Monatsarchive: Januar 2014

Historisches: Es geschah Anno Domini 1983 – „Eine Gesellschaft“, die erste Kurzgeschichte von Ralf Boscher

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Eine Gesellschaft

1. Mit der ihm eigenen ruhigen Arroganz gab Hermann der Maior Domus einige letzte Anweisungen und sorgte dafür, dass alles nach den Wünschen seiner Herrin hergerichtet wurde. Unter seinem strengen Blick eilten zwischen den Säulen der in weißem Marmor gehaltenen Halle weißgekleidete Bedienstete geschäftig hin und her. Manche hielten in ihren behandschuhten Händen silberne Schüsseln angefüllt mit kulinarischen Delikatessen aus allen Teilen der Erde. Andere trugen in kleinen Gruppen die Blumendekoration an die vom Maior Domus dafür ausgesuchten Stellen. Wieder andere stellten begleitet von Gezwitscher eine Voliere mit Singvögeln auf. Instrumente wurden herumgetragen, der Violinist des Kammermusikensembles spielte sich ein. Endlich klatschte Hermann in die Hände. Stille trat ein. Einen kurzen Moment verstummten sogar die Vögel. Es war Zeit, dass jeder an seinen Platz ging. Das Fest konnte beginnen.

Limousinen fuhren vor. Portiers bemühten sich um die geschätzten Gäste: Würdevoll öffneten sie die Wagentüren und verhalfen den Damen der Gesellschaft zu einem angenehmen und angemessenen Ausstieg, geleiten sie und ihre Männer oder Begleiter in die Villa hinein. Kammermusik erklang dezent aus wohl gepflegten Instrumenten. Die Empfangshalle erstrahlte durch die vielen Lichtreflexe, die die Geschmeide der Damen zauberten. Champagner wurde gereicht. Leise unterhielt sich die wachsende Zahl Gäste. Der Umgang war würdevoll und dezent. Nur selten war ein leises Lachen zu hören, während alle auf das Erscheinen der Hausherrin und Gastgeberin warteten.

Dann erschien sie auf der großen Treppe und schritt langsam die Stufen hinunter. Die Dame des Hauses trug eine goldfarbene Komposition, winzige eingearbeitete Edelsteine funkelten im Schein der Lampen. Das enganliegende, tief dekolletierte Oberteil und der glockenförmige Rock untermalten vollendet ihre immer noch erstaunlich wohlgeformte Figur. Sie war beliebt. Niemand der Anwesenden würde angesichts ihrer Figur und ihres faltenfreien Gesichtes das Wort „erstaunlich“ verwenden und davon sprechen, dass nur ihre Hände ihr wahres Alter verraten würden, wenn sie denn nicht Handschuhe trüge.

Lange nahm sie am Fuß der Treppe Gratulationen, Komplimente und Geschenke entgegen, die ihr, sobald der jeweilige Gratulant weitergezogen und sich dem üppigen Buffet zugewendet hatte, Hermann, der neben ihr stand, aus den Händen nahm. Alsdann eilte ein Angestellter herbei, nahm das Geschenk von Hermann entgegen und trug es zu den anderen in einen Nebenraum.

„Charles!“
Endlich trat der Letzte in der langen Reihe Gratulanten zu ihr.
„Elvira, ich bitte dich mein spätes Auftreten zu entschuldigen!“
„Charles, das ist doch nicht von Belang. Es liegt mehr in meinem Interesse, dass du überhaupt den Weg zu mir gefunden hast.“
„Elvira, ich danke dir für deine Nachsicht, du weißt doch, zu dir finde ich immer einen Weg.“
Die Hausherrin kicherte wie ein kleines Kind, wobei ihre Augen ohne ein Zeichen von Vergnügen das Geschenk betrachteten, welches ihr Gast ihr entgegenhielt.
„Meine Liebe, ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Ich hoffe du freust Dich, es ist schwer etwas zu finden, das der Bedeutung deines Geburtstages angemessen ist.“
„Parfüm Charles, wie lieb. Aber es steht ja gar nichts auf dem Flakon?“
„Es ist etwas ganz Besonderes, Elvira. Ich habe es aus Istanbul mitgebracht!“
„Oh ja, sehr exotisch. Danke!“
Elvira nahm den Flakon entgegen, betrachtete ihn kurz und verabschiedete sich dann von ihrem Gast.
„Du verstehst! Ich muss mich auch um meine anderen Gäste kümmern…“
Charles nickte ergeben und entfernte sich.
Elvira reichte das Flakon mit spitzen Fingern an Hermann weiter.
„Kümmern sie sich um das Parfüm“
„Sehr wohl gnädige Frau. Gerne.“
Dann nahm sie ein Bad in der Menge.
„Herr Bürgermeister, fühlen Sie sich wohl? Kümmert man sich auch um sie?“
„Danke der Nachfrage, Ich kann mich nicht beklagen. Ihre Angestellten umsorgen uns ja wirklich sehr umsichtig. Übrigens, eine sehr hübsche Idee die Voliere aufzustellen. Ist es nicht wunderbar, wie beruhigend doch Vogelgezwitscher auf den Menschen zu wirken vermag?“
„Durchaus, Herr Bürgermeister, durchaus…“

2. Hermann öffnete unterdessen im Keller der Villa eine Stahltüre, die mit Sicherheitsschlössern verriegelt war. Er schaltete das Neonlicht ein und betrat das hellgrün eingerichtete Labor. Hier hielt er sich gerne auf, denn er liebte die Ruhe hier unten. Hermann stellte das Parfüm-Flakon auf dem Labortisch ab und ging zu den ebenfalls hellgrünen Kästen, welche an der Wand angeordnet waren. Im Gehen zog er sich sterile Handschuhe an, dann öffnete er einen der Kästen und nahm eine junge Katze heraus.
„Komm, du darfst heute der gnädigen Frau dienen!“
Er ging, das Kätzchen, welches zitterte, mit seinen Handschuhen streichelnd, zu dem Labortisch und freute sich:
„Wie wenig Ärger ihr doch macht, wenn euch Krallen und Zähne fehlen.“
Auf dem Tisch stand eine glänzende, stählerne Vorrichtung, und in diese hob er jetzt die Katze hinein. Klammern schlossen sich sorgfältig um ihre zitternden Gliedmaßen und ihren Kopf. Hermann markierte dann einen Ausschnitt bestimmter Größe auf dem Rücken der Katze. Diesen schnitt er sorgfältig mit einem Skalpell aus.
Hermann genoss, während er mit geübten Handgriffen zu Werke ging, die Stille, die nur unterbrochen wurde, wenn er mit einem Tuch die Klinge freimachte von Blut, Haut und Haaren. Da der Katze die Stimmbänder durchtrennt worden waren, störte sie die Ruhe nicht. Nachdem Hermann die Fläche freigelegt hatte, setzte er kleine Klammern an den Augenlidern der Katze an, um die aufgerissenen Augen sicher offenzuhalten. Dann öffnete er den Flakon, zog mit einer Pipette eine genau abgemessene Menge des Parfüms auf und tröpfelte diese in die offene Wunde und in die blauen Augen. Anschließend verschloss Hermann den Flakon, jetzt musste er warten und beobachten. Dazu setzte er sich auf einen Stuhl, von dem aus er die Katze im Blick hatte. Aber er ließ sich nicht nieder, ohne sein Jackett abzulegen.

