dem ich – im Falle des Falles – so pi mal Daumen meinen Vereinsmitgliedsbeitrag, die Kirchensteuerschuld, eintragen und dann den ich im Falle meines Ablebens anwesenden Pfarrers überreichen kann.

Ein Problem könnte die Zuordnung meines Schecks sein. Der so dringliche Brief meiner Seelsorgeeinheit (in seiner Dringlichkeit noch verstärkt durch Hinweise auf den Bischof) ist adressiert an einen Herrn Böscher. Der Postbote wusste es besser, deswegen erreichte mich dieser Brief (Gott sei Dank). Aber wird der gute Petrus an der Himmelspforte (man bedenke die große Anzahl an Ankommenden) auch so firm sein? Scheck ausgestellt auf Boscher – bei Böscher kein Eintrag – aufgeschmissen – mein Ewigkeitsstatus wurde nicht korrekt in den Papieren notiert – abwärts geht es… Also: Verdammt! Hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen?

Apropos: Das Finanzamt hat meinen neuen Status noch nicht zur Kenntnis genommen. Vielleicht haben die ja einen Deal mit der Kirche? „Hey, wartet besser. Wir schreiben da noch einen Brief, und dann sieht die Sache erfahrungsgemäß anders aus…“

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Ich alter Sack und die AfD

Selbst unter Tage – also sogar in der alten Wohnung einer guten Freundin, die im Keller eines Mehrfamilienhauses lag (blickte ich aus einem der Fenster, dann waren meine Augen auf Grasnaben-Niveau. Blickte sie aus dem Fenster, dann sah sie gewissermaßen das Gras von unten wachsen). – Also selbst an einem solchen Ort, an dem es nur selten einen Handyempfang gab, an dem das Sonnenlicht nur für Minuten durch die Kellerfenster schien und Radiosender, die auch schon einmal gute Musik spielten, wie SWR3 oder Antenne Bayern, nur ein Rauschen und Knistern von weit weit weg waren – ja, selbst dort war der regionale Radiosender zu empfangen. Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Und auf Schlager festgelegt.

Als noch eine 19 vorne stand

Radio Seefunk, so sage ich mal, war ein Sender der seine Zielgruppe in den über 50jährigen sah. Gerne auch noch älter. Und viel älter. In der  Zeit, von der ich jetzt spreche, schreiben wir noch eine 19 vorne. Die Generation, die der Sender ansprach, hatte den Blauen Bock, Ernst Mosch, Dieter Thomas Hecks Hitparade in den 70igern bei vollem Bewusstsein, freiwillig als Erwachsene erlebt (und nicht wie ich als hilfloses Kind, das, um überhaupt ein wenig fernzusehen, einfach mit noch unfertigem Hirn dabei saß und hilflos Melodien ausgeliefert war, die es nie mehr vergessen sollte).

Der Sender war also, um es klar zu sagen, in meiner damaligen Perspektive was für alte Säcke. Ein Faktotum, weil er selbst Six feed under zu empfangen war. Aber ein No go. War ich bei einem meiner Studentenjobs damals unterwegs und wurde das Radio aufgestellt – und es gab nichts anderes als Radio Seefunk –, dann ließen wir das Radio aus. Ja, so war das damals. Als noch eine 19 vorne stand. Und heute?

Der Mainstream meiner Generation

Ganz klar. Ohne Knistern. Fünf Balken. Selbst unter der Tage – ja, das gilt noch heute für den Sender, aber er spielt keinen Schlager mehr. Er hat sich ein „Neu“ vor seinen Namen gesetzt. Und was er spielt, ist so ziemlich die Setlist, die läuft, wenn wir Party feiern. Eine Mischung aus „Kennen alle“ und „Tut keinem weh“ (meine Metal-Platten und dramatischen Prog-Alben und Trällerelsen-Metall-Opern spiele ich da lieber nicht): Es läuft also Queen, die Best of, rauf und runter, 80iger Jahre Rock von Journey bis Blondie, dazu jede Menge 80iger Pop (Visage und so ein Zeug, ja Spandau Balllet Goooooolddd , puh), 70iger Jahre Perlen wie Earth Wind & Fire, Led Zeppelin, The Doors und Supertramp. Und immer wieder Michael Jackson. Kurz: Es läuft der Mainstream meiner Generation. Der Generation, die in den 70igern Kind war – und jetzt in die Zielgruppe des Senders hineingewachsen, hineingealtert ist. Ich bin zu einem der alten Säcke geworden. Heute, da schon eine Weile die 20 vorne steht.

