Archiv der Kategorie: Boschers Streiflichter

Was mir so in den Sinn kommt und mitteilenswert erscheint.

Was ich an Frauenzeitschriften nicht leiden kann

Frauenzeitschriften
Um es gleich festzustellen: Ich lese gerne Frauenzeitschriften. Nicht nur beim Arzt. Habe ich immer schon getan. Es gibt eine Menge Nützliches zu erfahren. Über Frauen. Und über Allerlei. Interessante Geschichten, spannende Lebensläufe – da blättere ich gerne hinein.

Aber was ich überhaupt nicht leiden kann: All diese eingeklebten Pröbchen, Duft-Appetizer, die Nase-Neugierig-Macher. Puh. In ihrer Mischung manchmal schwer zu ertragen. Was da für Dämpfe zwischen den Seiten aufsteigen. Appretur, Lackfarben-Ausdünstungen sind nichts dagegen. Olfaktorischer Overkill. Und mit tränenden Augen liest sich schlecht. Zudem: Wie soll man denn da einfach mal durchblättern, wenn die Zeitschrift immer zur nächsten eingeklebten Probe springt? Wenn immer diese Doppelseiten aufklappen, wo auf der einen Seite Werbung mit einem geruchsintensiven Lesezeichen prangt…

Man nimmt ein Heftchen zur Hand und fast automatisch landet man bei einer dieser Doppelseiten – und je dicker die eingeklebte Probe ist, umso zwangsläufiger. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Artikel daneben die je interessantesten des Heftchens sind. Vielleicht alleine schon deswegen nicht, weil nichts von der Werbung ablenken soll…

Das empfinde ich als penetrant. Ob es nur mir als Mann so geht? Eine repräsentative Umfrage der Frauen im Haus hat ergeben: Nein. 100% Zustimmung.

Da lobe ich mir doch meine Heavy Metal-Postillen: Dort finden sich die Proben geballt auf einer Seite. 10, 14, 18 Proben auf einer CD. Und ansonsten kann man ungestört blättern. Es könnte ja auch jede Plattenfirma ihre eigene CD mit einem Song pressen lassen und dann finden sich diese Proben verteilt im Heft… Frauenzeitschriften-Prinzip.

Warum tun sich die Kosmetikkonzerne nicht zusammen – und produzieren zusammen eine Pröbchenseite (vor allem da es ja eh nur wenige Konzerne sind, die nur in der Werbung so tun, als würden sie voneinander völlig unabhängige Produkte vertreiben – ach die Vielfalt). Also 4, 6, 8 kleine Proben auf einer Plastikseite, ins Heft eingeklebt, jede Probe von der anderen mit einer Perforation getrennt. Jedes einzelne Pröbchen könnte sogar individuell gestaltet werden – und ist diese Seite einmal herausgetrennt, dann steht nichts mehr dem Frauenzeitschriften-Lesevergnügen im Weg. Man kann hinblättern, wohin man will…

Wobei, ich bin nicht die Zielgruppe. Was weiß ich schon von Frauen-Marketing. Ich blättere ja nur mal hinein… Und wahrscheinlich ist das der Trick dabei, dass auch Frauen nur hineinblättern – und mittels Proben an die wichtigen Stellen gelotst werden. Kann das denn sein? Size matters? Je dicker die Probe… Scheint so. Aber was weiß ein Mann schon davon.

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Ein Schriftsteller beim „Perfekten Dinner“ – Boscher zum Casting eingeladen

Perfektes_Dinner
Mich erreichte eine sehr nett formulierte E-Mail, Betreff „Anfrage für Das perfekte Dinner am Bodensee“. Inhalt: „Bei meiner Recherche bin ich auf Sie gestoßen. Als Schriftsteller wären Sie ein spannender Kandidat für uns. Vielleicht kochen Sie ja auch gerne.“ Absender: die Produktionsfirma, welche für einen privaten Sender die Sendung „Das Perfekte Dinner“ herstellt.

Boscher beim „Perfekten Dinner“? Im TV? Warum nicht?

Ich bin natürlich geschmeichelt – „ein spannender Kandidat“… und was sich für Perspektiven ergeben… Wie viele Zuschauer hat wohl die Sendung? Wie vielen Menschen könnte ich mich als Schriftsteller präsentieren… Ich eloquent, charmant witzig am Herd werkelnd. Jeder Handgriff untermalt von literarischen Bonmots – nicht übertrieben natürlich. Eben gerade genau richtig dosiert, dass der Zuschauer neugierig wird. Ach, von diesem sympathischen und gut aussehenden Kerl möchte ich aber wirklich etwas lesen…

Und wohl dosiert würde natürlich das Menü sein, meiner Schriftsteller-Laufbahn folgend: Eine leckere Vorspeise vom Niederrhein, die mir Anlass geben würde, eine kleine Anekdote zum Besten zu geben, aus welcher Idee heraus die Niederrhein-Kapitel meines zweiten Romans entstanden sind (und die Ideen des Romans, an dem ich zur Zeit arbeite). Um dann überzuleiten zu den Bodensee-Kapiteln meines Romans und einem entsprechend für die Region typischen Gericht als Hauptspeise. Bevor letztendlich die Speisefolge mit einer bergischen Kaffeetafel gekrönt wird, die mir Anlass gibt, auf meinen ersten Roman einzugehen (und Hinweise zu den Wuppertal Kapiteln meines zweiten Romans einzustreuen).

Ja, dass klingt gut. Jedenfalls müsste ich ein typisches Bodensee-Gericht zubereiten, bei dem ich Fleisch schneiden müsste, um dann leichthin erzählen, dass ich dieses gelernt habe, weil ich mir für meine kriminalistischen Szenen fachkundige Beratung eingeholt habe – für die richtige Schnitttechnik. Es müsste etwas auf der Speisekarte stehen, bei dem ich bei großer Hitze etwas anbrate, dann mit Hochprozentigem ablösche, so dass eine Stichflamme entsteht – was mir Gelegenheit gibt, die wichtige Rolle auch heißer Erotik-Szenen für meine Schreibe zu verdeutlichen. Beim Nachtisch gäbe mir das Kneten des Teiges Gelegenheit, über die Sinnlichkeit des Schreibens ein paar Worte zu finden. Eine Sinnlichkeit, die – hier könnte ich effektvoll den Teig auf den Tisch knallen – auch in harten Horror umschlagen könnte (hier darf natürlich beim Nachtisch heiße rote Kirschsoße nicht fehlen).

Ja , so stelle ich es mir vor. Natürlich komme ich währenddessen nicht aus der Ruhe, bin eine Art gelassener, ein wenig düsterer Gourmetschreiber mit latent sinnlicher Ausstrahlung. Kurz: ich sehe einfach gut aus in der Kamera. In der Küche. In meinem (natürlich mit Unmengen an Büchern zugestellten) Arbeitszimmer, das Allerheiligste, in dem alles entsteht – eine inspirierende Mischung aus Chaos und Individualität. Schriftsteller halt. Die ganze Wohnung (also den Teil, den die geschickten Kamerafahrten zeigen): Schriftsteller halt.
Ralf Boscher - Engel
Ach, schon der Wohnungsflur so individuell – und „ist das nicht die Puppe, die auf dem Cover Ihres ersten Romans zu sehen ist?“ Und die ganzen Bilder, Gemälde an den Wänden – „Ja, alle von befreundeten Künstlern.“ Und dann erst das Esszimmer (also eigentlich das Wohnzimmer als größter Raum, in den der Esstisch hineingetragen wurde) – Bücher natürlich (auch hineingetragen), Bilder (die da wirklich hängen) – und dieser Blick durch die Tür zum Garten. Hier kehrt die Ruhe ein, wenn die Inspirationsströme durch den Schriftstellerkopf und -körper jagen… Und hier findet das Dinner statt – hier fühlen sich die vom Sender ausgewählten Gäste einfach wohl, hier fühlen diese sich (wer immer dies auch ist) quasi selbst inspiriert. Und lecker. Ja, lecker ist es auch. Darauf am Ende eine Obstler aus Meersburg.