3. „Finden Sie das nicht schrecklich?“
„Aber sicherlich, und er soll auch seine Kinder geschlagen haben?“
„Aber ja, ich weiß es von ihr!“
„Ich finde es erschreckend, wie sehr in unserer Welt die Brutalität zugenommen hat. Ja, Hermann? Treten Sie heran!“
„Gnädige Frau, ich habe mir erlaubt, das Geschenk in der gnädigen Frau Schlafzimmer bringen zu lassen!“
„Danke Hermann. Sie können gehen. Wo waren wir noch verblieben? Ach es kommt mir wieder in den Sinn. Glauben Sie nicht auch, dass unsere Welt immer grausamer wird? Also neulich, da haben Sie das Auto meiner Schwester…“

4. Früher Morgen, der angefallene Abfall der Gesellschaft wird aus dem Haus entfernt und in einen großen Müllcontainer, der hinter einem Wirtschaftsgebäude abseits der herrschaftlichen Villa steht, hineingeworfen. Viele Angestellte gehen oft zum Container, aber niemand bemerkt das sich ab und zu leicht bewegende Etwas in einer der Abfalltüten.

Ende

Lange ist es her, dass ich meine erste Kurzgeschichte schrieb. Hier das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. „Eine Gesellschaft“, geschrieben 1983.

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„Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Schillers Tell – eine Rezension

Schiller_Tell
Ich musste wieder einmal mit dem Bus fahren, als Lektüre hatte ich mir etwas Leichtes auf den Weg mitgenommen: Also leicht an Gewicht – mein altes Reclam-Büchlein mit dem „Tell“. Und ich muss sagen, der Tell war angesichts meines Arbeitstages gut gewählt, wie ich dann, an der Bushaltestelle lesend, dachte. Eines Arbeitstages, der wieder einmal alles aufbot, um meine Stressresistenz zu testen: von den allseits beliebten Laubbläsern bis hin zu einem Kollegen, der zur Ankurbelung seiner kreativen Schübe einen Baseballschläger in die Firma gebracht hatte (seinen, wie er das Teil nennt „Denkschläger“), den er – wenn ihm nichts einfällt – in seine flache Hand schlug. Klatsch. Klatsch. Ein Geräusch, das meinen Puls schneller schlagen ließ. Der Gedanke, dass er seinen Denkschläger verkehrt anwendet und ich ihm gerne die richtige Anwendung gezeigt hätte, kam schnell. Heißt es doch, leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen… Ach ja, wie steht es im Tell: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Wahr, wie wahr. Auch wenn ich froh bin, friedlich geblieben zu sein. Meine vielen Kneipenjobs während des Studiums zahlen sich in punkto Stressresistenz aus. Ja: „Früh übt sich, was ein Meister werden will.“

Apropos: Unser Staubsauger ist kaputt. Also der Stecker. Gebrochen. Getreu dem Motto „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ fuhr ich mit dem Bus zum Baumarkt, um ein entsprechendes Ersatzteil zu besorgen, welches ich dann würde mit dem Kabelende verbinden können. Elektriker war keine meiner studentischen Beschäftigungen gewesen, aber das Internet weiß ja Rat. Und so wusste ich zumindest: Ein Eurostecker kann es wegen der Spannung, die bei einem Staubsauger anliegt, nicht werden. Ich also dem freundlichen Herrn mein Problem geschildert – und wurde von ihm zielsicher zum Eurostecker geführt. „Aber die sind nicht die Richtigen bei höherer Spannung“, sagte ich. Und er nahm die Verpackung in die Hand und las nach: „Stimmt!“ Dann führte er mich zu einem Regal mit vielen, sehr vielen unterschiedlichen Steckern – und begann jeden einzelnen herauszunehmen, um die Beschriftung zu studieren. Ich verließ den Baumarkt ohne Stecker, angesichts elektrischer Gefahren wollte ich durch diese hohle Gasse nicht kommen…. „Mach deine Rechnung mit dem Himmel…“ – lieber nicht.

Ja, vieles an Schillers Tell ist sprichwörtlich geworden, und die zentrale Frage „Wie weit darf im Namen der Freiheit gegangen werden?“ ist heute noch so aktuell wie vor 200 Jahren (wobei sich bei uns die Frage der Rechtfertigung des Tyrannenmordes hoffentlich nicht mehr stellen wird).

Kurz: Mir hat es Spaß gemacht, den Tell nochmals zu lesen, wegen seiner kraftvollen Sprache, weil er zum Nachdenken anregt – und die Wartezeit auf und die Fahrt im Bus somit enorm verkürzt.

Der Tell war Schillers letztes beendetes Drama (1804 beendet, er starb 1805). Längst war er zu etwas geworden, das man heute Großschriftsteller nennt, und doch hatte er sich, wie der Tell nochmals zeigt, viel von seiner politischen Bissigkeit bewahrt, die seine dramatischen Anfangszeiten auszeichnete (so brachte ihm sein erstes, 1781 anonym veröffentlichtes Drama „Die Räuber“ gleich eine Menge Ärger mit seinem Landesherren ein: 14 Tage Arrest, da Schiller ohne Erlaubnis zur Uraufführung gereist war, es ward ihm verboten Stücke zu schreiben, Schiller floh aus dem Land).

Auch darin, in seinem Lebenslauf, ist er aktuell, wie die Nachrichten von verfemten, verbotenen, verfolgten Schriftstellern aus anderen Winkeln der Welt leider zeigen. Wie steht es im Tell: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

 

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Cyber-Angriffe – oder: Eigentlich wollte ich über Vampire schreiben…

Cyber-Angriff
Endlich brach die Sonne durch den Nebel über dem Bodensee, das nachmittägliche Licht fiel durch das Fenster auf meinen Schreibtisch, auf dem einige Notizen zu meinem neuen Roman auf mich warteten. Ich fuhr meinen Rechner hoch, startete meine Textverarbeitung, öffnete den Ordner „Roman_3_Midlife_Crises_Vampir_Roman“. Doch bevor ich am aktuellen Kapitel weiterarbeiten würde, wollte ich mich noch um meinen Blog kümmern und einen neuen, am Vortag geschriebenen Artikel posten – da alles vorbereitet war, eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Dachte ich.

Ich startete Firefox. Öffnete die Einlog-Seite zu meinem Blog – und eine Fehlermeldung erschien auf weißem Hintergrund: „Seite nicht erreichbar“. Ich versuchte es wieder, und erneut war die gewohnte Seite, um mich bei meinem Blog-Adminbereich einzuloggen, nicht erreichbar. Das war ärgerlich, aber beunruhigte mich in den ersten Minuten noch nicht. Hole ich mir erst einmal einen Kaffee. Nur ein kleines technisches Problem bei meinem Anbieter. Schnell behoben. Manchmal sind ja auch Internetseiten kurzzeitig nicht erreichbar. Zweimal in die Sonne zwinkern, Seite erneut aufrufen und es klappt. Es klappte nicht. „Seite nicht erreichbar“, auch nach einem weiteren Kaffee.

Jetzt war ich beunruhigt.

Ich versuchte einen anderen Browser. Das gleiche unbefriedigende Ergebnis. Ich loggte mich in mein Wordpress.com-Konto ein, versuchte auf diesem Weg, den Admin-Bereich meines Blogs zu erreichen. Zwecklos. In diesen Momenten war nicht daran zu denken, an meinem Roman weiterzuarbeiten, „Seite nicht erreichbar“ nahm meine Gedanken ganz ein – und eine unschöne Erfahrung begann sich in den Vordergrund zu drängen:

„Sehr geehrte(r) Besucher(in), leider kam es kürzlich zu einem gezielten Cyber-Angriff auf die Forensoftware der eBook-Gemeinde.

Dieses Forum wurde ehrenamtlich betrieben. Aus mangelnden zeitlichen und finanziellen Mitteln für die Wiederherstellung des Forums und Identifizierung vorhandener Sicherheitslücken muss das Forum leider geschlossen werden.