Der Soundtrack eines alten Sacks

Und ich alter Sack habe das Neue Radio Seefunk oft gehört. Beim Pendeln im Auto zur Arbeit, auch daheim, „Alexa, spiel das Neue Radio Seefunk“. Queen geht immer. Und vielleicht bin ich auch ruhiger geworden und der Mainstream läuft mir deswegen gut rein (wobei: bei Journey erinnere ich mich an meine Hochzeit, und die war nicht Mainstream, und beim Nordic Walking läuft schon eher Metal und Drama und Prog …) – jedenfalls: Radio Seefunk gehörte zum Soundtrack meines Alltags. Ich alter Sack. Selbst wenn wir Besuch hatten, ließ ich den Sender manchmal laufen – obwohl wir keine Kellerwohnung haben, jeder Radiosender über DAB klar reinkommt und Alexa alles spielt, was wir wollen.

Und dann kurz vor der Landtagswahl 2021 in BaWü sendete Radio Seefunk einen Wahlwerbespot der AfD. Vielleicht weil gedacht wird, dass so ein alter Sack wie ich zur Zielgruppe gehöre. Aber das fand ich wirklich unterirdisch. Seitdem habe ich den Sender nicht mehr gehört. Habe ihn für mich begraben. Six feed under. Und dort ist für mich kein Empfang. Manchmal muss einfach ausgeschaltet werden. Gerade von einem alten Sack, der in diesem Punkt hofft, zum Mainstream zu gehören.

 

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Post von der Bundesregierung – eine schöne Maskerade

Corona, Masken, Bundesregierung, Krankenkasse, EW Responsemarketing e.K, BriefHabe heute Post bekommen, von der EW Response Marketing e.K. (deren Webseite übrigens nahezu blank ist, noch nicht einmal ein Impressum, Stand 6.2.2021), dachte, Werbung. Mitnichten. Ein Brief meiner Bundesregierung. Die mir mitteilt, dass sie meine Krankenkasse gebeten hat (tatsächlich das Wort, gebeten), mir dieses Schreiben zu schicken.

Gebeten … wie ist das wohl gelaufen?

Haben sich die Damen und Herren meiner Bundesregierung hingesetzt (also symbolisch, faktisch dann wohl die angestellten Damen und Herren in der Kommunikationsabteilung oder so) und haben die Krankenkasse angeschrieben: „Bitte schaut doch einmal in euren Unterlagen nach, wer von euren Leuten ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlauf bei einer Infektion mit Corona hat – und dem schreibt ihr dann bitte eine netten Brief (gerne formulieren den unsere Spezialisten für euch vor) und zusammen mit dem Brief schickt ihr bitte zwei Berechtigungsscheine für den Erhalt von Masken mit. Die beiden Scheine schicken wir euch dann auch noch …“

Ist das so in der Art gelaufen? Gebeten … Und haben einige Krankenkassen gesagt „Danke, aber nein!“?

Meine Krankenkasse hat wohl Ja! gesagt. Und dann hat meine Krankenkasse die Marketing-Agentur beauftragt, dieser Bitte nachzukommen. Also waren meine Bundesregierung, meine Krankenkasse und die Agentur damit beschäftigt, mir diese beiden Berechtigungsscheine zukommen zu lassen.

Aber die hat hübsche Wasserzeichen!