Wer wohl die Gäste sind? Schriftsteller-Kollegen vom See? Andere Künstler aus der Gegend? Oder vielleicht wählt der Sender nach dem Gladiatorprinzip aus? Nichtleser, Bücherhasser, Brotlosekunstvertreter?

Aber wie auch immer, eines ist gewiss: Ich kann nicht kochen. Leckere Dinge zubereiten, ja, das schon. Aber kochen… Und noch eines ist gewiss: Auf eine gewisse Weise bin ich extrovertiert (spiele literarisch auch gerne mit meiner eigenen Person). Ich liebe auch die Live-Situation einer Lesung. Mich reizt auch der Gedanke, als Schriftsteller bekannter zu werden (natürlich). Aber: ein Kamerateam in meine Wohnung lassen? Einigen Hunderttausend (oder Millionen) Menschen Einblick in meine Wohnung geben? Den Menschen, die ich liebe und mit mir leben, dies zumuten?

Nein. Das ist nicht mein Ding. Ich habe gewiss Dinge geschrieben, die von ebenjener Produktionsfirma, die das „Perfekte Dinner“ dreht, als Spielfilm, Serienepisode etc. „verbraten“ werden könnten. Aber vor den Kameras der Firma „ganz privat“ braten? Nein – selbst wenn ich ein begnadeter Koch wäre. Auch wenn die Anfrage zum Casting ebenso nett wie schmeichelhaft war. Auch wenn mir hier vielleicht eine große Chance durch die Lappen geht.

Ich bin sehr gerne Gastgeber. Und es macht mich immer glücklich, zu spüren, dass sich unterschiedlichste Menschen bei mir einfach wohlfühlen. Aber dieses Vergnügen bleibt dann wohl privat.

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Das sind so die Momente… Fähre voll und meine Romanidee ist auch futsch

Faehreschnellkurs

Ich hatte so ein paar Ideen für einen Vampirroman – mehr als ein paar Ideen, einzelne Kapitel sind bereits geschrieben. Ja, und dann…

Als ich damals an meinem ersten Roman schrieb, in dem ein wichtiges Thema „Abtreibung“ ist, habe ich mich geweigert, John Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ zu lesen, obwohl er damals mein Lieblingsautor war (und auch heute noch einer meiner Alltime-Faves ist). Einige Jahre zuvor hatte er dieses wirklich tolle Buch (wie ich heute weiß, da ich es schließlich glücklicherweise sofort nach Fertigstellung meines Romans doch gelesen habe) veröffentlicht, und nachdem ich die anderen greifbaren Bücher von ihm schon verschlungen hatte, schlich ich um „Gottes Werk“ herum wie der Teufel um eine sündige Seele. Aber ich riss mich zusammen. Kaufte zwar das Taschenbuch – aber ich las es nicht. Denn bei ihm wie bei mir war ein Thema „Abtreibung“, und ich hatte einen Höllenschiss, mich zum einen von meinem Lieblingsautor beeinflussen zu lassen (ich Narr damals, glaubte ganz naiv an so etwas wie „originäre Schöpfung“, an meinen eigenen gänzlich „unbeeinflussten“ Roman), zum anderen fürchtete ich, kein eigene Zeile mehr aufs Papier zu bekommen, wenn ich gelesen hätte, wie Irving das Thema anpackt.

Heute denke ich anders. Alles ist durchtränkt von Einflüssen. Kombination ist das Stichwort. Es gibt nichts Neues unter der Sonne – aber viele Möglichkeiten, Altbekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen. Schöpfung ist zugleich Mythos (logisch, will doch meine romantische Idee des Kreativen nicht aufgeben) und handwerkliches Geschick im Spiel mit Zitaten und all dem, was man erfahren hat. Ein eigener Stil ist ein überraschender Cocktail aus gut gewählten Zutaten, die man aus der Schatzkiste „Kultur“ zieht.

Also ganz easy… Ich lese in einem Roman – und lese „meine Ideen“. Warum aufregen, locker bleiben! Nun, an diesem Morgen war ich nicht locker. Ehrlich gesagt, war ich die Nacht zuvor auch schon nicht locker. Ich hatte also schlecht geschlafen. Soviel zu theoretischen Erwägungen über den „Autor“, über „Topik“ als der Grundlage schöpferischer Kreation.

Obwohl: Schuld ist die Fähre Meersburg-Konstanz. Beziehungsweise deren morgens zu Pendlerstosszeiten oft zu geringe Verfügbarkeit. Denn die Fähre war voll. Und so schlecht ich geschlafen hatte, schlug mir dies an diesem Morgen aufs Gemüt. Natürlich: Ich als Rollerfahrer hätte noch auf die Fähre rollen könne, für eine 50er ist meist immer noch Platz. Aber da ich mit meiner Liebsten zusammen zur Arbeit fahren wollte, musste ich warten – und das war beileibe nicht das erste Mal (Hintergrund: Meine Liebste fährt mit dem Auto. Ich roller. Das Ende unserer Arbeitszeiten ist nicht derart, dass wir planen könnten auch den Rückweg gemeinsam anzutreten.).

Also stand ich um 7 nach 7 auf dem Meersburger Fähreplatz. Wie ich an der auf dem See gen Konstanz fahrenden Fähre sehen konnte, hatte diese pünktlich voll belegt um 5 nach 7 abgelegt. Und obwohl die 20 nach 7 Fähre beinahe voll war, warteten bereits wieder 2 Reihen PKW und einige LKW darauf, einen Platz für die Überfahrt zu finden. Darunter meine Liebste in ihrem PKW, Reihe 2, keine Chance noch auf die Fähre zu kommen. Ich schaltete also die Zündung aus. Wartete. Noch vor dem ersten Kaffee. Der Einweiser winkte mir freundlich zu. Los fahr, Du hast noch Platz. Ich winkte ab. In diesem Moment, während die Sonne hinter der Meersburger Burg emporstieg, holte mich meine schlechte Nacht ein.

Ich hatte vor dem Schlafen noch ein wenig gelesen, das Buch gefiel mir. Chick-Lit? Vielleicht. Aber egal. Gut geschrieben. Amüsant. Spannend. Ja, und dann las ich… Las von den PR-Kampagnen der Schattenwesen – und: Puh. Auf die Idee war ich auch gekommen. Twilight, der ganze Vampir-Boom – ein Marketingtrick der Vampire (bzw. in diesem Roman der Vampire, der Werwölfe, der Elfen…). Wenn mir wenigstens nicht gefallen hätte, was ich las. Aber das Buch zog mich in sich hinein, und das obwohl mein Verstand eingeschaltet war. Ich dachte, fühlte: Meine Romanidee ist futsch. Obwohl mir aufs Ganze gesehen doch etwas anderes vorschwebte – vorschwebt?