Das Team der eBook-Gemeinde bedankt sich für Ihr Verständnis.“

Diese Nachricht vom vergangenen Herbst hat mich geschockt. Weil ich mir nur im Ansatz vorstellen konnte, wie viel Arbeit es gekostet haben muss, dieses Forum aufzubauen – und diese Arbeit war nun zunichte gemacht worden. Weil der Schritt, das Forum komplett dicht zu machen, radikal war – und ich bis dato noch nie von so einem Schritt gehört hatte. Vor allem aber auch, weil mir mein liebstes Marketinginstrument nun genommen worden war.

Ich war sehr froh gewesen, dass ich im weltweiten Netz für mich mit der eBook-Gemeinde die ideale Anlaufstation für meine Social Media-Aktivitäten als Autor gefunden hatte. Ein gut besuchtes Forum (über 13.000 Besucher im Monat), einfach zu bedienen, übersichtlich – und ein Interesse meiner Arbeit gegenüber, das mich sehr glücklich machte. So konnte ich mich neben den hohen Anklickraten meiner geposteten Neuigkeiten, Blogeinträge, Aktionen, über schnell steigende Besucherzahlen auf meinem Profil freuen. Die Berücksichtigung meiner eBooks bei den Buchtipps, eine Interview-Anfrage taten ihr Übriges, dass ich mich bei der eBook-Gemeinde sehr wohl fühlte. Ich erreichte wesentlich mehr Leserinnen und Leser, ein Vielfaches mehr als auf allen anderen Kanälen.

Dann eines Abends, ich wollte mich in mein Profil einloggen, die schockierende Nachricht: „Leider gibt es die eBook-Gemeinde nicht mehr…“ Also gab es auch meine Postings nicht mehr, meine Antworten auf andere Beiträge, meine Leseproben, Buchtipps, das Interview mit mir – alles weg. Mein bis dato bestes Marketinginstrument – weg.

Weg. Und aufgrund dieser Erfahrung war ich, während mittlerweile die spätnachmittägliche Sonne durchs Fenster schien, bei der Mitteilung „Seite nicht erreichbar“ schließlich sehr beunruhigt. Deswegen gab ich in die Suchzeile von Google den Namen meines Providers und die Wörter „Wordpress“ und „Cyberangriff“ ein – und „Holla die Waldfee!“: Mehrere Angriffswellen auf die Server allein im Jahr 2013, nicht nur bei meinem Anbieter, sondern vielen großen Providern. Das war mir nicht bewusst gewesen.

Und lag da der Hase im Pfeffer? Ja, es war ein aktueller Cyber-Angriff auf die Server meines Providers, wie ich dann am Telefon erfuhr. Aufgrund der sofort eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen seien alle Admin-Oberflächen von Wordpress, Joomla, etc. vorübergehend nicht erreichbar. Das Problem sei aber bald gelöst. Das empfand ich als beruhigend: Denn dafür ist ja ein Provider mit seinem ganzen Know-How da, dass er auch solche Probleme löst. Zudem würde ich meinen Blog bald wieder erreichen können. Das empfand ich als beunruhigend: So viele Möglichkeiten das Internet für Autoren, gerade auch für Indie-Autoren, bietet, so viele Gefahren lauern auch. Gefahren, gegen die Spam-Kommentare und illegal zum Download angebotene eBooks ein Klacks sind. Gefahren, die einen vom Schreiben abhalten. Das Internet ist voll von Blutsaugern. Und so hat man sich um solche Dinge wie die Impressumspflicht zu kümmern. Man muss sich mit solchen Sachen wie Double-Opt-In beschäftigen. Beschäftigt sich viele Stunden mit Sicherheit im Internet und lernt so schöne Sachen wie .htaccess etc. kennen.

Und so postete ich, nachdem die Einlog-Seite meines Blogs wieder erreichbar war, erst einmal nicht meinen neuen Beitrag, schrieb auch nicht weiter an meinem Roman, sondern änderte zum zweiten Mal (zum ersten Mal bei Einrichtung meines Blogs) meinen User-Namen und mein Passwort. Überprüfte noch einmal anhand von einschlägigen Tipps einer der unzähligen Seiten zu diesem Thema meine Sicherheitsstandards.

Also schrieb ich die ersten Zeilen dieses Tages erst lange nachdem die Sonne über dem Bodensee untergegangen war. Was zur Hölle? Die Fensterscheibe unseres Schlafzimmers explodierte förmlich, ein Riesenradau. Und nur einen Wimpernschlag später schwang er sich bereits durch das zerbrochene Fenster hinein. Ein ausgewachsener Vampir in all seiner nackten, unverstellten Grässlichkeit.

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Mit viel Pommes weiß rot… eine Familiengeschichte: „An einem Sonntag im Hallenbad“

Ralf Boscher -Pommes
An einem Sonntag im Hallenbad

1. Der sechsjährige Jan rutschte vor Aufregung auf dem Rücksitz hin und her, der betagte, aber tüchtige VW-Käfer vibrierte unter seinem schmächtigen Hintern, als sie über den Hügel nach Rheurdt hineinfuhren. Hui, machte Jan, den Fahrtwind imitierend, als sein Vater den Käfer den Hügel hinabrollen ließ und dieser bergab Geschwindigkeit aufnahm. Jetzt nach rechts abbiegen. Jan kannte die Strecke mittlerweile genau. Seit einigen Wochen fuhren sie jeden Sonntagmorgen hier entlang. Dann noch durch ein paar schmale Straßen, und schließlich lag es am Ende einer langen Geraden vor ihnen: Das Rheurdter Hallenbad. Vater Hoen stellte den Käfer auf einem der letzten freien Plätze auf dem Parkplatz ab. Jan konnte es gar nicht erwarten und krabbelte auf den Beifahrersitz. Dann stiegen sie aus. In der kühlen Herbstluft lag bereits der typische Geruch von Chlor und einer satten Prise Desinfektionsmittel. Jan zog seinen Vater an der Hand zum Hallenbad. Komm! Schwimmen!

Den Sommer zuvor hatte sein Vater es ihm beigebracht, Jan hatte schnell gelernt und schon nach ein paar Wochen auf die Schwimmflügel verzichten können, und seitdem fieberte Jan den Sonntagen entgegen, um sein neu erworbenes Können unter Beweis zu stellen. Vielleicht dürfte er heute wieder ins Erwachsenenbecken? Die Woche zuvor war er neben seinem Vater einige Meter im tiefen Schwimmerbecken geschwommen. Es war zwar ein merkwürdiges Gefühl gewesen, keinen Boden zu fühlen, wenn er seine Füße ausstreckte. Er hatte den Boden noch nicht einmal richtig sehen können, so tief war das Becken. Er hatte ein wenig Schiss gehabt. Aber das hätte er nie zugegeben. Dafür hatte er sich viel zu erwachsen gefühlt, in dem großen Becken. Erwachsene haben schließlich keinen Schiss. Außer seine Mama. Die fürchtete sich vor Wasser. Die war aber auch ein Mädchen, das zählte also nicht. Jan war mutig ins tiefe Wasser gestiegen und geschwommen. Allerdings war er heilfroh gewesen, dass sein Vater neben ihm schwamm und aufpasste. Aber auch das hätte er nicht zugegeben. Schließlich war ein großer Junge, und die brauchten keinen Aufpasser. Außerdem war der Beckenrand nur eine Armlänge entfernt gewesen…

Sie betraten das Gebäude. Vater Hoen bezahlte, und sie gingen in die Umkleidekabine. Jan wollte einen eigenen Spind, denn dann würde er einen eigenen Schlüssel haben, den er sich um das Handgelenk binden konnte. Genauso wie es alle großen Jungs machten. Vater Hoen gab ihm lächelnd einen Euro für das Spindschloss. Jan war so aufgeregt, dass er seine Anziehsachen einfach in den Spind hineinwarf, ohne sie an die dafür vorgesehenen Haken zu hängen. Er schaffte es kaum, vernünftig in seine Badehose zu schlüpfen, denn in Gedanken war er schon im Wasser. Das Schlüsselband um sein dünnes Handgelenk zu schließen, war auch nicht so einfach. Natürlich lehnte er das Angebot seines Vaters, ihm dabei zu helfen, empört ab. Dann war es geschafft, sie stellten sich kurz unter die Dusche und betraten die Schwimmhalle.