Bundesdruckerei, Berechtigungsschein für 6 Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung, WasserzeichenZwei amtliche, höchst offizielle Scheine mit hübschen Wasserzeichen (die wurden nämlich in der Bundesdruckerei gedruckt) für insgesamt 12 Schutzmasken, die ich mir für insgesamt 4 Euro Eigenbeteiligung in einer Apotheke abholen kann.

Also da fühle ich mich doch wirklich umfassend gut betreut. Und ich denke, für eine so wichtige Sache wie die 12 Masken kann ich mir eventuelle Gedanken zum Datenschutz auch sparen (die mache ich mir dann lieber bei einer so unwichtigen Angelegenheit wie dem Nachverfolgen von Infektionsketten (nein, Alexa, ich möchte keine Angebote für Ketten zum Valentinstag ansehen …).

Jedenfalls für 12 Masken (danke Alexa, aha, 20 Masken und Prime Lieferung 19,90 Euro, interessant*) – für 12 Masken für mich persönlich sind meine Regierung, meine Krankenkasse, eine Marketing-Agentur, die Bundesdruckerei und eine Apotheke meines Vertrauens mit im Boot.

Ach ja, ich habe den Zusteller vergessen. Puh. Und beinahe wäre der Brief ungeöffnet im Altpapier gelandet, weil ich dachte, Werbung… Dabei haben alle keine Kosten und Mühen gescheut, mir etwas Gutes zu tun. Wer will da schon undankbar rumkritteln, bei einer so schönen Maskerade.

*apropos Zahlen … um mal ein paar Hausnummern zu nennen: Im Referentenentwurf des Bundesministerium für Gesundheit zur Verordnung zum Anspruch auf Schutzmasken zur Vermeidung einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Bearbeitungsstand: 13.12.2020 14:11 Uhr) stehen interessante Zahlen, z.B.:
„Dem Bund entstehen angesichts von rund 27,3 Millionen anspruchsberechtigten Personen mit einem Anspruch auf insgesamt 15 Schutzmasken und einer Vergütung von sechs Euro je Schutzmaske sowie durch den Verwaltungskostenersatz für die Krankenkassen und pri-vaten Krankenversicherungsunternehmen Kosten in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro.“ (Quelle)
Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro … „2,5 Milliarden Euro hat die gesetzliche Kran­ken­ver­siche­rung 2013 für Vorsorge- und Rehaleistungen ausgegeben“ (Quelle). Oder um ein neueres Datum zu nennen: „Das Bundesfinanzministerium plant als Unterstützung für die Veranstaltungsbranche 2,5 Milliarden Euro ein“ (Hilfe für die Kulturbranche 2021, Quelle)
PS: Heute schweigt Alexa übrigens zu den Masken, vielleicht weil die nun teurer sind oder weil es gewisse Unwägbarkeiten mit der CE Zertifizierung gibt … Alles nicht so easy.
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Ein Patient 1. Klasse – „Der eingebildete Kranke“ von Molière, eine Rezension

Moliere_eingebildete_Kranke
Ein Sommer, der zu oft unter dem Zeichen „Patient 3. Klasse“ stand, ließ mich zu einem feinen, gemeinen Stück Literatur greifen, das sehr oft mit dem schwerfüßigen Attribut „Klassiker“ belegt wird (Klassiker = schwer = angestaubt).

Aber da hier auch nach über 300 Jahren nichts angestaubt ist, wusste ich, dass mir die Lektüre ein Lächeln in Gesicht zaubern wird.

Die Wahrheit, heißt es, sei das Gute und Schöne. Die Wahrheit ist: Es ist gut und schön, wenn es einem gelingt, in einer Welt, die weder gut noch schön ist, ein lächelndes Herz zu behalten.