Nachfrage
Nichts Neues unter der Sonne… Auch an diesem Morgen nicht. Wieder einmal ist das Angebot an Fährekapazität nicht an der Nachfrage der Pendler ausgerichtet. Dabei machen die Fährebetreiber deutlich, dass sie sich sehr wohl einer gewissen Nachfrage bewusst sind: Wobei (ab 9 Uhr wegen erhöhter Nachfrage Schnellkurs) es hier nicht um die Pendler geht, sonst würde der Schnellkurs früher gefahren werden. Meiner Einschätzung nach ist hier mit Nachfrage die Nachfrage durch die nun im Frühling mehr und mehr eintrudelnden Touristen gemeint – die aufs Jahr gesehen wohl mehr Geld in die Kassen spülen, als all die Pendler mit ihren Jahreskarten. Und somit stand ich also, weil ich auf meine Liebste im PKW wartete, auf dem Fährevorplatz. Und sann, während die Sonne höher über die Burg stieg, über Pendler, Touristen und Vampire nach. Auch das eine Idee von mir: Den Vampiren eine Evolution zuzusprechen, so dass sie z.B. heute unempfindlicher gegenüber Sonnenstrahlen sind. Aber wie heißt es so schön: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber was für Pendler richtig ist, muss für Romanautoren nicht wahr sein. Sonst würde sich niemand für einen Roman wie „Eine Odyssee“ interessieren, den ich ebenfalls zur Zeit lese und der in vielen Teilen den „Ulysses“ von James Joyce thematisiert, welcher wiederum nicht ohne Grund nach der Hauptfigur aus Homers „Odyssee“ benannt ist. Und das wäre wirklich schade.

Wäre es auch schade, wenn ich meine ursprüngliche Romanidee nicht weiter verfolge? So etwas weiß man als Autor erst dann, wenn man durch die Idee hindurchgegangen ist und der Roman in Gänze vorliegt. Und das erfordert Zeit und Mut. Man läuft immer Gefahr zu spät zu kommen. Oder völlig unzeitgemäß zu sein. Und nicht jeder hat Nietzsches Mut, sich dieses Unzeitgemäße auf die Fahnen zu schreiben (wenn es denn Mut war und nicht nur ein Symptom der beginnenden Paralyse).

Als ich mit einer Schoki für sie und einem Kaffee für mich (endlich, die erste „Tasse“ des Tages) zu meiner Liebsten ins Auto stieg, die es endlich auf die Fähre geschafft hatte, waren weniger meine Autorengedanken als Überlegungen zu „Touristen und Pendlern“ das Thema. Klar, in einer Touristengegend sind diese immer ein Thema. Auch außerhalb der Saison. Ihre Anwesenheit wirkt sich genauso wie ihre Abwesenheit auf die Einheimischen aus: Versuchen Sie mal hier im Winter Abends in einem Restaurant fein essen zu gehen… Sind keine Touristen da, dann nehmen die Betreiber von Gaststätten, Restaurants, Geschäften ihren Jahresurlaub: In Meersburg zum Teil den ganzen Winter über.

Ralf_Boscher_Burg
Im Winter ist Meersburg genau das beschauliche, romantische Städtchen mit Neuem Schloss und Burg und Altstadt und See, das die Touristen so sehr anzieht, dass es ab Frühling mit der Beschaulichkeit vorbei ist. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen – ein immer wieder in neuen Variationen beliebter Spruch in Stellenanzeigen. Was soll das überhaupt heißen? Hebt es meine Lebensqualität als Arbeitnehmer am Bodensee, aus dem Fenster zu sehen und draußen die Urlauber urlauben zu sehen? Freue ich mich als pendelnder Arbeitnehmer, dass ich mich nach der Arbeit eine Stunde und länger an der Fähre in die Warteschleife stellen muss, um über den See heim zu kommen (und das trotz Schnellkurs), vielleicht weil ich denke: Ist doch toll, wie beliebt der Bodensee ist?

Erlebnis
Ach, ich bin ungerecht. Selbst jetzt noch in der Rückschau. Natürlich ist es schön, am Bodensee zu leben. Und der Weg zur Arbeit ist immer wieder ein Erlebnis. Es gibt nichts Neues unter der Sonne… Ja. Dennoch. Wenn ich die ewig gleiche Sonne morgens über Meersburg aufsteigen sehe, dann packt mich das doch immer wieder und auch jetzt noch nach Jahren. Wie oft habe ich dieses Bild schon gesehen (und fotografiert) und dennoch hat es immer wieder den Hauch des faszinierend Neuen. Und sollte ich an dem Vampirroman weiterschreiben, hoffe ich, dass ich selbst bekannten Ideen den faszinierenden Hauch des Neuen werde verpassen können.

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Hut ab! Vorbilder – nicht nur bekannt aus Funk und Fernsehen

Vorbilder_Leuchtturm
Menschen, die – oftmals unter Einsatz des eigenen Lebens – anderen Menschen helfen. Schriftsteller, deren Bücher von vielen Menschen gelesen und geliebt werden. Musiker, die mit ihren Songs ganze Generationen berühren. Wissenschaftler, die die kompliziertesten Sachverhalte auf den Begriff bringen. Sportler, die so begabt und gut trainiert sind, dass sie Höchstleistungen verbringen. Ein junges Mädchen, das es mit selbst gefilmten Beautytipps-Videos zum Youtube-Star schafft. Und… Oder…

Leuchttürme, die anderen Menschen einen gangbaren Weg zeigen.

Menschen, die in einer Welt, die reich an Armut jeglicher Art ist, die Fülle dessen zeigen, was es bedeuten kann, Mensch zu sein. Menschen, die bewundert werden. Die für andere Menschen Vorbilder sind. Denen nachgeeifert wird.

Aber man muss gar nicht weit gehen oder in die Ferne sehen, um solch besondere Menschen zu erleben. Menschen, deren Handlungen und Haltung einen berühren. Die man bewundert und für sich selbst als vorbildlich empfindet.

Ein junges Mädchen zum Beispiel, das dem Gruppendruck widersteht – und das auf dem Schulhof, auf dem Schulweg, auf einer Party die wieder und wieder angebotenen Zigaretten ausschlägt.

Ein Junge, der der eigenen Angst widersteht und „Nein!“ sagt gegen den Hass und sich schützend vor den hilflosen Fremden stellt. Ein mutiger Junge, der auf der Straße, im Bus, in der Bahn, im ganz realen Leben „Nein zum Fremdenhass! sagt und sich so selbst der Gefahr durch den wütenden Mob aussetzt.

Ein Mann mittleren Alters, der sich mit seinem massiven Übergewicht nicht auf der Couch verkriecht, sondern den inneren Schweinehund Tag für Tag überwindet, auch wenn jedes Mal, wenn Trainingseinheiten anstehen, 1000 ach so gute Gründe dagegen sprechen, den Hintern hoch zu kriegen.

Eine Frau an die 50, die nochmals die Schulbank drückt und sich neben Beruf und Familie weiterbildet und eine Ausbildung macht. Die, 30 Jahre nachdem sie die Schule verlassen hat, mit mehr als halb so alten Mitschülern in einer Klasse sitzt und Abends nach Brotjob und Hausarbeit über den Büchern brütet, um zu lernen und etwas Neues zu erfahren.

Eine ältere Dame, die seit vielen Jahren unter starken Schmerzen leidet, die immer wieder mit neuen dramatischen Diagnosen konfrontiert wird, keine Hoffnung auf Heilung mehr – und die dennoch nicht einfach nur leidet. Die kämpft, ohne sich in ihre Krankheiten zu verbeißen, die mit Stil und Liebe zu den Mitmenschen ihrem vorhergesagten Tod entgegengeht – und ihn mit einem Lächeln als eh unvermeidbar links liegen lässt.

Vorbilder – nicht nur bekannt aus Funk und Fernsehen. Man muss wahrlich gar nicht weit gehen oder in die Ferne sehen, um einen Menschen zu erleben, bei dem man einfach sagen muss: Hut ab!