2. Es war ganz schön etwas los. Die beiden Becken, das Schwimmer- und das Kinderbecken, wimmelten nur so von Köpfen und im Wasser rudernden Armen. Kindergeschrei übertönte die Musik, die aus den Lautsprechern in der Decke herabrieselte. Die Trillerpfeife des Bademeisters schrillte, als ein paar größere Jungs vom Beckenrand ins Wasser sprangen. Papa Hoen summte vor sich hin, als sie zu den orangefarbenen Sitzen über den Heizungsrohren gingen, die unterhalb der beschlagenen Glasfront der Halle angebracht waren, um ihre Handtücher abzulegen. Immer wieder Sonntags kommt die Erinnerung… Trotz der enormen Geräuschkulisse hatte er den Schlager erkannt, den der Radiosender in diesem Moment spielte. Dann standen Vater und Sohn, beide die Hände in die Hüften gestützt und ihre vom Umfang so unterschiedlichen Bäuche unbewusst vorgereckt, auf dem schmalen Gang, der Schwimmer- vom Kinderbecken trennte. Was meinste, sollen wir es wieder versuchen?, fragte Vater Hoen und nickte zum Schwimmerbecken hinunter. Klar!, antwortete Jan, aber ihm war doch ein wenig mulmig zumute. Im Becken tummelten sich die Schwimmer, das Wasser war aufgewühlt und nicht so ruhig wie beim ersten Mal, als er dort geschwommen war. Ob er überhaupt genug Platz haben würde? Würde ihn auch niemand übersehen und einfach über den Haufen schwimmen?

Aber seine Besorgnis war unbegründet. Während er langsam und mit größter Konzentration am Rand entlang schwamm, einatmen, ausatmen, die Hände zusammen und dann in langer Bewegung das Wasser nach hinten drücken, genauso wie es ihm sein Vater gezeigt hatte, schirmte der mit seinem Körper alle anderen Schwimmer von seinem Sohn ab. Vater Hoen trat neben Jan Wasser, sodass niemand seinen Versuch, sich im Brustschwimmen zu üben, stören konnte. Nur einmal sprangen zwei der größeren Jungs vom Beckenrand einfach über die beiden hinweg und eine größere Welle schwappte Jan ins Gesicht. Er erschrak und verschluckte sich so arg, dass er sich hustend am Beckenrand festhalten musste. Als aber der erste Schrecken vorbei war, ging es auch schon weiter. Einatmen, ausatmen… Toll machst Du das!, lobte Papa Hoen ihn, und Jan freute sich so über das Lob, dass er einen Augenblick unkonzentriert war und wieder Wasser schluckte. Gut, dass er Weißbrot gefrühstückt hatte, das saugte das ganze Wasser in seinem Magen auf und sorgte dafür, dass es nicht so rumgluckste.

3. Nach einer Weile aber waren Jans dünne Arme ein wenig schlapp, und er brauchte eine Pause. Er hätte dies nicht zugegeben. Aber er war froh, als sein Vater meinte, es sei genug für heute, Jan solle doch noch ein wenig im Kinderbecken rumplanschen und er würde ein paar Bahnen schwimmen. Jan kletterte die Leiter hinauf und setzte sich einen Moment auf einen der warmen Sitze über der Heizung. Er sah seinem Vater zu, wie jener durch das Becken kraulte. Das werd‘ ich auch bald können!, dachte er träumend und rieb sich seine chlorroten Augen. Du siehst ja aus wie ein Kaninchen!, sagte seine Mutter immer, wenn sie vom Schwimmen nach Hause kamen.

Jan setzte sich dann auf die Stufen, die auf ganzer Front in das Kinderbecken hineinführten. Das Wasser reichte ihm gerade bis zu den Hüften, und es war wärmer als das im Erwachsenenbecken. Das war angenehm, Jan erzeugte kleine Fontänen, indem er seine Hände wie zum Gebet verschränkte und dann mit einem Ruck ins Wasser drückte, sodass ein schmaler Strahl aus der Lücke zwischen Daumen der einen und Zeigefinger der anderen Hand hervorspritzte. Das Becken hatte sich mittlerweile beträchtlich geleert, die meisten Kinder waren mit ihren Eltern nach Hause gefahren, es war Mittagessenzeit. Jan beobachtete die zwei verbliebenen Kinder bei ihren Schwimmversuchen. Du wirst es doch wohl schaffen, den Kopf über Wasser zu halten!, brüllte der eine Vater seinen Sohn beinahe an, der jedes Mal, wenn sein Vater ihn losließ, prustend unterging. Vater Hoen hatte seinen Sohn nie angebrüllt. Jan war froh, er glaubte nicht, dass Schwimmen ihm Spaß machen würde, wenn er es so hätte lernen müssen. Das andere, wesentlich jüngere Kind planschte, getragen von Schwimmflügeln, im Wasser herum, während seine Mutter, gerade einmal bis zu den Knie im Wasser, kopfschüttelnd danebenstand und diesen ungeduldigen Vater beobachtete. Als dieser Junge wieder einmal mit hochrotem Kopf und Wasser spuckend an die Oberfläche kam – Jan musste grinsen, es sah doch ein wenig ulkig aus – stand Jan von den Stufen auf und ließ sich auf dem Rücken liegend zum tiefsten Punkt des Kinderbeckens treiben, der unterhalb jenes schmalen Ganges lag, an dem Kinder- und Schwimmerbecken zusammentrafen. Selbst hier reichte ihm das Wasser nur knapp bis über den Bauchnabel, wenn er sich hinstellte. Während die Mutter und ihr Kind das Becken verließen, hielt Jan sich auf dem Rücken liegend am Beckenrand fest und tauchte, während er mit seinen Beinen knapp unterhalb der Wasseroberfläche Fahrrad fuhr, bis zu seinen Ohren unter.