Ein Patient 1. Klasse – „Der eingebildete Kranke“ von Molière, eine Rezension

Der Vorhang geht auf und ohne Umschweife ist der Zuschauer (und der Leser) mittendrin in der wahnhaften Welt des Herrn Argan, einer Welt, deren Lauf nicht durch den Fluss der Zeit, die Wanderung der Gestirne oder durch den Wechsel von Tag und Nacht bestimmt wird, sondern durch das Fließen der Einläufe und Tinkturen und des Geldes an Ärzte. Argan ist ein Hypochonder wie er im Buche steht, für die Ärzte, die ihm das Geld aus der Tasche ziehen, ist er ein Patient 1. Klasse. Seine Vernarrtheit in Krankheit geht sogar soweit, dass er seine Tochter nur an einen Arzt oder einen Apotheker verheiraten will. Herr Argan leidet, und das ist gut so, ist ihm das Gefühl des Leides doch so vertraut wie die Klistierspritze im Körper. Ein Tag ohne Darmreinigung… – undenkbar.

Le malade imaginaire – Der eingebildete Kranke ist das letzte von Molière geschriebene und inszenierte Stück. Eine Hypochonderkomödie mit reichlich Wortwitz rund um geldgierige Ärzte, Ehestiftung, eine Erbschleicherin und ein mit allen Wassern gewaschenes Dienstmädchen.

Mit scheinbar lockerer Hand gelingt Molière eine zugleich amüsante wie hintergründige Kritik an der Medizin und der Ärzteschaft seiner Zeit, eine Kritik, die, insofern sie Standesdünkel und Arroganz gegenüber den Patienten betrifft, sehr aktuell ist. Die Medizinerschelte ist ein Thema, das sich über viele Jahre hinweg durch Molières Schaffen zieht und welches in Der eingebildete Kranke seinen gestalterischen Höhepunkt findet.

Molières Kritik an der Medizin ist durchaus persönlich motiviert: er ist davon überzeugt, dass er die schwere Krankheit, die er von Dezember 1665 bis Januar 1666 durchlitt (und deren misslungene Behandlung durch die Ärzte dann tatsächlich zu der anhaltend angeschlagenen Gesundheit Molières führte) und die ihn zur zeitweiligen Schließung seines Theaters zwang, nicht wegen, sondern trotz der Ärzte überlebt habe. Ein Gedanke, der im Stück auftaucht, wenn Béralde über seinen Bruders Argan sagt, dass jener bislang nur wegen seiner guten Gesundheit die Ärzte überlebt habe.

Die Ärzteschaft in Molières Zeit und die von ihr praktizierten Heilmethoden sind der Antike auf eine Weise verpflichtet, die an blinde Abhängigkeit grenzt, es gelten nicht Beobachtungen, nicht Erfahrungen, sondern allein die überkommene Lehrmeinung der Alten. Dreh- und Angelpunkt der Medizin ist die antike Lehre von den Temperamenten und Körpersäften, die besagt, dass Wärme, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit im Körper der Menschen in einem bestimmten Verhältnis vorhanden sein müssen. Krankheit ist Ungleichgewicht der Säfte, die Ärzte suchen es wiederherzustellen, indem sie erhitzen, erfrischen, befeuchten oder austrocknen. Zwei beliebte Mittel dazu sind Aderlass und das Verabreichen von Klistieren. Was vor Hunderten von Jahren laut den Alten gut gewesen ist, muss auch noch heute gut sein… Molière selbst steht auf der Seite des Fortschritts, im Gegensatz zu der offiziellen Medizin seiner Zeit ignoriert er nicht die Entdeckungen auf dem Gebiet der Medizin, etwa die Entdeckung des Blutkreislaufes im Jahr 1619 durch den Engländer Harvey.

Die große Kunst des Molière ist es nun, seine Kritik nicht einfach zu formulieren und z.B. einer Figur monologisch belehrend in den Mund zu legen, sondern sie ungezwungen in das komische Geschehen rund um den Hypochonder Argan und seine Familie einzuflechten.