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Vom Höcksken aufs Stöcksken… Von LPs zu YouTube, von „Balls To The Wall“ bis „Darm mit Charme“…

Youtube_Topik
Ich bin ein echter Fan von Musik-Assoziationsabenden. War ich immer schon, schon zu Schallplatten-Zeiten. Nette Menschen zu Besuch, man plaudert bei einem Getränk über dies, über das. Lächeln hier, Lächeln dort. Einer sagt etwas, das nach „Hoooh ho hoooo!“ klingt (vielleicht war es auch nur der etwas unartikulierte Hinweis, aufs Klo zu müssen). Jedenfalls sagt ein anderer: „Das erinnert mich jetzt aber an Balls To The Wall.“ „An was?“ „Sag bloß, Du kennst Accept nicht?“

Ja, und schon geht er los, der Streifzug durch die Musikgeschichte, durch die Plattensammlung. Die einen headbangend zu „Balls To The Wall“ („Sign of Victoryyyyyyyyyyyyyyyy!“), die anderen kopfschüttelnd ob einer generellen Abneigung gegenüber grandiosem Heavy Metal. „Ist ja schon irgendwie stumpf!“ Pah. Die nächste LP wird aus dem Regal gezogen. „Stumpf, pah! Die bauen sogar Beethoven ein! Hört euch das mal an…“ Und schon wandert „Metal Heart“ auf den Plattenteller. Was das Kopfschütteln nur bedingt eindämmt, aber zu noch mehr Headbangen führt. „Apropos Beethoven…“ – wird dann der nächste Ball ins Spiel geworfen – „Kennt jemand Difficult to Cure?“ „Kennen?“, so der Herr über die umfangreiche Plattensammlung, in dessen Bude wir gesellig zusammensitzen. „Ich hab die Live-Aufnahme mit Orchester da, Tokyo Budokan 1984!“

Also löst Rainbow Accept ab – und los geht es mit der Ritchie Blackmore Version des letzten Satzes aus Beethoven 9. „Bin mit Rainbow nie warmgeworden.“, wirft einer nach ein paar Minuten ein. „Aber bei Deep Purple fand ich den Blackmore toll.“ „Smoke on the waaaaaaaaater!“ – hier konnte auch einer der zuvor Kopfschüttelnden glänzen. „Ja, die waren schon geil. Mark II. Aber auch die älteren Sachen haben was….“, meint unser Gastgeber und zieht eine LP mit einem Hieronymus Bosch-Cover aus dem Regal (nach Alphabet geordnet und innerhalb der einzelnen Gruppen nach Erscheinungsjahr). „Hier, hört euch mal April an – gefällt mir vom Orchestralen besser als Difficult to Cure oder das Concerto“.

Als nach den ersten Minuten seine Begeisterung nicht überspringt, greift er wieder zu D. „Dann eben das, auch Mark I., und den Song kennt ihr bestimmt“. Er reicht das Cover herum, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Zeichnungen aus einem Monty Python Film hat. „Auch Orchestral. Geil oder! Also sprach Zarathustra. Aber das meine ich nicht, was ihr kennt, wartet ab, jetzt gleich geht es los!“ Und noch circa 4 Minuten gibt es ein Aha. „Das ist doch?“, „Das kenne ich doch?“ Richtig. Und schon wird eine andere LP aus dem Regal gezogen. M. Ein Motown-Sampler, auf dem sich die bekannte Version von „River Deep, Mountain High“ von Ike & Tina Turner findet. Von den Turners geht es zu den Jackson 5, die auch auf dieser LP vertreten sind. Von dort zu Michael Jackson. Von „Beat it“ zu Van Halen, da Eddie Van Halen ja das Gitarrensolo beigesteuert hat. „Meine erste Single.“, meint einer, „Jump!“ „Meine erste Single war Hard To Say I’m Sorry von Chicago“, wirft ein anderer ein – nicht ohne mit den Schultern zu zucken, was soviel heißen sollt, wie: Jugendsünde. Aber da sind die Dämme auch der Heavys schon gebrochen. Das ist ja das Schöne an so innigen Runden. Irgendwann sinkt die Peinlichkeitsschwelle. „Famous Last Words von Supertramp war meine erste LP. Don’t Leave Me Now halte ich heute noch für einen der besten Songs überhaupt“, „Words von F.R. David – meine erste Single.“ „Gloria Gaynor – I Will Survive“ „Moonlight Shadow, Mike Oldfield“, „BAP, Verdammt lang her“.

Ja, so war das damals – unschwer an den Titeln zu erkennen. Die goldenen Zeiten, als Musik noch knisterte. Als das nächste Musikstück nicht nur ein paar Klicks entfernt war, sondern wohldosierte Handgriffe mit einem empfindlichen Gut, dem Vinyl. Da man sich die Köpfe über das Thema „Trocken oder nass abspielen?“ heißreden konnte.

Vermisst jemand das Knistern? Bestimmt. Vermisst jemand die großformatigen Albumcover? Ganz bestimmt.

Ich habe lange gebraucht, um mich auf das neue Medium CD einzulassen, habe mir anfangs nur neue CDs gekauft, also frisch auf den Markt gekommene Aufnahmen, die zuerst auf CD veröffentlicht wurden. Und zum Teil war das wirklich ein Aha-Effekt. Wie sauber, wie voluminös. So empfand ich das. Wobei entschiedene Vinyl-Liebhaber gerade der CD dieses Voluminöse absprachen. Wie gesagt, zuerst kam nur Neues in meinen CD-Player – ich habe lange gebraucht, um mir eine meiner Lieblingsplatten auch auf CD zuzulegen. Und noch länger, um bei einer bestimmten Stelle, wo bei meiner oft gehörten LP immer ein Knistern war, nicht die Luft anzuhalten – nur um dieses Knistern nicht zu hören und ein Gefühl von Fremdheit zu empfinden. Aber nun gut, bei den meisten CD-Überspielungen hat mich der Klang doch überzeugt – oder bin ich einfach nur in die Jahre gekommen? Bequemer geworden? Ist ja auch einfacher eine CD als eine Platte zu wechseln…

Wie auch immer. Für meine Ohren hat der Klang gewonnen (bis auf die „Loudness-War“-Opfer). Und vielleicht ist der reine Klang auch gar nicht das Wichtigste an der Musik? Als ich Musik für mich entdeckte, hatte ich nur ein kleines Radio („Mal Sondocks Hitparade“ im WDR) und dann einen Mono-Kassettenrekorder. Und es war toll. Klar war die erste, mühsam ersparte Anlage auch toll. Und toller Klang ist ja auch einfach toll. Aber wie auch immer – schon zu Zeiten von Mono-Kassettenrekordern gewann Musik einen besonderen Reiz dadurch, dass man sie so schön teilen kann.

Teilen war immer schon ein wichtiger Bestandteil, wie sich Musik verbreitet hat. Kassetten tauschen, LPs ausleihen (allerdings in meinem Fall nur an Trockenabspieler) – und vor allem ganz persönliche Mixe herstellen (viele Jahre auf Kassette, dann auf CD). Wenn ich überlege, wie viele interessante Musik ich schon über solche Mixe kennengelernt habe.

Und hier sind wir bei YouTube angekommen. Die Globalplayer gewordene Inkarnation der Lust am Teilen. Ich finde Youtube toll. Wie viele Bands ich dort schon entdeckt hab (mein CD-Dealer dankt es mir). Zudem ist YouTube ein Hilfsmittel erster Güte für Musik-Assoziationsabende, es macht einfach Spaß, auf Youtube vom Höcksken aufs Stöcksken zu kommen.