Mit den Ohren unter Wasser fühlte sich Jan, als wäre er in einer anderen Welt. Ein angenehmes Rauschen dämpfte die Ermahnungen dieses unangenehmen Vaters, die Trillerpfeife des Bademeisters hörte sich an, als puste jemand durch Watte. Jan glaubte die Maschinen zu hören, die das Wasser der Schwimmbecken umwälzten. Aber vielleicht war dieses leise Pochen auch nur sein eigener Puls, der in seinen Ohren wiederklang. Er blickte zur Decke empor, die – so hellblau wie sie war – ihm das Gefühl gab, unter Wasser zu sein. Ich kann unter Wasser atmen!, dachte Jan grinsend, Ich bin der Aqua-man! In diesem Augenblick sprangen zwei der älteren Jungen über ihn hinweg ins Kinderbecken hinein, vor Schreck ließ Jan die Kante des Beckens los und sein Kopf sank unter Wasser. Dieses Mal schaffte er es, die Luft anzuhalten und kein Wasser zu schlucken. Ein paar Mal ruderte er mit seinen Armen, um zu schwimmen und aufzutauchen, dann fiel ihm ein, wo er sich befand und setzte seine Füße auf den Boden und stellte sich hin. Einen ordentlichen Schwung Wasser schluckte er, als er sich aufrichtete und Luft holen wollte, denn einer der beiden Jungen spritzte ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht. Treffer!, rief der Junge lachend und schlug noch einmal mit der flachen Hand so auf die Wasseroberfläche, dass ein breiter Strahl sich über Jan ergoss. Der drehte sich dieses Mal aber rechtzeitig zur Seite, sodass das Wasser nicht sein Gesicht traf. Dieses traf dann aber der andere Junge, der ihm von der anderen Seite mit beiden Händen Wasser ins Gesicht schaufelte. Jan rieb sich seine Augen, die vom Chlor im Wasser ein wenig brannten und tränten. Oh, muss der Kleine weinen!, spottete der eine Junge, der andere sagte: Wohl ein wenig wasserscheu! Nein!, gab Jan trotzig zurück, bin nicht wasser… Wasserscheu hatte er sagen wollen, aber dieses Mal bekam er von beiden Jungs eine Ladung Wasser ab und verschluckte sich. Er musste husten und rang nach Luft. Dass der eine Junge meinte: Das wollen wir doch mal sehen!, bekam er nur am Rande mit. Plötzlich verlor Jan den Boden unter den Füßen, der Junge hatte ihm die Beine weggezogen, und ging unter Wasser. Das ging so schnell, dass Jan gleich noch einmal Wasser schluckte. Er versuchte sich aufzurichten und den Kopf aus dem Wasser zu bekommen, aber da waren auch schon beide Jungen über ihm und drückten ihn unter Wasser.

Jan schlug und trat um sich, versuchte von den Jungs weg- und seinen Kopf aus dem Wasser herauszubekommen, aber die waren viel stärker als er und außerdem zu zweit. Jan hatte keine Angst, noch nicht, er war wütend. Er hörte sie lachen. Zwei gegen einen, die feigen Schweine! Dann konnte er sich für einen Moment losmachen und kam japsend an die Oberfläche. Als er Luft holte, sah er, dass das Gesicht des einen Jungen vor Schmerz verzehrt war. Jan hatte es gar nicht mitbekommen, aber bei seinem Versuch, sich zu befreien, hatte er den Jungen dorthin getreten, wo es richtig wehtut. Kaum dass er ein wenig Atem geschöpft hatte, stürzte sich auch schon der andere Junge wieder auf ihn. Er sprang aus dem Wasser heraus und auf Jan, drückte ihn mit dem ganzen Gewicht seines zehnjährigen Körpers unter Wasser. Dieses Mal hielt Jan die Luft an und schaffte es, seitlich von dem Jungen wegzugleiten und wieder an die Oberfläche zu kommen. Genau vor dem Jungen, den er getreten hatte, kam er hoch. Der Schmerz auf dessen Gesicht war Wut gewichen, und mit dieser Wut im Bauch krallte er seine Hände in Jans Haar und drückte seinen Kopf unter Wasser. Jan zappelte wie ein Fisch an der Angel, und in diesen Momenten gesellte sich Angst zu seiner Wut. Was ihn ängstigte, war weniger, dass die Luft in seinen Lungen knapp wurde, sondern mehr der wütende Gesichtsausdruck des Jungen. Für einen kurzen Moment des Atemholens kam Jan hoch. Er hörte diesen Vater zu seinem Sohn sagen: Siehst du, das kommt davon, wenn Du den Kopf nicht über Wasser hältst! Plötzlich wurden seine Beine festgehalten. Der eine Junge klemmte sie sich lachend unter den Arm. Jan hatte nun keine Möglichkeit mehr, sich hinzustellen. Er versuchte, den Griff zu lösen, drehte und wendete sich. Zwecklos. Lachend presste der Junge Jans Beine an sich und hielt sie knapp über der Wasseroberfläche. Der andere Junge drückte Jans Kopf unter Wasser, und der lachte nicht. Dieses kleine Detail war es, mit dem die Panik in Jan hochzusteigen begann. Er ruderte mit seinen Armen, versuchte, den Jungen zu packen und von sich wegzudrücken. Jan drehte seinen Kopf hin und her, aber der Junge ließ nicht los. Die Luft wurde knapp. Die Panik war da. Das Rauschen des Wassers hatte nun nichts Angenehmes mehr an sich, das Pochen seines Herzschlages in seinem Ohren wurde immer lauter. Plötzlich wusste Jan, dass er ertrinken würde, wenn es ihm nicht gelang, sich zu befreien. Verzweifelt stemmte sich Jan gegen die Hände, die ihn unter Wasser drückten. Und für einen kurzen Augenblick schaffte Jan es tatsächlich, den Kopf aus dem Wasser zu bekommen, für einen kurzen, brennenden Atemzug, den er dafür nutzte, um Hilfe zu rufen. Papa!, vier helle Buchstaben, die sich nach Unterstützung flehend in die Luft erhoben. Jan schluckte erneut Wasser, als der eine Junge kräftig an seinen Beinen zog und er wieder unter Wasser ging. In diesem Moment erreichte sein Hilferuf das Ohr des Bademeisters, der aus seiner Kabine, mit der großen Glasfront zum Schwimmbad hin, trat. Jan unterdessen wurde schwarz vor Augen, er hatte das Wasser in die Luftröhre bekommen und hustete unter Wasser, schnappte in Todesangst nach Luft, aber da war nur Wasser. Von weit her hörte er den einen Jungen lachen, von noch weiter her schrillte die Trillerpfeife des Bademeisters, kaum zu hören, weil sein Herzschlag in seinen Ohren pochte, und immer lauter und schneller pochte, wie Trommeln schließlich dröhnte.

4. In diesem Moment kam Vater Hoen von der Toilette. Er war ein paar Bahnen geschwommen, hatte dann nach seinem Sohn im Kinderbecken geschaut, der auf dem Rücken liegend am Beckenrand Fahrrad fuhr und lächelnd zur Decke starrte, und war dann kurz auf die Toilette gegangen. Als er ins Schwimmbad zurückkam, schrillte die Pfeife des Bademeisters, der zum Kinderbecken hinübersah. Sofort schrillten bei Vater Hoen die Alarmglocken. Über den gute zwanzig Meter entfernten Rand des Kinderbeckens hinweg konnte er die Köpfe zweier älterer Jungen, nicht aber Jan sehen. Er machte einen, dann einen zweiten Schritt, dann schrie er entsetzt auf und begann zu rennen.

Jan unterdessen hörte auf, sich zu wehren. Er war in einer Woge dunklen Dröhnens gefangen und rührte sich nicht mehr. Dann begann sich sein Herzschlag aus seinen Ohren zurückzuziehen, das Dröhnen wurde leiser, und es wurde langsamer. Die gesamte Welt erschien Jan langsamer zu werden, das Lachen des einen Jungen, der immer noch seine Beine festhielt, wurde zu einer dumpfen Folge lang gezogener Vokale, herabgestimmt auch das Schrillen der Trillerpfeife, für Jan klang es wie das langsame Entweichen von Luft aus einem Reifen. Jan fühlte sich plötzlich sehr schwer, sein ganzer Körper schien sich mit Blei anzufüllen, und dieses Gefühl war noch nicht einmal unangenehm. Jan spürte, wie mit zunehmender Schwere seine Angst weniger wurde. J-A-N! Einzeln kämpften sich die Buchstaben seines Namens durch die Wand aus Blei, die sich zwischen Jan und die Welt senkte. Er verstand kaum noch ihren Sinn, und doch klangen sie vertraut, und so streckte er ihnen mit letzter Kraft eine Hand entgegen. Die Finger seiner schmalen Hand streckten und schlossen sich. Streckten und schlossen sich.