Molière gibt die Ärzteschaft der Lächerlichkeit preis, in dem er sich selbst lächerlich machende Ärzte auf die Bühne stellt. Ein Paradebeispiel ist der frisch von der Universität kommende, angehende Mediziner Thomas Diafoirus, dessen Abhängigkeit von überkommenden Meinungen Molière in den grandiosen Szenen, die der Vorstellung dieses von Argan gewünschten Schwiegersohns dienen, dadurch augenfällig macht, dass Thomas nur vorher auswendig Gelerntes von sich gibt: höfliche, steife, immer wieder mit lateinischen Wendungen versehene Galantarien, die dann auch noch den Adressaten verfehlen, weil er Argans Ehefrau für Angélique hält. Thomas ist also nicht auf der Höhe der Zeit und einen Blick für Menschen hat dieser angehende Arzt auch nicht: hält er es doch für eine gute Idee seiner Auserwählten als erstes Date eine Sektion vorzuschlagen.

Nicht weniger lächerlich als Thomas sind auch sein Vater Dr. Diafoirus und sein Onkel Dr. Purgon, etwa wenn sie sich gelehrten Diskursen ergehen und Herr Argan in seinem Wahn all diese gegensätzlichen Diagnosen und gegensätzlichen Therapien für der Weisheit letzter Schluss hält, nur weil er es kaum erwarten kann, ein neues Medikament auszuprobieren oder wieder ein Klistier verordnet zu bekommen. Die Glaubwürdigkeit der Ärzte bekommt ihren Todesstoß, als es nach allerhand mit der Komik der Konfusion spielenden Szenen (z.B. der Entlarvung der Erbschleicherin) dem Dienstmädchen Toinette und Argans Bruder gelingt, Herrn Argan einmal von einem Einlauf abzuhalten. Sogleich fühlt sich der verordnenden Arzt Dr. Purgon in seiner Autorität gekränkt. Und weil diese Kränkung der Autorität – wie Molière suggeriert – das Schlimmste ist, was einem Arzt passieren kann, geht Dr. Purgon auch gleich in die Vollen und malt seinem störrischen Patienten in bunten Farben seinen nahen, jetzt nicht mehr abzuwendenden, qualvollen Tod aus – nicht ohne daraufhin zu weisen, dass Herr Argan vor dem Eintritt seines selbstverschuldeten Dahinscheidens noch den verschmähten Einlauf zu bezahlen habe, schließlich sei er schon vorbereitet gewesen…

Der eingebildete Kranke wurde am 10. Februar 1673 mit großem Erfolg uraufgeführt. Molière selbst spielte die Hauptfigur Argan, seine Frau Armande die Rolle der Angélique. Er war damals bereits schwer an der Lunge erkrankt, und im Verlauf der vierten Vorstellung am 17. Februar 1673 (auf den Tag ein Jahr zuvor war Madeleine gestorben) erlitt er einen Schwächeanfall. Im sicheren Bewusstsein des nahen Todes bat Molière um die Sterbesakramente. Weil die Schauspielerei aber zur damaligen Zeit als unehrenhaft und als Teufelszeug galt (Schauspieler – und auch Zuschauer – zu exkommunizieren war gängige Praxis) lehnten zwei Priester Molières Bitte ab. Erst ein dritter Priester erklärte sich bereit, Molière die Letzte Ölung zu geben: er kam zu spät. Im Kostüm des Argan starb Molière ohne Segen der Kirche. Es heißt, erst durch das Eingreifen des Königs konnte er christlich beerdigt werden. Allerdings halten sich seit damals hartnäckig die Gerüchte, dass Molière sterbliche Überreste auf Betreiben der Kirche bald nach der Bestattung ausgegraben und in den für ungetaufte Kinder reservierten Teil des Friedhofs verlegt wurden.

Diagnose: Ein feines, gemeines Stück Medizin-Literatur, dass auch nach über 300 Jahren nicht angestaubt ist, da dieser Klassiker leichtfüßig, ebenso humorvoll wie giftig, mitten hinein – auch in die moderne – Seele greift. Mit scheinbar lockerer Hand gelingt Molière eine zugleich amüsante wie hintergründige Kritik an der Medizin und der Ärzteschaft seiner Zeit, eine Kritik, die, insofern sie Standesdünkel und Arroganz gegenüber den Patienten betrifft, sehr aktuell ist.