Kommt das Gespräch auf Michael Jackson, dann wird nicht nur die Musik abgespielt, dann ist auch gleich das Thriller-Video zur Hand. Wie etwa gestern mit meiner Liebsten: Nostalgisch hörte ich über Youtube „Hard To Say I’m Sorry“, da kam sie dazu. „Meine erste Single.“, meinte ich. „Meine Erste war Thriller.“ Also lief dann das Video. „Die Tanzen so cool!“, meinte meine Liebste, „Schau mal hier, das ist auch cool!“ – und schon lief „Happy“ von Pharrell Williams. Nach ungefähr 10 Minuten fiel mir ein anderes cooles Tankstellen-Video ein: „Gimme All Your Lovin“ von ZZ Top. Angesichts der Bärte hatte dann meine Liebste einen Poetry Slam-Videotipp parat: Patrick Salmen „rostrotkupferbraunfastbronze“ bei der Poesieschlacht Düsseldorf („Auf Bart reimt sich hart – sonst nichts… Und wir singen Manowar… “). Also lief als nächstes Video „Die For Metal“. Von Manowar kamen wir auf Man o’ War (das berühmte Rennpferd) und von dort war es nicht weit bis zum Video-Trailer von „Seabiscuit“, denn Seabiscuit war immerhin ein Enkel von Man o’ War gewesen. Dann Black Beauty. Keine Folge habe ich als Kind verpasst, was weniger an dem Pferd und den spannenden Geschichten lag, als an der Hauptdarstellerin Judit Bowker, in dich ich mich verknallt hatte. Meine Liebste erzählte, sie hätte damals für David Cassidy von der Partridge Family geschwärmt. Ein Name mit dem ich auch so meine Erinnerungen verband, schließlich hatte eine damalige Freundin, während sie auf ihrem alten Plattenspieler die frisch erworbene Single von „Last Kiss“ spielte, mit mir Schluss gemacht (was ich erzählte, während Cassidy auf Youtube schmachtete). Mit ihr hätte mal ein Freund zu „I Want To Break Free“ Schluss gemacht, erzählte meine Liebste. Na immerhin hatte er einen guten Musikgeschmack. Also hörten wir Queen, während wir darüber sprachen, wie wir damals die Nachricht von Freddie Mercurys Tod aufgenommen haben. Über die posthum herausgekommene CD „Made In Heaven“, von der wir „Too Much Love Will Kill You“ hörten (die CD war in Montreux am Genfer See aufgenommen worden, ihr Cover zeigt eine Statue von Freddie vor dem Genfer See), kamen wir auf „Smoke On The Water“. Schließlich singt hier Ian Gillan über einen Brand im Casino von Montreux während eines Zappa-Konzertes. Apropos Texte von Deep Purple. Ich erzählte, dass ich eine Weile gebraucht hätte, um zu verstehen, dass es bei „Knocking At Your Backdoor“ nicht um jemanden geht, der an die Hintertür eines Hauses klopft. Woraufhin wir dann zu Julia Enders Auftritt „Darm mit Charme“ bei einem Science Slam kamen…

Ja, ich finde Youtube toll. Und weil es Millionen Menschen weltweit so geht, hat die Nutzung von Youtube mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass man hier von einem „Kulturellen Gedächtnis“ sprechen kann, einem „Archiv für Medieninhalte“. Was die Nationalbibliotheken für Texte sind, ist Youtube für Musik und multimediale Inhalte. Schade nur, dass das wichtige Thema „Honorierung der Urheber“ immer noch nicht befriedigend geklärt ist.

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Ralf Boscher, sind Sie zufrieden mit ’10 Stück Mäusefallen‘?

Mäusefallen_Luna
Eigentlich wollte ich heute Abend, nachdem ich aus der Werbeagentur an meinen privaten Schreibtisch heimgekehrt bin, über Musik schreiben. Aber dann flatterte diese nette E-Mail des allgegenwärtigen Amazon Kunden-Service in mein Postfach – und ich erinnerte mich an den heutigen Morgen, als ich – noch vor dem ersten Kaffee – auf etwas Weiches getreten bin. Also schreibe ich nun über Mäuse, also über Werbung.

Werbung ist toll. Klar, muss ich ja auch sagen. Arbeite schließlich in der Werbebranche. Aber Spaß beiseite. Werbung ist wirklich toll. Ohne sie wüsste ich überhaupt nicht, wohin mit meinen ganzen wohlverdienten Mäusen. Womöglich würde ich sie, ohne all die dezenten Informationen über die diversen Möglichkeiten, meine Mäuse zu verteilen, gar in der „Mäusefalle Sparkonto“ belassen. Nicht auszudenken. Welch Verlust an Lebensqualität! Wobei: Letztens habe ich eine sehr schön gemachte Werbung für Sparkonten gesehen, da kam ich doch beinahe in Versuchung… Aber das war bei der nächsten Werbung schon vorbei. Das ist ja das Schöne daran. Eine Werbung kommt nie allein. Wenn ich nicht per se – also deswegen per se, weil ich ja selbst in der Werbung arbeite – annehmen würde, dass hinter jeder Werbung wohlmeinende Menschen stecken, dann könnte beinahe der Eindruck entstehen, dass es hier um eine Art Verteilungskampf geht. Geht es natürlich nicht. Es geht um Information. Und es geht um Animation. Werbung will den Menschen zum Handeln bringen. Und das ist doch etwas Gutes, oder? Wer nicht handelt, der hinterläßt keine Spuren auf der Erde. Wer nicht selbst handelt, dem wird das Handeln aus der Hand genommen. Handeln ist also gut. Handeln ist die Quintessenz unseres Zusammenlebens. Handeln ist Wirtschaft. Und was wäre Wirtschaft ohne Werbung?

Eben nichts. Oder besser: Ein Chaos an handlungsunfähigen Individuen, die nicht wissen, wohin mit ihren Mäusen. Denen die Lenkung fehlt. Die Impulse. Die Informationen, die in einer Wirtschaft eben nur die Werbung zur Verfügung stellen kann. Was natürlich auch bedeutet: An den richtigen Stellen verteilen. Denn was nützt die beste Werbung, wenn sie ins Leere stößt. Wenn an der Stelle, wohin all die Informations- und Animationskompetenz fließt, niemand ist, der sich dafür interessiert?

Eben nichts. Und eben das ist die Krux an Werbung. Oder besser die Krux am Menschen: Leider – also aus der Sicht des Werbenden – ist der Mensch, um das einmal umgangssprachlich auszudrücken, zickig. Er will gar nicht immer umworben werden. Oder nur in einem gewissen Rahmen. Und dieser gewisse Rahmen ist leider – also leider aus Umwerbender Sicht – sehr flexibel, geradezu fragil. Was in einem Moment noch okay war, ist im anderen ein „No go!“. Von jetzt auf gleich sind Sympathien verspielt – und ohne Sympathien keine Werbung. Das ist wie in der Liebe. Da kann jemand noch so alle Register der erfolgsversprechenden Werbung durchexerzieren, die durchdachtesten Werbemittel verteilen – ohne Sympathie ist hier Hopfen und Malz verloren.