In diesem Moment sprang Vater Hoen ins Wasser. Er hielt sich nicht lange mit Reden auf, sondern fegte den Jungen, der blöde lachend die Beine seines Sohnes festhielt, mit einer Armbewegung zur Seite. Der andere Junge bekam eine solche Ohrfeige, dass es ihn seitwärts ins Wasser schmiss. Zügig, aber behutsam hob er dann seinen Sohn aus dem Wasser.

Plötzlich fiel alles Schwere von Jan ab, er fühlte sich federleicht, und einen Moment lang glaubte er, zu fliegen. Den blauen Himmel sah er über sich, so nah, als könne er ihn berühren.

JAN!, Vater Hoen hielt seinen reglosen Sohn im Arm und rief nach ihm, einen grauenhaften Augenblick lang hielt er Jan für tot, Ich bin zu spät gekommen!, explodierte der Gedanke in seinem Herzen. Einen grauenhaften Augenblick lang fühlte er sich vollkommen hilflos, eine schreckliche, ewige Sekunde lang. Doch bereits einen Herzschlag später organisierte sich der Widerstand in ihm. Niemals!, schrie jede seiner Fasern, Das lasse ich nicht zu! Gerade in dem Moment, als Papa Hoen seinen Mund auf die Lippen seines Sohnes pressen wollte, um ihm seinen Atem zu geben, bewegte sich Jan. Sein dünner Arm zuckte empor, seine Finger streckten und schlossen sich, verkrallten sich im Bart seines Vaters, gleichzeitig hustete er und spuckte seinem Vater einen Schwall Wasser auf die behaarte Brust. Vater Hoen traten Tränen in die Augen. Papa, Du weinst ja! Dies waren Jans erste Worte. Vater Hoen schniefte einmal und drückte seinen Sohn erleichtert an sich. Das liegt daran, sagte er, dass Du noch immer an meinem Bart ziehst! Das ziept ganz schön!

Jan ließ den Bart seines Papas los und schlang seine Arme um seines Vaters Hals. Nun war wieder alles gut. Er füllte seine Lungen mit Luft. Da hast Du uns aber einen mächtigen Schrecken eingejagt!, ließ sich der Bademeister vernehmen, der verlegen und scheinbar um Jahre gealtert danebenstand, war er sich doch bewusst, viel zu spät reagiert zu haben. Jan war zwar noch ein wenig wacklig auf den Beinen, aber dennoch wollte er wieder auf eigenen Füßen stehen. Sein Vater setzte ihn ab. Nur Flausen im Kopf, die Blagen von heute!, mischte sich dieser Vater ein, der die ganze Zeit tatenlos zugesehen hatte, Wenn das meine wären, denen würde ich aber den Hosenboden strammziehen!

Vater Hoen verließ wortlos Hand in Hand mit seinem Sohn das Becken und ging, während der Bademeister den beiden Jungen die Leviten las, denen jetzt erst klar wurde, was sie getan und beinahe verschuldet hatten, mit Jan zu den Handtüchern, die auf den orangefarbenen Sitzen lagen. Setz Dich für einen Moment hin und wärm‘ Dich ´was auf!, sagte er zu Jan und strich ihm lächelnd über den Kopf, dann wurde er ernst: Und trockne Dich schon mal ab! Ich hab‘ noch ´was zu erledigen.

Während Jan sich mit seinem Handtuch die Haare trocken rubbelte, ging sein Papa zu diesem bereits wieder mit seinem Sohn schimpfenden Vater hinüber. Vater Hoen machte nicht viele Worte. Mein Junge geht fast ´drauf, und sie stehen dumm wie Schifferscheiße daneben! Dümmlich grinsend zuckte der Mann mit den Schultern, dann klappte er stöhnend um seine Körpermitte zusammen.

Etwas später ließen Vater und Sohn das Rheurdter Hallenbad hinter sich. Bis nächste Woche!, rief Jan zu dem Gebäude hinüber. Das hatten sie bereits in der Umkleidekabine abgemacht. Zeigst Du mir nächste Woche, wie man krault?, hatte Jan beim Ankleiden gefragt, Brustschwimmen und tauchen kann ich ja schon. Dann hatten sie gelacht. Ich hab‘ Hunger!, meinte Jan, als sie in den Käfer einstiegen. Mal schauen, was Mama uns heute zaubert!, antwortete Vater Hoen und rieb sich schnell über die Augen. Er war unsagbar glücklich, dass alles so gut ausgegangen war. Dieses Mal sah Jan nicht die Tränen in den Augen seines Vaters, er malte etwas auf das beschlagene Seitenfenster, dass ein halbes Hähnchen darstellen sollte. Ein halbes Hähnchen hätte ich am liebsten!, meinte er verträumt. An das schlimme Erlebnis dachte er schon nicht mehr. Mit viel Pommes weiß rot! Vater Hoen lachte. Ja, mit einem ganzen Berg Pommes rot weiß!

Ungekürzte Kurzgeschichte „An einem Sonntag im Hallenbad“ aus meinem Buch „Pommes weiß rot, Papagei und Tod. Familiengeschichten.

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8400 Wörter für 7,50 Euro – ist das korrekt?

Umfrage_Preis
In den Heavy Metal-Postillen, die ich von Zeit zu Zeit lese, werden öfter die Laufzeiten von CDs thematisiert: „Tolle Platte – aber mit 35 Minuten doch etwas kurz“. „Kapazität einer CD nicht ausgereizt, da hätten noch mindestens zwei Songs Platz gehabt“. „Leider hat die Kreativität nur für knappe 40 Minuten gereicht“. Was hier natürlich immer auch mitschwingt: Ich habe den ganzen Preis für eine CD bezahlt, die für meinen Geschmack für das Geld zu kurz geraten ist.

Die Erwiderungen auf solcherlei Meinungen folgen meist dem Muster: „Schaut Euch mal die Klassiker unserer Musik an, die damals noch als LP erschienen. Knapp über 30 Minuten Musik, 40 Minuten – da hat keiner auf die Laufzeit geschielt, das war einfach nur eine geile Platte! Was zählt ist die Qualität, nicht die Quantität!“

Und wie sieht das bei Literatur aus?

In einer Besprechung zu meinem ersten Kurzgeschichten-eBook, das mit 23 Seiten verglichen mit meinen weiteren eBooks sehr kurz ist, steht: Der Preis ist perfekt. Das ebook kostet 99 Cent.

Ist der Preis perfekt?

Gerade als Indie-Autor macht man sich einige Gedanken über die Preisgestaltung.

99 Cent – eine Tasse Kaffee aus dem Automaten kostet 1.50 Euro. 23 Seiten hat keiner gelesen, solange ein Automatenkaffee noch heiß ist. Außerdem: Wie viele Kaffee trinkt ein Autor, bevor er 23 wirklich gute Seiten geschrieben hat?

Aber wie bemisst man den richtigen Preis für Literatur?

Wenn 99 Cent für 23 Seiten perfekt sind, müsste ein eBook mit 60 Seiten 2,58 Euro kosten. Ein Roman mit 200 Seiten etwa 8,60 Euro, mit 300 Seiten ca. 12,90 Euro.

Sind das Preise, die sich Indie-Autoren erlauben können?

Sind das Preise, die sich vielleicht auch Indie-Autoren erlauben sollten?

Die meisten als eBook veröffentlichten Romane von Indie-Autoren liegen weit unter diesen Preisen, selbst die gedruckten Taschenbücher liegen meist darunter.

Verkaufen wir uns unter Wert?