Zum Autor:

Molière wurde am 15. Januar 1622 als Sohn eines Tapezierermeisters in Paris geboren und auf den Namen Jean-Baptiste Poquelin getauft (den Künstlernamen Molière nahm er 1644 an). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie des aufstrebenden Bürgertum. 1643 gründete er, zusammen mit der Schauspielerin Madeleine Béjart, die seine Geliebte, Freundin und Vertraute wurde, eine Schauspielgruppe. Molière war Komödienschreiber, Regisseur und Schauspieler in Personalunion. Aufgrund von Geldnöten war die Schauspielgruppe gezwungen nach drei Jahren Paris zu verlassen, erst nach zwölf Jahren in der Provinz kehrten sie 1658 nach Paris zurück. Es begann die erfolgreiche Zeit, denn Molière gelang es mit seinen Komödien die Gunst von König Ludwig XIV, des Sonnenkönigs, zu gewinnen, der Molière – wenigstens eine Zeitlang – gegen alle Anfeindungen (vor allem von der Kirche) in Schutz nahm. Da die Einnahmen der Schauspieltruppe pro Kopf ausgezahlt wurden und Molière in seiner dreifachen Funktion als Autor, Regisseur und Schauspieler einen dreifachen Anteil einstreichen konnte, war er bald ein wohlhabender Mann. 1662 heiratete Molière Armande, von der es gerüchteweise hieß, sie sei die Tochter seiner langjährigen Geliebten Madeleine, vielleicht sogar seine eigene Tochter. Vieles spricht aber dafür, dass Armande und Madeleine Schwestern gewesen sind. Nach langer Krankheit verstarb Molière am 17. Februar 1673.

Quelle zu Hintergrundinformationen: Jürgen Grimm, Molière, Stuttgart/Weimar (Verlag J.B. Metzler), 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage 2002 (ISBN 3-476-12212-3)

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Männer… Von „Hör mal, wer da hämmert“ bis zu Liegestützen auf der Fähre…

Maenner
Also Männer… Wie komme noch einmal auf dieses Thema? Ach, ja, Donnerstag auf der Bodenseefähre, da gab es sehr geballt einige einprägsame Beobachtungen. Und ja, ich habe Samstag ein Lattenrost zusammengebaut und dann im Getränkemarkt, beim Kauf eines Kasten Warsteiner, einen Gratis-Rasierer bekommen (im Rahmen einer sogenannten „Männerbox“).

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“ Anscheinend dann, wenn er unrasiert in Arbeitsklamotten einen Kasten Bier kauft (ich trug meine mit Farbe besprenkelten Malerjeans, dazu ein kariertes Arbeitshemd, ebenfalls mit Farbe besprenkelt, denn angestrichen haben wir an diesem Wochenende auch).

Also bekam ich die Männerbox. Logisch. Mit Tusch. Aber lieber als ein Gratis-Rasierer, den ich doch nicht benutzen werde. Bin da eigen, rasiere mich, wenn ich mich denn rasiere, mittlerweile nur noch trocken (rasiere ich mich nass, dann seh‘ ich gleich 10 Jahre jünger und so brav aus, und das will doch keiner…) – also lieber als ein Gratis-Rasierer wäre mir irgendetwas Vitalisierendes für meine Augenpartie gewesen. Oder etwas, das mir die Stressfalten aus dem Gesicht bügelt… So ungern, ich das hier schreibe…. Hallo, es ist Wochenende, und da sollte es doch genügen, einmal Auszuschlafen, um wie ein junger Gott auszusehen (zumal ich mir den zweiten Teil von Thor unters Kopfkissen gelegt habe…). Kann doch nicht sein, oder?

Und warum sah ich am frühen Abend nicht wie ein junger Gott aus? Weil ich die Lehren aus „Hör mal, wer da hämmert“ vergessen habe. Mea Culpa.