Wobei ich wieder bei den Mäusen angelangt bin. Ich hege ja eine gewisse Sympathie gegenüber Nagern. Also die Maus heute Morgen, die war niedlich. Große Ohren, große Augen, aus denen sie mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Schrecken ansah, als ich auf sie trat. Und niedlich ist gut. Aber in diesem Fall kein Grund, nicht zu handeln. Denn manche Dinge haben an manchen Orten einfach nichts verloren – und so ein Ding war die niedliche Maus in unserem Flur. Ein Mitbringsel unserer Katze, die auch nicht weit war. Miauuu! Ich hörte sie schon um die Ecke fegen, um sich ihrem Spielkameraden zu widmen (was an sich kein Problem wäre, nur haben diese Spielkameraden die Angewohnheit, sich zum Sterben an die ungewolltesten Orte zurückzuziehen, um dort langsam zu verwesen, Gestank zu verbreiten…). Also griff ich zu – und das vor dem ersten Kaffee. Packte die Maus und beförderte sie in den Garten. „Du hast hier nichts verloren!“, rief ich ihr hinterher und hoffte, sie war klug genug, sich nicht wieder von unserer Katze einfangen zu lassen. „Du hast hier nichts verloren!“, rief ich also. Und ich finde, das ist ein schönes Gleichnis auf Werbung: Sie kann noch so gut gemacht sein, mit niedlichen großen Augen und putziges großen Ohren daherkommen, wenn sie an einem Ort nicht gewünscht ist, dann ist das verlorene Liebesmüh.

Menschen sind da wohl zickig. Wobei ich da wohl, schließlich arbeite ich in der Werbung, großmütiger bin. Klar, da verdiene ich ja auch meine Mäuse. Ach ja, ich bin übrigens sehr zufrieden mit den Mäusefallen. Vielleicht teile ich das sogar mit, mache Werbung für den Mäusefallen-Hersteller.

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Ich hab den Kaffee auf!

Kaffee_auf

Oh aromatica negro,
Bene crema, oh molto gusto
Praestat ridere quam flere,
Oh flair della rondo bohna,
Bohna di deo, credo, rexona.

„Ich hab den Kaffee auf!“, dies werden an jenem Morgen so einige meiner Kollegen gedacht haben, wobei sie es wahrscheinlich in anderen Worten dachten, ist doch dieser Spruch aus NRW hier im süddeutschen Raum nicht so geläufig.

Aber dass sie dies auf die eine oder andere Weise dachten – man musste nur in ihre Gesichter sehen –, zeigt doch: Wie wichtig guter Kaffee für das Betriebsklima ist. Bzw. Caffé, handelte es sich doch um eine italienische Maschine, die zu aller Ärger nicht mehr tat, was sie tun sollte: Heißen Caffé zu machen. Oder wenigstens Kaffee.

Dabei war die Maschine neu. Unser Chef hatte sich nicht lumpen lassen. Das war quasi wie Weihnachtsfeier und Sommerfest in einem. Ein Caffé-Fest erster Güte. Der war aber auch lecker! Allein schon diese Crema wird der einen oder dem anderen auf dem Weg zur Arbeit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben – oder wenn noch nicht auf dem Weg, so doch wenigstens in dem Moment, da sie oder er die Küche betrat und zur rechten Hand dieses neue technische Wunderwerk handwerklicher Präzision thronte. Und wenn noch nicht in diesem Moment, so doch wenigstens dann, wenn er oder sie die Tasse, nachdem ein letzter heißer, dunkler Tropfen von der Maschine in dieses aromatische Kunstwerk entlassen worden war, von dem chromglänzenden Abtropfgitter in die Hand nahm.

Wie gesagt: Guter Kaffee ist wichtig fürs Betriebsklima. So verwundert es nicht, dass die Kaffee-Universität in ihren Leitlinien ganz im Sinne der Schaffung eines guten Betriebsklimas formuliert: „Im Mittelpunkt dieser Akademie stehen die Menschen, ihre Ansprüche und ihre Perspektiven“. Und somit war die Vorgängermaschine wohl auch der Grund für die gesunkene Moral in allen Abteilungen gewesen. Der Kaffee genügte keinen Ansprüchen. Das dunkle Gebrüh war zwar heiß, aber das war es dann auch. Die Arbeit hatte gewissermaßen allen nicht mehr geschmeckt. Selbst der Chef hatte sein sonniges Gemüt verloren. Und da so etwas nicht angeht, musste eine neue Maschine her. Und siehe da, es ward Licht…

Heiß, schwarz, wohl duftend – und man, wie lecker! Da ging an jedem Morgen auf Arbeit die Sonne auf – bis zu jenem Tag. Jenem Morgen, als die Maschine keinen Mucks mehr tat. Drama Baby, Drama! Aber holla die Waldfee! In diesen dramatischen Minuten hatte schon so mancher den Kaffee auf, bevor der Arbeitstag überhaupt so richtig in die Gänge gekommen war. „Ich werd zum…“, „… aus dem Fenster!“ Die Extrovertierteren machten sich mit Worten Luft. Andere starrten stumm auf die Maschine, als wollten sie diese mit der puren Kraft ihrer Gedanken zum Laufen bringen. Einer griff gar in seiner Verzweiflung zu löslichem Kaffee – entkoffeiniertem.

Was aber war geschehen? Es ist dies, es ist das… „1, 2, 3, Du musst Dich entscheiden, ob Du recht hast oder nicht, das sagt Dir gleich das Licht!“ Und das Licht wies tatsächlich den Weg, als endlich einmal jemand durchatmete und seine Panik („Kein Kaffee! Oh Gott!“) in den Griff bekam. Da blinkt eine Lampe! Eine Lampe blinkt da! Oh, Wunderwerk der Technik! Die Maschine sprach mit uns – und ihre Anweisung war ganz klar: Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel fehlt. Satzbehälterdeckel? Da war kein Satzbehälterdeckel (klar!), vielleicht noch nie einer da gewesen (klar!) – wie sollte der auch verschwinden? Der Satzbehälter hatte doch sehr ordentliche Ausmaße, schließlich fasste er den Kaffeesatz von pi mal Daumen 50 Kaffees, oder Caffé. So etwas verschwindet doch nicht einfach!

Findige Mitarbeiter hatten eine Anleitung zur Benutzung der Kaffeemaschine ausgedruckt, sie grafisch verfeinert mit Bildchen und Icons und Hinweisstrichen („Hier drücken!“), aber nicht daran gedacht, dazu zu schreiben, dass man beim Ausleeren des Satzbehälters zuvor den Satzbehälterdeckel abnehmen müsse. Sträflich! So etwas weiß man doch, seitdem eine Amerikanerin versucht hat, ihren Pudel in der Mikrowelle zu trocknen. Entweder gar keine Hinweise (so dass jeder selbst denken muss) oder Hinweise zu allem, jedem, zu jedem auch noch so unwahrscheinlichen Fall („Den Wasserbehälter der Kaffeemaschine nicht benutzen, um eine Instantsuppe zuzubereiten!“ – etwa falls jemand denkt: Cool, ich gieße meine Tütensuppe oben rein und durch den Heißwasserspender erhalte ich lecker Erbensuppe!)

Jedenfalls fand sich der Satzbehälterdeckel, halb so groß wie eine altmodische LP-Hülle, schließlich im Biomüll – und das war ja auch gut fürs Betriebsklima: Da gab es etwas zu lachen! Und lecker Caffé gab es obendrauf. Und niemand hatte mehr „den Kaffee auf“, außer vielleicht die Person, die den Spott aller über sich ergehen lassen musste („Aber es stand ja auch nichts in der Anleitung…“). Doch wie auch immer: Als dann später der Chef lächelnd mit einer Tasse heißen, dunkel dampfenden Caffé mit Crema über den Flur ging, war die Welt in Ordnung und die dramatische Situation des Morgens vergessen. Guter Kaffee und ein Lächeln ist halt wirklich wichtig für das Betriebsklima.

Oh aromatica negro,
Bohna di deo, credo, rexona.

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Eine Flasche im Bett

Waermflasche
„Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“, mit den Worten Freuds antwortete ich einem alten Freund, der mir sein Leid mit seinem Lebensgefährten klagte.

Was war passiert?

Das Corpus Delicti war eine Wärmflasche.