Der günstige Preis (manchmal sogar gratis) war für Indie-Autoren auf dem neu entstandenen eBook-Markt der Fuß, den sie in die Tür zu den Lesern bekamen. Amazons KDP-Programm hat hier Pionierarbeit geleistet, um bisher unbekannte Autoren, Autoren, die keinen Verlagsvertrag erhalten haben oder sich nie um einen solchen bemüht haben, bekannter zu machen.

Aber befinden wir uns heute immer noch in dieser Situation?

Sieht man sich die Amazon eBook-Charts von heute an, so stehen günstige Titel mit 99 Cent, Romane zu 1,49 Euro einträchtig neben Titeln zu 9,99, 8,99, 12,99 Euro.

Was zählt ist die Qualität nicht die Quantität, schrieb jemand in der Heavy Metal-Postille. Ja, gleichwohl gibt es beim Konsumenten eine Schwelle jenseits der er nicht mehr das Gefühl hat, hier Value for money zu erhalten – und er wird den Kauf unterlassen

Sind Leserinnen und Leser bereit für mehr Geld Indie-Qualität zu entdecken? Das sie offensichtlich bereit sind, mehr Geld für Verlagsautoren auszugeben, zeigen für mich die Charts. Wobei man nicht vergessen darf, dass hier sicherlich Qualität durch ein gerüttelt Maß an Werbe-Quantität gestützt wird, die Begehrlichkeiten weckt.

Ich habe zu Weihnachten ein Taschenbuch eines etablierten Verlages geschenkt bekommen: Charles Lewinsky, Der Teufel in der Weihnachtsnacht. Der Preis war nicht durchgestrichen. Kleines Format. Große Schrift. Erheblicher Zeilenabstand. 60 Seiten dick. Ich habe nachgezählt: Circa 8400 Wörter für 7,95 Euro. Das fand ich happig für eine mittels Formatierung und Buchformat gestreckte Kurzgeschichte – so nett ich sie auch fand. Verschenkt habe ich zu Weihnachten John Irvings Zirkuskind als Taschenbuch: 969 Seiten für 13,90 – also gemessen an der Seitenzahl ein Schnäppchen.

Ja, der Preis.

Wo liegt die goldene Mitte? Oder ist Indie-Autoren die goldene Mitte verwehrt, da sie – wenn sie schon über kein ordentliches Werbebudget verfügen – über den Preis punkten müssen? Um ihre qualitätsvolle Schreibe überhaupt an die Frau und den Mann zu bringen…

PS: Hier eine kleine Umfrage zum Thema:

Ein Verlagsroman und ein Roman eines Indie-Autors aus dem gleichen Genre bei vergleichbarem Umfang kosten beide als Taschenbuch 13,90 Euro, was denkt Ihr über den Preis?

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Winzkriecher – Deleted Scene aus „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“

Winzkriecher - eine Urlaubsgeschichte
Winzkriecher

Nackt setzte er sich auf die kalte Klobrille, stützte seine Hände auf seine Oberschenkel und betrachtete sich in dieser Pose lange in dem Spiegel, den er vor geraumer Zeit direkt davor an die Wand geschraubt hatte. Stolz tastete er mit den Augen seinen flachen, muskulösen Bauch ab, dem man das gerade verzehrte üppige Mahl nicht ansah. Dann spannte er seine Brustmuskulatur ein wenig an, und darüber vergaß er fast seinen Stuhlgang. Aber auch nur fast. Schließlich ließ er von seinen Betrachtungen ab und konzentrierte sich auf die Kontraktion der Enddarmmuskulatur und die Erschlaffung seines Schließmuskels bei gleichzeitiger Betätigung der Bauchpresse: neben schweißtreibendem Training und gutem Essen gehörte eben auch ausgiebiger, gesunder Stuhlgang zu einem gelungenen Tag.

Mit Grausen dachte er an die Erlebnisse seiner bisher einzigen Urlaubsreise zurück. Dabei hatte er sich damals noch nicht einmal weit von der Heimat entfernt: Frankreich. Aber wenn diese wenigen hundert Kilometer schon genügten, ihm eine seiner Lebensgrundlagen quasi unter dem Hintern wegzuziehen, dann war dieses eine Mal bereits viel zu weit gewesen.

Die erste französische Toilette hatte er zunächst erleichtert registriert, war sie doch an der Nationalstraße, auf der er fuhr, überhaupt vorhanden. Dann jedoch ‑ er hatte mit vorsorglich mitgebrachtem Toilettenpapier in der Hand die Klotür geöffnet ‑ hatte ihn der Ekel angefasst. Aber schließlich, da seinem Körper die bloße Ausscheidung seiner Abfallprodukte wichtiger gewesen war als zivilisierter Stuhlgang, hatte er vor diesem Hock‑ und Plumpsklo resigniert. Bück’ dich und scheiß’ dir auf die Hacken! hatte er zu sich selbst gemeint, geradeso als wäre nicht er es, der sich hier bücken und auf die Hacken scheißen würde.

Natürlich war es ein Vorurteil in Bezug auf diese spezielle Art einer Toilette gewesen. Schnell hatte er die richtige Technik herausgefunden. Und es dauerte nicht lange, bis er sich nach diesen Hockklos zurücksehnen sollte. Es war in der Bretagne. Er hatte sich von der kleinen, sauberen Pension, in der er ein Zimmer bezogen hatte, entfernt, um die Küste entlang zu fahren. Mitten in so einem Touristen‑Ort ließ sich dann das Bedürfnis nicht mehr weiter zurückhalten. So nahm das Geschehen seinen Lauf, denn das einzige Klo weit und breit war kein Scheiß‑dir‑auf‑die‑Hacken‑Klo, sondern einer jener Orte, an denen Winzkriecher, Bakterien, Mikroteilchen, Fäkalienfresser in Erwartung eines Menschen auf der Kloschüssel Amok liefen.

Diese Toilette war eine Telefonzelle zum Scheißhaus umgebaut, eine ehemalige in zwei Scheißzellen unterteilte Litfasssäule, eine chemische Toilette, und es war noch nicht einmal genug Platz vorhanden, sich vorzubeugen und gebückt stehen zu bleiben ‑ man konnte gar nicht anders, als sich hinzusetzen.

Ein Vorteil der Hock‑ und Plumpsklos war der, dass man quasi in einen Trichter sein Geschäft verrichtete, der in ein kleines Loch mündet. Und wenn die Spülung betätigt war, blieb nur dieses Loch in der weißen Emaille übrig. So klein, so tief unter einem gelegen, dass es die Phantasie kalt ließ. Aber an diesem Tag hatte er ein Loch fast so groß wie sein Hintern unter sich, und darunter war nicht ein Nirwana der Entsorgung. Keinen halben Meter darunter war eine feucht schimmernde, höllisch auch nach Chemie stinkende Masse, ein Hades der menschlichen Ausscheidung. Der Teufel wusste, was für Wesen am Grunde dieser Kloake lebten. Es war ja bekannt, dass man sich vor Angst in die Hosen machen konnte. Ihm aber verkrampfte sich alles. Er saß über der Hölle und konnte sich einfach nicht erleichtern.

Da fiel ihm der Klowandevergreen ein: Ich bin der Geist, der jedem, der zu lange scheißt, von unten in die Eier beißt! Aber in diesen Augenblicken angestrengten Drückens: Bauchpresse! Streng deine Bauchpresse an! fand er diesen alten Witz eigentlich weniger lustig. Warum hatte er sich überhaupt da hingesetzt? Kein Ausweg, das einzige Klo weit und breit. Eine Scheißtouristenfalle ist das, dachte er, und plötzlich in diesen bangen Momenten fielen ihm alle möglichen Gründe für eine Scheißtouristenfalle ein. War das nicht wahr, dass die Franzosen keine Deutschen mochten? Das einzige Klo weit und breit, und er war darauf hereingefallen.