Wie oft habe ich geschmunzelt, wenn Tim der Heimwerkerkönig wieder einmal eine Gebrauchsanweisung oder eine Zusammenbauanleitung ignorierte, weil er glaubte, er könne es eh besser. Er bräuchte keine Hilfe. Und Tims Bemühungen dann in einem Chaos endeten.

Wir hatten an diesem Samstag zunächst unser zukünftiges Gästezimmer frisch gestrichen, anschließend nahm ich mir das dafür neu angeschaffte Lattenrost vor.

Ja, und da war ich also. Der Mann und das Lattenrost (zerlegt). Ein Mann und circa 100 Einzelteile. Klingt beinahe so heroisch wie „300“ (300 Spartaner gegen 100mal so viele Perser). Das konnte doch nicht so schwer sein! Also ordnete ich erst einmal die Einzelteile gemäß der Beschriftungen in der Zusammenbauanleitung. Ja, bis hierhin hatte ich meine Lektion aus „Hör mal, wer da hämmert“ gelernt. Erst lesen, dann zusammenbauen. Und ich muss sagen, ich hatte schon wesentlich schlechterer Anleitungen gelesen. Und ich freute mich daran, dass die Bohrungen sauber ausgeführt worden waren und die Schrauben griffen (das hatte ich schon anders erlebt).

Die Arbeit ging schnell voran. Die zerlegten Außenholme zusammenschrauben, die verschraubten Außenholme mit Querstrebe und Kopf- und Fußteil verschrauben – also überhaupt, viel schrauben. Und merkte nicht, dass ich gleich zu Beginn eine winzige, aber wichtige Kleinigkeit übersehen hatte – war ja doch alles nicht so kompliziert, recht intuitiv…

Nun, eine halbe Stunde und etliche Schrauben später sagte mir meine Intuition: Da kann etwas nicht stimmen. Ich… Tief durchatmen. In diesem Moment kam meine Liebste herein. „Wie läuft es? Eine Menge Teile, oder?“ „Oh ja!“, entgegnete ich (…also es waren mindestens 1000mal so viele Perser wie wir…), „Bin aber gleich fertig!“, sagte ich, während ich dachte Wie doof kann man eigentlich sein? Ich habe die Außenholme falsch herum angeschraubt.

Männer halt. Ich wartete, bis ich wieder allein war und drehte die ganzen Schrauben aus den Außenholmen wieder heraus, tauschte deren Position und schraubte alles wieder zusammen. Präsentierte dann stolz das Ergebnis, als hätte ich gerade gottweißwas Bedeutendes geschaffen, das Rad erfunden oder so. „Super, Schatz!“, sagte meine Liebste, „Baust Du dann bitte eben noch das Bett auf, und dann tragen wir noch den Schrank ins Zimmer, hoffe nur, der passt durch die Tür!“

Also baute ich das Bett auf – ein Klacks. Mein altes Bett. Ikea. 8 Schrauben. 8! 5 Minuten auseinander bauen, 5 Minuten zusammen. Dann der Kleiderschrank – wie viele Schrauben der hat, daran wollte ich gar nicht denken. Aber der Aufbau von dem Schrank ist eine andere Geschichte, denn die Götter waren uns hold. Der Schrank passte durch die Tür. Anschließend ging ich besagten Kasten Bier kaufen.

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“ Manchmal dann, wenn er Arm in Arm mit seiner Liebsten, ein Bier in der Hand, das frisch gestrichene, nun gemütlich eingerichtete Gästezimmer begutachtet, dass einen Tag zuvor kaum mehr als eine ungemütliche Rumpelkammer gewesen war („Und er sah, dass es gut war“).