Sein Lebensgefährte sei eine Frostbeule, erklärte mir mein Freund. Das wäre ja eigentlich auch nie ein Problem gewesen – jedenfalls so lange ihr Schlafzimmer noch ein erotischer Ort war. Aber mittlerweile…

„Bei ihm auf dem Nachttisch liegen seine Tabletten gegen Rückenschmerzen und eine dicke Tube mit Pferdesalbe gegen seine Meniskusbeschwerden. Auf meiner Seite stehen auf dem Nachttisch japanisches Heilpflanzenöl gegen meine ständigen Erkältungen, neben einem Nasenspray liegt Iboprofen, daneben ein Krimi, damit ich wenigstens vor dem Schlafen noch ein bisschen etwas Spannendes erlebe… Ich komme mir schon vor wie so ein altes Heteropärchen!“, ätzte er, während ich in Gedanken die Dinge durchging, die bei meiner Liebsten und mir auf dem Nachttisch liegen.

„Vielleicht ist es auch einfach das Alter.“, sagte er dann, „Egal wo du hingehst, mit wem du auch redest, Wehwehchen überall – und leider bleibt es ja nicht dabei. Kaum eine Woche vergeht ohne Hiobsbotschaften. Der oder die hat Krebs, einen Schlaganfall erlitten, Diabetes ist ausgebrochen, Bandscheibenvorfall… Krankheiten und Tod wohin du nur siehst. Und da soll einer nicht empfindlich werden…“

Ja, das Alter… es holt einen einfach ein. Eine Freundin von ihm hätte immer gesagt: „Man muss Acht geben, die alte Frau nicht herein zu lassen!“ Und er und sein Freund, ja sie hätten wohl den alten Mann herein gelassen. So sei er, meinte er, mittlerweile, was die Wärmflasche angeht, sehr empfindlich. Ja, er hätte mittlerweile das Gefühl, die Wärmflasche stünde, bzw. läge zwischen ihnen – wäre ein Zeichen dafür, dass sie sich von einander entfernt hätten, dass ihre Beziehung an Altersschwäche leiden würde.

Früher da hätte er nie etwas dagegen gehabt, dass sein Freund irgendwann aufstand, um sich eine Wärmflasche zu machen. Wenn er denn nun einmal so schnell friert. Warum nicht. Schließlich wäre bis zu dem Zeitpunkt, an dem er die Wärmflasche benötigte, zwischen ihnen allerhand passiert. „Da war unser Schlafzimmer noch ein erotischer Ort“. Aber sehr schleichend hätte sich das geändert, dergestalt schleichend geändert, dass es ihm kaum bewusst gewesen wäre.

Erst die Wärmflasche hätte ihm die Augen geöffnet.

„Früher war es so: Wenn es ihm mitten in der Nacht doch zu warm oder die Wärmflasche ihm unangenehm wurde, dann schob er sie im Schlaf auf seiner Seite des Bettes über die Bettkante. Aber jetzt schiebt er sie mir ins Kreuz! Da wache ich auf, weil mich etwas Hartes an der Seite zwickt – und es ist die Wärmflasche, die er mir in den Rücken geschoben hat. Ein paar Mal hat er sie doch tatsächlich gegen meinen Kopf gedrückt, die Abdrücke an meiner Wange waren auch noch nach dem ersten Kaffee am Morgen nicht verschwunden!

Und jetzt sag mir“, so sagte er: „Ist das nicht ein Zeichen, dass er im Schlaf, also unbewusst, zwischen uns die Wärmflasche platziert? Als würde er Distanz schaffen wollen – oder schlimmer: Als wäre die Distanz zwischen uns schon so groß geworden, dass er gedankenlos im Schlaf die Wärmflasche in meine Richtung schiebt.“

Das war der Moment, in dem ich Freud zitierte: „Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre – und eine Wärmflasche nur eine Wärmflasche.“

Ich versuchte meinen Freund zu beruhigen. Das sei nur eine Phase. Versuchte, ihm Tipps zu geben: Räum‘ doch einfach mal alle Medikamente aus dem Schlafzimmer ins Bad, stell‘ stattdessen Kerzen auf, Sektgläser und mache eine Zeitreise in die erotischeren Zeiten zurück.

„Hmm, ja, eine gute Idee!“, stimmte er mir zu. „Ich sollte die Initiative ergreifen! Denn vielleicht ist das ja auch Zeichen, dass er es leid ist, den alten Mann in unserer Beziehung zu nähren – und so schiebt er den unbewusst mit Wärmflasche von sich. Er schiebt mir den Schwarzen Peter zu. Hier hast du den alten Mann! Vielleicht schiebt er mir ja sogar die Schuld zu: Hier hast du den alten Mann, denn du hereingelassen hast!“

Wir vertagten dann unser Gespräch. Er wolle jetzt die Initiative ergreifen, meinte er verschmitzt. Und ich wünschte ihm viel Erfolg.

Zwei Tage später rief er mich noch einmal an. Er hätte das Problem gelöst: Er hätte einen kuscheligen Überzug für die Wärmflasche gekauft. „So einen weichen Pelzüberzug mit einem Bärengesicht! Für mein Bärchen!“, meinte er. „Er hätte sich auch echt gefreut.“

Leise meldete ich eine gewisse Skepsis. Fragte nach den Kerzen, nach der Zeitreise in erotischere Zeiten. Aber er war ganz und gar auf dem „Kuschelig ist nah-Trip“, so dass er meine Skepsis überging. „Weißt Du, jetzt ist das viel besser, jetzt merk ich die kaum noch im Rücken. Außerdem: Du hast es selbst gesagt: Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre!“

Was sollte ich jetzt noch sagen?

Nachdem er aufgelegt hatte, legte ich eine Flasche Sekt in den Kühlschrank und drehte die Heizung im Schlafzimmer auf. Dann verstaute ich die Medikamente in unseren Nachttischschubladen und bestückte die Kerzenständer im Schlafzimmer mit neuen Kerzen. Meine Liebste war mit einer Freundin unterwegs. Wenn sie heimkehrt, wollte ich sie angemessen empfangen.

Eine Woche danach erhielt ich spät am Abend eine sms von meinem alten Freund.

„Du hast eine sms bekommen!“, rief meine Liebste aus dem Schlafzimmer, während ich heißes Wasser aus dem Wasserkocher in ihre Wärmflasche goss.

Die Wärmflasche in Händen ging ich ins Schlafzimmer, wo meine Liebste die zerwühlten Kissen und Bettdecken für die Nacht richtete. Die Wärmflasche noch in der einen Hand las ich die sms.

„Lass bloß nicht den alten Kerl herein. Die Zigarre war nicht nur eine Zigarre. Es ist Schluss!“

Ich war glücklich, als sich meine Liebste mehr über meine warmen Hände auf ihrer Haut freute, als über die Wärmflasche an ihren Füßen.

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Inspiration – Daimon oder Dämon? Neknomination, Kunst und Religion

Inspiration
Ist es wirklich so viel verrückter, sich von der Idee, dass es cool und mitteilenswert sei, ein Bier vor der Kamera zu kippen, inspirieren zu lassen, wie von einem brennenden Dornbusch, aus dem eine Stimme erschallt?

Was inspiriert uns? Bringt uns dazu, etwas Ungewohntes zu tun, vielleicht eine neue Sicht der Dinge einzunehmen. Inspiriert uns dazu, etwas zu malen, Musik zu schöpfen, Geschichten zu schreiben?

Menschen? Eine Idee, ein Anblick, ein Gefühl? Ein Moment der Begeisterung oder des Staunens?

Was inspiriert viele, einen halben Liter Bier auf Ex zu trinken und sich dabei zu filmen? Oder ist es hier verfehlt, von Inspiration zu sprechen?