Ich bin der Geist, der Dir in die Eier beißt! Als ob man Klosprüche ernst nehmen konnte. Geist! Du siehst Gespenster, ‑ etwas platschte, platschte unter ihm in die Masse. Er zuckte zusammen. Nur dein eigener Stuhl! beruhigte er sich, nur dein eigener Stuhlgang und kein Geist. Nicht der Geist! redete er sich gut zu und lächelte über seine Überempfindlichkeit: Du siehst Gespenster! Er lachte erleichtert über die endlich erfolgende Ausscheidung und belustigt über seine Unruhe. Ich scheiß‘ Dich tot!, lachte er und dachte doch im selben Atemzug, dass Gespenster unsichtbar sein können, unsichtbar und auch Bakterien sind unsichtbar! und…‑ Ich scheiß‘ dich tot! – tot scheißen lassen sie sich auch nicht…

Mit dem Klopapier, das er dann in diese Hölle hinein warf, ließ er alle Hoffnungen fahren, sich nicht mit irgendwas angesteckt zu haben. Er wusste zwar noch nicht welcher Art der Höllenhund war, welcher ihn an diesem Ort angesprungen hatte, aber als er das Klopapier auf dem Dreck liegen sah, da erschien ihm dies wie ein Grabstein: Weiß der Stein, braun die Inschrift Hier liegt begraben ‑ Mein Frankreichurlaub.

Er hatte sich damals nicht infiziert, was allerdings an seinem Eindruck nichts änderte: zu Hause ist es doch am Besten. Und in diesem Sinn erfreute er sich des gepflegten Stuhlgangs an diesem Abend.

Ende

Ralf Boscher - Engel
Obwohl die Winzkriecher-Szene auf Lesungen mit ihrem speziellen Humor immer sehr gut ankam, habe ich sie nicht in die veröffentlichte Fassung meines Romans „Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe, Tod und Teufel“ übernommen. „Killing the darlings“, sagte mir damals ein Lektor in Bezug auf die Bearbeitung eines Manuskriptes, löse dich vom Liebgewonnenen und übernehme nur, was für die Geschichte wirklich notwendig ist, und dieses Darling hier sprang aus dramaturgischen Gründen über die Klinge.

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Wie es beginnt: Die ersten Sätze… Buchanfänge

Buchanfänge
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne… so Hermann Hesse. Jedem Anfang? Der Anfang eines Buches kann in der Tat etwas Zauberhaftes sein – wenn er denn gelingt. Denn dann legt der Leser das Buch nicht zur Seite, sondern blättert neugierig geworden um. Gelingt er besonders gut, zieht er den Leser gleich ins Buch hinein – in eine andere Welt. Der Zauber der Literatur beginnt zu wirken.

Hier einige erste Sätze aus Büchern, die ich vor kurzem gelesen habe bzw. im Moment lese:

Die aufrührerischen Engel fielen, in Girlanden aus Feuer gehüllt. Und als sie niederfuhren und durch die Leere stürzten, waren sie verflucht, wie die frisch Erblindeten verflucht sind, denn so wie die Dunkelheit für diejenigen umso schrecklicher ist, die das Licht gekannt haben, wird der Verlust der Gnade von jenen viel schmerzhafter wahrgenommen, die sich einst in ihrem Glanze sonnten. (Der brennende Engel, John Connolly).

„Verdammt!“ Bettina Berg riss die Augen auf. Sie durfte nicht einschlafen. Noch nicht. Mit zu Fäusten geballten Händen rieb sie sich die Augen, was aussah, als hielte sie sich ein imaginäres Fernglas vors Gesicht. Wo war Auer? (Sünders Fall (Berg und Thal Krimi), Béla Bolten).

Am zweiten Tag der Dunkelheit hatte man sie alle erwischt. Die Besten, die Klügsten. Die Mächtigen, die Reichen, die Bedeutenden. Abgeordnete und Minister, Wirtschaftsbosse und Intellektuelle, Oppositionsführer und andere Berühmtheiten. Aber sie wurden nicht verwandelt. Sie wurden getötet. (Die Nacht, Guillermo del Toro / Chuck Hogan).

Nie war mir der Applaus so zuwider gewesen. Auch bei unserer einzigen Fernsehaufzeichnung nicht, als ein überflüssiger Animateur dem Studiopublikum signalisierte, wann und wie es reagieren sollte. Der Applaus im Flugzeug schmerzte. Dabei war die Boeing 737 bestenfalls zur Hälfte besetzt, aber es klang, als wollten das die Rentner mit maßlos übertriebenem Beifall ausgleichen. (Chiliherzen, Jürgen Schmidt / Sandra Wagner).

„Du dämliche Sau!“ Leif war traurig, aber noch viel zorniger, als sein Benz-Cabrio nach einer weiteren sinnlos vervögelten Nacht über die Autobahn in Richtung Hamburg rauschte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz räkelte sich der Cowboy zufrieden im Ledersitz. „Mach mal halblang, Alter, war doch gar kein übler Fick.“ (Midleifcrisis: Als meine Frau mich hinauswarf und ich mit 117 anderen schlief, Leif Lasse Andersson).

Die Polizei von Niceville brauchte nicht einmal eine Stunde, um die Person zu finden, die den Jungen zuletzt gesehen hatte: Alf Pennington. Sein Antiquariat lag an der North Gwinnett, nicht weit von der Kreuzung Kingsbane Walk, auf dem normalen Schulweg des Jungen, der Rainey Teague hieß. (Niceville, Carsten Stroud)

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Hier noch die ersten Sätze aus Lieblingsbüchern von mir:

Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann in einem Kino verletzt hatte. Es war kurz nachdem die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten, und die Leute waren tolerant gegen Soldaten, weil plötzlich jeder Soldat war, aber Jenny Fields blieb fest in ihrer Intoleranz gegen das Benehmen von Männern im allgemeinen und Soldaten im besonderen. (Garp und wie er die Welt sah, John Irving).

Louis Creed, der als Dreijähriger seinen Vater verloren und seinen Großvater nie gekannt hatte, wäre niemals auf den Gedanken gekommen, in seinen mittleren Jahren einen Vater zu finden; aber genau das geschah – auch wenn er diesen Mann seinen Freund nannte, was ein Erwachsener im allgemeinen tun muß, wenn er den Mann, der eigentlich sein Vater sein sollte, relativ spät im Leben trifft. (Friedhof der Kuscheltiere, Stephen King).

Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf“ nannten. (Der Steppenwolf, Hermann Hesse).

Eines Abends, ungefähr fünf Jahre nach Bettys Tod, da dachte ich, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Und darauf war ich nun weiß Gott nicht gefaßt. (Verraten und verkauft, Philippe Dijan).

Zauberhaft? Welche Buchanfänge sind Euch im Gedächtnis geblieben?

Und hier noch die ersten Sätze aus meinen Romanen:

Der Eingriff war ohne Komplikationen verlaufen. Als Tanja aus der Narkose erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Um sie herum war Dunkelheit. Sie versuchte, sich aufzusetzen. Den Schmerz, den diese langsame Bewegung auslöste, nahm sie im ersten Moment nur undeutlich wahr, fast so, als wäre dies nicht ihr Schmerz. (Engel spucken nicht in Büsche. Roman über Liebe Tod und Teufel, Ralf Boscher).

Den ersten Brief, den ich erhielt, empfand ich nicht als beunruhigend. Er war an die Anschrift meiner Eltern adressiert. Kein Absender. Nur die Adresse, darüber mein Name in dicken, schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Briefumschlag. (Abschied ist ein scharfes Schwert. Mordsroman, Ralf Boscher)

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