Manchmal wohl auch dann (um auf die versprochenen Beobachtungen auf der Fähre zurückzukommen):
Faehreerlebnisse
Klack, klack. Ich hörte ihn, bevor ich ihn sah. Wobei ich im ersten Moment dachte, es sei eine Frau auf hohen, für die Fährestiegen unpraktischen Absätzen, die das Passagierdeck betrat. Klackkkk. Nein, es waren keine hohen Absätze von Damenschuhen, die je Schritt nur einmal eindrücklich Klack machen. Es war eher ein Klackkkk, wie ich es von früher kannte, wenn die Läufer auf dem Sportplatz die Tartanbahn verließen und ihre Spikes auf den Steinplatten klackten. Mehrere Klacks, die zu einem verschwammen. Klackkkk. Und dann sah ich ihn. Sein neonfarbener Ganzkörperfahrradanzug saugte sich mit dem Licht der untergehenden Sonne voll und schoss es dann in Richtung meiner Augen: Helles Gelb dominierte seine blendende Erscheinung, hinter der die Sonne nur noch ein Schatten war. Eingeflochtene schwarze Streifen vervollständigten das dynamische Design des hautengen Anzugs. Ach, was sage ich. Hauteng… Der Anzug ging unter die Haut. Denkt Euch Batman in seinem Panzer, Superman in seinem Dress – ok? Ok. Dann zieht von diesem Bild vor Eurem inneren Auge die Muskeln ab. Minus Sixpack. Minus kräftige Oberschenkel. Minus mindestens einer Kopfgröße. Setzt der Gestalt einen ebenfalls neongelben Fahrradhelm auf – dann habt Ihr ein ungefähres Bild vom Beeman. Nein, ein wichtiges Detail habe ich noch vergessen: Entweder trug er ein Suspensorium, dessen Größe sich zu seiner schmächtigen Gestalt umgekehrt proportional verhielt, oder der Bienenmann hatte einen mächtigen Stachel. Jedenfalls konnte er kaum Laufen. Breitbeinig setzte er vorsichtig Fuß vor Fuß. Nun gut, vielleicht taugte sein Fahrradsattel einfach nichts. Vielleicht lag sein merkwürdiger Gang auch an diesen das Klackkkken erzeugenden speziellen Fahrradfahrschuhen, welche offensichtlich nicht zum Laufen gemacht waren… Ja, vielleicht.

„Wann ist ein Mann ein Mann…?“

Wohl auch dann:

Als der Beeman breitbeinig an mir vorbei gestakst war, stand ich auf, um vom Heck der Fähre noch ein paar Fotos von der untergehenden Sonne zu schießen. Da stand ich also an die Reling gelehnt, der Blick gen untergehender Sonne, freute mich an meiner Zigarette ziehend an den wechselnden Farben des Sees, als ein Mann im Anzug ein paar Bänke weiter plötzlich sein Jackett auszog und begann – mit den Füßen auf der Bank, seine Hände auf dem Boden – Liegestütze zu machen. Mindestens 20. Dann Sit-Ups, auf der Bank liegend, die Füße an der Reling. Die machte er noch, als ich meine Kamera wegpackte, weil die Sonne untergegangen war, und ich eine sms an meine Liebste schrieb, dass ich nun bald daheim sei.

Und dann wohl auch:

Ich stand schon neben meinem Roller, die Fähre fuhr in den Meersburger Fährhafen ein. Klackkkk, klackkkk, der Beeman stakste die Treppe hinunter, an deren Fuß sein Hightech-Fahrrad an der Reling lehnte. Lässig das Jackett mit einem Finger über die Schulter gehängt, ging hinter ihm der Liegestützenmann die Treppe hinunter, wobei sich sein weißes Anzughemd über einem kräftigen Brustkorb spannte. Scheint ja doch was zu bringen, dachte ich, diese Liegestütze auf der Fähre. In dem Moment rempelte mich ein junger Mann an, als er an mir vorbei zu seinem Wagen ging. „FRAUEN MÜSSEN NICHTS VERSTEHEN, SIE MÜSSEN NUR JA SAGEN!“, rief er in sein Handy hinein und stieg ein. Die Autotür schlug zu, so dass nicht zu verstehen war, was er noch Behämmertes ins Handy rief. Er startete den Wagen, obwohl es noch Minuten dauern würde bis wir von der Fähre würden fahren können, und nebelte Beeman, den Liegestützenmann und mich mit Abgasen ein.

Männer halt…

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