Die Wikipedia vermerkt zum Stichwort „Inspiration“: „Unter Inspiration (von lat.: inspiratio „Beseelung“, Einhauchen von spiritus „Leben, Seele, Geist“) versteht man allgemeinsprachlich eine Eingebung, etwa einen unerwarteten Einfall oder einen Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität.“

Inspiriert zu sein bedeutet demnach, von etwas beseelt zu sein.

Die alten Griechen haben dies mit dem Gedanken des daimon ausgedrückt. Der daimon, oft auch als eine Art Geistwesen gedacht, offenbart uns unsere Bestimmung, zeigt uns den Weg, den wir gehen sollen. Berühmt ist Sokrates‘ Rede von einer „göttlichen Stimme“, die ihm hilft auf dem ihm angemessenen Weg zu bleiben.

Von diesem Wort, dieser Art, beseelt zu werden, zum christlich gedachten Dämon, der in einen fährt, war es dann nicht weit.

Aber ob göttliche oder dämonische Eingebung – Inspiration als „Beseelung“ gedacht hat immer auch einen irrationalen Touch. Hier geschieht etwas, dass mit Vernunft allein nicht zu fassen ist.

Ein Gedanke, der im künstlerischen Bereich vor allem seit der Romantik sehr verbreitet ist – und das läuft uns kreativ Schaffenden ja auch gut rein. Die fast göttliche Energie, die sich – kaum fassbar – dann in einem inspirierten Werk niederschlägt. Kurz: das Genie. „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei mir.“

Im religiösen Bereich war Inspiration schon immer irrational. „Von Gott geschlagen“. Es ist noch nicht lange her, dass in unserem Kulturkreis bestimmte, heute als Krankheiten eingeordnete Verhaltensweisen oder körperliche Gegebenheiten, als „göttliche Inspiration“ interpretiert wurden.

Und hier wie dort war und ist der Grad zwischen „göttlicher Eingebung“ und „dämonischen Einflüsterungen“, zwischen daimon und Dämon schmal.

Und hier wie dort sind Inspiration fördernde Maßnahmen nicht weit. Im religiösen Bereich zum Beispiel extremes Fasten, körperliche Kasteiung aber auch gewisse Substanzen, die mystischen Erfahrungen den Boden bereiten. Im künstlerischen Bereich spielen vor allem Drogen die Rolle von Maßnahmen, die Inspiration fördern sollen. Und das nicht nur bei Musikern („Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll“). Harte Drogen, harter Alkohol, weiche Drogen, weicher Alkohol – aber von allem immer viel. Bei Schriftstellern spielt vor allem der Alkohol eine große Rolle – und sie wird sowohl im Sinne des daimon wie auch das Dämon thematisiert.

Kurz: Inspiration und ungesunde Substanzen sind schon lange miteinander verquickt. Gerne auch überhöht, Stichworte: „Club der 27“ oder die im Sinne einer Hagiographie geschilderten Lebensläufe etwa von Hemingway, Bukowski etc.

Ist es also vor diesem Hintergrund falsch im Falle des „Neknomination“ von Inspiration zu sprechen?

Bedeutet Inspiration nicht auch Nacheifern, Nachahmen, dem Impuls folgen, den uns jemand anderer eingegeben hat? Wie ausgeführt, ist, wenn man beseelt ist, immer auch ein geschüttelt Maß Irrationalität im Spiel.

Oder um es mit den Monty Python zu sagen: „Folgt der Sandale!“ „Folgt dem geexten Bier!“ Folgt dem, diesem oder jenem. Alles Sandalen. Alles Stimmen aus einem Dornbusch, denen man nachfolgt.

Nun gut, künstlerische und religiöse Inspiration würde man eigentlich nicht als „Bierlaune“ abtun.

Aber wo ist der Unterschied?

Wie Wikipedia vermerkt, versteht man unter Inspiration „einen unerwarteten Einfall oder einen Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität.“

Sind die Entwicklungen, welche die Videos im Zeichen des „Neknomination“ durchlaufen, etwa nicht kreativ?

Immer ausgefeilter, ungewöhnlicher, die ursprüngliche Idee variierend, kreativ ausformend kommen die Videos daher. Nicht zu vergessen, die Videos, in denen sich die ursprüngliche Idee ablehnende Gedanken manifestieren. Also eine Art negative Inspiration. Die Bildsprache der Neknomination-Videos wird aufgegriffen, um das Trinkspiel zu kritisieren.

Also: Dem „unerwarteten Einfall“ folgen Taten, beim Trinkspiel wie auch im Bereich der Kunst oder Religion. Zunächst Taten der puren Nachahmung, noch nah an der ursprünglichen Idee. Dann wird die ursprüngliche Idee kreativ erweitert, es gibt Variationen. Vielleicht werden dann die einmal anfangs gegebenen Regeln anders interpretiert. Zum Teil bleibt als Anknüpfung nur noch die Symbolik der ursprünglichen Idee, die in einen ganz anderen Sinnzusammenhang transformiert wird.

Aus dem Trinkspiel wird ein Anti-Trinkspiel. Aus dem Roman der Romantik wird der Naturalismus, wird… Aus der Stimme des Dornbusch wird das Neue Testament.

Inspiration. Ein interessantes Thema. Weil es auch immer ein Thema ist, dass an herrschenden Meinungen hängt. Die herrschende Meinung sagt: Dieser Roman ist gut, er ist inspiriert! Die herrschende Meinung sagt: Dieses gehört zum Kanon, das aber zu den Apokryphen. Die herrschende Meinung sagt: Neknomination ist ein gefährlicher Ulk.

Und liegt die herrschende Meinung etwas nicht richtig?

Vielleicht ist Inspiration ja nicht nur ein interessantes Thema, sondern auch ein gefährliches?

Weil Inspiration ohne Verstand verpufft. Weil bei den meisten und meistens auf einen Moment der Inspiration nur ein „folgt der Sandale“ nachfolgt. Weil wir uns nicht klar machen, was uns in diesem Moment anrührt:

Daimon oder Dämon?

Lassen wir uns verführen, an der Nase herumführen? Rennen wir kopflos einem Trend hinterher? Ein Schaf unter anderen Schafen. Dem Gruppenzwang unterworfen. Leichtes Futter für alle, die die Sandale nur hoch genug halten, sie laut genug schwenken?

Oder erleben wir wahrhaft einen Moment, der unser Leben ändert? Ändert, weil wir einen tieferen Einblick in unsere Bestimmung, unseren Lebensweg, unser Schicksal, unsere Bedürfnisse gewonnen haben. Und nicht, weil die Folgen einer kopflosen „Folgt der Sandale“-Handlung gravierend sind?

Was inspiriert uns wirklich, wahrhaftig? Ich denke: es ist die Sehnsucht. Oder genauer: Was uns beseelt, is das Gefühl, einen Weg entdeckt zu haben, auf dem unsere Sehnsucht gestillt werden kann. Zum Beispiel: Die Sehnsucht danach, an etwas Besonderem teilzuhaben. Oder: Die Sehnsucht dazu zugehören. Die Sehnsucht, etwas Besonderes aus seinem Leben machen zu können. Etwas Besonderes erschaffen zu können. …

Und Menschen, die Sehnsucht in sich tragen, sind ebenso leicht verführbar wie sie zu Großem fähig sind.

Ob wir also ein Bier exen oder mit einem Roman beginnen – hier handelt unsere Sehnsucht. Und immer bleibt die Fragen: Wonach sehnen wir uns? Und: Ist es daimon oder ein Dämon, der uns hier die Hand führt?

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